Leitsatz
Leitsatz:
1. Kommt es während des Insolvenzverfahrens zu einem Betriebsübergang, hat der Insolvenzverwalter für die während des Insolvenzverfahrens erworbenen Anwartschaften all derjenigen einzustehen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber vor dem Betriebsübergang ausgeschieden sind, oder die von einem Betriebsübergang nicht erfasst werden oder einem Betriebsübergang gemäß § 613a Abs. 6 BGB widersprochen haben. Diese Anwartschaften kann der Insolvenzverwalter unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 BetrAVG abfinden.
2. Für eine vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit reicht es aus, wenn die Schuldnerin selbst keine gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeiten mehr entfaltet.
Gesetze: BetrAVG § 3 Abs. 4; BGB § 242; BGB § 262; BGB § 315; BGB § 613a
Instanzenzug: LAG Baden-Württemberg, 22 Sa 1/07 vom ArbG Freiburg, 3 Ca 102/06 vom Veröffentlichungen: Für die Amtliche Sammlung: Ja
Tatbestand
Die Parteien streiten über das Recht des Beklagten zur Abfindung des während des Insolvenzverfahrens erdienten Teils der Betriebsrentenanwartschaft des Klägers gem. § 3 Abs. 4 BetrAVG.
Der am geborene Kläger war seit dem bei der P GmbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin) beschäftigt. Diese hatte dem Kläger bereits in der Anlage zum Arbeitsvertrag vom eine Direktzusage auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erteilt.
Durch Beschluss vom wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser führte den Betrieb zunächst fort. Am verkaufte er das Anlagevermögen der Schuldnerin mit Wirkung zum an die P H GmbH, welche ihrerseits den Betrieb fortführte und auch einen Großteil der Arbeitnehmer weiterbeschäftigte.
Der Kläger schied mit Wirkung zum aus dem Arbeitsverhältnis mit der Schuldnerin aus.
Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte er eine Anwartschaft auf eine monatliche Betriebsrente iHv. 1.821,40 Euro erworben. Während des Insolvenzverfahrens erhöhte sich die Anwartschaft um monatlich 314,51 Euro. Der Abschluss einer sog. Liquidationsversicherung, wonach ein Versicherungsunternehmen monatliche Rentenzahlungen im Umfang der während des Insolvenzverfahrens erdienten Anwartschaft zu erbringen hätte, würde einen Gesamtaufwand von über 80.000,00 Euro bedeuten.
Mit Schreiben vom teilte der Beklagte dem Kläger ua. Folgendes mit:
"... Wir hatten bisher kommuniziert, dass wir eine Übertragung der betrieblichen Rentenansprüche auf ein Versicherungsunternehmen beabsichtigen. Gemäß § 3 Abs. 4 BetrAVG werden wir jedoch die Ihnen gegenüber bestehende Pensionsverpflichtung als einmaligen Abfindungsbetrag an Sie auszahlen. Die Berechnung, die von einem unabhängigen und vereidigten Gutachter (Firma H GmbH) durchgeführt wurde, liegt als Anlage bei und ergibt für Sie den Gesamtbetrag von ... 22.432,49 netto."
Der Kläger antwortete hierauf, dass er eine einmalige Abfindung nicht akzeptiere. Seit dem bezieht er eine vorgezogene Altersrente für langjährig Versicherte iHv. monatlich 1.264,00 Euro.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei zur Abfindung des während des Insolvenzverfahrens erdienten Teils seiner Betriebsrentenanwartschaft nicht berechtigt. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 BetrAVG seien nicht erfüllt. Zum einen schlössen sich eine vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit und ein Betriebsübergang gegenseitig aus. Zum anderen bestehe das Abfindungsrecht nur für Anwartschaften geringen Umfangs. Im Übrigen habe der Beklagte sein Formenwahlrecht bereits ausgeübt. Der Leiter des Bereichs Personalwesen der Schuldnerin, Herr W, habe ihm während eines Telefonats am die Auszahlung in Form einer laufenden Rente zugesagt; es sei die Übertragung der betrieblichen Rentenansprüche auf ein Versicherungsunternehmen geplant. Dasselbe ergebe sich aus dem Schreiben des Beklagten vom . Jedenfalls sei eine Abfindung - zumal zwölf Tage vor Eintritt des Versorgungsfalles - nicht mehr möglich, nachdem er, der Kläger, im Vertrauen auf eine monatliche Rentenzahlung die vorgezogene Altersrente beantragt und damit Renteneinbußen in Kauf genommen habe. Auch stelle sich eine Abfindung unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten als unbillig dar, weil - was unstreitig ist - an den Arbeitnehmer F zunächst laufende monatliche Rentenzahlungen erbracht worden seien. Schließlich müsse berücksichtigt werden, dass die Abfindung nicht richtig berechnet worden sei; er sei nicht kirchensteuerpflichtig.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn monatlich jeweils zum Monatsletzten 314,51 Euro zu zahlen, erstmals zum ,
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.572,55 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 314,51 Euro seit dem , , , und zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, er sei zur Abfindung berechtigt. Eine vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit könne auch im Falle einer sanierenden Übertragung vorliegen. § 3 Abs. 4 BetrAVG wolle die zügige Abwicklung des Insolvenzverfahrens ermöglichen. Dessen Abschluss würde aber ungebührlich verzögert, wenn der Insolvenzverwalter jahrelang Versorgungsleistungen zu erbringen hätte. Die Übertragung der Versorgungsverpflichtung auf einen Dritten sei den übrigen Gläubigern angesichts der erheblichen Mehrkosten nicht zuzumuten. Das Arbeitsverhältnis von Herrn W sei - was unstreitig ist - bereits vor dem Telefonat vom auf die P H GmbH übergegangen. Bereits deshalb habe Herr W zu diesem Zeitpunkt keinerlei verbindliche Erklärungen für ihn abgeben können.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Gründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zwar zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger seit Februar 2006 eine laufende monatliche Betriebsrente iHv. 314,51 Euro zu zahlen. Er hat wirksam von seinem Abfindungsrecht nach § 3 Abs. 4 BetrAVG Gebrauch gemacht.
A. Die Klage ist zulässig. Soweit sie auf künftige Leistung gerichtet ist, folgt dies aus § 258 ZPO. Bei wiederkehrenden Leistungen, die - wie Ruhegeldansprüche - von keiner Gegenleistung abhängen, können grundsätzlich auch künftig fällig werdende Teilbeträge eingeklagt werden. Im Gegensatz zu § 259 ZPO muss nicht die Besorgnis bestehen, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde (vgl. - BAGE 24, 63, 66; - 3 AZR 361/98 - zu A 2 der Gründe, AP BetrAVG § 7 Nr. 96 = EzA BetrAVG § 7 Nr. 62).
B. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Beklagte durfte die vom Kläger während des Insolvenzverfahrens erworbenen Betriebsrentenanwartschaften abfinden. Dieses Recht folgt aus § 3 Abs. 4 BetrAVG. Danach kann der Teil der Anwartschaft, der während eines Insolvenzverfahrens erdient worden ist, ohne Zustimmung des Arbeitnehmers abgefunden werden, wenn die Betriebstätigkeit vollständig eingestellt und das Unternehmen liquidiert wird.
I. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 BetrAVG sind erfüllt. Die Schuldnerin, die sich in Liquidation befindet, entfaltet selbst keine gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeiten mehr. Dies reicht für eine vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit aus (ähnlich Goldbach/Obenberger Die betriebliche Altersversorgung nach dem Betriebsrentengesetz 2. Aufl. Rn. 289; Höfer BetrAVG Stand Mai 2008 § 4 Rn. 3748 und § 7 Rn. 4373; Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Bode/Pühler BetrAVG 3. Aufl. § 3 Rn. 89; Paulsdorff Kommentar zur Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung 2. Aufl. § 7 Rn. 163). Dem Abfindungsrecht des Beklagten steht nicht entgegen, dass der Betrieb zu Beginn des Jahres 2005 im Wege des Betriebsübergangs auf die P H GmbH übergegangen ist.
1. Besteht ein mit einer Versorgungszusage unterlegtes Arbeitsverhältnis zu einem Arbeitgeber, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, sind bis zur Insolvenzeröffnung erworbene Anwartschaften reine Insolvenzforderungen, die zur Tabelle angemeldet werden müssen. Für gesetzlich unverfallbare Anwartschaften aus einer Direktzusage tritt der Pensionssicherungsverein ein. Besteht das Arbeitsverhältnis nach Insolvenzeröffnung mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort, entstehen nach der Eröffnung weitere Anwartschaften zu Lasten der Masse. Kommt es während des Insolvenzverfahrens zu einem Betriebsübergang, so haftet der Betriebserwerber hinsichtlich der übergegangenen Arbeitnehmer nicht nur für die Anwartschaften, die in der Zeit nach dem Betriebsübergang entstehen, sondern auch für die Anwartschaften, die vom Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs entstanden sind.
Damit hat der Insolvenzverwalter für die erst während des Insolvenzverfahrens erworbenen Anwartschaften all derjenigen einzustehen, die entweder nicht am Betriebsübergang teilnehmen, weil sie - wie im vorliegenden Fall - nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber vor dem Betriebsübergang ausgeschieden sind, oder die von einem Betriebsübergang von vornherein nicht erfasst werden oder einem Betriebsübergang gem. § 613a Abs. 6 BGB widersprochen haben. Diese Anwartschaften kann er unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 BetrAVG abfinden.
2. Der Betriebsübergang auf die P H GmbH steht dem Abfindungsrecht des Beklagten nicht entgegen. Dies ergibt eine Auslegung des § 3 Abs. 4 BetrAVG nach systematischen und teleologischen Kriterien.
a) § 3 Abs. 4 BetrAVG und § 613a BGB verfolgen unterschiedliche Zwecke. Deshalb verbietet es sich, die zu § 613a BGB in ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. - 2 AZR 247/86 - zu II 1 a der Gründe, AP BGB § 613a Nr. 67 = EzA BGB § 613a Nr. 64; - 7 AZR 652/85 - BAGE 54, 215, 231; - 2 AZR 127/91 - zu II 3 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 53 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 70) entwickelten Grundsätze, wonach Betriebsübergang und Betriebsstilllegung sich gegenseitig ausschließen, auf § 3 Abs. 4 BetrAVG zu übertragen.
b) § 613a BGB stellt eine Schutzvorschrift zugunsten der Arbeitnehmer dar und verfolgt innerhalb eines in sich geschlossenen Regelungsgefüges drei Schutzzwecke: 1. sollen die bestehenden Arbeitsplätze geschützt, 2. soll die Kontinuität des amtierenden Betriebsrats gewährleistet sowie die kollektivrechtlich geregelten Arbeitsbedingungen aufrechterhalten werden und 3. soll die Haftung des alten und die des neuen Arbeitgebers aufeinander abgestimmt werden (vgl. - BAGE 42, 312, 322; ErfK/Preis 9. Aufl. § 613a BGB Rn. 2). Dass sich Betriebsübergang und Betriebsstilllegung ausschließen, ist aus Gründen des Kündigungsschutzes geboten. Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Tatbeständen ist wichtig, weil anderenfalls die Gefahr besteht, dass die Schutzfunktion des § 613a BGB unterlaufen wird.
c) § 3 Abs. 4 BetrAVG verfolgt einen völlig anderen Zweck.
Schon der Entwurf eines Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung (EGInsO) - (BT-Drucks. 12/3803 vom ) - sah vor, § 3 Abs. 1 BetrAVG einen neuen Satz 4 anzufügen, der es ermöglichen sollte, bei vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit und nachfolgender Liquidation des Unternehmens den während des Insolvenzverfahrens erdienten Versorgungsanspruch auch ohne Zustimmung des Arbeitnehmers abzufinden. Dieses Vorhaben ist mit dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 - RRG 1999) vom (BGBl. I S. 2998, 3025) zum umgesetzt worden. Das zunächst in § 3 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG enthaltene Abfindungsrecht ist nunmehr durch Art. 8 Nr. 4 des Alterseinkünftegesetzes für die Zeit ab dem ohne Änderungen in § 3 Abs. 4 BetrAVG übernommen worden.
Ausweislich der Begründung zum Entwurf eines EGInsO soll das neu geschaffene Recht des Insolvenzverwalters, den in § 3 Abs. 4 BetrAVG angeführten Anwartschaftsteil abzufinden, die Liquidation eines Unternehmens im Insolvenzverfahren erleichtern (BT-Drucks. 12/3803 S. 110). Nach § 1 InsO dient das Insolvenzverfahren dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung, insbesondere zum Erhalt des Unternehmens, getroffen wird. Dabei kann die Verwertung des schuldnerischen Vermögens - dies war dem Gesetzgeber bei Schaffung der Abfindungsmöglichkeit bekannt - auch durch eine sog. übertragende Sanierung geschehen. Diese saniert zwar nicht den bisherigen Unternehmensträger, kann jedoch zum Erhalt des Betriebs und damit auch der Arbeitsplätze führen.
§ 3 Abs. 4 BetrAVG dient damit ersichtlich nicht dem Kündigungsschutz, sondern verfolgt einzig und allein insolvenzspezifische Interessen, dient also dem Gläubigerschutz. Dieser bereits abweichende Gesetzeszweck gebietet eine andere Auslegung der Bestimmung: Für die gesetzgeberisch gewollte Erleichterung der Liquidation eines Unternehmens im Insolvenzverfahren macht es keinen Unterschied, ob der Betrieb oder die Betriebe eines Unternehmens stillgelegt oder auf ein Nachfolgeunternehmen übertragen werden. Allein entscheidend ist, dass - sei es nach einer sanierenden Übertragung, sei es durch eine Betriebsstilllegung - jegliche gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit des insolventen Unternehmens eingestellt wird. Müsste nämlich mit der Verteilung an die Gläubiger solange zugewartet werden, bis sämtliche Betriebsrenten abschließend ausbezahlt sind, würde dies ein beträchtliches Hemmnis ua. für sanierende Übertragungen bedeuten.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Entscheidung des Senats vom (- 3 AZR 444/82 - BAGE 47, 229, 233 f.). Zwar hat der Senat dort die "vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit" iSd. § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 BetrAVG definiert als die Einstellung des mit dem Betrieb verfolgten arbeitstechnischen und unternehmerischen Zwecks unter Auflösung der organisatorischen Einheit des Unternehmens. Jedoch musste der Senat sich in dieser Entscheidung zum einen nicht dazu äußern, ob ein Betriebsübergang die vollständige Einstellung bzw. Beendigung der Betriebstätigkeit ausschließt, denn seinerzeit lag ein Betriebsübergang nicht vor. Zum anderen hat er bereits damals darauf hingewiesen, dass die Begriffe "Betriebsstilllegung" und "vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit" keineswegs identisch, sondern lediglich "verwandt" sind, und ausdrücklich auf die Auflösung der organisatorischen Einheit des "Unternehmens", und nicht des "Betriebs" abgestellt.
II. Dem Abfindungsrecht des Beklagten steht nicht entgegen, dass der Kläger bereits mit Ablauf des aus dem Arbeitsverhältnis mit der Schuldnerin ausgeschieden ist und diese erst danach ihre Betriebstätigkeit vollständig eingestellt hat. Nach Wortlaut und Normzweck des § 3 Abs. 4 BetrAVG genügt ein enger sachlicher Zusammenhang mit einer vollständigen Einstellung der Betriebstätigkeit der Insolvenzschuldnerin sowie, dass die Abfindung Teil der Liquidationsmaßnahme ist (vgl. Blomeyer/Rolfs/Otto BetrAVG 4. Aufl. § 3 Rn. 81 f.). Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt.
III. Die Abfindungsmöglichkeit nach § 3 Abs. 4 BetrAVG ist nicht auf Anwartschaften "geringen Umfangs" zu beschränken. Eine solche Beschränkung würde dem Regelungsplan des Gesetzgebers zu § 3 Abs. 4 BetrAVG zuwiderlaufen.
Zwar kann der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 BetrAVG eine Anwartschaft ohne Zustimmung des Arbeitnehmers nur dann abfinden, wenn der Monatsbetrag der aus der Anwartschaft resultierenden laufenden Leistung bei Erreichen der vorgesehenen Altersgrenze 1 vH, bei Kapitalleistungen 12/10 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV nicht übersteigen würde. Der Entwurf des EGInsO enthielt allerdings nicht nur diese Möglichkeit, Anwartschaften geringen Umfangs abfinden zu können, sondern sah zugleich das nunmehr in § 3 Abs. 4 BetrAVG geregelte Abfindungsrecht der im Insolvenzverfahren erdienten Anwartschaften vor. Dabei war es ausweislich der Begründung zum Gesetzesentwurf Anliegen des historischen Gesetzgebers, "die Möglichkeiten, Anwartschaften geringen Umfangs abfinden zu können", "auf zwei Fälle" auszudehnen, "in denen sich in der Praxis ein besonderes Bedürfnis für die Abfindung ergeben hat" (BT-Drucks. 12/3803 S. 110). "Da der Wert des abzufindenden Anwartschaftsteils in aller Regel sehr gering sein" werde, bestünden "auch hier keine Bedenken im Hinblick auf die sozialpolitische Zielsetzung des § 3". Wie sich aus der Formulierung "in aller Regel" ergibt, hat der Gesetzgeber damit durchaus gesehen, dass es Fälle geben kann, in denen während eines Insolvenzverfahrens nicht nur Anwartschaften "geringen Umfangs" iSd. § 3 Abs. 2 BetrAVG aufgebaut werden. Gleichwohl hat er - anders als für § 3 Abs. 2 BetrAVG - auf eine höhenmäßige Begrenzung der abfindbaren Anwartschaftsteile verzichtet.
Es kommt hinzu, dass mit den beiden einseitigen Abfindungsmöglichkeiten nach § 3 Abs. 2 und Abs. 4 BetrAVG verschiedene Zwecke verfolgt werden: Während § 3 Abs. 2 BetrAVG die verwaltungsmäßige Durchführung der betrieblichen Altersversorgung für die Unternehmen allgemein vereinfachen und unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand bei geringfügigen Versorgungsrechten vermeiden soll (vgl. BT-Drucks. 15/2150 S. 52; Blomeyer/Rolfs/Otto BetrAVG 4. Aufl. § 3 Rn. 45), soll § 3 Abs. 4 BetrAVG - wie bereits ausgeführt - die Liquidation eines Unternehmens im Insolvenzverfahren erleichtern. Dieser insolvenzpolitische Zweck des § 3 Abs. 4 BetrAVG würde verfehlt, wenn Anwartschaftsteile "größeren Umfangs" nicht abgefunden werden könnten und insofern - mit entsprechender Verzögerung des Insolvenz- und Liquidationsverfahrens - laufende Rentenleistungen über Jahre oder gar Jahrzehnte erbracht werden müssten. Nach dem Regelungsplan des historischen Gesetzgebers war es daher konsequent, nicht nach der - sei es relativen oder absoluten - Höhe des während des Insolvenzverfahrens erdienten Teils der Anwartschaft zu differenzieren.
IV. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers begründet § 3 Abs. 4 BetrAVG kein Wahlrecht des Insolvenzverwalters iSd. § 262 BGB.
Der Insolvenzverwalter schuldet in Bezug auf den während des Insolvenzverfahrens erdienten Teil der Versorgungsanwartschaft nicht "mehrere Leistungen" iS dieser Bestimmung. § 3 Abs. 4 BetrAVG verleiht ihm unter den dort genannten Voraussetzungen lediglich das - vom Beklagten mit Schreiben vom ausgeübte - Recht, die vertraglich vereinbarte Zahlung einer monatlichen Rente durch eine einmalige Abfindung zu ersetzen. Dabei handelt es sich um eine sog. Ersetzungsbefugnis, die im Gesetz nicht geregelt, als Rechtsfigur indes anerkannt ist. Im Unterschied zur Wahlschuld ist bei der Ersetzungsbefugnis das Schuldverhältnis von Anfang an bestimmt. Die Leistungspflicht des Schuldners ist konkret festgelegt; nur eine Leistung wird geschuldet, nicht mehrere dem Schuldner zur Wahl gestellte Leistungen. Allerdings ist dem Schuldner - durch Vertrag oder Gesetz - das Recht eingeräumt, die geschuldete Leistung durch eine andere zu ersetzen und sich so von seiner Verbindlichkeit zu befreien (vgl. - BAGE 79, 104, 111; MünchKommBGB/Krüger 5. Aufl. § 262 Rn. 8 f.; Palandt/Heinrichs 68. Aufl. § 262 Rn. 7 ff.; Soergel/Wolf 12. Aufl. § 262 Rn. 16; Staudinger/Bittner [2009] § 262 Rn. 11).
V. Die Ausübung des Abfindungsrechts ist auch nicht auf eine etwaige (Un-)Billigkeit zu überprüfen. § 315 BGB findet auf die Ersetzungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach § 3 Abs. 4 BetrAVG weder direkte noch analoge Anwendung.
Zwar kann auch ein Gesetz einer Partei ein unter § 315 BGB fallendes Leistungsbestimmungsrecht zuweisen (vgl. - Rn. 10, NZA 2010, 95; - 3 AZR 810/05 - Rn. 11, BAGE 123, 319 zu § 16 BetrAVG; Erman/Hager BGB 12. Aufl. § 315 Rn. 10; Palandt/Grüneberg 68. Aufl. § 315 Rn. 4; Soergel/Wolf 12. Aufl. § 315 Rn. 29). Allerdings muss dem Gesetz dafür durch Auslegung zu entnehmen sein, dass eine auf seiner Grundlage getroffene Bestimmung der Billigkeit entsprechen muss. Das setzt voraus, dass der Vertragspartner, der der Bestimmung durch den Anderen unterworfen wird, eines Schutzes gegen willkürliche Vertragsgestaltung bedarf (vgl. - BGHZ 126, 109, 120; - VIII ZR 36/06 - Rn. 16, BGHZ 172, 315). § 315 BGB ist deshalb nur dann entsprechend heranzuziehen, wenn ein Gesetz einem Beteiligten ein nicht näher konkretisiertes Bestimmungsrecht zuweist (vgl. -; MünchKommBGB/Gottwald 5. Aufl. § 315 Rn. 3).
Bei der Ausübung des Abfindungsrechts nach § 3 Abs. 4 BetrAVG besteht weder Raum noch ein Bedürfnis für die Anwendung des § 315 BGB. § 3 Abs. 4 BetrAVG regelt im Einzelnen, unter welchen Voraussetzungen das Abfindungsrecht vom Insolvenzverwalter ausgeübt werden kann; auch legt das Gesetz selbst fest, wie sich die Höhe der Abfindung berechnet, § 3 Abs. 5 iVm. § 4 Abs. 5 BetrAVG. Dabei wird eine Wertgleichheit von Rechtsverlust und Entschädigung gesetzgeberisch unterstellt (vgl. Blomeyer/Rolfs/Otto BetrAVG 4. Aufl. § 3 Rn. 62). Damit hat der Gesetzgeber die betroffenen Interessen abschließend gewichtet: Liegen die engen Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 BetrAVG vor, genießen die Interessen des Insolvenzverwalters und der anderen Gläubiger Vorrang vor denjenigen der Versorgungsanwärter, die im Übrigen hinsichtlich des in aller Regel größeren Teils ihrer unverfallbaren Anwartschaft über den Pensionssicherungsverein abgesichert sind.
VI. Der Beklagte hat auf sein Abfindungsrecht nicht verzichtet.
1. Auf Gestaltungsrechte kann durch einseitige Willenserklärung verzichtet werden ( - BAGE 89, 279, 290; Palandt/Grüneberg 68. Aufl. § 397 Rn. 4). Allerdings bedeutet allein die längere Nichtausübung eines Rechts noch keinen stillschweigenden Verzicht. An die Annahme eines solchen Verzichts sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. - aaO.; - Rn. 17, VersR 2008, 1090).
2. Dass der Beklagte selbst dem Kläger die Erbringung laufender Rentenleistungen zugesichert und damit auf sein Abfindungsrecht verzichtet hätte, hat der Kläger bereits nicht substantiiert dargelegt. Insoweit hat er sich lediglich auf die schlichte Behauptung beschränkt und auf das Schreiben des Beklagten vom hingewiesen. Hieraus ergibt sich jedoch nichts für eine derartige Zusage. Vielmehr ist in diesem Schreiben nur die Rede davon, dass beabsichtigt war, die betrieblichen Ansprüche auf ein Versicherungsunternehmen zu übertragen.
3. Soweit sich der Kläger in dem Zusammenhang auf das mit Herrn W am geführte Telefonat beruft, so kann er hieraus nichts zu seinen Gunsten ableiten. Sein Vortrag zum Inhalt dieses Gesprächs ergibt schon nicht, dass die Zahlung laufender Leistungen zugesagt wurde. Nach dem eigenen Vorbringen des Klägers hatte Herr W nämlich zugleich mitgeteilt, es sei die Übertragung der betrieblichen Rentenansprüche auf ein Versicherungsunternehmen "geplant". Zudem konnte Herr W am keine verbindlichen Erklärungen mehr für den Beklagten abgeben; zu dem Zeitpunkt war er bereits Personalleiter der Erwerberin. Im Übrigen handelt es sich bei der Ausübung des Abfindungsrechts nach § 3 Abs. 4 BetrAVG und damit auch bei einem entsprechenden Verzicht um eine insolvenzspezifische Handlung; eine solche Erklärung gehört nicht zum normalen Aufgabenbereich eines Personalleiters.
VII. Die Ausübung des Abfindungsrechts verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).
1. Der Beklagte war nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet, die Versorgungsverpflichtung durch Abschluss einer sog. Liquidationsversicherung auf einen Dritten zu übertragen. § 3 Abs. 4 BetrAVG soll dem Insolvenzverwalter eine masseschonende Abfindungslösung eröffnen und ihn damit vor einer kostenträchtigen Übertragung der Versorgungsverpflichtung auf einen Dritten schützen. Im Gegensatz zu § 4 Abs. 4 BetrAVG, der sich auf die Liquidation ohne Insolvenz bezieht, greift das - zumal auf den in der Insolvenz erdienten Teil der Anwartschaft beschränkte - Abfindungsrecht nach § 3 Abs. 4 BetrAVG nur bei Liquidation in der Insolvenz. Wollte man den Insolvenzverwalter trotz Vorliegens der engen Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 BetrAVG über den "Umweg" der unzulässigen Rechtsausübung verpflichten, den vom Gesetzgeber für den Fall der Einstellung der Betriebstätigkeit und der Liquidation des Unternehmens außerhalb des Insolvenzverfahrens vorgesehenen Weg entsprechend § 4 Abs. 4 BetrAVG zu beschreiten, würde sich dies idR zu Lasten der anderen Gläubiger auswirken und dem Sinn und Zweck des § 3 Abs. 4 BetrAVG zuwiderlaufen.
2. Das Abfindungsrecht des Beklagten war auch nicht verwirkt.
Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens. Sie setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage war (sog. Zeitmoment), und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (sog. Umstandsmoment; - Rn. 53, AP BetrVG 1972 § 87 Nr. 13 = EzA BetrVG 2001 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 14).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer bis zur vollständigen Einstellung der Betriebstätigkeit und Liquidation mit einer Abfindung durch den Insolvenzverwalter rechnen. Der Beklagte hat hier letztlich nicht mehr getan, als sich mit der Ausübung dieses Abfindungsrechts Zeit zu lassen. Dass er sich zunächst darum bemüht hatte, eine Übertragung der Versorgungspflichten auf einen Dritten durch Abschluss einer sog. Liquidationsversicherung in einer für die Masse erträglichen Weise zu erreichen, konnte beim Kläger nicht die schutzwürdige Erwartung begründen, der Beklagte werde sein Abfindungsrecht nicht mehr ausüben. Vor diesem Hintergrund kommt weder dem Umstand, dass der Beklagte sein Abfindungsrecht erst mit Schreiben vom ausgeübt hat, obgleich das Arbeitsverhältnis des Klägers bereits mit Ablauf des beendet wurde, noch dem Vorbringen des Klägers, er habe im Vertrauen auf eine monatliche Rentenzahlung die vorgezogene Altersrente beantragt und Renteneinbußen in Kauf genommen, Bedeutung zu.
VIII. Dass der Beklagte mit der Ausübung des Abfindungsrechts gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen hätte, ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger in der Revisionsinstanz auch nicht mehr gerügt. Im Übrigen könnte der Kläger aus einer Ungleichbehandlung mit nur einem einzigen Arbeitnehmer, nämlich dem Arbeitnehmer F, ohnehin nichts zu seinen Gunsten ableiten.
IX. Darauf, ob der vom Beklagten ermittelte Abfindungsbetrag ggf. zu niedrig ist, weil der Kläger nicht kirchensteuerpflichtig ist, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an. Der Kläger hat laufende Rentenleistungen eingeklagt und nicht eine höhere Abfindung verlangt.
Rein vorsorglich wird in diesem Zusammenhang jedoch auf Folgendes hingewiesen: Entscheidend ist stets die - hier unstreitig - zutreffend ermittelte Bruttoabfindung, wenn die ausgewiesene Steuer - wie hier - unstreitig abgeführt wurde. Mit dem Einbehalt und der Abführung von Steuern und Sozialabgaben erfüllt der Arbeitgeber seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer. Die Abführung begründet einen besonderen Erfüllungseinwand. Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Steuern und Sozialabgaben einbehalten und abgeführt hat, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen. Er ist vielmehr auf die steuer- und sozialrechtlichen Rechtsbehelfe beschränkt, es sei denn, für den Arbeitgeber wäre - was der Kläger nicht vorgetragen hat - aufgrund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar gewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand. Andernfalls tritt Erfüllungswirkung ein (vgl. - Rn. 18, 21, BAGE 126, 325).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2010 S. 115 Nr. 3
DB 2010 S. 1018 Nr. 18
DB 2010 S. 16 Nr. 17
DStR-Aktuell 2010 S. 17 Nr. 18
NJW 2010 S. 1835 Nr. 25
NWB-Eilnachricht Nr. 2/2010 S. 95
StuB-Bilanzreport Nr. 13/2010 S. 520
ZIP 2010 S. 897 Nr. 18
GAAAD-41167