BFH Urteil v. - V R 8/09

Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen trotz der Nichterfüllung der Nachweispflichten; Ermessensreduzierung auf Null im Billigkeitsverfahren

Leitsatz

Steht trotz der Nichterfüllung der Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage fest, dass die materiellen Voraussetzungen einer steuerfreien Ausfuhrlieferung nach § 6 Abs. 1 bis Abs. 3a UStG vorliegen, kann die Ausfuhrlieferung gleichwohl steuerfrei sein.
Eine analoge Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG auf Ausfuhrlieferungen kommt nicht in Betracht.
Ob die Grundsätze des Vertrauensschutzes die Gewährung der Steuerbefreiung gebieten, obwohl die Voraussetzungen einer Ausfuhrlieferung im Sinne des § 6 Abs. 1 UStG nicht erfüllt sind, kann nur im Billigkeitsverfahren, nicht aber im Festsetzungsverfahren entschieden werden. Auch wenn sich der Steuerpflichtige bereits im Festsetzungsverfahren auf Vertrauensschutzgesichtspunkte beruft, sind diese deshalb grundsätzlich gemäß § 163 AO im Billigkeitsverfahren zu berücksichtigen.

Gesetze: UStG § 4 Nr. 1, UStG § 6, UStG § 6a, UStDV § 8 Abs. 1, AO § 163, AO § 5, AO § 227

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt einen Kraftfahrzeughandel und beanspruchte in seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2001 für den am erfolgten Verkauf eines PKW BMW X5 die Steuerfreiheit für eine Ausfuhrlieferung in ein Drittland. Das Fahrzeug wurde nach der Lieferung des Klägers am in der Ukraine angemeldet und danach dort mehrfach umgemeldet.

2 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) erkannte die Steuerfreiheit der Lieferung nicht an, weil der Zollstempel auf dem Ausfuhrnachweis nach einem Gutachten des Zollkriminalamtes vom gefälscht war. Das Zollkriminalamt stellte fest, dass der EG-Dienststempel „Hauptzollamt A (...) 282 am ungültig geworden sei”. Außerdem sei die vorgeschriebene Stempelfarbe „Zollblau” nicht verwendet worden, die Kontrollzahl entspreche nicht der vorgeschriebenen Angabe für den Zeitraum und die Randkerben seien nicht richtig wiedergegeben.

3 Das FA setzte mit Bescheid vom die Umsatzsteuer für 2001 entsprechend fest. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens behandelte das FA zwei Fahrzeuglieferungen des Klägers an die spanische Firma B nicht als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung, weil es sich bei B um einen sog. „Missing Trader” gehandelt habe. B sei eine zwar rechtlich existente, aber wirtschaftlich inaktive Firma gewesen. Mit Bescheid vom setzte das FA die Umsatzsteuer für 2001 entsprechend geändert fest.

4 Im Klageverfahren behandelte das FA eine weitere Fahrzeuglieferung des Klägers an die italienische Firma E nicht als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung, sondern als steuerpflichtigen Umsatz, weil aufgrund von Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle ebenfalls davon auszugehen sei, dass es sich bei E um einen „Missing Trader” gehandelt habe. Dem folgend setzte das FA mit Umsatzsteuerbescheid vom und die Umsatzsteuer für 2001 entsprechend fest und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.

5 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage sowohl hinsichtlich der Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen als auch hinsichtlich der Ausfuhrlieferung statt. Zur Begründung der Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferung führte es im Wesentlichen aus, der Kläger könne zwar keinen ordnungsgemäßen Ausfuhrnachweis vorlegen, weil der Zollstempel auf dem Ausfuhrnachweis nach einem Gutachten des Zollkriminalamtes vom gefälscht gewesen sei. Er habe aber auf Richtigkeit des Zollstempels vertrauen dürfen. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger habe erkennen können, dass der mit einer anderen Farbe versehene Zollstempel am ungültig geworden sei, die Kontrollzahl nicht der vorgeschriebenen Angabe für den Zeitraum entsprochen habe und die Randkerben nicht richtig wiedergegeben seien.

6 Das Urteil ist veröffentlicht in „Entscheidungen der Finanzgerichte” 2009, 525.

7 Mit der Revision macht das FA Verletzung materiellen Rechts geltend, soweit das FG die Lieferung des PKW BMW X5 in die Ukraine als steuerfreie Ausfuhrlieferung behandelt hat. Zur Begründung trägt es im Wesentlichen vor, für eine analoge Anwendung der für innergemeinschaftliche Lieferungen geltenden Regelung des § 6a Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) auf Ausfuhrlieferungen gebe es keinen Raum, weil keine planwidrige Gesetzeslücke vorliege, die im Wege der Analogie zu schließen sei. Einen Schutz des guten Glaubens sehe das UStG nicht vor. Auch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in der Rechtssache C-271/06 vom , „Netto Supermarkt” (Slg. 2008, I-771, BFH/NV Beilage 2008, 199) führe zu keinem anderen Ergebnis, weil dieser Entscheidung ein außergewöhnlicher Sachverhalt im nichtkommerziellen Warenverkehr zugrunde gelegen habe.

8 Das FA beantragt sinngemäß,

das insoweit aufzuheben, als das FG die Lieferung des PKW BMW X5 in die Ukraine als steuerfreie Ausfuhrlieferung behandelt hat.

9 Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

10 Er verteidigt die Vorentscheidung.

11 II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

12 Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um zu entscheiden, ob es sich bei der Lieferung des PKW BMW X5 um eine nach § 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 Abs. 1 UStG steuerfreie Ausfuhrlieferung gehandelt hat.

13 1. Zwar sind die an eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 Abs. 1 UStG zu stellenden Nachweisanforderungen nicht erfüllt (siehe dazu unter II.2.). Die Steuerbefreiung greift aber dennoch ein, wenn trotz der Nichterfüllung der Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die materiellen Voraussetzungen einer steuerfreien Ausfuhrlieferung nach § 6 Abs. 1 bis Abs. 3a UStG vorliegen (, BFH/NV 2009, 1565). Hierfür könnte die Formulierung im Tatbestand des FG-Urteils, dass das Fahrzeug nach der Lieferung „... in der Ukraine angemeldet und danach dort mehrfach umgemeldet worden ...” ist, sprechen. Das FG wird konkrete Feststellungen zu der Frage, ob die Verbringung und der Verbleib des Fahrzeugs im Drittland auch ohne Ausfuhrnachweis feststeht, nachholen müssen.

14 2. Sollte das nicht der Fall sein, wird das FG bei seiner erneuten Entscheidung Folgendes zu berücksichtigen haben:

15 Eine steuerfreie Ausfuhrlieferung liegt gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG vor, wenn bei einer Lieferung der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3 UStG, befördert oder versendet hat und ein ausländischer Abnehmer ist. Gemäß § 6 Abs. 4 UStG müssen die Voraussetzungen u.a. des § 6 Abs. 1 UStG vom Unternehmer nachgewiesen werden. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer die Nachweise zu führen hat.

16 a) Das BMF hat von der Ermächtigung des § 6 Abs. 4 UStG in § 8 Abs. 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung Gebrauch gemacht. Danach muss bei Ausfuhrlieferungen der Unternehmer im Geltungsbereich dieser Verordnung durch Belege nachweisen, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandgebiet befördert oder versendet hat (Ausfuhrnachweis). Das muss sich aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben. Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des streitigen Umsatzes nicht erfüllt, weil der Ausfuhrnachweis gefälscht war.

17 b) Eine analoge Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG auf Ausfuhrlieferungen kommt nicht in Betracht. Zum einen hat der liefernde Unternehmer bei der Ausfuhrlieferung, anders als bei der innergemeinschaftlichen Lieferung, die Möglichkeit, durch Ausfuhrbelege nachzuweisen, dass der Gegenstand in ein anderes Land verbracht worden ist. Darüber hinaus kommt die analoge Anwendung der Regelung über die Steuerschuld des Abnehmers in § 6a Abs. 4 Satz 2 UStG, die in untrennbarem Zusammenhang mit der Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG steht, nicht in Betracht (, BFHE 223, 372, BFH/NV 2009, 438).

18 c) Da aber der leistende Unternehmer bei der Ausfuhrlieferung dann vor einer mit dem innergemeinschaftlich Liefernden vergleichbaren Situation steht, wenn die für die Befreiung erforderliche Mitwirkung des Abnehmers (hier die Vorlage des Ausfuhrnachweises —Beleg der Zollstelle—) manipuliert ist und der leistende Unternehmer die Unrichtigkeit dieser „Angabe” des Abnehmers auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte, kommt ein Erlass aus Billigkeitsgründen in Betracht. Ob die Grundsätze des Vertrauensschutzes die Gewährung der Steuerbefreiung gebieten, obwohl die Voraussetzungen einer Ausfuhrlieferung i.S. des § 6 Abs. 1 UStG nicht erfüllt sind, kann nur im Billigkeitsverfahren, nicht aber im hier vorliegenden Festsetzungsverfahren entschieden werden (ausführlich BFH-Urteil in BFHE 223, 372, BFH/NV 2009, 438). Auch wenn sich der Steuerpflichtige bereits im Festsetzungsverfahren auf Vertrauensschutzgesichtspunkte beruft, sind diese deshalb grundsätzlich gemäß § 163 der Abgabenordnung im Billigkeitsverfahren zu berücksichtigen.

19 3. In einem etwaigen Billigkeitsverfahren wird zu berücksichtigen sein, dass das Verwaltungsermessen hinsichtlich der Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme auf Null reduziert ist, wenn der Steuerpflichtige alle ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die von ihm getätigten Umsätze nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führen. Zur Sicherstellung einer richtlinienkonformen Anwendung des nationalen Rechts besteht auch unter Beachtung von § 102 FGO eine insoweit uneingeschränkte Überprüfbarkeit der Ermessensentscheidung des FA durch das FG.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 1141 Nr. 6
DStR-Aktuell 2010 S. 9 Nr. 16
HFR 2010 S. 631 Nr. 6
KÖSDI 2010 S. 17028 Nr. 7
UR 2010 S. 416 Nr. 11
YAAAD-40993