BGH Beschluss v. - V ZB 184/09

Abschiebehaftverfahren: Prüfung der Kommunikation des Dolmetschers mit dem Betroffenem bei der persönlichen Anhörung; erneute Anhörung im Beschwerdeverfahren bei Bestreiten des Haftgrundes und Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Inhaftierung im Rechtsbeschwerdeverfahren

Leitsatz

1. Bei der persönlichen Anhörung des Betroffenen, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, muss sich der Richter vor der Anordnung der Freiheitsentziehung vergewissern, dass der hinzugezogene Dolmetscher und der Betroffene in derselben Sprache miteinander kommunizieren .

2. Ob das einem Haftgrund entgegenstehende Beschwerdevorbringen glaubhaft ist, kann nur aufgrund einer persönlichen Anhörung des Betroffenen hinreichend sicher beantwortet werden .

3. In Freiheitsentziehungssachen kann mit der Rechtsbeschwerde, wenn sich die angefochtene Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Hauptsache erledigt hat, auch die Feststellung verlangt werden, dass die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts den Rechtsbeschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat .

Gesetze: § 62 FamFG, § 68 Abs 3 S 1 FamFG, § 70 FamFG, §§ 70ff FamFG, § 420 Abs 1 S 1 FamFG, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: 5 T 268/09 Beschlussvorgehend Az: 48 XIV 2730 B Beschluss

Gründe

I.

1 Der Betroffene, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste am ohne gültige Ausweispapiere aus Schweden in die Bundesrepublik Deutschland ein. Auf Antrag der Bundespolizeiinspektion Flensburg ordnete das Amtsgericht Flensburg am die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis längstens und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Die dagegen gerichtete Beschwerde, mit der der Betroffene u.a. geltend gemacht hat, er wolle sich der Zurückschiebung nicht entziehen, hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom ohne vorherige Anhörung des Betroffenen zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Feststellung erreichen will, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.

2 Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung auf den in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG genannten Haftgrund gestützt und ausgeführt, der Betroffene habe nicht glaubhaft gemacht, dass er sich der Zurückschiebung nicht habe entziehen wollen. Er habe sich bereits einer Abschiebung durch die schwedischen Behörden entzogen. Sein Vorbringen, er habe den von dem Amtsgericht hinzugezogenen Dolmetscher nicht verstanden und sei deshalb von dem Amtsgericht nicht ordnungsgemäß angehört worden, sei als Schutzbehauptung durch die von dem Amtsgericht eingeholte Stellungnahme widerlegt. Nach Einschätzung der Haftrichterin habe eine Kommunikation zwischen Dolmetscher und Betroffenem stattgefunden. Es könne überdies davon ausgegangen werden, dass der Dolmetscher Verständigungsprobleme dem Gericht mitgeteilt hätte.

III.

3 Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist begründet.

4 1. An der Statthaftigkeit des Rechtsmittels ändert der im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens eingetretene Ablauf der Haftdauer nichts. Zwar hat sich dadurch die Hauptsache erledigt. Aber die Regelung in § 62 FamFG, nach der in einem solchen Fall das Beschwerdegericht auf Antrag ausspricht, dass die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn er an der Feststellung ein berechtigtes Interesse hat, gilt im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend (Senat, Beschl. v. , V ZB 172/09 - zur Veröffentlichung bestimmt). Das berechtigte Interesse des Betroffenen an dieser Feststellung ergibt sich daraus, dass die Freiheitsentziehung ein schwerwiegender Grundrechtseingriff im Sinne von § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ist.

5 2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

6 a) Fehlerhaft hat es festgestellt, der Betroffene habe nicht glaubhaft gemacht, dass er sich der Zurückschiebung nicht entziehen werde (vgl. § 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG).

7 aa) Zutreffend macht der Betroffene geltend, das Beschwerdegericht habe ihn nach Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG anhören müssen. Zwar kann nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG im Beschwerdeverfahren von der Anhörung abgesehen werden, wenn diese bereits im ersten Rechtszug durchgeführt wurde und von einer erneuten Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Aber an der zuletzt genannten Voraussetzung fehlt es, wenn das Beschwerdevorbringen eine weitere Sachaufklärung erwarten lässt (Senat, Beschl. v. , V ZB 13/95, NJW 1995, 2226, insoweit nicht in BGHZ 129, 383 abgedruckt); auch darf das Beschwerdegericht die Glaubwürdigkeit des Betroffenen nur beurteilen, wenn es sich von ihm bei einer Anhörung einen persönlichen Eindruck verschafft hat (BayObLG NVwZ 1992, 814, 815). Danach musste das Beschwerdegericht den Betroffenen erneut anhören.

8 (1) Dessen Einwand, es habe trotz Einschaltung eines Dolmetschers eine ordnungsgemäße erstinstanzliche Anhörung nicht stattgefunden, durfte es nicht ohne weitere Sachaufklärung als Schutzbehauptung abtun. Es hätte sich vielmehr durch eine persönliche Anhörung unter Hinzuziehung eines Dolmetschers, der die Muttersprache des Betroffenen spricht, ein eigenes Bild von der Kommunikationswilligkeit und -fähigkeit des Betroffenen machen müssen. Denn aus dem Vermerk des Amtsrichters, auf den das Beschwerdegericht seine Entscheidung gestützt hat, geht lediglich die auf ihrem persönlichen Eindruck beruhende Einschätzung der Haftrichterin hervor, dass zwischen dem Dolmetscher und dem Betroffenen eine Kommunikation stattgefunden habe. Abgesehen davon, dass ihr Inhalt weder festgestellt noch sonst ersichtlich ist, besagt dies nichts zu der maßgeblichen Frage, ob zwischen der Haftrichterin und dem Betroffenen eine Verständigung möglich gewesen ist.

9 (2) Darüber hinaus hätte das Beschwerdegericht den der Entziehungsabsicht und damit dem Haftgrund entgegenstehenden (vgl. I-3 Wx 140/06, juris, Tz. 18; OLG Schleswig OLGR 2006, 142, 143; vgl. auch BVerfG InfAuslR 1994, 342, 344), erstmals in der Beschwerdeinstanz erhobenen Vortrag, sich für die Zurückschiebung bereithalten zu wollen, durch die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Betroffenen würdigen müssen.

10 (3) Ob das Beschwerdevorbringen glaubhaft ist, kann nur aufgrund einer persönlichen Anhörung des Betroffenen hinreichend sicher beantwortet werden. Es ist eine unverzichtbare Voraussetzung des rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf einer hinreichenden richterlichen Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (BVerfG NJW 2009, 2659, 2660 m.w.N.). Zwar hat das Beschwerdegericht - unangegriffen und damit für den Senat bindend (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, § 559 Abs. 2 ZPO) - festgestellt, der Betroffene habe sich der drohenden Abschiebung durch die schwedischen Behörden entzogen. Dieses Verhalten rechtfertigte jedoch nicht ohne weiteres den Schluss, er werde sich auch der Zurückschiebung entziehen. Vielmehr ist es nicht ausgeschlossen, dass der Betroffene bei der Anhörung durch das Beschwerdegericht die sich aus der unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ergebende Vermutung, er werde seiner Ausreisepflicht nicht freiwillig nachkommen (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 65. Aktual. 2009, § 62 AufenthG Rdn. 39; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. § 62 AufenthG Rdn. 15), hätte widerlegen können (§ 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Dabei wäre zu prüfen gewesen, ob der Betroffene wegen Verständigungsproblemen mit dem Dolmetscher der erstinstanzlichen Anhörung wirklich nicht hat folgen und daher seine Absicht, sich der Zurückschiebung nicht entziehen zu wollen, erst im Beschwerdeverfahren hat vorbringen können. Die Ermittlung der hinreichenden Tatsachengrundlage war somit ohne Verschaffung eines persönlichen Eindrucks durch das Beschwerdegericht unzureichend.

11 bb) Mit Erfolg rügt der Betroffene einen weiteren Verstoß des Beschwerdegerichts gegen das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn es hat sich mit seinem Vorbringen, er wolle sich für die Zurückschiebung in einer entsprechenden Einrichtung bereithalten, nicht auseinandergesetzt. Art. 103 Abs. 1 GG ist zwar erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen oder Rechtsausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden sind (siehe nur BVerfG NJW-RR 1995, 1033, 1034; Senat, BGHZ 154, 288, 300). So liegt es hier. Dass das Beschwerdegericht das wesentliche Beschwerdevorbringen im Rahmen der nach § 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG gebotenen Prüfung berücksichtigt hat, lässt sich der angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen. Da das Beschwerdegericht bereits den Einwand des Betroffenen, er habe den Dolmetscher in dem erstinstanzlichen Verfahren nicht verstanden, als bloße Schutzbehauptung angesehen hat, spricht alles dafür, dass es den weiteren Einwand unberücksichtigt gelassen hat.

12 cc) Wegen der Verstöße gegen das Gebot rechtlichen Gehörs hat die Entscheidung des Beschwerdegerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt (vgl. § 62 Abs. 1 FamFG). Denn das Unterlassen der mündlichen Anhörung drückt wegen deren grundlegender Bedeutung der gleichwohl angeordneten Haft zur Sicherung der Zurückschiebung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf, der durch die Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist; dementsprechend verbietet sich bei der nachträglichen gerichtlichen Überprüfung einer Freiheitsentziehung die Untersuchung, ob diese auf dem Unterbleiben der mündlichen Anhörung beruht (BVerfG InfAuslR 2006, 462, 464).

13 b) Die Haftanordnung durch das hat den Betroffenen ebenfalls in seinen Rechten verletzt.

14 aa) Entsprechend dem Feststellungsantrag ist neben der Beschwerdeentscheidung auch die Entscheidung über die Haftanordnung Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens. Denn die Gewährung von Rechtsschutz bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Inhaftierung nach der Erledigung der Maßnahme hängt weder von dem konkreten Ablauf des Verfahrens und dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme noch davon ab, ob Rechtsschutz typischerweise noch vor der Beendigung der Haft erlangt werden kann (BVerfGE 104, 220, 235 f.); deshalb muss das Rechtsschutzinteresse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung auch für einen Zeitraum vor der Einlegung der Rechtsbeschwerde bejaht werden (vgl. BVerfGK 6, 303, 311; Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 62 Rdn. 32). Überdies hat der Betroffene bereits mit seinem Beschwerdevorbringen über die Frage der Haftfortdauer hinaus auch die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Haftanordnung und die darauf beruhende Vollziehung der Haft zum Beschwerdegegenstand erhoben.

15 bb) Die amtsgerichtliche Entscheidung ist verfahrensfehlerhaft ergangen, denn es hat keine ordnungsgemäße Anhörung stattgefunden. Aus dem Inhalt des der Beschwerdeentscheidung zugrunde liegenden Vermerks des Amtsrichters folgt, dass die Haftrichterin in dem Anhörungstermin keine eigenen Erkenntnisse davon gewonnen hat, dass zwischen ihr und dem Betroffenen unter Mitwirkung des Dolmetschers eine Verständigung möglich gewesen ist. Vielmehr hat sie sich mit ihrem persönlichen Eindruck begnügt, zwischen dem Betroffenen und dem Dolmetscher habe eine Kommunikation stattgefunden. Das reicht für eine ordnungsgemäße Anhörung (§ 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG) nicht aus. Ihr Zweck besteht darin, dem Betroffenen den Sachverhalt und die sich daraus ergebende Rechtsfolge bekannt zu geben und ihm die Möglichkeit zu eröffnen, dazu Stellung zu nehmen und seine Sichtweise bestimmter Vorgänge darzustellen. Der Richter soll sich einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen verschaffen, um seine Kontrollfunktion im Hinblick auf das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Freiheitsentziehung wahrnehmen zu können (vgl. BVerfG NJW 1990, 2309, 2310). Dem kommt in Abschiebungshaftsachen eine besondere Bedeutung zu, weil der Haftrichter u.a. klären muss, ob der begründete Verdacht besteht, der Betroffene wolle sich der Abschiebung entziehen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG), und ob er glaubhaft macht, diesen Willen nicht zu haben (§ 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Die Klärung kann regelmäßig nur durch ein Gespräch zwischen Richter und Betroffenem erfolgen. Ist dieser der deutschen Sprache nicht mächtig, muss ein Dolmetscher hinzugezogen werden. Seine Aufgabe besteht darin, das Gespräch zwischen Richter und Betroffenem zu ermöglichen. Dazu ist er von dem Richter anzuhalten. Dieser muss sich vergewissern, dass Dolmetscher und Betroffener in derselben Sprache miteinander kommunizieren. Keinesfalls darf er sich damit begnügen, Zuhörer eines Gesprächs zwischen Betroffenem und Dolmetscher zu sein. In diese Rolle hat sich die Haftrichterin jedoch nach dem Vermerk des Amtsrichters begeben.

16 cc) Wie bereits vorstehend unter 2. a) cc) ausgeführt, drückt das Unterlassen der mündlichen Anhörung der gleichwohl angeordneten Haft den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf. Dasselbe gilt, wenn - wie hier - zwar ein Anhörungstermin, nicht aber eine Kommunikation zwischen Richter und Betroffenem stattgefunden hat.

IV.

17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 128c KostO und § 430 FamFG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BAAAD-40901