BFH Beschluss v. - V B 99/09

Versagung des rechtlichen Gehörs bei mündlicher Verhandlung und Entscheidung in der Sache obwohl Antrag auf Terminverlegung gestellt wurde; Glaubhaftmachung erheblicher Gründe bei Verhinderung des Prozessbevollmächtigten; Anforderungen an das Ablehnungsgesuch eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit

Gesetze: FGO § 51 Abs. 1, FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 119 Nr. 3, FGO § 107 Abs. 1, GG Art. 103 Abs. 1, ZPO § 42, ZPO § 44 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob durch seine Prozessbevollmächtigten „Rechtsanwälte A, B, C, D, E” Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom .

2 Mit Gerichtsbescheid vom wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab. Mit Schriftsatz vom beantragten die Prozessbevollmächtigten die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Mit Beschluss vom übertrug das FG den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Mit Verfügung vom , die den Prozessbevollmächtigten ausweislich des zu den FG-Akten gelangten Empfangsbekenntnisses am selben Tag zuging, lud das FG die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am um 10:15 Uhr. Die Ladung enthielt den Hinweis, dass gemäß § 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden kann.

3 Mit einem am beim FG eingegangenen Schriftsatz beantragten die Prozessbevollmächtigten die Verlegung dieses Termins, weil Rechtsanwalt A am um 9:00 Uhr einen bereits länger feststehenden Termin vor dem Amtsgericht (AG) X wahrzunehmen habe. Mit Verfügung vom wies der Einzelrichter darauf hin, dass der für eine Verlegung des Termins erforderliche erhebliche Grund nicht glaubhaft gemacht worden sei und die Vertretung in der mündlichen Verhandlung durch ein anderes Mitglied der Sozietät zumutbar sei. Mit einem am beim FG eingegangenen Schriftsatz legten die Prozessbevollmächtigten die bei ihnen am eingegangene Ladung des AG X zum um 9:00 Uhr vor. Das FG teilte den Prozessbevollmächtigten am mit, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung bestehen bleibe, weil die Vertretung durch ein anderes Sozietätsmitglied zumutbar erscheine. Mit einem am beim FG eingegangenen Schriftsatz lehnten die Prozessbevollmächtigten den Einzelrichter Y wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Mit Schriftsatz vom wies das FG nochmals darauf hin, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung aufrechterhalten bleibe, weil eine Verhinderung der anderen Sozietätsmitglieder nicht glaubhaft gemacht worden sei.

4 Das FG wies die Klage ab. Das FG führte aus, die mündliche Verhandlung habe ohne Prozessbevollmächtigten des Klägers stattfinden können. Da die Vollmacht auf eine Sozietät ausgestellt sei, sei nicht erkennbar, weshalb der Bevollmächtigte sich weder im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem FG noch beim AG durch ein anderes Sozietätsmitglied habe vertreten lassen können.

5 Das Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit lehnte der Einzelrichter selbst als rechtsmissbräuchlich ab, weil es allein darauf abziele, das Gericht zu der beantragten Terminsverlegung zu bewegen.

6 Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, das Urteil des FG beruhe auf Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

7 II. Die Beschwerde ist unbegründet.

8 Die geltend gemachten Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen nicht vor.

9 a) In der Durchführung der mündlichen Verhandlung ohne den Kläger und seinen Prozessbevollmächtigten liegt im Streitfall keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO).

10 Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl er einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend und glaubhaft gemacht hat (§ 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 und 2 der ZivilprozessordnungZPO—).

11 Zu erheblichen Gründen in diesem Sinne gehört auch die Verhinderung des Prozessbevollmächtigten aufgrund eines gleichzeitig stattfindenden anderen, früher anberaumten Gerichtstermins, den der Prozessbevollmächtigte wahrnehmen muss. Das Gericht ist aber auch in diesem Fall nicht an der Durchführung des Termins gehindert, wenn die Prozessvollmacht —wie im Streitfall— einer Sozietät erteilt worden ist, und der Termin durch ein anderes Mitglied der Sozietät sachgerecht wahrgenommen werden kann (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom III B 161/07, BFH/NV 2009, 406; vom I B 3/98, BFH/NV 1999, 626; vom X B 23/96, BFH/NV 1998, 726). Hinderungsgründe für eine Wahrnehmung des Termins durch eine andere Person als den zuständigen Sachbearbeiter müssen, sofern sie nicht offenkundig sind, im Einzelnen vorgetragen werden (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1998, 726, und in BFH/NV 1999, 626); ohne einen solchen Vortrag darf das Gericht von dem Bestehen einer Vertretungsmöglichkeit ausgehen und demgemäß das Vorliegen „erheblicher Gründe” für eine Terminsverlegung verneinen (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2009, 406, und vom I B 111/03, BFH/NV 2004, 1282). Die bloße Behauptung, nicht nur der Sachbearbeiter, sondern auch alle anderen Sozien seien verhindert, reicht insoweit nicht aus.

12 b) Es liegt auch kein Verfahrensfehler darin, dass der wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnte Einzelrichter über das Ablehnungsgesuch im Urteil selbst entschieden hat. Bei einem missbräuchlichen Ablehnungsgesuch entscheidet der Senat in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters (BFH-Beschlüsse vom V B 23/08, BFH/NV 2009, 801; vom XI B 20/08, BFH/NV 2009, 945); bei Zuständigkeit des Einzelrichters entscheidet dieser selbst (, BFH/NV 1998, 463).

13 Das Ablehnungsgesuch des Klägers war rechtsmissbräuchlich.

14 aa) Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die Voreingenommenheit des oder der abgelehnten Richter zu befürchten (, BFH/NV 2006, 1123). Gemäß § 44 Abs. 2 ZPO sind die das Misstrauen in die Unparteilichkeit rechtfertigenden Umstände im Ablehnungsgesuch substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 801).

15 Eine vermeintlich oder tatsächlich rechtsfehlerhafte Entscheidung rechtfertigt für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht (vgl. , nicht amtlich veröffentlicht, unter VI.1.e der Gründe; BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 945). Das Ablehnungsverfahren dient allein dazu, den Beteiligten vor der Mitwirkung eines Richters zu bewahren, an dessen Unparteilichkeit Zweifel begründet sind (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO; , BFH/NV 2001, 621, m.w.N.).

16 Behauptete Rechtsfehler eines Richters können nur dann eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 945, m.w.N.).

17 Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzes beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht die Bedeutung und Tragweite der durch die Verfassung garantierten Rechte grundlegend verkennt, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. , Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2008, 72, unter II.1.a der Gründe).

18 Deshalb ist ein ausschließlich auf eine beanstandete vorangegangene Entscheidung gestütztes Ablehnungsgesuch dann als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn sich aus den Einzelheiten der Begründung und insbesondere aus der Art und Weise der Begründung der vorangegangenen Entscheidung keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die beteiligten Richter voreingenommen sein könnten.

19 bb) Derartige Gründe hat der Kläger nicht vorgetragen. Die im Streitfall vom Kläger angeführten Gründe für die Ablehnung liegen nicht in einzelnen Verhaltensweisen des Richters, sondern im Inhalt seiner Entscheidung über den Vertagungsantrag. Gründe für die Besorgnis der Befangenheit ergeben sich nach Auffassung des Klägers nämlich „... aus dem willkürlichen Ignorieren des Terminsverlegungsantrags, bezogen auf den Termin vom , trotz Glaubhaftmachung der Verhinderungsgründe des Prozessbevollmächtigten des Klägers und aller seiner Sozien am Verhandlungstag zur angesetzten Verhandlung. Anzeichen für eine willkürliche Benachteiligung des Klägers ergaben sich daraus, dass der abgelehnte Richter keinen erheblichen Grund i.S. von § 227 I ZPO darin gesehen hat, dass sowohl der Sachbearbeiter, wie auch dessen Kollegen am verhindert waren und eine Terminswahrnehmung insoweit unmöglich war”.

20 Darauf, dass die Rechtsauffassung des Klägers zum Anspruch auf Terminsverlegung aus den zu II.1.a genannten Gründen zudem rechtlich unzutreffend ist, weil die Verhinderung nur des Sachbearbeiters, nicht aber die Unzumutbarkeit der Vertretung durch ein anderes Sozietätsmitglied glaubhaft gemacht wurde, kommt es insoweit nicht mehr an.

21 c) Im Rubrum des Urteils bezeichnete das FG den Streitgegenstand offensichtlich, wie sich aus Tatbestand und Urteilsgründen ergibt, unzutreffend mit „Umsatzsteuer 2002 bis 2004”, anstatt mit Umsatzsteuer 2005. Die offensichtlich unrichtige Bezeichnung des Streitgegenstandes ist dahin zu berichtigen, dass „Umsatzsteuer 2005” als Streitgegenstand bezeichnet wird. Der Senat ist dazu im Rahmen des anhängigen Beschwerdeverfahrens zuständig (, BFH/NV 2007, 1902).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 911 Nr. 5
KAAAD-40399