BSG Urteil v. - B 8 SO 29/07 R

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BSHG § 39 Abs. 1; BSHG § 40 Abs. 1 Nr. 8; BSHG § 7; SGB XII § 16; SGB XII § 53 Abs. 1; SGB XII § 54 Abs. 1; SGB VIII § 10 Abs. 2; SGB VIII § 19; SGB IX § 14 Abs. 1

Instanzenzug: LSG Nordrhein-Westfalen, L 20 SO 15/06 vom SG Münster, S 16 SO 51/05 vom

Gründe

I

Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Übernahme der Kosten (36.361,54 Euro) für ihre Unterbringung in der Mutter-Kind-Einrichtung G in B in der Zeit vom bis .

Die 1985 geborene Klägerin leidet an einer geistigen Behinderung, die ihr eine schulische Bildung im Sinne von Rechnen, Schreiben und Lesen nicht ermöglicht hat. Sie hat eine Schule für Lernbehinderte besucht, am Eingangsverfahren einer Werkstatt für behinderte Menschen teilgenommen und sodann den Berufsbildungsbereich der Werkstatt besucht. Zuletzt lebte sie bei ihrer Mutter in Ge im Kreis Heinsberg. Im Juli 2004 beantragte die Klägerin bei dem Beigeladenen anlässlich der voraussichtlichen Entbindung ihres Sohnes (Ende August 2004) Leistungen der Jugendhilfe sowie Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), weil sie mit ihrem Sohn im Haushalt der Mutter nicht verbleiben könne. Die Verhältnisse dort seien zu beengt; sie sei andererseits nicht in der Lage, sich allein um die Belange des Kindes zu kümmern.

Der Beigeladene teilte der Klägerin, gestützt auf ein psychiatrisches Gutachten, mit, dass für Leistungen an sie nicht er, sondern der Beklagte zuständig sei, weil nicht Jugendhilfe, sondern (stationäre) Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zu erbringen sei (Schreiben vom ). Danach übersandte der Beigeladene dem Beklagten den Antrag der Klägerin mit der Bitte um Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe in eigener Zuständigkeit (Schreiben vom ). Da indes kurzfristig ein Platz im G in B (Kreis Borken) zur Verfügung stand, veranlasste der Beigeladene die Unterbringung der Klägerin in diesem Heim und erteilte dem Heim eine vorläufige Kostenzusage. Die am in die Einrichtung aufgenommene Klägerin wurde dort am von ihrem Sohn J entbunden und verblieb gemeinsam mit dem Sohn bis zum in der Einrichtung. An das Heim, das als Einrichtung zur Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe sowohl für behinderte Menschen nach dem BSHG als auch zur Erbringung von Mutter-Kind-Leistungen nach dem Jugendhilferecht anerkannt ist, wurden nur die Kosten für das Kind (vom Beigeladenen) gezahlt. Der Beklagte lehnte eine Kostenübernahme insgesamt ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

Das Sozialgericht (SG) Münster hat den Beklagten verurteilt, "die auf die Klägerin entfallenden Kosten der Unterbringung in der Mutter-Kind-Einrichtung und Mädchenschutz Gruppe, G in B in der Zeit vom bis in Höhe von 36.361,54 Euro zu übernehmen" (Gerichtsbescheid vom ). Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin gehöre wegen ihrer geistigen Behinderung zum eingliederungshilfeberechtigten Personenkreis nach § 39 BSHG und habe die gesetzlichen Voraussetzungen der stationären Maßnahme auch im Übrigen erfüllt, weil die Maßnahme notwendig und geeignet gewesen sei, der Klägerin ein möglichst selbstständiges Leben gemeinsam mit ihrem Sohn zu ermöglichen. Es könne dahinstehen, ob daneben auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 19 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) für die Leistung der gemeinsamen Wohnform für Mütter/Väter und Kinder vorgelegen hätten. Leistungen der Jugendhilfe seien den Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem BSHG bzw nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für junge Menschen gegenüber nachrangig (§ 10 SGB VIII).

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung der §§ 10, 19 SGB VIII sowie des § 39 BSHG und des § 53 SGB XII. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nicht zu. Derartige Leistungen seien individuelle, auf Einzelpersonen ausgerichtete Hilfen, während vorliegend von einer die Klägerin und ihren Sohn umfassenden "Bedarfseinheit" auszugehen sei, auf die nur das Jugendhilferecht zu reagieren vermöge. Deshalb komme auch die Konkurrenzregelung des § 10 SGB VIII überhaupt nicht zum Tragen; diese setze voraus, dass zumindest teilweise deckungsgleiche Leistungen sowohl nach Jugend- als auch nach Sozialhilferecht beansprucht werden könnten. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt, weil das BSHG bzw das SGB XII im Rahmen der Eingliederungshilfe keine § 19 SGB VIII vergleichbare komplexe Leistung sowohl für die behinderte Mutter als auch für das Kind kenne.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Dies gilt auch für den Beigeladenen, der keinen Antrag gestellt hat.

II

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Das Berufungsurteil leidet an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden wesentlichen Verfahrensmangel; das LSG hätte den Träger der Mutter-Kind-Einrichtung G in B nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG notwendig beiladen müssen, weil seine Entscheidung unmittelbar auch die Rechtsbeziehungen des Einrichtungsträgers zu den Beteiligten betrifft.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte die Übernahme der Kosten für den Aufenthalt der Klägerin in der Mutter-Kind-Einrichtung G in B abgelehnt hat. Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG). Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, gerichtet auf die Aufhebung der ablehnenden Verwaltungsentscheidung und die Zahlung eines bestimmten Geldbetrags, trägt dem Anliegen der Klägerin nicht Rechnung; die Notwendigkeit der zusätzlichen Verpflichtungsklage ergibt sich daraus, dass nicht nur die Zahlung der Kosten an die Einrichtung, sondern darüber hinaus auch die ausdrückliche Übernahme dieser Kosten durch Verwaltungsakt begehrt wird, durch den eine Mitschuld des Beklagten gegenüber der Einrichtung begründet werden soll (vgl zum Ganzen Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom - B 8 SO 22/07 R - RdNr 12 -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

Richtiger Beklagter ist als beteiligtenfähige Behörde (§ 70 Nr 3 SGG iVm § 3 des Gesetzes zur Ausführung des SGG im Lande Nordrhein-Westfalen [AG-SGG NRW] vom - GVBl 412) der Direktor des Landschaftsverbandes (§ 17 Abs 1 Buchst d Landschaftsverbandsordnung für das Land NRW idF der Bekanntmachung vom - GVBl 657). Richtiger Beigeladener ist der Landrat des Kreises Heinsberg. Auch für die kraft Beiladung Beteiligten (vgl § 69 Nr 3 SGG) gilt das Behördenprinzip (§ 70 Nr 3 SGG iVm § 3 AG-SGG NRW und § 42 Buchst e Kreisordnung für das Land NRW vom - GVBl 646). Zur Auslegung der vorgenannten landesrechtlichen Regelungen war der Senat mangels eigener Auslegung des LSG befugt (vgl nur: BSGE 94, 149 ff RdNr 27 mwN = SozR 4-2700 § 63 Nr 2; BSGE 77, 53, 59 mwN = SozR 3-2500 § 106 Nr 33 S 190).

Die Voraussetzungen des § 75 Abs 2 1. Alt SGG für eine notwendige Beiladung waren erfüllt. Danach hat die Beiladung zu erfolgen, wenn Dritte an dem streitigen Rechtsverhältnis dergestalt beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (so genannte echte notwendige Beiladung). Dies ist hier schon deshalb der Fall, weil die Klägerin die "Übernahme" der angefallenen Heimkosten und damit der Sache nach nicht Zahlung an sich, sondern an die Einrichtung begehrt. Eine die Beiladung des Einrichtungsträgers erfordernde einheitliche gerichtliche Entscheidung ist aber auch zu treffen, weil sich die begehrte Übernahme der Maßnahmekosten im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis zwischen Hilfeempfänger, Sozialhilfe- und Einrichtungsträger als Beitritt des Sozialhilfeträgers zu einer schuldrechtlichen Leistungsverpflichtung des Hilfeempfängers gegenüber der Einrichtung darstellt (kumulativer Schuldbeitritt; s dazu im Einzelnen aaO, RdNr 13 ff).

Es bestand für den Senat keine Veranlassung, die unterbliebene notwendige Beiladung des Einrichtungsträgers selbst vorzunehmen. Zwar wäre dies im Revisionsverfahren mit Zustimmung des Beizuladenden grundsätzlich zulässig (§ 168 Satz 2 SGG); zur revisionsgerichtlichen Nachholung der Beiladung besteht indes keine zwingende Verpflichtung, die Beiladung ist vielmehr ins Ermessen des Revisionsgerichts gestellt (vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 168 RdNr 3d mwN). Die Beiladung kann insbesondere dann dem LSG überlassen werden, wenn - wie hier - ohne den verfahrensrechtlichen Mangel der unterbliebenen Beiladung aus anderen Gründen ohnedies zurückverwiesen werden müsste (BSGE 97, 242 ff RdNr 17 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1). Die tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lassen keine Beurteilung darüber zu, welche Leistungen genau an die Klägerin überhaupt erbracht worden sind, wie diese im konkreten Fall rechtlich zu qualifizieren sind und ob bzw inwieweit es sich insoweit um rechtmäßige Leistungen gehandelt hat. Hiervon ist sowohl die Zuständigkeit des Leistungsträgers als auch der Umfang des Anspruchs abhängig. Wegen der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur Nachholung der Beiladung ist der Senat indes gehindert, über die von der Revision aufgeworfenen materiell-rechtlichen Fragen für das LSG bindend (§ 170 Abs 5 SGG) zu entscheiden, weil andernfalls das rechtliche Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) des beizuladenden Einrichtungsträgers verletzt würde (BSGE 97, 242 ff RdNr 17 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1). Die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen stellen damit lediglich Entscheidungshilfen für das LSG dar.

Als Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten kommen §§ 39 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 sowie Abs 4, 40 Abs 1 Nr 8 BSHG (für die Zeit vom 18. August bis ) bzw §§ 53 Abs 1 Satz 1, 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII (für die Zeit vom 1. Januar bis ), jeweils iVm § 55 Abs 1 und 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) in Betracht. Danach erhalten Personen, die durch eine Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe zählen auch Leistungen, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen sollen und die nach den Kapiteln 4 bis 6 des Neunten Buches nicht erbracht werden. Der bezeichnete Anspruch auf Eingliederungshilfe könnte sich jedoch auch gegen den Beigeladenen richten, wenn dieser nicht fristgerecht iS des § 14 Abs 1 SGB IX die Sache nach der Antragstellung weitergeleitet hat (s dazu BSGE 93, 283 ff RdNr 15 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1; anderer Ansicht in einem obiter dictum BSG SozR 4-3250 § 14 Nr 3 RdNr 32; offen gelassen in ). Gegebenenfalls wird dies das LSG zu beachten haben.

Letztlich käme es hierauf - insoweit auch, ob § 19 SGB VIII überhaupt eine Leistung iS des SGB IX regelt - jedoch nicht an, wenn es sich bei der Unterbringung der Klägerin und ihres Sohnes in der Mutter-Kind-Einrichtung G um Leistungen nach § 19 SGB VIII (gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder) gehandelt haben sollte. Danach sollen Mütter und Väter, die allein für ein Kind unter sechs Jahren Sorge zu tragen haben oder tatsächlich sorgen, gemeinsam mit dem Kind in einer geeigneten Wohnform betreut werden, wenn und solange sie auf Grund ihrer Persönlichkeitsentwicklung dieser Form der Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes bedürfen (Abs 1 Satz 1). Eine schwangere Frau kann auch vor der Geburt des Kindes in der Wohnform betreut werden (Abs 1 Satz 3).

Ob die Maßnahme in dem Heim die Voraussetzungen des § 19 SGB VIII erfüllte, lässt sich jedoch anhand der tatsächlichen Feststellungen des LSG ebenso wenig beurteilen wie die Frage, ob die Maßnahme die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Eingliederungshilfeleistung nach dem SGB XII (s oben) erfüllt. Wäre ersteres der Fall, wäre zuständig für die Erbringung der Leistung ohnedies nur der Beigeladene als Träger der Jugendhilfe, ohne dass es insoweit einer Anwendung des § 10 Abs 2 SGB VIII in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom - BGBl I 3022 - (aF) bedürfte. Nach dieser Vorschrift gehen Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem Zwölften Buch vor (Satz 1). Umgekehrt gehen nach Satz 2 die Leistungen der Eingliederungshilfe (Sozialhilfe) für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen nach dem SGB VIII vor. Diese Konkurrenzregeln setzen allerdings eine grundsätzlich doppelte Leistungspflicht voraus (vgl dazu nur BVerwGE 109, 325 ff = Buchholz 436.511 § 41 KJHG/SGB VIII Nr 1). Dabei müssen die Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sein (BVerwG aaO; vgl auch Dillmann/Dannat, ZfF 2009, 25, 26).

Entgegen der Ansicht des LSG liegt eine solche Konstellation im Verhältnis zwischen § 19 SGB VIII und einer denkbaren Eingliederungshilfe nach § 40 BSHG bzw § 54 SGB XII iVm § 55 SGB IX nicht vor (Dillmann/Dannat, aaO, S 30; Struck in Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl 2006, § 19 RdNr 20; Mrozynski, SGB VIII, 5. Aufl 2009, § 19 RdNr 11). Denn § 19 SGB VIII enthält ein einheitliches Hilfeangebot für zwei Generationen bei einem alleinerziehenden Elternteil, das mittels einer komplexen, multifunktionalen Leistungspalette darauf abzielt, den gesamten pädagogischen Bedarf in der von ihr erfassten spezifischen Lebenssituation zu decken (Dillmann/Dannat, aaO, S 30; Wiesner, NDV 1998, 225, 228). Demgegenüber richtet sich die Eingliederungshilfe des BSHG bzw SGB XII nur an den behinderten Menschen mit dem Ziel der Eingliederung. Die personelle Teilidentität alleine genügt nicht, um eine teilweise Kongruenz für die Anwendung der Konkurrenzregelung des § 10 Abs 2 SGB VIII anzunehmen. Vielmehr widerspräche eine Aufspaltung der verschiedenen Leistungen (Leistungen für das Kind durch den Jugendhilfeträger, Leistungen für die Mutter durch den Sozialhilfeträger) dem Sinn und Zweck der Regelung des § 19 SGB VIII (NDV 1999, 281, 288). Darüber hinaus besteht keine sachliche Zielidentität (Mrozynski, aaO, § 11 RdNr 11 f).

Der Tatbestand des § 19 SGB VIII ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass man alleinerziehenden Müttern/Vätern eine pädagogische Unterstützung und Förderung zuerkennt, die mit ambulanten und teilstationären Hilfen nicht abgedeckt werden kann; er vereinigt dabei Funktionen der stationären Hilfe zur Erziehung mit Elementen aus einer Fülle anderer Maßnahmen, wie zB der Elternbildung, der Erziehungsberatung, der Jugendsozialarbeit, der Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung (gegebenenfalls auch der Adoptionsvermittlung) sowie den Formen der Tagesbetreuung für Kinder (Wiesner, NDV 1998, 225). Es handelt sich mithin um eine komplexe, multifunktionale Leistung, die darauf zielt, den gesamten pädagogischen Bedarf in dieser spezifischen Lebenssituation abzudecken, und zwar nicht nur der Mutter (bzw des Vaters) - gegebenenfalls sogar vor der Geburt des Kindes -, sondern auch des Kindes selbst und dessen älterer Geschwister (§ 19 Abs 1 Satz 2 SGB VIII). Nach § 19 Abs 2 SGB VIII soll sogar darauf hingewirkt werden, dass die alleinerziehende Mutter oder der alleinerziehende Vater eine schulische oder berufliche Ausbildung beginnt oder fortführt oder eine Berufstätigkeit aufnimmt. Schließlich soll nach Abs 3 die Leistung auch den notwendigen Unterhalt der betreuten Personen sowie die Krankenhilfe nach Maßgabe des § 40 SGB VIII umfassen. Will man nicht bereits die Zielrichtung der Norm vorrangig an den Interessen des Kindes und nur zweitrangig an den korrespondierenden Bedarfen des alleinerziehenden Elternteils messen (so Dillmann/Dannat, aaO, S 31), so ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass beide Zielsetzungen - unabhängig davon, wer im Einzelfall Anspruchsinhaber ist - zumindest gleichrangig nebeneinander stehen. Dies wird insbesondere daran deutlich, dass für die Leistungen nach § 19 SGB VIII bei dem alleinerziehenden Elternteil des Kindes keinerlei Altersbegrenzung vorgesehen ist.

Mit dieser umfassenden Aufgabenstellung und dem umfassenden Leistungsangebot konkurriert nicht die Eingliederungshilfe des BSHG bzw SGB XII, die einem derart komplexen Postulat nicht unterliegt. Zwar gehen § 54 Abs 1 SGB XII bzw § 40 Abs 1 BSHG und § 55 Abs 2 SGB IX von einem lediglich beispielhaften, offenen Leistungstatbestand ("insbesondere") aus (vgl: Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 54 SGB XII RdNr 2; W. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl 2006, § 54 SGB XII RdNr 3; Bieritz-Harder in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 8. Aufl 2008, § 54 SGB XII RdNr 41), sodass auch andere, nicht ausdrücklich genannte Maßnahmen in Betracht kommen, sofern sie geeignet und erforderlich dafür sind, dass die Aufgaben der Eingliederungshilfe erfüllt werden. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die Vorschriften über die Eingliederungshilfe auf die Eingliederung des behinderten Menschen und damit auf Leistungen an diesen, nicht an dritte Personen, zielen, wenn nichts anderes ausdrücklich im Gesetz geregelt ist (vgl etwa § 54 Abs 2 SGB XII bzw § 40 Abs 2 BSHG). Keinesfalls erheben die Vorschriften über die Eingliederungshilfe den "Ganzheitlichkeitsanspruch" des § 19 SGB VIII, der im Gegensatz zur Eingliederungshilfe die Förderung aller von der Bedarfssituation betroffenen Personen in der Familie im Auge hat. Hieran ändert auch nichts § 7 BSHG bzw § 16 SGB XII mit dem Gebot zur Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in der Familie; diese Normen enthalten nur einen Programmsatz, aus dem sich keine unmittelbaren Rechte der Familienangehörigen ableiten (vgl nur Schoenfeld in Grube/Wahrendorf, aaO, § 16 SGB XII RdNr 5 ff). Nicht zuletzt spricht für die gewonnene Auslegung, dass die vorrangige Zuständigkeit des Trägers der Jugendhilfe nach § 10 Abs 2 SGB VIII aF bei der vom LSG gewählten Auslegung erst dann begründet wäre, wenn der behinderte Elternteil das 27. Lebensjahr vollendet hätte und damit nicht mehr junger Mensch iS des § 7 Abs 1 Nr 6 SGB VIII wäre. Erst dann wäre bei der vom LSG gewählten Auslegung der Träger der Jugendhilfe vorrangig zuständig. Dieses widersinnige Ergebnis ist gerade nicht wegen des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift hinzunehmen (so aber Lorenz, NDV 2008, 208, 212; JAmt 2008, 200, 201); ihm ist bereits durch eine dem Sinn und Zweck der Regelung des § 19 SGB VIII entsprechende Auslegung zu begegnen.

Ob allerdings nach der Zurückverweisung an das LSG eine Verurteilung des Beigeladenen in analoger Anwendung des § 75 Abs 5 SGG in Betracht kommt (vgl dazu BSGE 93, 283 ff RdNr 19 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1), ist zweifelhaft. Das LSG wird gegebenenfalls über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Fundstelle(n):
NAAAD-40106