BGH Beschluss v. - II ZB 10/09

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Kontrollpflichten des Rechtsanwalts zur Sicherstellung der Fristwahrung

Leitsatz

Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender auch dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn die Handakte zur Bearbeitung nicht zugleich mit vorgelegt worden ist .

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Instanzenzug: Az: I-8 U 174/08 Beschlussvorgehend Az: 1 O 193/07 Urteil

Gründe

I.

1 Gegen das ihm am zugestellte Urteil des Landgerichts, durch welches der Beklagte zur Zahlung und Freistellung verurteilt worden war, legte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am Berufung ein. Nachdem das Oberlandesgericht mit Verfügung vom auf die Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen hatte, beantragte der Beklagte am die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Berufung und legte mit Schriftsatz vom eine Berufungsbegründung vor.

2 Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsbegehrens trug der Beklagte vor, sein Prozessbevollmächtigter habe im Anschluss an die Zustellung des landgerichtlichen Urteils die für die Eintragung und Kontrolle von Fristen zuständige Büroangestellte angewiesen, die Berufungsfrist und die Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender zu markieren. Die Überwachung von Notfristen sei in dem Büro so organisiert, dass die Fristen nach Weiterleitung der Vorgänge an die zuständige Bürokraft von dieser in einem besonderen Fristenkalender notiert würden und jeweils zusätzlich eine Woche vor Fristablauf eine Vorfrist eingetragen werde. Bei Ablauf der Vorfrist werde dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt ein roter Merkzettel zugeleitet, auf dem der Fristablauf notiert sei. Im vorliegenden Fall sei von der bisher zuverlässig arbeitenden Bürokraft versehentlich nur die Frist zur Berufungseinlegung, nicht aber die Begründungsfrist notiert worden, was dazu geführt habe, dass die Akten vor Ablauf der Begründungsfrist dem Prozessbevollmächtigten nicht vorgelegt worden seien.

3 Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

4 Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, aber unzulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich, da das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat.

5 1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner die Wiedereinsetzung versagenden Entscheidung ausgeführt, dass es einem Rechtsanwalt unbenommen sei, die Führung eines Fristenkalenders auf sein Büropersonal zu übertragen, sofern er dieses sorgfältig ausgewählt und belehrt habe und die Fristenwahrung durch Führung eines geeigneten Fristenkalenders sowie Notierung der Fristen gesichert sei. Werde ihm im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift die Handakte vorgelegt, erstrecke sich die Kontrollpflicht des Rechtsanwalts auch auf die Erledigung der Notierung der Berufungsbegründungsfrist. Zur Erfüllung dieser Pflicht habe er die Anbringung von Erledigungsvermerken über die Notierung der Berufungsbegründungsfrist nicht nur anzuordnen, sondern nach diesen Erledigungsvermerken auch zu forschen. Weder dem Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung noch der zur Glaubhaftmachung beigefügten eidesstattlichen Versicherung könne entnommen werden, ob Kontrollmaßnahmen ergriffen worden seien, um die Einhaltung der Begründungsfrist sicherzustellen. Aus der Aktenlage könne lediglich geschlossen werden, dass die Handakte dem Prozessbevollmächtigten vorgelegen habe, da die Berufungsschrift rechtzeitig gefertigt und an das Berufungsgericht übermittelt worden sei. Dabei sei der Prozessbevollmächtigte selbst zur Kontrolle der Berufungsbegründungsfrist gehalten gewesen, was bei Vorlage der Akte möglich und auch zumutbar gewesen sei.

6 2. Das Oberlandesgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht versagt, weil nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen ein dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist. Der Beklagte hat weder das Vorhandensein einer den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens genügenden Fristenkontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten, noch die Erteilung einer konkreten Einzelanweisung zur Eintragung der Berufungsbegründungsfrist dargetan, auf deren Erledigung der Prozessbevollmächtigte ohne weiteres hätte vertrauen dürfen.

7 a) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden (, AnwBl. 2008, 71; v. - VIII ZB 115/02, ZIP 2003, 1050, 1051). Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (vgl. Sen.Beschl. v. - II ZB 6/08, NJW 2009, 1083 Tz. 11; aaO; v. - XII ZB 243/03, FamRZ 2004, 1183; v. - XII ZB 154/09 Tz. 15). Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf (, NJW 2008, 1670 Tz. 6; v. - IV ZB 18/05, NJW 2006, 2778 Tz. 6; Sen.Beschl. v. - II ZB 16/04). Diese anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte zur Bearbeitung nicht zugleich mit vorgelegt worden ist (, FamRZ 2001, 1143, 1145; v. - VIII ZB 35/00, NJW-RR 2001, 782; v. - VI ZB 2/91, NJW-RR 1991, 827, 828), so dass in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen ist.

8 Dem Wiedereinsetzungsvorbringen des Beklagten lässt sich, wie das Oberlandesgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, nicht entnehmen, ob - und bejahendenfalls welche - Kontrollmaßnahmen in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten ergriffen worden waren, um die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist, insbesondere deren Eintragung in den Fristenkalender, sicherzustellen. Der Beklagte hat daher schon nicht dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass in dem Büro des Prozessbevollmächtigten eine den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens genügende Fristenkontrolle vorgesehen war. Damit spricht nach dem Vorbringen einiges für ein mögliches für die Fristversäumung ursächliches Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten. Denn bei sachgerechter Organisation der Fristenkontrolle wäre die unterbliebene Eintragung der Berufungsbegründungsfrist in dem Fristenkalender wegen des fehlenden Erledigungsvermerks aus der Handakte ersichtlich gewesen und bei der im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung offenbar geworden.

9 b) Auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen und Anweisungen für die Fristenwahrung in einer Anwaltskanzlei kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings dann nicht an, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleikraft, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, welche bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (Sen.Beschl. v. - II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60; , NJW 2009, 3036 Tz. 6; v. - VI ZB 29/07, JurBüro 2009, 54; v. - VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935). Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine ausgebildete und bisher zuverlässig tätige Bürokraft eine konkrete Einzelanweisung, auch wenn sie mündlich erteilt wird, befolgt und ordnungsgemäß ausführt. Er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Betrifft die Anweisung aber einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Rechtsanwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die mündliche Anweisung in Vergessenheit gerät und die Eintragung der Frist unterbleibt (Sen.Beschl. v. aaO 1085 Tz. 16; aaO; v. - XII ZB 189/07, NJW 2008, 2589 Tz. 13; v. - VI ZB 69/05, NJW-RR 2008, 928 Tz. 12; v. - VI ZB 50/03, NJW 2004, 688, 689).

10 Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist die Erteilung einer konkreten Einzelanweisung, auf deren Befolgung der Prozessbevollmächtigte des Beklagten ohne weiteres vertrauen durfte, mit dem Wiedereinsetzungsvorbringen ebenfalls nicht dargetan. Der Beklagte hat ohne nähere Angaben zu dem Inhalt und den näheren Umständen der Weisung lediglich vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe im Anschluss an die Zustellung des landgerichtlichen Urteils eine Büroangestellte angewiesen, die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender zu vermerken. Es erscheint schon fraglich, ob diese "Weisung“ zur Eintragung der Rechtsmittelfristen als konkrete Einzelanweisung oder aber durch die zur organisatorischen Ausgestaltung des Fristenwesens in der Kanzlei getroffenen allgemeinen Anordnungen erfolgte. Selbst wenn von einer konkreten Einzelanweisung auszugehen wäre, fehlte jeder Vortrag dazu, ob die Anweisungschriftlich oder mündlich erteilt wurde und die im Falle nur mündlicher Weisungserteilung erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen in der Rechtsanwaltskanzlei getroffen waren.

Goette                               Caliebe                             Drescher

                    Löffler                              Bender

Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2010 S. 14 Nr. 11
NJW 2010 S. 8 Nr. 12
KAAAD-39447