BAG Urteil v. - 2 AZR 383/08

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: KSchG § 23

Instanzenzug: LAG Baden-Württemberg, 9 Sa 42/07 vom ArbG Lörrach, 1 Ca 146/07 vom Veröffentlichungen: Für die Amtliche Sammlung: Nein

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit der von den Beklagten ausgesprochenen Kündigungen, dabei insbesondere um die betriebliche Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes (§ 23 KSchG).

Die Beklagten sind Zweckverbände für Abwasser und Gruppenwasserversorgung nach § 3 des Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit des Landes Baden-Württemberg (GKZ BW, in der Fassung vom , GBl. Baden-Württemberg 1974, 408). An beiden Zweckverbänden sind mehrere Städte und Gemeinden beteiligt, darunter die Gemeinde S. Vorsitzender beider Beklagten ist der Bürgermeister der Gemeinde S.

Zwischen den Beklagten und der Gemeinde S. findet in verschiedener Weise eine Zusammenarbeit statt. So erledigen Mitarbeiter der Gemeinde S. im Rahmen ihrer Arbeitsverhältnisse bei den Beklagten anfallende Verwaltungsarbeiten, die der Gemeinde S. durch die Beklagten vergütet wird. Umgekehrt erbringen Arbeitnehmer der Beklagten Leistungen für die Gemeinde S., zB in der gemeinsamen Rufbereitschaft und bei der Wartung eines Regenüberlaufbeckens. Hierfür erstattet die Gemeinde S. den Beklagten die Kosten.

Der Kläger war hauptberuflich als Kommunalbeamter bei der Gemeinde S. tätig und wurde durch Bescheid vom zwangsweise zur Ruhe gesetzt. Seine hiergegen vor dem Verwaltungsgericht erhobene Klage wurde rechtskräftig abgewiesen.

Daneben war der Kläger seit dem angestellter Geschäftsführer beider Beklagten. Mit Schreiben vom kündigten diese das jeweilige Anstellungsverhältnis ordentlich zum . Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung des Beklagten zu 1. sei schon deshalb unwirksam, weil der Beschluss der Verbandsversammlung fehlerhaft sei; dessen Genehmigung sei zu spät erfolgt. Das Kündigungsschutzgesetz finde Anwendung. Die Beklagten beschäftigten mehr als fünf Arbeitnehmer. Dabei könne nicht allein auf den Stellenplan des jeweiligen Zweckverbands abgestellt werden. Dies widerspreche dem arbeitgeberbezogenen Betriebsbegriff im Kündigungsschutzgesetz. Überdies bildeten die Zweckverbände mit der Gemeinde S. eine gemeinsame Verwaltung. Die Kündigung verstoße außerdem gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB und sei treuwidrig.

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

festzustellen, dass die beiden zwischen ihm und dem Beklagten zu 1. und zwischen ihm und dem Beklagten zu 2. bestehenden Arbeitsverhältnisse durch die Kündigungen vom nicht aufgelöst worden sind.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben die Auffassung vertreten, die Kündigungen seien in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Der von der Verbandsversammlung der Beklagten zu 1. am gefasste Beschluss sei fehlerhaft gewesen, aber am wiederholt und bestätigt worden. Im Übrigen hänge die organschaftliche Vertretungsmacht ihres Vorsitzenden nicht von internen Ermächtigungen ab. Das Kündigungsschutzgesetz finde keine Anwendung. Bei ihnen seien insgesamt lediglich fünf Arbeitnehmer beschäftigt. Sie arbeiteten mit der Gemeinde S. zwar zusammen, bildeten aber mit ihr keine gemeinsame Verwaltung. Die Kündigung sei notwendig geworden, weil in der Person des Klägers liegende Schwierigkeiten die Zusammenarbeit unmöglich gemacht hätten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die Kündigungen haben die Arbeitsverhältnisse des Klägers mit den Beklagten aufgelöst. Die Kündigungen sind nicht mangels Schriftform (1.) oder wegen fehlender Vollmacht (2.) unwirksam. Sie sind nicht sozial ungerechtfertigt, weil nach § 23 Abs. 1 KSchG die Vorschrift des § 1 KSchG auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar ist (3.). Die Kündigungen verstoßen weder gegen Treu und Glauben noch gegen die guten Sitten oder das Maßregelungsverbot (4.). Sie bedurften zu ihrer Wirksamkeit auch nicht der Beteiligung eines Personalrats (5.).

1. Die Kündigungen wahren die nach § 623 BGB einzuhaltende Schriftform. Sie sind beide vom Verbandsvorsitzenden unterzeichnet.

2. Die Kündigungen sind nicht mangels Vollmacht unwirksam. Der Verbandsvorsitzende war nach § 16 GKZ BW gesetzlich zur Vertretung der Beklagten befugt. Eine Einschränkung der Vertretungsmacht ist nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es nicht darauf an, wann die Verbandsversammlungen welche Beschlüsse gefasst haben, die dann zur Kündigung führten, oder die Kündigungen nachträglich genehmigten. Die Frage einer Genehmigung nach § 180 Satz 2 BGB iVm. § 177 BGB stellt sich nur, wenn die Vertretungsmacht ganz fehlt oder eingeschränkt ist (Senat - 2 AZR 584/03 - zu B II 3 der Gründe, AP BGB § 174 Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 174 Nr. 3). Darum geht es hier nicht. Die gesetzliche Vertretungsmacht nach § 16 GKZ BW ist unbeschränkt. Selbst wenn der Verbandsvorsitzende im Innenverhältnis bestehende Beschränkungen überschritten haben sollte, hätte dies auf die Außenwirkungen seiner mit gesetzlicher Vertretungsmacht vorgenommenen Handlungen keinen Einfluss.

3. Die Kündigungen sind nicht sozial ungerechtfertigt nach § 1 KSchG. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, 3 KSchG findet diese Bestimmung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung. Der Kläger war nicht in einer Verwaltung beschäftigt, deren Arbeitnehmerzahl den maßgeblichen Schwellenwert überstiegen hätte.

a) Im öffentlichen Dienst muss der Schwellenwert des § 23 KSchG in der "Verwaltung" überschritten werden, in der der Arbeitnehmer beschäftigt ist. Dabei ist jedenfalls eine Einheit, die als Arbeitgeber eine eigene Rechtspersönlichkeit aufweist, als "Verwaltung" anzusehen (Senat - 2 AZR 579/99 - zu II 2 der Gründe, BAGE 97, 141; APS/Moll 3. Aufl. § 23 KSchG Rn. 20). Die Einheit "Verwaltung" kann demnach in aller Regel nicht mehr Arbeitnehmer haben als jene Rechtsperson. Die Beklagten waren als Körperschaften des öffentlichen Rechts nach § 3 GKZ BW je eigenständige juristische Personen; als solche haben sie die Verträge mit dem Kläger abgeschlossen. Da nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts keiner der Beklagten die nach § 23 Abs. 1 KSchG erforderliche Beschäftigtenzahl aufweist, scheidet die Geltung des § 1 KSchG bei einer allein auf den Arbeitgeber begrenzten Betrachtung des Schwellenwerts aus.

b) In der Privatwirtschaft kommt allerdings ausnahmsweise ein arbeitgeberübergreifender Kündigungsschutz in Betracht. Haben zwei oder mehrere Unternehmen die gemeinsame Führung eines Betriebs - stillschweigend - vereinbart, so dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird, ist von einem Gemeinschaftsbetrieb auszugehen. Das trifft nicht schon dann zu, wenn die Unternehmen zB auf der Grundlage von Organ- oder Beherrschungsverträgen lediglich unternehmerisch zusammenarbeiten. Vielmehr muss die Vereinbarung auf eine einheitliche Leitung für die Aufgaben gerichtet sein, die vollzogen werden müssen, um die in der organisatorischen Einheit zu verfolgenden arbeitstechnischen Zwecke erfüllen zu können (Senat - 2 AZR 355/89 - zu III 1 der Gründe, AP KSchG 1969 § 23 Nr. 9 = EzA KSchG § 23 Nr. 9).

aa) Es kann dahinstehen, ob sich diese Überlegungen auf den öffentlichen Dienst dergestalt übertragen lassen, dass mehrere rechtlich selbständige Verwaltungsträger eine einheitliche Verwaltung bilden können. Es bedarf auch keines näheren Eingehens auf die vom Landesarbeitsgericht verneinte Frage, ob eine "Gemeinschaftsverwaltung" durch eine stillschweigende Führungsvereinbarung gebildet werden kann.

bb) Der Schwellenwert des § 23 KSchG ist selbst dann nicht erreicht, wenn die Arbeitnehmer beider Beklagten berücksichtigt werden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts beschäftigten die Beklagten zusammen im Zeitpunkt der Kündigung nach Maßgabe der gesetzlichen Berechnungsmethode 4,5 Arbeitnehmer. Der Kläger greift diese Feststellung allein insoweit an, als das Landesarbeitsgericht den seit dem beschäftigten Arbeitnehmer B. nicht berücksichtigt habe. Der Kläger meint, Herr B. müsse mitgerechnet werden, weil er als Ersatz für Herrn S. eingestellt worden sei. Ersatzeinstellungen für ausgeschiedene "Alt-Arbeitnehmer" reichen jedoch nicht aus, um zu einer Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu gelangen (Senat - 2 AZR 790/07 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 23 Nr. 44 = EzA KSchG § 23 Nr. 34; - 2 AZR 840/05 - Rn. 18 ff., BAGE 119, 343).

cc) Die Voraussetzungen einer "Gemeinschaftsverwaltung" zwischen den Beklagten und der Gemeinde S. liegen, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht vor.

(1) Die Beklagten und die Gemeinde S. verfolgen je unterschiedliche Zwecke und unterhalten dazu eine je eigenständige Organisation. Der Beklagte zu 1. befasst sich mit Abwasserentsorgung, der Beklagte zu 2. mit der Wasserversorgung. Beide Beklagten sind überdies nicht nur für das Gebiet der Gemeinde S. zuständig, sondern auch für die Gebiete der übrigen ihnen angeschlossenen Kommunen, bei denen es sich ausweislich der Satzungen nur zum Teil um dieselben handelt. Die Verwaltungszwecke sind damit sowohl sachlich als auch räumlich voneinander unterschieden. Sie sind auch nicht identisch mit dem Verwaltungszweck der Gemeinde S., die sämtliche Aufgaben einer Gemeinde nach den Vorschriften des baden-württembergischen Kommunalrechts zu erfüllen hat. Lediglich in marginalem Umfang findet eine personelle Zusammenarbeit statt, deren finanzielle Abrechnung freilich Ausweis der Zuordnung des jeweiligen Personaleinsatzes nicht zu einem, sondern zu drei getrennt voneinander auftretenden Arbeitgebern ist. Eine Verzahnung der Verwaltungsabläufe ist nicht erkennbar.

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die hier gegebene Form gemeinsamen Wirkens zutreffend als unternehmerische - hier: kommunale - Zusammenarbeit gewürdigt. Die Interessenkreise der beteiligten Arbeitgeber überschneiden sich nur an den Rändern. Die arbeitsorganisatorische Verflechtung ist dementsprechend marginal. Die organisatorische und betriebliche Trennung der Wirkungsfelder ist - dem Zweck des Gesetzes (GKZ BW) gerade entsprechend - ausdrücklich geregelt und beabsichtigt. Die jeweiligen betrieblichen Zwecke - Abwasserentsorgung, Wasserversorgung und Gemeindeverwaltung - sollen auf diese Weise bestmöglich gestaltet werden können.

c) Eine andere, dem Kläger günstigere Bestimmung des Verwaltungsbegriffs ist nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.

aa) Die Anknüpfung des Schwellenwerts an die Verwaltung als maßgebliche Einheit in § 23 KSchG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Begriff der Verwaltung lässt sich wie der des Betriebs im Wege verfassungskonformer Auslegung auf die Einheiten beschränken, für deren Schutz die sog. Kleinbetriebsklausel bestimmt ist. Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes wird dadurch vermieden ( - zu B II 4 b bb der Gründe, BVerfGE 97, 169).

bb) Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die Beklagten zu den Einheiten gehören, auf die der Schutzgedanke des § 23 Abs. 1 KSchG gerade zutrifft. Auch in einer eigenständigen Körperschaft des öffentlichen Rechts mit wenigen Arbeitskräften kommt es eher als bei großen Einheiten auf Leistungsfähigkeit und Persönlichkeit jedes einzelnen Mitarbeiters an, die die betriebliche Zusammenarbeit und die Außenwirkung entscheidend prägen. Kleine Gemeinschaften sind - wie der Streitfall zeigt - anfällig für Missstimmungen und Querelen. Störungen und Ausfälle lassen sich nur schwer ausgleichen. Schließlich belastet auch der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess mit sich bringt, eine kleine Körperschaft in nicht unerheblichem Maße (vgl. zu diesen Kriterien - zu B I 3 b bb der Gründe, BVerfGE 97, 169).

4. Die Kündigungen verstoßen nicht gegen Treu und Glauben. Sie sind weder sittenwidrig noch diskriminierend. Sie verletzen auch nicht das Maßregelungsverbot.

a) Bei der Prüfung der Treuwidrigkeit einer Kündigung ist § 242 BGB im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG auszulegen und anzuwenden. Es geht darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen, etwa vor Diskriminierungen iSv. Art. 3 Abs. 3 GG ( - zu B I 3 b cc der Gründe, BVerfGE 97, 169).

b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Kündigungen verstoßen nicht gegen § 242 BGB und § 138 BGB, ist nach dieser Maßgabe revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwischen dem Kläger und dem Verbandsvorsitzenden bestanden erhebliche persönliche Spannungen, die nach den Ausführungen eines Gutachtens zu der Annahme berechtigten, ein effektives Arbeiten des Klägers bei der Gemeinde S. sei nicht mehr möglich. Dass die Spannungen allein vom Verbandsvorsitzenden zu verantworten wären, ist nicht erkennbar. Der Kläger hat keine konkreten, gegen ihn gerichteten oder irgendwie diskriminierenden Maßnahmen des Verbandsvorsitzenden vorgetragen. Die Kündigungen stellen sich als eine nachvollziehbare Antwort der Arbeitgeber auf persönliche Misshelligkeiten im Betrieb dar. Anderweitige Einsatzmöglichkeiten kamen nicht in Betracht. Von einem Missbrauch des Kündigungsrechts kann nicht gesprochen werden. Eine Diskriminierung ist nicht erkennbar. Die Frage des Verhältnisses zwischen den Diskriminierungsverboten des AGG und dem durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vermittelten Schutz bedarf deshalb keiner Erörterung.

c) Für einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Inwiefern die Kündigungen eine Reaktion auf die Ausübung eines Rechts sein sollen, hat der Kläger nicht dargelegt.

5. Der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigungen seien nicht wegen unterbliebener Beteiligung des Personalrats nach § 77 LPVG BW unwirksam, ist der Kläger nicht entgegengetreten. Sie ist auch materiellrechtlich zutreffend.

6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2010 S. 696 Nr. 10
DB 2010 S. 623 Nr. 11
NJW 2010 S. 10 Nr. 12
PAAAD-39133