Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Darlegung der Gründe bei kurzfristigem Antrag auf Terminsverlegung; keine Wiedereinsetzung bei Versäumung des Termins zur mündlichen Verhandlung; keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach Verkündung des Urteils
Gesetze: GG Art. 103 Abs. 1, FGO § 56, FGO § 93 Abs. 3, FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war als türkische Staatsangehörige bis zum ausländerrechtlich geduldet. Im März 2003 stellte die Klägerin einen Antrag auf Kindergeld für ihre beiden in den Jahren 1993 und 1996 geborenen Kinder, der mit der Begründung abgewiesen wurde, die Klägerin habe aufgrund ihres ausländerrechtlichen Status keinen Kindergeldanspruch. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
2 Im Februar 2008 lud das Finanzgericht (FG) die Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) zur mündlichen Verhandlung am um 10:00 Uhr und wies dabei gemäß § 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Folgen des Ausbleibens eines Beteiligten hin. Am um 17:59 Uhr ging im elektronischen Gerichtspostfach ein Antrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf Verlegung des Termins ein. Die alleinige Sachbearbeiterin könne den Termin nicht wahrnehmen, weil sie unvorhergesehen erkrankt sei. Der unterzeichnende Rechtsanwalt, der das Verfahren nicht bearbeitet habe, könne den Termin so kurzfristig nicht wahrnehmen. Das FG teilte den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am gegen 12:40 Uhr per Fax mit, warum der anberaumte Termin wie geplant durchgeführt werde. Am schloss das FG die mündliche Verhandlung, zu der bei Aufruf der Sache niemand erschienen war, um 10:06 Uhr. Drei Minuten später wurde nach erneutem Aufruf der Sache in Abwesenheit der Beteiligten das klageabweisende Urteil verkündet.
3 Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren sowie Willkür geltend. Die Klägerin bringt im Wesentlichen vor, sie habe Urkunden, aus denen sich ihr Aufenthaltsstatus ergebe und mit denen sie ihre Anspruchsberechtigung für das Kindergeld hätte nachweisen können, nicht vorlegen können. Denn sie sei, obwohl ihre ladungsfähige Anschrift dem Gericht bekannt gewesen sei, nicht persönlich zum Termin geladen worden. Ferner habe das FG bei der Durchführung der mündlichen Verhandlung keine Wartefrist von mindestens 15 Minuten beachtet. Wegen des Terminsverlegungsantrags sei offenkundig gewesen, dass ihr Prozessbevollmächtigter an der mündlichen Verhandlung habe teilnehmen wollen. Obwohl dem FG bekannt gewesen sei, dass er eine Anfahrt von mehr als 155 km gehabt habe, und sich —auch wegen der kurzen Einarbeitungszeit in den Fall— in erheblicher Zeitnot befunden habe, habe es die mündliche Verhandlung ohne vorherige Rücksprache mit seinem Büro pünktlich durchgeführt. Hierfür habe keine Notwendigkeit bestanden, zumal nachfolgend in dem Sitzungssaal keine Termine mehr stattgefunden hätten. Schließlich beanstandet die Klägerin, dass das FG, als ihr Prozessbevollmächtigter um 10:13 Uhr im Sitzungssaal eingetroffen sei, weder die mündliche Verhandlung wieder eröffnet noch seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben habe.
4 II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die behaupteten Verfahrensverstöße (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.
5 1. Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—, § 96 Abs. 2 FGO) und auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) nicht verletzt.
6 a) Die Rüge der Klägerin, sie sei nicht persönlich geladen worden, mit der Folge, dass sie entscheidungserhebliche Urkunden über ihren Aufenthaltsstatus nicht habe vorlegen können, greift nicht durch.
7 Rechtliches Gehör wird den Beteiligten u.a. dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zum Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll (Senatsbeschluss vom III B 50/07, BFH/NV 2007, 1907). Wer davon keinen Gebrauch macht, kann keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend machen (, BFH/NV 2006, 1490). Die Beteiligten trifft eine prozessuale Mitverantwortung, die ihren Anspruch auf rechtliches Gehör begrenzt (, BFH/NV 2007, 947). Im Streitfall nutzte die Klägerin ihre ausreichend vorhandenen Gelegenheiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, nicht. Sie war insbesondere nicht gehindert, persönlich an der mündlichen Verhandlung am teilzunehmen und in diesem Rahmen noch Unterlagen über ihren Aufenthaltsstatus vorzulegen. Die Klägerin über diesen Termin zu informieren, war allein Aufgabe ihrer Prozessbevollmächtigten, denen die Ladung mit Wirkung für und gegen die Klägerin nach § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO ordnungsgemäß zugestellt worden war (, BFH/NV 1994, 499). Spätestens nachdem das FG in seinem Beschluss vom auf die fehlenden Angaben zum ausländerrechtlichen Status der Klägerin nach dem hingewiesen hatte, musste der Klägerin bewusst sein, dass es sich hierbei um einen entscheidungserheblichen Sachverhalt handelte.
8 b) Das FG verletzte den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör auch nicht dadurch, dass es den Antrag auf Terminsverlegung ablehnte, die mündliche Verhandlung wie anberaumt durchführte und danach ein Urteil verkündete.
9 Zwar kann nach § 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Zu diesen erheblichen Gründen gehört auch die Erkrankung eines Prozessbevollmächtigten (Senatsbeschluss vom III B 161/07, BFH/NV 2009, 406, m.w.N.). Da der Verlegungsantrag kurzfristig —zwei Tage vor dem Verhandlungstermin abends gegen 18:00 Uhr— beim FG einging, hätten die Angaben jedoch ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht werden müssen (Senatsbeschluss in BFH/NV 2009, 406; , BFH/NV 2007, 1672, jeweils m.w.N.). Dies unterblieb jedoch. Der Terminsverlegungsantrag enthielt lediglich den nicht näher erläuterten Hinweis auf eine unvorhergesehene Erkrankung der die Sache bearbeitenden Rechtsanwältin. Das FG konnte nicht ersehen, ob die Erkrankung so schwer war, dass sie nicht zum festgesetzten Termin erscheinen konnte.
10 c) Auch die Rüge, das FG hätte mit der Eröffnung der mündlichen Verhandlung auf den Prozessbevollmächtigten der Klägerin warten müssen, hat keinen Erfolg.
11 Das FG genügt seiner Verpflichtung, den Beteiligten rechtliches Gehör im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu gewähren, in der Regel dadurch, dass es eine mündliche Verhandlung anberaumt, die Beteiligten ordnungsgemäß lädt und die mündliche Verhandlung zum festgesetzten Zeitpunkt durchführt (Senatsbeschluss vom III B 185/96, BFH/NV 1997, 773). Ist beim Sitzungstermin ein geladener Beteiligter nicht anwesend, so liegt es im Ermessen des Vorsitzenden, ob er gleichwohl eine mündliche Verhandlung eröffnet (§ 92 Abs. 1 FGO) oder noch eine gewisse Zeit abwartet (Senatsbeschluss in BFH/NV 1997, 773). Dabei hat er das voraussichtliche Interesse des Beteiligten an der Teilnahme gegen das Interesse des Gerichts sowie der an den nachfolgenden Verfahren Beteiligten an möglichst pünktlicher Einhaltung der Tagesordnung zu berücksichtigen (Senatsbeschluss in BFH/NV 1997, 773). Hat ein Beteiligter sein Erscheinen oder eine Verspätung nicht angekündigt, so kann er in der Regel nicht erwarten, dass das Gericht, das keine Anhaltspunkte dafür hat, ob und wann er erscheinen wird, von einer pünktlichen Eröffnung der mündlichen Verhandlung absieht und möglicherweise vergeblich auf ihn wartet (, BFH/NV 2006, 605, m.w.N.)
12 Im Streitfall ist nicht zu beanstanden, dass das FG die mündliche Verhandlung pünktlich zum festgesetzten Termin um 10:00 Uhr in Abwesenheit der Beteiligten eröffnete. Es hatte in der Terminsladung zutreffend darauf hingewiesen, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne (§ 91 Abs. 2 FGO). Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Terminsverlegungsantrag angegeben hatte, weder die Sache bearbeitende Rechtsanwältin noch er könnten den Termin wahrnehmen, und er dem Gericht, obwohl ihm dies ohne weiteres möglich und auch zumutbar gewesen wäre, weder sein beabsichtigtes Erscheinen noch seine Verspätung angekündigt hatte, durfte das FG davon ausgehen, dass für die Klägerin kein Prozessbevollmächtigter an der mündlichen Verhandlung teilnehmen würde. Es bestand daher keine Verpflichtung, auf den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu warten.
13 2. Das Urteil des FG leidet auch nicht deshalb an einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, weil das FG der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) wegen der Versäumung des Termins zur mündlichen Verhandlung gewährt hat. Eine solche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt im finanzgerichtlichen Verfahren generell nicht in Betracht (Senatsbeschluss vom III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948).
14 3. Ebenso wenig liegt ein Verfahrensfehler darin, dass das FG die mündliche Verhandlung nicht wieder eröffnete (§ 93 Abs. 3 Satz 2 FGO). Denn nach der Urteilsverkündung (§ 104 Abs. 1 FGO) ist die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht mehr möglich (BFH-Beschlüsse vom IV B 22/99, BFH/NV 2000, 211; vom VII B 198/00, BFH/NV 2001, 471).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 665 Nr. 4
VAAAD-38561