BGH Beschluss v. - 4 StR 9/10

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anwendung des Zweifelssatzes; positiver Nachweis einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB

Instanzenzug: Az: 10 KLs 93 Js 3370/08 - 9/09 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung unter Einbeziehung einer rechtskräftig erkannten Strafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie ferner wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und verschiedene Gegenstände eingezogen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Maßregelausspruch mit der Sachrüge Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und zum Strafausspruch sowie zur Anordnung der Einziehung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom .

32. Dagegen hat die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus keinen Bestand.

4Die Anordnung setzt nach ständiger Rechtsprechung die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet, sowie ferner, dass der Täter in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begangen hat, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist (vgl. nur BGHSt 34, 22, 27). Die Voraussetzungen zumindest des § 21 StGB zum Zeitpunkt der Anlasstat müssen danach zweifelsfrei festgestellt sein (vgl. Fischer StGB 57. Aufl. § 63 Rdn. 11 m.w.N.). Daran fehlt es.

5a) Das Landgericht hat zur Schuldfähigkeit des Angeklagten - darin der gehörten Sachverständigen folgend - angenommen, der Angeklagte habe sich "aufgrund unterstellten permanenten Alkoholkonsums und einer weiteren seelischen Erkrankung (...) in einem Zustand (befunden), in dem seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vermindert war". Hierzu hat es näher ausgeführt, bei dem Angeklagten liege eine langjährige Alkoholabhängigkeit vor, er habe "keine ausreichende Fähigkeit zur Normachtung, Empathie oder Respektaufbringung gegenüber Dritten". Gerade der Umstand, dass sich der Angeklagte während der JVA-Aufenthalte nach eigenem Bekunden sogar 'wohl fühlte', deute - so die Sachverständige - auf eine massive Persönlichkeitsstörung des Angeklagten hin. Ferner habe die Sachverständige bei dem Angeklagten "eine (nicht ausschließliche) Pädophilie festgestellt". Abschließend heißt es: Jedenfalls habe der Angeklagte, "was seine pädophilen Neigungen angeht, nach den Ausführungen der Sachverständigen nahezu durchgängig, jedenfalls unter Einfluss von Alkohol, Probleme, seine Steuerungsfähigkeit zu kontrollieren. Die Kammer ist daher in Anwendung des Zweifelssatzes auch diesbezüglich von dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB ausgegangen".

6b) Die Anwendung des Zweifelssatzes steht der für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzten positiven Feststellung eines dauerhaften Zustandes vom Schweregrad zumindest des § 21 StGB entgegen. Schon dies zwingt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Die bisher getroffenen Feststellungen belegen nur, dass der Angeklagte auf Grund seiner Persönlichkeitsstruktur "jedenfalls unter Einfluss von Alkohol" in einen Zustand geraten kann, der die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB rechtfertigt. Damit ist aber der für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche positive Nachweis eines andauernden Defekts vom Schweregrad zumindest des § 21 StGB nicht erbracht (vgl. ). Der Senat schließt auch aus, dass es sich bei dem Hinweis auf die „Anwendung des Zweifelssatzes“ lediglich um einen Missgriff im Ausdruck handelt. Dagegen spricht bereits, dass das Landgericht auch einen „permanenten Alkoholkonsum“ lediglich „unterstellt“. Die Ausführungen im Urteil zu der „(nicht ausschließlichen) Pädophilie“ und der angenommenen Persönlichkeitsstörung lassen auch nicht erkennen, dass diese Störungsbilder etwa schon für sich genommen den Schweregrad des § 21 StGB begründen. Davon ist nach den in der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätzen jedenfalls nicht ohne weiteres auszugehen (vgl. BGH NStZ 1999, 610 f.; NStZ-RR 2004, 201; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 32, 33 und § 63 Zustand 23, 28). Zudem lässt die Beschreibung der als Persönlichkeitsstörung gewerteten Auffälligkeiten in der Person des Angeklagten jegliche nachvollziehbare Zuordnung nach einem der in der forensischen Psychiatrie gebräuchlichen diagnostischen Klassifikationssysteme (ICD-10, DSM-IV) vermissen.

7c) Die Sache bedarf daher zum Maßregelausspruch insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung. Insoweit wird sich empfehlen, für das weitere Verfahren einen neuen Sachverständigen hinzuzuziehen. Sofern der neue Tatrichter die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 63 StGB nicht festzustellen vermag, wird mit Blick auf die festgestellte Alkoholabhängigkeit des Angeklagten auch dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) zu prüfen sein.

Tepperwien                                               Maatz                                           Athing

                            Solin-Stojanović                                   Ernemann

Fundstelle(n):
YAAAD-38492