BFH Urteil v. - III R 62/07

Tatsächliches Alter für die Berücksichtigung eines Kindes maßgeblich

Leitsatz

Die Berücksichtigung eines Kindes beim Kindergeld ist vom tatsächlichen Kindesalter abhängig. § 33a SGB I, wonach das zuerst gegenüber dem Sozialleistungsträger oder Arbeitgeber angegebene Alter maßgeblich ist, wenn nicht ein Schreibfehler vorliegt oder sich aus einer vor der erstmaligen Altersangabe erstellten Urkunde (hier: Personalausweis) ein anderes Geburtsdatum ergibt, ist im Steuerrecht nicht anzuwenden.

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, SGB I § 33a

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) lebt mit seiner Familie seit 1989 in Deutschland. Er bezog Kindergeld für seinen in Ausbildung befindlichen Sohn, der nach den Eintragungen in seinem Personalausweis wie auch nach den Angaben des Klägers im Kindergeldantrag vom am in der Türkei geboren worden war.

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Zwischen Februar und April 2004 beteiligte sich der Sohn an einer Straftat, bis Ende September 2004 befand er sich in Untersuchungshaft. Im Rahmen des Strafverfahrens wurden Gutachten über das Alter des Sohnes eingeholt. In dem abschließenden Gutachten vom kam der Gutachter zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass der als Geburtsdatum ausgeschlossen und der Sohn tatsächlich jünger sei. Zum Zeitpunkt der Untersuchung im Juli 2004 sei er 19 bis 20 Jahre alt gewesen, ein Alter von 18,5 Jahren im April 2004 und der Geburtszeitraum Herbst 1985 seien möglich. Zwischen den Beteiligten war während des Klageverfahrens unstreitig, dass der Sohn das 21. Lebensjahr nicht vor dem vollendet hat.

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Nachdem sein Arbeitgeber ihm im Mai 2004 fristlos gekündigt hatte, war der Sohn vom bis zum bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Juni 2004 bis Februar 2005 auf, weil er das 21. Lebensjahr vollendet habe. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage durch Urteil vom 11 K 113/06 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 63) statt. Es entschied, ob die Altersgrenze des § 32 Abs. 4 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eingehalten sei, richte sich nach dem tatsächlichen Lebensalter des Kindes. Entscheidend sei, dass das Kind das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet habe, das genaue Geburtsdatum brauche nicht bekannt zu sein. Aus dem im Strafverfahren eingeholten Gutachten ergebe sich, dass der als Geburtsdatum ausgeschlossen sei. Da das Kindergeld nach dem EStG nicht als Sozialleistung, sondern als Steuervergütung gezahlt werde, sei § 33a des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) nicht anzuwenden.

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Die Familienkasse begründet ihre Revision damit, das FG habe gegen seine Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) verstoßen. Das Alter des Sohnes sei zweifelhaft. Das FG habe seine Entscheidung nicht auf die medizinischen Altersgutachten gestützt, sondern darauf, dass es zwischen den Beteiligten unstreitig sei, dass der Sohn das 21. Lebensjahr im maßgeblichen Zeitraum noch nicht vollendet habe. Es sei aber anerkannt (, BFH/NV 1995, 1076), dass das Gericht den als zweifelhaft erkannten entscheidungserheblichen Tatsachen auch dann nachzugehen habe, wenn die Beteiligten darüber nicht stritten. Nicht bestrittene Tatsachen dürften nicht ohne weiteres als richtig unterstellt werden (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Rz 20). Die Gutachten besagten mit Bestimmtheit nur, dass der Sohn im Tatzeitraum Februar bis April 2004 noch keine 21 Jahre alt gewesen sei. Alle anderen Aussagen zum Alter seien als Möglichkeit formuliert; das Gutachten aufgrund der Schlüsselbein-Brustbein-Gelenke gehe z.B. von einem Alter von 19 bis 20 Jahren bei einer Schwankungsbreite von +/- zwei Jahren aus.

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Darüber hinaus hätte das FG § 33a SGB I anwenden und zur Klagabweisung gelangen müssen, weil das Kindergeld, soweit es für die Freistellung des Existenzminimums nicht benötigt werde, der Familienförderung diene und damit die Funktion einer Sozialleistung habe.

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Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger ist der Revision entgegengetreten, hat aber keinen formellen Antrag gestellt.

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II. Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO).

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Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG beim Kindergeld berücksichtigt, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei der Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist.

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a) Ob ein Kind berücksichtigt wird, hängt von seinem tatsächlichen Alter ab. § 33a SGB I, wonach das zuerst gegenüber dem Sozialleistungsträger oder Arbeitgeber angegebene Alter maßgeblich ist, wenn nicht ein Schreibfehler vorliegt oder sich aus einer vor der erstmaligen Altersangabe erstellten Urkunde ein anderes Geburtsdatum ergibt, ist im Steuerrecht nicht anzuwenden. Die Vorschrift wurde durch Art. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom (BGBl I 1997, 2970, 2981) mit Wirkung ab eingefügt, d.h. erst nach Einführung des Familienleistungsausgleichs und der Ausgestaltung des Kindergeldes als Steuervergütung (§ 31 Satz 3 EStG) ab . § 33a SGB I dient der Vermeidung des unberechtigten Bezuges von Sozialleistungen durch eine Änderung des Geburtsdatums und der Vereinfachung der Prüfung durch die Verwaltung, durch die Verhinderung nutzloser Manipulationsversuche überdies der Streitvermeidung und der Befriedung (Weselski, jurisPK-SGB I, § 33a SGB I Rz 13, m.w.N.). Die Vorschrift gilt mithin, wie das FG zutreffend unter Hinweis auf die BTDrucks 13/8994, 29, 67 ausgeführt hat, nur im Sozialrecht, nicht aber auch im Steuerrecht. Sie ist auch ihrem Wortlaut nach nicht anwendbar, weil es sich bei der Familienkasse nicht um einen Sozialleistungsträger, sondern um eine Finanzbehörde handelt (§ 67 Satz 1 EStG, § 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 10 des Gesetzes über die Finanzverwaltung —FVG—).

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b) Ob das Kind die für seine Berücksichtigung geltende Altersgrenze nicht überschreitet, hat das FG im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu ermitteln. Etwaige Zweifel gehen nach den Grundsätzen der Feststellungslast zu Lasten des Kindergeldberechtigten.

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Das FG ist verfahrensfehlerfrei und daher für den BFH bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) zu der Überzeugung gelangt, dass der Sohn das 21. Lebensjahr nicht vor Februar 2005 vollendet hatte. Es konnte sich dabei auf das Gutachten vom stützen, in dem der Gutachter zu dem Ergebnis gelangt war, der Sohn sei im Juli 2004 19 bis 20 Jahre alt gewesen.

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Nachdem der Kläger durch Schriftsätze vom 29. September und weitere Beweise angeboten hatte und die Familienkasse daraufhin mitteilte, sie bestreite nicht, dass das tatsächliche Geburtsdatum nicht vor dem liege, bestand für das FG kein Anlass, weitere Ermittlungen anzustellen. Für den Senat ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, welche weiteren Ermittlungen zu besseren oder zuverlässigeren Erkenntnissen über den tatsächlichen Geburtszeitpunkt des Sohnes hätten führen können.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 616 Nr. 4
EAAAD-37346