Leitsatz
Leitsatz:
1. Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren kann der Beschwerdeführer nicht mit Angriffen zu rechtlichen Aspekten gehört werden, die nicht mehr der Entscheidung des Revisionsgerichts unterliegen.
2. Prozesserklärungen sind nach den für Willenserklärungen des Bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätzen auszulegen. Die Prozesspartei darf nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden.
Gesetze: BGB § 133; ArbGG § 72a
Instanzenzug: LAG Hamm, 3 Sa 426/09 vom ArbG Dortmund, 4 Ca 4594/08 vom Veröffentlichungen: Für die Amtliche Sammlung: Ja
Gründe
I. Die Parteien streiten - soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren noch von Interesse - darüber, ob ihr Ausbildungsverhältnis durch einen Aufhebungsvertrag vom beendet worden ist. Die Klägerin hat diesen Aufhebungsvertrag wegen Drohung nach § 123 BGB angefochten.
Erstinstanzlich hat die Klägerin beantragt, festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch den Aufhebungsvertrag vom beendet worden ist. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und widerklagend beantragt, festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis zwischen den Parteien durch den Aufhebungsvertrag vom beendet worden ist. Die Klägerin hat den Antrag gestellt, die Widerklage abzuweisen. Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Ausbildungsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch den Aufhebungsvertrag vom beendet worden ist, und die Widerklage als unbegründet abgewiesen.
Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und den Antrag angekündigt, unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen und der Widerklage stattzugeben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat sie lediglich den Antrag gestellt, unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen und im Übrigen erklärt, die Berufung zurückzunehmen.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Anfechtung greife durch, und deshalb die Berufung zurückgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die auf grundsätzliche Bedeutung, Divergenz und Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör gestützte Nichtzulassungsbeschwerde.
II. Die Beschwerde hat Erfolg. Sie ist nicht lediglich auf Angriffe gestützt, die ungeeignet sind, im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren berücksichtigt zu werden. Das Beschwerdevorbringen der Beklagten rechtfertigt die Zulassung der Revision.
1. Die Angriffe der Beklagten richten sich gegen die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, mit denen es die Voraussetzungen für eine Anfechtung des Aufhebungsvertrages nach § 123 BGB bejaht und deshalb festgestellt hat, dass das Ausbildungsverhältnis der Parteien durch den Aufhebungsvertrag nicht beendet worden ist. Mit diesem Angriff ist die Beklagte nicht von vornherein im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ausgeschlossen.
a) Allerdings dient das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren dazu, die Überprüfung der anzufechtenden Entscheidung im Revisionsverfahren zu ermöglichen ( - Rn. 13, AP ArbGG 1979 § 69 Nr. 5 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 107). Dabei ist die Zulassungsentscheidung auf die Gründe beschränkt, die der Nichtzulassungsbeschwerdeführer in seiner Begründung (§ 72 Abs. 3 ArbGG) vorbringt und die unter den gesetzlich für die Zulassung der Revision abschließend geregelten Voraussetzungen (§ 72a Abs. 2 ArbGG) die Durchführung eines Revisionsverfahrens rechtfertigen. Das schließt es aus, die Zulassung der Revision auf solche Gründe zu stützen, die nicht mehr der Überprüfung des Revisionsgerichts unterliegen. So liegt der Fall zB, wenn Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine landesarbeitsgerichtliche Entscheidung eingelegt wurde, die nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht erging, und sich die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung auf rechtliche Aspekte beschränkt, hinsichtlich derer das Landesarbeitsgericht und im Falle einer erneuten Revision auch das Bundesarbeitsgericht an die Gründe der zurückverweisenden Entscheidung gebunden ist ( - NJW 2009, 3739). Gleiches gilt, soweit aufgrund des rechtskräftigen Ausgangs eines Rechtsstreits das Revisionsgericht gehindert ist, zu einer anderen materiellrechtlichen Beurteilung zu kommen als das Landesarbeitsgericht in der anzufechtenden Entscheidung.
b) Ein derartiger Fall läge hier vor, wollte man annehmen, die Beklagte habe ihre Berufung gegen die Abweisung der Widerklage zurückgenommen. Durch die Rücknahme der Berufung gegen das die Widerklage als unbegründet abweisende Urteil des Arbeitsgerichts wäre rechtskräftig geklärt, dass das Ausbildungsverhältnis der Parteien nicht durch den Aufhebungsvertrag vom beendet wurde. Wird nämlich eine Feststellungsklage abgewiesen, steht fest, dass das mit ihr erstrebte Prozessziel unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr aus dem Lebenssachverhalt hergeleitet werden kann, der der Feststellungsklage zugrunde gelegen hat. Das hat Auswirkungen für spätere Verfahren: Soweit sie denselben Streitgegenstand betreffen, ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Ansonsten ist, soweit die Vorfrage rechtskräftig geklärt ist, dies bei der Sachentscheidung zugrunde zu legen. Darauf, ob die Feststellungsklage zulässig war, kommt es nicht an. Entscheidend ist allein, ob das Gericht - wie hier das Arbeitsgericht - eine Sachentscheidung getroffen hat (vgl. zum Ganzen - NJW 2008, 1227).
Für ein Revisionsverfahren würde dies im vorliegenden Fall - unabhängig davon, ob Bedenken gegen die Zulässigkeit der Widerklage bestehen - bedeuten, dass die materiellrechtliche Beurteilung durch das Landesarbeitsgericht auch bei Zulassung der Revision nicht mehr zur erneuten Überprüfung durch das Revisionsgericht stünde. Geht man davon aus, dass Feststellungsklage und Widerklage denselben Streitgegenstand betreffen, wäre die Feststellungsklage ohne Sachprüfung als unzulässig abzuweisen; es verbliebe bei der die Rechtslage zwischen den Parteien verbindlich klärenden rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts. Ginge man von unterschiedlichen Streitgegenständen aus, hätte zugunsten der Klägerin auf jeden Fall eine Sachentscheidung zu ergehen, die der des Arbeits- und des Landesarbeitsgerichts entspricht. Die Nichtzulassungsbeschwerde wäre damit allein auf Aspekte gestützt, die im Rahmen einer Revisionsentscheidung nicht überprüfbar wären. Sie könnte nicht zur Zulassung der Revision führen.
c) Die Erklärung über die Rücknahme der Berufung ist jedoch auszulegen und als Rücknahme der Widerklage zu verstehen.
aa) Ebenso wie das Revisionsgericht (dazu - Rn. 13) ist auch das Nichtzulassungsbeschwerdegericht im Vorfeld eines möglichen Revisionsverfahrens befugt, prozessuale Willenserklärungen selbständig auszulegen.
bb) Für die Auslegung sind die für Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Daher ist analog § 133 BGB nicht am buchstäblichen Sinn des in der Prozesserklärung gewählten Ausdrucks zu haften, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände - gegebenenfalls in einer Gesamtbetrachtung mehrerer gleichzeitiger Erklärungen - zu ermitteln ( - zu II 1 der Gründe, FamRZ 2001, 1703). Die Prozesspartei darf nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden ( - zu II a der Gründe mwN, NJW-RR 2005, 371). Prozesserklärungen sind im Zweifel so auszulegen, dass Dasjenige gewollt ist, was aus der Sicht der Prozesspartei nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht ( - Rn. 17, AP BetrAVG § 1 Berechnung Nr. 32 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 88). Zudem sind auch die schutzwürdigen Belange des Erklärungsadressaten zu berücksichtigen (vgl. - zu II der Gründe, NJW 2003, 3203). Das verbietet es, eindeutigen Erklärungen nachträglich einen Sinn zu geben, der dem Interesse des Erklärenden am besten dient (vgl. Zöller/Greger ZPO 27. Aufl. vor § 128 Rn. 25).
cc) Hier schloss es die Prozesssituation in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht aus, die Erklärung der Beklagten so zu verstehen, dass sie die Wirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung nicht mehr in Zweifel ziehen wollte. Sie hat vielmehr an ihrem Antrag auf Abweisung der Feststellungsklage der Klägerin festgehalten und damit eindeutig und für die Klägerin und das Gericht erkennbar verdeutlicht, dass dieser Punkt weiterhin zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden sollte. Ihr Prozessziel konnte die Beklagte wegen der Rechtskraftwirkung einer Rücknahme der Berufung nicht durch eine Berufungsrücknahme erreichen. Geeignet war insofern lediglich eine Klagerücknahme, weil dadurch der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen ist und ein bereits ergangenes, noch nicht rechtskräftiges Urteil wirkungslos wird (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO). So ist die Erklärung der Beklagten vor dem Landesarbeitsgericht daher auszulegen. Dementsprechend hat das Landesarbeitsgericht auch in der Sache entschieden, ohne die arbeitsgerichtliche Entscheidung als verbindlich zugrunde zu legen. Der Erklärung wird also nicht nachträglich ein Sinn beigelegt, der dem Interesse des Erklärenden am besten dient.
d) Unerheblich für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist, dass bislang die wegen der stattgefundenen mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht notwendige Einwilligung der Klägerin zur Rücknahme der Widerklage (§ 269 Abs. 1 ZPO) nicht erfolgt ist. Eine rechtskräftige Entscheidung über die Widerklage, die der Zulassung der Revision entgegenstünde, liegt jedenfalls nicht vor; die Widerklage ist derzeit noch vor dem Landesarbeitsgericht anhängig.
2. Die Revision ist zuzulassen.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe den Aufhebungsvertrag wirksam angefochten, weil die Beklagte mit einer Strafanzeige auch gegen den Vater der Klägerin gedroht habe. Dieser hatte vorher nach einem Anruf der Klägerin die Polizei gerufen und dort angegeben, die Gesellschafter der Beklagten hätten die Klägerin in einem Abstellraum festgesetzt. Damit richte sich die Drohung mit einer Strafanzeige gegen einen Dritten. Eine in ausreichender Weise konkrete Berührung des Arbeitsverhältnisses durch die Verhaltensweise des Vaters sei nicht gegeben. Eine Berührung des Vertragsverhältnisses könne nur darin liegen, dass die Klägerin selbst Handlungen begangen habe, die das ausreichende Vertrauen für die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnisses beeinträchtigen können. Insoweit macht die Beschwerde zu Recht eine erhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend (§ 72a Abs. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).
Weiter hat das Landesarbeitsgericht die Ansicht vertreten, vor Androhung einer Strafanzeige habe die Beklagte den Sachverhalt näher aufklären müssen, insbesondere selbst im Gespräch mit der Klägerin Versuche unternehmen müssen, aufzuklären, worauf das Eingreifen der Polizei zurückzuführen ist. Unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände hätte ein verständiger Arbeitgeber auch im Hinblick auf die Schwangerschaft der Klägerin nicht mit einer Strafanzeige gedroht. Insoweit rügt die Beklagte mit ihrer Beschwerde erfolgreich das Unterlassen richterlicher Hinweise und eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 72a Abs. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG, Art. 103 GG).
Damit liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision vor. Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§ 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG).
Hinweis:
Das Beschwerdeverfahren wird nunmehr als Revisionsverfahren fortgesetzt. Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Revisionsbegründungsfrist von zwei Monaten (§ 72a Abs. 6 iVm. § 74 Abs. 1 ArbGG).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2010 S. 696 Nr. 10
DB 2010 S. 512 Nr. 9
NJW 2010 S. 956 Nr. 13
JAAAD-37259