EDV-Consulting/Software Engineering als freier Beruf
Leitsatz
Ein Autodidakt, der über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die in Breite und Tiefe denen eines Diplom-Informatikers entsprechen, kann einen ingenieurähnlichen und damit freien Beruf ausüben, wenn er Betriebs- und Datenübertragungssysteme einrichtet und betreut.
Gesetze: EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2
Instanzenzug: (EFG 2006, 1917) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
1Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) besuchte eine Fachschule für elektronische Datenverarbeitung (EDV). Mit Erfolg legte er dort die staatliche Prüfung zum Betriebswirt-EDV ab. Anschließend war er bei einem Großversandhaus und bei der A AG im Bereich der Systemanalyse, Systemberatung, Systemtechnik und Systemprogrammierung tätig. Ab dem Jahre 1980 arbeitete er als Systemprogrammierer bei einer Tochtergesellschaft der A. 1991 machte er sich unter der Bezeichnung Unternehmensberater auf dem Gebiet des EDV-Consulting/Software Engineering selbständig. Seine unternehmerischen Aktivitäten führte er über das Jahr 1992 hinaus fort, und zwar in der Rechtsform einer GmbH.
2In den Streitjahren 1991 und 1992 betreute er selbständig aufgrund eines Software-Partnervertrages Kunden, die Systemsoftware der A erworben hatten. Diese Tätigkeit bestand in der Regel darin, Betriebssysteme und Datenübertragungssysteme aus dem Hause A zu installieren und einzurichten oder auf neue Betriebssysteme umzustellen. Im Jahr 1991 leistete der Kläger zudem Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Labor der B.
3Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ging von einer gewerblichen Tätigkeit aus und setzte mit den angegriffenen Bescheiden Gewerbesteuermessbeträge fest.
4Vor dem Finanzgericht (FG) erzielte der Kläger einen Teilerfolg. Das FG stellte fest, dass er als Autodidakt über die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Diplom-Informatikers verfüge und dass die im Labor der B geleisteten Systemsoftwareentwicklungsarbeiten ingenieurähnlicher und damit freiberuflicher Art gewesen seien. Bei der Betreuung der Kunden, die Software der A nutzten, habe der Kläger jedoch nicht selbst Systemsoftware entwickelt. Insoweit sei er gewerblich tätig geworden.
5Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
6Der Kläger beantragt, die Bescheide des FA über den Gewerbesteuermessbetrag 1991 und 1992 vom , die Einspruchsentscheidung des FA vom , den geänderten Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 1991 vom sowie das aufzuheben.
7Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
8Es schließt sich im Wesentlichen der Begründung des FG an.
9Während des Beschwerdeverfahrens wegen Nichtzulassung der Revision hat das FA unter dem Datum vom für das Streitjahr 1991 mit einem Änderungsbescheid der teilweisen Klagestattgabe durch eine Verringerung des festgesetzten Gewerbesteuermessbetrags Rechnung getragen. Der Änderungsbescheid berührt die tatsächlichen Grundlagen des Streitfalles nicht.
II.
10Das angefochtene Urteil ist, soweit es das Streitjahr 1991 betrifft, bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Das FG hat über den Gewerbesteuermessbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom entschieden. Das FA hat dem Teilerfolg der Klage dadurch Rechnung getragen, dass es einen förmlichen Änderungsbescheid erlassen hat, der an die Stelle des ursprünglich mit der Klage angefochtenen Bescheides getreten ist. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann. Die von der Vorinstanz verfahrensfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (vgl. , BFHE 204, 166, BStBl II 2006, 7; vom VIII R 38/04, BFH/NV 2008, 37).
III.
11Die Revision ist begründet. Der Senat entscheidet gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Sache und gibt der Anfechtungsklage statt.
121. Die angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide sind rechtswidrig. Der Kläger unterhielt in den Streitjahren keinen Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes —EStG—), sondern er war freiberuflich tätig. Eine freiberufliche Tätigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG übt auch aus, wer einem dem Ingenieurberuf ähnlichen Beruf nachgeht. Der ähnliche Beruf muss dem Beruf des Ingenieurs sowohl hinsichtlich der erforderlichen Berufsausbildung als auch hinsichtlich der tatsächlich entfalteten Tätigkeit im Wesentlichen gleichen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur , BFH/NV 2006, 1270, m.w.N.).
13a) Nach den von den Beteiligten nicht angegriffenen und damit bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG verfügte der Kläger als Autodidakt über Kenntnisse und Fähigkeiten, die in Breite und Tiefe denen eines Diplom-Informatikers entsprachen. Er erfüllte damit die in der Rechtsprechung konkretisierten Anforderungen an eine vergleichbare Berufsausbildung (vgl. dazu , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2009, 898).
14b) Der Kläger war in den Streitjahren auch wie ein Ingenieur tätig. Die für seinen Beruf prägenden Tätigkeiten waren mit für den Beruf eines Informatik-Ingenieurs typischen Tätigkeiten im Wesentlichen vergleichbar. Welche Aufgaben für den Beruf des Ingenieurs i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG typisch sind, bestimmt sich nach der Verkehrsanschauung und unterliegt insoweit umfassender revisionsrechtlicher Nachprüfung. Hingegen ist die Feststellung, ob die vom Steuerpflichtigen tatsächlich entfaltete Tätigkeit in diesem Sinne ingenieurtypisch geprägt ist, Aufgabe des FG (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), an dessen tatsächliche Feststellungen der BFH grundsätzlich gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO).
15aa) Eine Tätigkeit als Ingenieur zeichnet sich dadurch aus, dass sie durch die Wahrnehmung von für den Ingenieurberuf typischen Aufgaben geprägt wird. Zu den Aufgaben eines Ingenieurs gehört es, auf der Grundlage naturwissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse und unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange technische Werke zu planen, zu konstruieren und ihre Fertigung zu überwachen (, BFHE 202, 336, BStBl II 2003, 761, m.w.N.). Typisch für den Beruf des Ingenieurs sind aber auch überwachende, kontrollierende und rein beratende Tätigkeiten, soweit sie nicht auf bloße Absatzförderung gerichtet sind (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1270). Kernbereiche des Ingenieurberufs sind danach Forschung und Lehre, Entwicklung, Konstruktion, Planung, Fertigung, Montage, Inbetriebnahme und Instandhaltung, Vertrieb, Beratung, Versuchs- und Prüfungswesen, technische Verwaltung und Betriebsführung, Produktions- und Prozesssteuerung, Sicherheit, Patent- und Normenwesen (vgl. , BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584; vom IV R 156/86, BFH/NV 1991, 359; Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl., Stichwort „Ingenieur"; www.wikipedia.de, Stichwort „Ingenieur”, Abschn. Berufsbild).
16bb) Auf dem Gebiet der EDV und der Informationstechnik gehören zu den Tätigkeiten von Ingenieuren nicht nur die Entwicklung und Konstruktion von Hard- und Software. Die Tätigkeit eines Ingenieurs umfasst auch die Entwicklung von Betriebssystemen und ihre Anpassung an die Bedürfnisse des Kunden, die rechnergestützte Steuerung, Überwachung und Optimierung industrieller Abläufe, den Aufbau, die Betreuung und Verwaltung von Firmennetzwerken und -servern, die Anpassung vorhandener Systeme an spezielle Produktionsbedingungen und Organisationsstrukturen sowie die Bereitstellung qualifizierter Dienstleistungen, wie etwa Benutzerservice und Schulung. Informatik-Ingenieure arbeiten u.a. auch in der Netz- und Systemadministration, sie beurteilen die Leistungsfähigkeit von Rechnernetzen oder bewerten die Energieeffizienz bestehender Systeme (zum Ganzen: Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit, abrufbar unter www.berufenet.arbeitsagentur.de, Berufe „Ingenieur - Elektrotechnik/technische Informatik” und „Ingenieurinformatik”).
17cc) Für die tatsächliche Ausübung eines ähnlichen Berufs gilt nichts anderes. Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob eine vergleichbare Tätigkeit auch vorliegt, wenn die Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen nicht in jeder Hinsicht derjenigen eines Ingenieurs entspricht und welche Anforderungen in diesem Fall an die erforderliche Ähnlichkeit zu stellen sind. Der Kläger hat in seinem Beruf nach den insoweit bindenden Feststellungen des FG im Streitzeitraum Tätigkeiten entfaltet, die bei Anlegung der dargelegten Grundsätze für den Ingenieurberuf typische Tätigkeiten waren.
18Der Kläger ist in einem wesentlichen Betätigungsfeld von Informatikern, nämlich dem der Entwicklung, Implementierung und Betreuung von Software, berufstätig gewesen. Neben der vom FG zu Recht als freiberuflich anerkannten Softwareentwicklungstätigkeit für die B werden auch die Arbeiten, die der Kläger für Kunden verrichtet hat, die Software der A nutzten, noch vom Berufsbild eines Informatikers erfasst. Der Kläger hat zwar insoweit die Systemsoftware nicht selbst entwickelt, seine Tätigkeit hat sich aber auch nicht auf die reine Installation beschränkt. Vielmehr hat er die Software den örtlichen Gegebenheiten angepasst. Soweit auf Systeme der B umgestellt wurde, hat er auf Softwareentwicklungsarbeiten zurückgegriffen, für die er selbst im Rahmen des Sonderauftrages mit der B mitverantwortlich zeichnete. Diese Tätigkeit ist der eines Ingenieurs vergleichbar, der ein technisches Werk zunächst konstruiert und das entwickelte Produkt später bei verschiedenen Kunden betriebsfertig installiert.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2010 II Seite 466
BFH/NV 2010 S. 497 Nr. 3
BFH/PR 2010 S. 130 Nr. 4
BStBl II 2010 S. 466 Nr. 9
DStRE 2010 S. 222 Nr. 4
HFR 2010 S. 364 Nr. 4
KÖSDI 2010 S. 16871 Nr. 3
NJW 2010 S. 1167 Nr. 16
StBp. 2010 S. 180 Nr. 6
StuB-Bilanzreport Nr. 4/2010 S. 159
IAAAD-37067