BFH Beschluss v. - I B 21/09

Abstrakte Grenzen für den Abschluss einer sog. tatsächlichen Verständigung in der Rechtsprechung geklärt

Gesetze: AO § 88, AO § 160 Abs. 1 Satz 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

I. Streitig ist die Rechtswirksamkeit einer sog. tatsächlichen Verständigung in den Streitjahren 1999 und 2000.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, hat im Zusammenhang mit einem Liefergeschäft nach Russland Zahlungen geleistet, u.a. an den russischen Staatsbürger X auf ein inländisches Bankkonto. Schon im Veranlagungsverfahren zur Körperschaftsteuer der Streitjahre kam es zu einem verwaltungsinternen Auskunftsverkehr zwischen Deutschland und Russland, der sich auf einen Teilbetrag der gesamten Zahlungen bezog; nach der Auskunft der russischen Behörde sei ein X in Moskau nicht als Steuerpflichtiger registriert. Später kam es nach einer weiteren Mitteilung der russischen Steuerbehörde (adressiert an das Bundesministerium der Finanzen) aus 2003 zu einem Strafverfahren gegen X in Russland; es ist ungeklärt, inwieweit diese spätere Mitteilung dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) bekannt geworden ist.

Im Außenprüfungsverfahren kam es unter unstreitiger Beachtung der dafür vorgesehenen Förmlichkeiten zum Abschluss einer sog. tatsächlichen Verständigung zwischen der durch Bevollmächtigte vertretenen Klägerin und dem FA mit folgendem Inhalt: „1. Die Verhandlungsteilnehmer stimmen darin überein, dass wegen erschwerter Sachverhaltsermittlung und hinsichtlich folgender strittiger Punkte die Voraussetzungen für eine tatsächliche Verständigung vorliegen: Zahlungen in den Wirtschaftsjahren 1999 und 2000, die in Zusammenhang mit dem Vertrag Nr. . (Moskau) stehen, von insgesamt 2,9 Mio. DM und auf das Konto Nr.…überwiesen wurden.

2. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung bzw. -vereinfachung und zur Herstellung des Rechtsfriedens wird deshalb verbindlich vereinbart, hinsichtlich der o.a. strittigen Punkte bei der Besteuerung folgenden Sachverhalt zu Grunde zu legen: In Höhe von 1,8 Mio. DM erhöhen die Zahlungen gem. § 4 Abs. 5 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 160 AO das zu versteuernde Einkommen in den Veranlagungszeiträumen 1999 und 2000 je zur Hälfte. Auf die Fertigung einer Kontrollmitteilung wird verzichtet.”

Auf der Grundlage dieser Verständigung kam es zu geänderten Steuerfestsetzungen für die Streitjahre. Die Klage gegen diese Festsetzungen, mit der insbesondere die Unwirksamkeit der tatsächlichen Verständigung geltend gemacht wurde, blieb erfolglos (Finanzgericht —FG— Düsseldorf, Urteil vom 6 K 2722/06 K).

Die Klägerin macht geltend, dass Revisionsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorliegen. Sie beantragt, die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen. Die von der Klägerin geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen —soweit ordnungsgemäß i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt— nicht vor.

1. Die Klägerin sieht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) darin, dass die Rechtsprechung bisher die Grenze zwischen Tatsachen- und Rechtsfrage nicht klar definiert habe. Es sei daher als klärungsbedürftige Rechtsfrage anzusehen, nach welchen Maßstäben und Kriterien im Bereich der Zulässigkeit der tatsächlichen Verständigung zwischen Tatsache und rechtlicher Würdigung abzugrenzen sei, in welchem Maße der Gegenstand der tatsächlichen Verständigung mittelbar auch den Tatbestandsbereich einer Rechtsnorm erfassen könne, in welchem Maße die tatsächliche Verständigung auch eine rechtliche Würdigung der objektiven Umstände und Tatsachen enthalten könne und wieweit aus der Bezeichnung von Rechtsfolgen auf den zugrunde gelegten Sachverhalt zurückgeschlossen werden könne. Letztlich sei zu klären, ob aus der bloßen Erwähnung des § 160 der Abgabenordnung (AO) der Rückschluss gezogen werden könne, es sei eine Verständigung dahin getroffen worden, dass Angaben i.S. des § 160 AO nicht erteilt worden seien und dass dies eine Tatsachenfrage sei, die Gegenstand einer Verständigung mit Bindungswirkung sein könne oder ob nicht vielmehr eine unzulässige Vereinbarung über die Höhe der Steuer getroffen worden sei.

Die abstrakten Grenzen für den Abschluss einer sog. tatsächlichen Verständigung sind in der Rechtsprechung in ausreichendem Maße geklärt (z.B. Senatsurteil vom I R 63/07, BFHE 223, 194, BStBl II 2009, 121, m.w.N.). Damit ist auch geklärt, dass eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Tatfrage und Rechtsfrage nicht in allen Fällen nach abstrakten Maßstäben im vorhinein möglich ist. Bei der Anwendung des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass der Tatbestand nach seiner Struktur —nach Maßgabe der herrschenden Auslegung als Norm zur Erfassung des Steuerausfalls beim Gläubiger/Empfänger der Zahlung durch Heranziehung des Zahlenden/Schuldners— sowohl bei der Entscheidung „dem Grunde nach” als auch „der Höhe nach” Tatsachenelemente aufweist. Auf dieser Grundlage hat auch das FG die Empfängerbenennung „X” als ungenau gewürdigt —was den Grund für die Möglichkeit einer Ermessensentscheidung i.S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO bereitet— und eine (fort)bestehende Unsicherheit über den tatsächlichen Zahlungsempfänger angenommen. Darüber hinaus hat es die durch die Nichtabziehbarkeit von 1,8 Mio. DM Betriebsausgaben bei der Klägerin eintretende Mehrsteuer als Quantifizierung des beim tatsächlichen Empfänger eintretenden „Steuerschadens” angesehen. Eine weitergehende Differenzierung kann sich auf der Grundlage der in einem Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG nicht ergeben.

2. Ein Verfahrensfehler mangelnder Sachaufklärung (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) liegt nicht vor. Das FG hat nicht, wie die Klägerin meint, zugrunde gelegt, dass allen Beteiligten klar gewesen sei, dass schon vor dem Abschluss der Verständigung eine Kontrollmitteilung an die russische Behörde ergangen sei. Das FG hat vielmehr im Zusammenhang mit der Prüfung einer wirksamen Anfechtung der Vereinbarung gemäß § 123 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erörtert, dass aus dem ein zukünftiges Handeln ausschließenden Wortlaut der Verständigung kein Anhaltspunkt dafür abzuleiten sei, dass eine Täuschung durch das FA über vorheriges Verwaltungshandeln vorliege - eine Beweiserhebung über die Kenntnis der die Verständigung abschließenden Verwaltungsbeamten über die zurückliegenden Vorgänge sei daher entbehrlich. Ein weiteres Aufklärungsbedürfnis war für das FG —auch angesichts des Umstandes, dass die Klägerin nach dem Protokoll der mündlichen Verhandlung nur einen Sachantrag gestellt hat— nicht ersichtlich.

3. Ein „qualifizierter Rechtsanwendungsfehler”, der zu einer Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO führen könnte, liegt nicht vor. Das FG hat die Frage der Wirksamkeit der formell ordnungsgemäß abgeschlossenen Verständigung unter Berücksichtigung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung geprüft und eine Bindungswirkung bejaht. Es hat damit die Vorstellung der Klägerin, die Besteuerung beim tatsächlichen Zahlungsempfänger allein seinem eigenen Deklarationsverhalten zu unterstellen und einen behördlichen Informationsaustausch auszuschließen, als Motiv —nicht aber als Geschäftsgrundlage auch für den Zeitraum vor dem Abschluss der Verständigung— gewürdigt und die Zielerreichung insoweit der Risikosphäre der Klägerin zugeordnet. Dies kann nicht als objektiv willkürliche oder greifbar gesetzwidrige Entscheidung des FG angesehen werden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 163 Nr. 2
ZAAAD-34786