Leitsatz
[1] Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bürgen ist eine zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf seinem Grundbesitz ruhende valutierende, dingliche Belastung grundsätzlich wertmindernd zu berücksichtigen (im Anschluss an BGHZ 151, 34 ff.). Forderungen, die sowohl durch die dingliche Belastung als auch durch die Bürgschaft gesichert werden, sind nur zu berücksichtigen, soweit sie aufgrund der dinglichen Belastung nicht getilgt werden können.
Gesetze: BGB § 138 Abs. 1; BGB § 765 Abs. 1
Instanzenzug: LG Frankfurt am Main, 2 O 252/99 vom OLG Frankfurt am Main, 23 U 11/07 vom
Tatbestand
Die Klägerin, eine Bank, nimmt die Beklagte zu 2) (im Folgenden: Beklagte) aus einer Bürgschaft in Anspruch.
Die Klägerin gewährte der P. S.A. (im Folgenden: Hauptschuldnerin) durch Vertrag vom einen Kontokorrentkredit in Höhe von 200.000 DM zu einem Zinssatz von 10% und ein Darlehen in Höhe von 370.000 DM zu einem Zinssatz von 8,25%. Der Vertrag sah als Sicherheit des Darlehens unter anderem eine Hypothekenvormerkung auf einem Grundstück der Beklagten in Griechenland vor, die bereits im Juni 1994 in Höhe von 58 Mio. Drachmen eingetragen worden war. Das Grundstück hatte nach einer sachverständigen Schätzung vom einen "Materialwert" von 70 Mio. Drachmen und einen "Handelswert" von 60 Mio. Drachmen. Der Kontokorrentkredit und das Darlehen wurden 1994 in Anspruch genommen bzw. ausgezahlt.
Die Beklagte ist eine Tochter des Anteilsinhabers und Vorstandsvorsitzenden der Hauptschuldnerin. In einer formularmäßigen Erklärung vom verbürgte sie sich zur Sicherung aller gegenwärtigen und künftigen Ansprüche der Klägerin aus der Geschäftsverbindung mit der Hauptschuldnerin selbstschuldnerisch bis zum Höchstbetrag von 370.000 DM. Als Beamtin des griechischen Außenministeriums erzielte sie damals ein Monatseinkommen von 2.200 DM.
Nachdem am das Konkursverfahren über das Vermögen der Hauptschuldnerin eröffnet worden war, nahm die Klägerin die Hauptschuldnerin am auf Rückzahlung der Kredite in Anspruch. Ihre offenen Kreditforderungen übersteigen die Bürgschaftssumme. Mit der Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von 189.177,99 EUR nebst Zinsen in Anspruch.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
Die Revision ist begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei gemäß § 765 Abs. 1, § 767 BGB begründet. Die Bürgschaft der Beklagten vom sei nicht gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Die Beklagte sei zwar nicht in der Lage, die vertragliche Zinslast aus dem pfändbaren Teil ihres Einkommens zu tragen. Eine krasse finanzielle Überforderung liege aber gleichwohl nicht vor, weil der Wert des mit einer Hypothekenvormerkung zugunsten der Klägerin belasteten Grundbesitzes der Beklagten höher als ihre Bürgschaftsschuld sei. Ihr Grundstück in Griechenland habe nach der sachverständigen Schätzung vom , die die Beklagte nicht in erheblicher Weise bestritten habe, einen Wert von umgerechnet 385.000 DM. Dass die Klägerin das Grundstück bislang nicht verwertet habe, sei unerheblich. Es gehe nicht um die Begrenzung des Haftungsrisikos der Bürgin durch Verwertung anderer Sicherheiten, sondern um die Bestimmung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Die Beklagte habe keine besonderen Umstände dargelegt, die ihre Bürgschaft schon wegen des Umfangs der Verpflichtung sittenwidrig erscheinen ließen. Sie habe auch nicht nachgewiesen, dass sie die Bürgschaft nur zum Zweck der Krediterweiterung übernommen habe.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch gemäß § 765 Abs. 1 BGB. Die Bürgschaft der Beklagten vom ist gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Sie überforderte die Beklagte von Anfang an finanziell in krasser Weise, ohne dass sich für die Klägerin als Kreditgeberin entlastende Momente ergeben.
1. Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats liegt eine krasse finanzielle Überforderung eines Bürgen bei nicht ganz geringen Bankschulden grundsätzlich vor, wenn der Bürge voraussichtlich nicht einmal die von den Darlehensvertragsparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines laufenden Einkommens und Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalles dauerhaft allein tragen kann. In diesem Fall ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung ohne Hinzutreten weiterer Umstände widerleglich zu vermuten, dass der dem Hauptschuldner persönlich besonders nahe stehende Bürge die ihn vielleicht bis an das Lebensende übermäßig finanziell belastende Personalsicherheit allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner gestellt und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (Senat, BGHZ 156, 302, 306; Urteile vom - XI ZR 205/01, WM 2002, 1649, 1651 und vom - XI ZR 539/07, WM 2009, 1460, Tz. 18, jeweils m.w.N.).
2. So liegt es hier.
a) Nach den rechtsfehlerfreien und unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war die Beklagte gemäß der von ihm in Bezug genommenen Berechnung des Landgerichts im Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung am voraussichtlich bereits nicht in der Lage, die im Kreditvertrag vom vereinbarte monatliche Zinslast aus dem Darlehen über 370.000 DM in Höhe von (370.000 DM x 8,25) : (12 x 100) = 2.543 DM aus ihrem Monatseinkommen von 2.200 DM zu tragen. Das gilt erst recht unter Berücksichtigung der Zinslast aus dem Kontokorrentkredit.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts führt die Berücksichtigung des Vermögens der Beklagten, d.h. ihres Grundstücks in Griechenland, zu keinem anderen Ergebnis.
aa) Zwar scheidet eine krasse finanzielle Überforderung aus, wenn die Bürgenschuld durch den Wert eines dem Bürgen gehörenden Grundstücks abgedeckt ist (, WM 2001, 1330, 1331 f.). Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist aber nur der im Einzelfall effektiv verfügbare Sicherungswert dinglichen Vermögens in Ansatz zu bringen. Valutierende dingliche Belastungen sind vermögensmindernd zu berücksichtigen (Senat, BGHZ 151, 34, 38 f.; Urteil vom - XI ZR 199/01, WM 2002, 1647, 1648). Danach kann unter Zugrundelegung des vom Berufungsgericht festgestellten Grundstückswerts von 385.000 DM und der Belastung mit einer Hypothekenvormerkung in Höhe von 370.000 DM bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Beklagten nur der Differenzbetrag von 15.000 DM berücksichtigt werden, der, auch zusammen mit dem pfändbaren Teil des laufenden Einkommens, zur dauerhaften Tragung der Zinslast nicht ausreicht.
Einen höheren Grundstückswert hat die Klägerin nicht hinreichend vorgetragen. Ihre Behauptung, das Grundstück dürfte aufgrund seiner Lage und der touristischen Entwicklung in Griechenland gegenüber der Schätzung vom den drei- bis fünffachen Wert haben, ist mangels konkreter, objektiv nachprüfbarer und dem Beweis zugänglicher Angaben zu den wertbildenden Faktoren der Immobilie (vgl. Senat, Urteil vom - XI ZR 341/05, WM 2007, 440, Tz. 31) unsubstantiiert. Die Bemerkung in der sachverständigen Schätzung vom , bei dem Grundstück handele es sich um einen bebaubaren, außerhalb des bestätigten Straßeneinteilungsplanes liegenden Acker, der aufgrund seiner Lage am Meer im Allgemeinen als vorteilhaft, was die Sicht betreffe, gelte, reicht insoweit nicht aus. Die Schätzung hat nur den damaligen Wert, nicht aber eine künftige Wertsteigerung des Grundstücks zum Gegenstand. Mangels substantiierten Vortrages war ein Bestreiten durch die Beklagte nicht erforderlich. Die Klägerin hat im Übrigen auch nicht dargelegt, dass die von ihr behauptete Wertsteigerung bei Abgabe der Bürgschaftserklärung am bereits vorhersehbar war.
bb) Der vermögensmindernden Berücksichtigung der Hypothekenvormerkung steht nicht entgegen, dass sie, ebenso wie die Bürgschaft, das Darlehen vom in Höhe von 370.000 DM sicherte. Die Bürgschaft sichert nicht nur das Darlehen, sondern weitergehend "alle gegenwärtigen und künftigen Ansprüche und Forderungen aus der Geschäftsbeziehung" der Klägerin mit der Hauptschuldnerin. Die formularmäßige Bürgschaftserklärung enthält darüber hinaus eine Klausel, nach der die Klägerin den Erlös aus anderen Sicherheiten oder Zahlungen der Hauptschuldnerin oder anderer Verpflichteter zunächst auf den die Bürgschaftssumme überschreitenden Teil der Kredite in Anrechnung bringen darf. Diese Klauseln begründeten unabhängig von ihrer Wirksamkeit, auf die es bei der Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB nicht ankommt (BGHZ 136, 347, 355 f.), die Gefahr, dass die Beklagte nach Verwertung der Hypothekenvormerkung aus der Bürgschaft in Anspruch genommen und nicht in der Lage sein würde, die im Kreditvertrag vom vereinbarten, auf die nach Verwertung der Hypothekenvormerkung noch offenen Restkreditforderungen entfallenden monatlichen Zinsen zu bezahlen.
Das Leistungsvermögen eines Bürgen ist aufgrund einer Prognose zu beurteilen, die aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Gläubigers bei Vertragsschluss auf den Zeitpunkt auszurichten ist, zu dem die Bürgschaftsschuld tatsächlich fällig geworden ist (BGHZ 132, 328, 334 f.; Senat, Urteil vom - XI ZR 28/04, WM 2005, 421, 422; Schmitz/Wassermann/Nobbe in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl., § 91, Rn. 61). Maßgeblich ist also, mit welchem Stand der Hauptforderungen bei Fälligkeit der Bürgschaftsforderung vernünftigerweise zu rechnen war, als die Beklagte am die Bürgschaftserklärung abgab. In diesem Zeitpunkt valutierten nach dem eigenen Vortrag der Klägerin das Darlehen vom in Höhe von 363.570,30 DM und der Kontokorrentkredit in Höhe von 314.690 DM. Dieser Stand der Hauptforderungen und nicht der tatsächliche Stand bei Eintritt der Fälligkeit der Bürgschaft ist bei der anzustellenden Prognose bezüglich der Leistungsfähigkeit der Beklagten zugrunde zu legen, weil im Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung am vernünftigerweise nicht damit zu rechnen war, dass die gesicherten Kreditforderungen bis zum Eintritt der Fälligkeit der Bürgschaftsforderung verringert würden. Vielmehr standen die Klägerin und die Hauptschuldnerin nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Parteien im Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung in Verhandlungen über eine Erweiterung des Kreditrahmens, nachdem die Hauptschuldnerin mit Schreiben vom weitere Darlehen in Höhe von 937.500 DM beantragt hatte. Für diese hätte die Beklagte aufgrund der weiten Sicherungszweckerklärung der Bürgschaft vom , auf deren Wirksamkeit es, wie dargelegt, bei der Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB nicht ankommt, als Bürgin gehaftet. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Bürgschaftserklärung war die Haftung der Beklagten entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht auf die durch die Hypothekenvormerkung gesicherte Kreditverbindlichkeit der Hauptschuldnerin beschränkt.
Unter diesen Umständen war die Beklagte am voraussichtlich nicht in der Lage, die von der Klägerin und der Hauptschuldnerin vereinbarte Zinslast aus dem pfändbaren Teil ihres Einkommens und Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalles dauerhaft zu tragen. Der Wert ihres Grundstücks in Höhe von 385.000 DM war zunächst auf die Darlehensforderung in Höhe von 363.570,30 DM zu verrechnen. Der Restbetrag von 21.429,70 DM reduzierte die Forderung aus dem Kontokorrentkredit auf 293.260,30 DM. Hierauf waren bei einem Zinssatz von 10% monatliche Zinsen in Höhe von 2.443,83 DM zu zahlen, die die Beklagte aus ihrem Monatseinkommen von 2.200 DM nicht aufbringen konnte.
c) Angesichts der krassen finanziellen Überforderung der Beklagten ist davon auszugehen, dass diese die Bürgschaft ausschließlich oder überwiegend aus emotionaler Verbundenheit zu ihrem Vater, dem Anteilsinhaber und Vorstandsvorsitzenden der Hauptschuldnerin, und infolgedessen aufgrund eines fremdbestimmten Willensentschlusses übernommen hat. Diese tatsächliche Vermutung hat die Klägerin nicht widerlegt oder entkräftet. Die Revisionserwiderung macht ohne Erfolg geltend, die Beklagte habe nach Geltendmachung der Bürgschaftsforderung ihre fortbestehende Bereitschaft zur Erfüllung erklärt und ihre Zahlungsverpflichtung bestätigt. Dieses nachträgliche Verhalten der Beklagten, einer juristischen Laiin, räumt die Vermutung, dass sie bei Abgabe der Bürgschaftserklärung am aus emotionaler Verbundenheit gehandelt hat, nicht aus. Ein Schuldanerkenntnis wäre im Übrigen ebenso wie die Bürgschaft selbst gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig (vgl. Senat, Urteil vom - XI ZR 539/07, WM 2009, 1460, Tz. 27).
III.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, hat der Senat in der Sache selbst entschieden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Fundstelle(n):
WM 2010 S. 32 Nr. 1
ZIP 2010 S. 21 Nr. 1
SAAAD-34518
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja