Leitsatz
Eine aktive Sanitätsoffizierin, die sich als Soldatin auf Zeit freiwillig zum Dienst als Ärztin in der Bundeswehr verpflichtet hat, hat bis zur Beendigung ihres Dienstverhältnisses kein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerin aus Gewissensgründen. Nach ihrem Ausscheiden ist sie zur Stellung eines solchen Antrags berechtigt, um ihrer Heranziehung zu Dienstleistungen gemäß § 60 SG zu entgehen.
Gesetze: GG Art. 4 Abs. 3 Satz 1; GG Art. 12a Abs. 2 Satz 3
Instanzenzug: VG Magdeburg, VG 2 A 136/08 MD vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein
Gründe
Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Nach diesen Maßstäben verleihen die von der Beschwerde sinngemäß aufgeworfenen Fragen der Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
a) Die Klägerin will dem Sinn nach grundsätzlich geklärt wissen, ob der Sanitätsdienst in der Bundeswehr als waffenloser Dienst und nicht als Kriegsdienst mit der Waffe im Sinne des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG zu qualifizieren ist und ob einer Sanitätsoffizierin, die auf Grund ihrer freiwilligen Verpflichtung als Zeitsoldatin Sanitätsdienst leistet, das Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines Verfahrens auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerin aus Gewissensgründen fehlt. Der derart umschriebenen Problematik kommt eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu, weil sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt ist und die Klägerin nicht - wie dies in einer solchen Konstellation erforderlich wäre (Beschlüsse vom - BVerwG 7 B 54.60 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 2, vom - BVerwG 6 B 27.92 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 306 S. 224 und vom - BVerwG 9 B 60.08 - juris Rn. 5) - neue Gesichtspunkte von Gewicht vorträgt.
Anknüpfend an die Rechtsprechung des u.a. - BVerfGE 69, 1 <24 f., 56 ff.>) geht der beschließende Senat in seiner Entscheidungspraxis davon aus, dass den vollen Schutz des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG nur diejenigen Wehrpflichtigen für sich in Anspruch nehmen können, deren Berechtigung in dem gesetzlich vorgesehenen Anerkennungsverfahren förmlich festgestellt worden ist. Eingeschlossen in diese Berechtigung ist unter Berücksichtigung der Regelung des Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG das Recht zur Verweigerung auch des waffenlosen Dienstes in der Bundeswehr. Demgegenüber lässt sich aus dem lediglich geltend gemachten, aber noch nicht förmlich festgestellten Grundrecht nur eine vorläufige Sicherung seines Kernbereiches in dem Sinne ableiten, dass zwar eine Heranziehung zum Kriegsdienst mit der Waffe, nicht aber zum waffenlosen Dienst ausgeschlossen ist. Waffenlos ist derjenige Dienst, der keine Tätigkeiten umfasst, die in einem nach dem Stand der jeweiligen Waffentechnik unmittelbaren Zusammenhang zum Einsatz von Kriegswaffen stehen. Zum waffenlosen Dienst in diesem Sinne zählt auch der Sanitätsdienst. Deshalb besteht für Soldaten im Sanitätsdienst, die sich als Berufs- oder Zeitsoldaten freiwillig zum Dienst in der Bundeswehr verpflichtet haben, kein Rechtsschutzbedürfnis zur Stellung des Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, weil und solange sie Sanitätsdienst zu leisten haben, denn ihr Dienst ist kein Kriegsdienst mit der Waffe. Diese Soldaten sind, wenn sie sich aus Gewissensgründen an der Leistung von Kriegsdienst gehindert sehen, auf eigenen Antrag aus dem Dienstverhältnis zu entlassen, weil eine besondere Härte vorliegt (§ 46 Abs. 6, § 55 Abs. 3 SG); soweit nach der Entlassung die gesetzliche Wehrpflicht wieder aktuell wird, hat der frühere Soldat einen Anspruch auf Durchführung des Anerkennungsverfahrens (vgl. zum Ganzen: BVerwG 6 C 5.85 - BVerwGE 72, 241 <242 ff.> = Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 3 S. 7 ff., vom - BVerwG 6 C 36.86 - BVerwGE 80, 62 <63 ff.> = Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 9 S. 5 ff., vom - BVerwG 6 C 38.87 - Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 11 S. 17 f., vom - BVerwG 6 C 9.86 - Buchholz 448.6 § 14 KDVG Nr. 21 S. 12, vom - BVerwG 6 C 24.88 - juris Rn. 7, vom - BVerwG 6 C 45.88 - Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 16 S. 28 ff., vom - BVerwG 6 C 30.88 - juris Rn. 8, vom - BVerwG 6 C 14.93 - Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 17 S. 2 ff. und vom - BVerwG 6 C 2.95 - Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 19 S. 7 ff.; s. ferner BVerwG 2 B 80.96 - NZWehrr 1996, 217 <218>).
Die Klägerin hat in der Begründung ihrer Beschwerde nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise neue Gesichtspunkte aufgezeigt, die die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage trotz der vorliegenden Rechtsprechung als klärungsbedürftig geblieben oder wieder klärungsbedürftig geworden erscheinen lassen könnten.
Sie hält die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für nicht mehr zeitgemäß. Die Bundeswehr werde mittlerweile weltweit in Kriseneinsätzen tätig, so dass auch die Angehörigen ihres Sanitätsdienstes einer hohen Gefährdung ausgesetzt und deshalb selbstverständlich auch mit Waffen ausgerüstet seien. Eine Qualifikation des Sanitätsdienstes als waffenloser Dienst sei vor diesem Hintergrund schlicht falsch. Mit diesem Vortrag verkennt die Klägerin den Begriff des waffenlosen Dienstes und die Struktur des Grundrechtes aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG. Die den Angehörigen des Sanitätsdienstes ausgehändigten Handfeuerwaffen sind nur für einen etwaigen Einsatz in - wenn auch kriegsbedingten - Notwehr- und Nothilfesituationen, jedoch nicht für einen unmittelbaren Einsatz als Kriegswaffen bestimmt. Der Umstand, dass sie derartige Waffen in Empfang nehmen, sich an ihnen ausbilden lassen und sie in Notwehr- und Nothilfesituationen einsetzen müssen, verändert den Charakter des Sanitätsdienstes als eines waffenlosen Dienstes im Sinne der oben beschriebenen Definition nicht und berührt auch nicht den Kernbereich des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG (vgl. hierzu insbesondere: Urteile vom a.a.O. S. 71 f. bzw. S. 13 f. und vom a.a.O. S. 3). Hieran haben das erweiterte Aufgabenspektrum der Bundeswehr und die dadurch bedingten Gefährdungen nichts geändert. Vielmehr hat der Senat den Sanitätsdienst schon in seinem Urteil vom (a.a.O. S. 244 ff. bzw. S. 8 ff.) ausdrücklich sogar und gerade unter den Bedingungen des Krieges als waffenlosen Dienst bezeichnet.
Ein neuer Gesichtspunkt zu der Problematik eines Rechtsschutzbedürfnisses von Berufs- und Zeitsoldaten im Sanitätsdienst der Bundeswehr für die Durchführung eines Verfahrens auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin als Frau nach Art. 12a Abs. 1 GG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 WPflG nicht der allgemeinen Wehrpflicht unterliegt. Die Zulassung von Frauen zur freiwilligen Dienstleistung als Soldatinnen war für die Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes bereits durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes, des Soldatenversorgungsgesetzes und der Wehrdisziplinarordnung vom (BGBl I S. 2113) und damit geraume Zeit vor der Öffnung aller Laufbahnen durch Art. 1 Nr. 8 a) des Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes und anderer Vorschriften vom (BGBl I S. 1815) ermöglicht worden. Der Umstand, dass Frauen dem Sanitätsdienst der Bundeswehr nicht auf Grund der gesetzlichen Wehrpflicht, sondern nur nach einer freiwilligen Verpflichtung angehören können, hat deshalb in der hier in Rede stehenden Rechtsprechung des beschließenden Senats bereits Berücksichtigung gefunden. Das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG gilt auch für Berufs- und Zeitsoldatinnen (vgl. auch § 1 Abs. 1 KDVG: "Kriegsdienstverweigerin"). Diese sind nur für die Zeit ihrer aktiven Zugehörigkeit zum Sanitätsdienst der Bundeswehr ebenso wie ihre dort auf Grund einer freiwilligen Verpflichtung dienenden männlichen Kameraden daran gehindert, einen Anspruch auf Anerkennung des Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung geltend zu machen. Scheidet eine Zeitsoldatin gemäß § 54 Abs. 1 SG mit Zeitablauf oder nach § 55 Abs. 3 SG auf Grund eines Entlassungsantrags vorzeitig aus dem Soldatendienstverhältnis aus, kann ihr das Rechtsschutzbedürfnis für ein nachfolgendes Anerkennungsverfahren regelmäßig nicht abgesprochen werden. Denn sie muss dann damit rechnen, als frühere Soldatin auf Zeit, die mehr als zwei Jahre in diesem Dienstverhältnis gestanden hat, nach § 59 Abs. 2 Satz 1 SG bis zum Erreichen der vorgesehenen Altersgrenze zu den in § 60 SG genannten Dienstleistungen herangezogen zu werden (vgl. in diesem Sinne: VG Arnsberg, Urteil vom - 9 K 2860/05 - juris Rn. 22; Walz/Eichen/Sohm, SG, 2006, § 59 Rn. 30).
b) Sofern der Beschwerde zu entnehmen sein sollte, dass sie für grundsätzlich klärungsbedürftig ferner die Frage hält, ob es mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass von den aktiven Berufssoldaten und Berufssoldatinnen sowie Soldaten und Soldatinnen auf Zeit nur den Angehörigen des Sanitätsdienstes (sowie den Angehörigen des Militärmusikdienstes, vgl. Urteil vom a.a.O. S. 7 f.) vor ihrer Entlassung aus dem Dienstverhältnis kein Rechtsschutzbedürfnis für ein Begehren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zuerkannt wird, könnte auch dies nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision führen. Wie sich aus den bisherigen Darlegungen ohne weitere klärungsbedürftige Zweifel ergibt, liegt der die unterschiedliche Behandlung rechtfertigende Grund darin, dass nur die in dem oben beschriebenen Sinne waffenlosen Dienste die ihnen angehörenden Soldaten und Soldatinnen vor solchen Tätigkeiten schützen, die in einem nach dem Stand der jeweiligen Waffentechnik unmittelbaren Zusammenhang mit dem Einsatz von Kriegswaffen stehen. Da dieser Schutz den Gewährleistungsgehalt des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG weitgehend abdeckt, kann den aktiven Berufssoldaten und Berufssoldatinnen sowie Soldaten und Soldatinnen auf Zeit, die sich im waffenlosen Dienst befinden, zugemutet werden, zunächst ihre Entlassung aus dem freiwillig eingegangenen Dienstverhältnis zu betreiben und erst dann, soweit erforderlich, den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer oder -verweigerin zu stellen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
TAAAD-34467