BVerwG Urteil v. - 2 C 80.08

Leitsatz

Der Grundsatz, dass der Einleitung oder Fortsetzung des Disziplinarverfahrens die Verhandlungsunfähigkeit des Beamten nicht entgegensteht ("Durchführungsgrundsatz"), gilt unter dem Bundesdisziplinargesetz unausgesprochen fort.

Ist ein Prozesspfleger bestellt, steht die dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit eines Beamten der Durchführung eines Disziplinarklageverfahrens nicht entgegen.

Der verfassungsrechtliche Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und 2, Art. 20 Abs. 3 GG) und der Grundsatz rechtlichen Gehörs verbieten es, gegen einen verhandlungsunfähigen Beamten eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen, wenn sich im Einzelfall das Mitwirkungsrecht des Beamten insbesondere im Rahmen der Beweiswürdigung auch durch einen Verfahrens- bzw. Prozesspfleger nicht verwirklichen lässt.

Die durch Beschluss der Disziplinarkammer nach § 55 Abs. 3 BDG gesetzte Frist, wesentliche Mängel der Klageschrift zu beseitigen, kann nicht durch Verfügung des Kammervorsitzenden verlängert werden.

Werden Mängel der Klageschrift nach ordnungsgemäßer Fristsetzung nach § 55 Abs. 3 BDG nicht innerhalb der Frist beseitigt, führt dies zum Ausschluss des betroffenen Tatkomplexes, nicht aber zur Einstellung des Disziplinarklageverfahrens, wenn noch mangelfrei angeklagte Dienstvergehen verbleiben, die die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder die Aberkennung des Ruhegehalts rechtfertigen könnten (Fortführung des BVerwG 1 D 1.06 Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12).

Gesetze: GG Art. 1 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3; GG Art. 103 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 3; VwGO § 62 Abs. 4; VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 108; VwGO § 137 Abs. 1 Nr. 1; VwGO § 137 Abs. 2; VwGO § 144 Abs. 3 Nr. 2; BDG § 3; BDG § 12; BDG § 13; BDG § 20 Abs. 1 Satz 3; BDG § 46 Abs. 2; BDG § 46 Abs. 3; BDG § 52 Abs. 1 Satz 2; BDG § 55 Abs. 3; BDG § 56; BDO § 19 Abs. 1; BDO § 25 Satz 1; StPO § 413; ZPO § 57

Instanzenzug: VG Trier, 4 K 1065/07.TR vom OVG Koblenz, 11 A 10623/08 . Fachpresse: ja BVerwGE: ja

Gründe

I

Der 1948 geborene Beklagte stand als Beamter im Dienste des Klägers. Zum wurde er wegen Dienstunfähigkeit infolge einer Alkoholerkrankung vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Im Juni 2002 leitete der Kläger gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren ein, das er wegen sachgleicher strafrechtlicher Ermittlungen aussetzte. Nach Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO führte der Kläger das Disziplinarverfahren fort. Am erhob er Disziplinarklage mit dem Ziel, dem Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen. Der Kläger lastete ihm an, überhöhte Forderungen von Gläubigern des Dienstherrn nicht beanstandet und als Gegenleistung dafür von den Firmen K. und W. Geld- und Sachzuwendungen erhalten zu haben. Im Raum stehen Geldzuwendungen der Firma W. an den Beklagten, davon allein im Jahr 1996 in Höhe von 25 000 DM. Der Beklagte ist der Klage unter anderem mit der Behauptung entgegengetreten, er sei wegen Verhandlungsunfähigkeit nicht in der Lage, sich im Disziplinarverfahren zu verteidigen; das Disziplinarverfahren müsse somit eingestellt werden.

Das im Auftrag des Verwaltungsgerichts erstellte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G. vom hat ergeben, dass der Beklagte seit 2004 prozess- und verhandlungsunfähig ist. Im Februar 2008 hat das Verwaltungsgericht den Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu dessen Prozesspfleger bestellt. Mit Beschluss vom hat es dem Kläger zur Konkretisierung der dem Beklagten als Dienstvergehen zur Last gelegten Tatsachen eine Frist bis zum gesetzt. Durch Verfügung des Vorsitzenden wurde die Frist bis zum verlängert. Der Kläger ergänzte seinen Vortrag innerhalb der verlängerten Frist.

Durch Urteil vom hat das Verwaltungsgericht dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt und sich insoweit gemäß § 56 BDG auf den Vorwurf des Klägers beschränkt, der Beklagte habe 1996 von der Firma W. 25 000 DM angenommen; auch habe er von der Firma K. Zuwendungen erhalten. Die Frist zur Nachbesserung der Klage sei vom Vorsitzenden wirksam verlängert worden.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Disziplinarklage nach Beweisaufnahme durch Urteil vom als unzulässig abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Ein Disziplinarverfahren könne grundsätzlich zwar auch gegen einen verhandlungsunfähigen Beamten durchgeführt werden; das Gericht sehe sich jedoch daran gehindert, den entscheidungserheblichen Sachverhalt ausreichend aufzuklären, weil der Beklagte sein Recht auf rechtliches Gehör nicht wahrnehmen könne. Aufgrund der auch gegenwärtig noch bestehenden Alkoholerkrankung des Beklagten sei es ihm nicht möglich, zu den erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen oder zumindest seinem Prozesspfleger die erforderlichen Informationen zu vermitteln. Da dem Beklagten kein rechtliches Gehör gewährt und der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht im erforderlichen Umfang aufgeklärt werden könne, liege ein dauerhaftes Verfahrenshindernis vor.

Der Kläger wendet sich mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision gegen die Abweisung der Klage als unzulässig und beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision des Klägers.

II

Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil das Berufungsgericht nicht durch Sachurteil über die Klage entschieden, sondern diese durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen hat ( BVerwG 2 C 5.74 - Buchholz 237.2 § 79 LBG Berlin Nr. 2 S. 5). Es ist deshalb aufzuheben und die Sache mangels Entscheidungsreife zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. Zutreffend ist das Oberverwaltungsgericht zwar davon ausgegangen, dass die Verhandlungsunfähigkeit des Beklagten der Zulässigkeit der Klage nicht entgegensteht; unrichtig ist jedoch seine Rechtsauffassung, Verhandlungsunfähigkeit begründe schon deshalb ein Verfahrenshindernis, weil dem Beamten rechtliches Gehör nicht gewährt werden könne.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt Verhandlungsunfähigkeit dann vor, wenn der Beamte nicht in der Lage ist, die Bedeutung des Disziplinarverfahrens und der einzelnen Verfahrensvorgänge zu erkennen und sich sachgemäß zu verteidigen. Verhandlungsfähigkeit des Beamten setzt allerdings nicht notwendig die Fähigkeit voraus, selbst Argumentations- und Verhandlungsstrategien zu entwickeln, weil dies in erster Linie Aufgabe eines Prozessbevollmächtigten ist ( BVerwG 1 D 96.97 - juris Rn. 10 und BVerwG 1 D 31.99 - juris Rn. 6). Um verhandlungsfähig zu sein, muss der Beamte in jeder Lage des Verfahrens imstande sein, sich in verständiger Weise zu verteidigen. Dies erfordert sowohl die Fähigkeit, anderen verständlich zu machen, was vorgetragen werden soll, als auch diejenige, das in sich aufzunehmen und zu verstehen, was andere erklären (Beschlüsse vom - BVerwG 1 D 8.02 - m.w.N. und vom - BVerwG 2 WD 34.04 - Buchholz 235.01 § 85 WDO 2002 Nr. 1).

Auf der Grundlage der gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist deshalb von der Verhandlungsunfähigkeit des Beklagten auszugehen. Das bei ihm festgestellte Korsakow-Syndrom führt dazu, dass er sich nicht mehr an die angeschuldigten Taten erinnern und sich zu den darauf bezogenen Vorwürfen des Klägers im gerichtlichen Verfahren auch nicht äußern kann.

2. Allein die Verhandlungsunfähigkeit des Beklagten begründet noch kein Prozesshindernis, das einer Prüfung des disziplinarrechtlichen Vorwurfs eines Dienstvergehens in der Sache entgegensteht.

§ 19 Abs. 1 der zum durch das Bundesdisziplinargesetz (BDG) ersetzten Bundesdisziplinarordnung (BDO) regelte ausdrücklich, dass die Verhandlungsunfähigkeit eines Beamten der Einleitung oder Fortsetzung des Disziplinarverfahrens nicht entgegen steht (sog. Durchführungsgrundsatz). Dieser Regelung bedurfte es seinerzeit, weil ansonsten über § 25 Satz 1 BDO die strafprozessualen Grundsätze zur Anwendung gekommen wären, die der Durchführung des Disziplinarverfahrens gegen einen verhandlungsunfähigen Beamten entgegengestanden und zur Einstellung des Verfahrens geführt hätten ( BVerwG 1 D 76.88 - juris Rn. 10 f. und vom - BVerwG 1 D 3.90 - juris Rn. 8).

Der Durchführungsgrundsatz gilt unter dem Bundesdisziplinargesetz unausgesprochen fort. Das Bundesdisziplinargesetz enthält zwar - im Gegensatz zu anderen Disziplinargesetzen wie z. B. § 18 ThürDG, § 17 Abs. 1 LDGRP, § 18 Abs. 1 HmbDG und § 85 Abs. 1 WDO - keine dem § 19 Abs. 1 BDO entsprechende Regelung mehr. Der Durchführungsgrundsatz gehört jedoch auch weiterhin zu den das gerichtliche Disziplinarverfahren tragenden Grundsätzen. Das Bundesdisziplinargesetz hat das Disziplinarrecht verfahrensrechtlich von der Bindung an das Strafprozessrecht gelöst und stattdessen eng an das Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht angelehnt (BTDrucks 14/4659 S. 33). Sinnfällig wird dies durch die Streichung des § 25 BDO und die zeitgleiche Einfügung der Verweisung in § 3 BDG auf die ergänzend anzuwendenden Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Kommentar, Einleitung <Stand 2002> Rn. 8). Auf Regelungen der Strafprozessordnung wird nur noch punktuell in den Fällen verwiesen, in denen auf sie nicht verzichtet werden kann (BTDrucks 14/4659 S. 34 f.). Mit diesem Paradigmenwechsel unvereinbar wäre es deshalb, aus dem Fehlen einer dem § 19 BDO entsprechenden Regelung im Bundesdisziplinargesetz im Umkehrschluss abzuleiten, dass bei Verhandlungsunfähigkeit nunmehr vom Vorliegen eines Prozesshindernisses auszugehen sei. Vielmehr ist das Fehlen einer dem § 19 BDO entsprechenden Vorschrift im Bundesdisziplinargesetz darauf zurückzuführen, dass eine solche Regelung überflüssig geworden ist, nachdem die Verbindung des Disziplinarprozessrechts zum Strafverfahrensrecht im Hinblick auf die unterschiedliche Funktion des Disziplinarrechts einerseits und des Strafrechts andererseits gelöst ist. Während es nicht im öffentlichen Interesse liegt, den staatlichen Strafanspruch in einem Strafverfahren gegen einen Verhandlungsunfähigen durchzusetzen - die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten im Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff. StPO zielt lediglich auf die im öffentlichen Interesse erforderlichen Maßregeln der Besserung und Sicherung -, gilt dies nicht für das Disziplinarrecht.

Dem Disziplinarrecht liegt das öffentliche Interesse zu Grunde, die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und dessen hierfür erforderliches Ansehen zu wahren. Aufgrund dessen ist es dem Dienstherrn nicht von vornherein verwehrt, das grundsätzlich auf Lebenszeit angelegte Dienstverhältnis einseitig zu beenden, wenn der Beamte durch eigene Schuld vertrauensunwürdig und damit für den öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. Ziel des Disziplinarverfahrens ist es, die Ordnung und Integrität des Beamtentums, mithin das für seine Funktion unabdingbare Ansehen des öffentlichen Dienstes zu erhalten und - öffentlich erkennbar - zu schützen.

Welche prozessualen Folgen die Verhandlungsunfähigkeit eines Verfahrensbeteiligten hat, ist nach Maßgabe der Prozessgesetze zu entscheiden, wobei verfassungsrechtliche Verfahrensanforderungen besondere Bedeutung haben. Danach kann die Verhandlungsunfähigkeit des Beamten im Regelfall durch die Bestellung eines Prozesspflegers nach § 62 Abs. 4 VwGO, § 57 Abs. 1 ZPO jedenfalls in einem Maße kompensiert werden, das die Durchführung des Disziplinarklageverfahrens erlaubt. Denn mit dessen Bestellung ist dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht des Beamten auf rechtliches Gehör und dem Gebot des fairen Verfahrens jedenfalls so weit Rechnung getragen, dass es gerechtfertigt ist, in eine inhaltliche Prüfung des Klagebegehrens zumindest einzutreten (Urteile vom a.a.O. und vom a.a.O.).

3. Die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens stehen der Durchführung eines Disziplinarklageverfahrens gegen einen verhandlungsunfähigen Beamten somit grundsätzlich nicht entgegen; sie beeinflussen jedoch - je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles - die Art und Weise seiner Durchführung. Sie können dazu führen, dass keine Disziplinarmaßnahme verhängt werden darf.

a) Dem vom Oberverwaltungsgericht zitierten BVerwG 6 C 84.81 - (Buchholz 310 § 62 VwGO Nr. 16) ist nicht ohne weiteres zu entnehmen, dass die Verhandlungsunfähigkeit eines Beteiligten in Verbindung mit dem Grundsatz rechtlichen Gehörs zur Unzulässigkeit der Klage führt. Das Bundesverwaltungsgericht hat dort in einem Verfahren der Anerkennung eines Kriegsdienstverweigers der Vernehmung des Klägers für die abschließende Meinungsbildung des Gerichts anders als in sonstigen Streitigkeiten eine größere, meist sogar eine maßgebliche Rolle zuerkannt; es hat den Eindruck, den sich das Gericht aufgrund der Vernehmung von der Persönlichkeit des Kriegsdienstverweigerers bildet, als Kern der tatrichterlichen Beweiswürdigung angesehen ( BVerwG 6 C 5.75 - BVerwGE 50, 275 <277> = Buchholz 448.0 § 25 WPflG Nr. 98 S. 34 f.). Auch daraus hat es indes kein Prozesshindernis abgeleitet, sondern es lediglich für möglich gehalten, dass die Nichtberücksichtigung der Verhandlungsunfähigkeit des Klägers trotz anwaltlicher Vertretung einen Gehörsverstoß begründen kann (Urteil vom a.a.O.).

b) Das Gehörsgebot nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO gibt jedem Beteiligten ein Recht darauf, Gelegenheit zu erhalten, im Verfahren zu Wort zu kommen, namentlich zu den Sachverhaltsermittlungen des Gerichts und der darauf beruhenden Beweiswürdigung. Dem entspricht die grundsätzliche Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Aber auch jenseits des von Art. 103 Abs. 1 GG erfassten Schutzbereichs gebietet der rechtsstaatliche Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) einen Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen. Dem Verfahrensbeteiligten muss die Möglichkeit eingeräumt sein, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen, um nicht zum bloßen Objekt staatlicher Entscheidung zu werden ( - BVerfGE 101, 397 <405>).

Diese verfassungsrechtlichen Grundsätze bestimmen auch das Disziplinarverfahren ( - juris Rn. 4). Sie können je nach den Umständen des Einzelfalles dadurch gewahrt werden, dass der Beamte, der sich wegen Verhandlungsunfähigkeit nicht selbst in verständiger Weise verteidigen kann, im Disziplinarverfahren durch einen Prozesspfleger vertreten wird, der sich mit dem Verfahrensstoff sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für den Beamten auseinanderzusetzen vermag.

c) Das Gericht ist freilich gehalten, bei den Feststellungen zum Vorliegen eines Dienstvergehens und der Umstände, die für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG maßgeblich sind, aus der Aussageunfähigkeit des Beamten für ihn keine nachteiligen Schlüsse zu ziehen. Scheitert eine disziplinarrechtlich relevante Feststellung an der Verhandlungsunfähigkeit des Beamten, wird es dem Grundsatz besondere Beachtung zu schenken haben, dass nur solche belastenden Tatsachen berücksichtigt werden dürfen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen, während entlastende Umstände nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" schon dann beachtlich sind, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist ( BVerwG 2 C 30.05 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 50 <insoweit nicht veröffentlicht>, juris Rn. 26).

Dass die Feststellung eines objektiven Dienstvergehens auch ohne die Mitwirkung des angeschuldigten Beamten im Disziplinarklageverfahren zulässig ist, folgt bereits daraus, dass das Bundesdisziplinargesetz keine Verpflichtung des Beamten kennt, sich zu den Anschuldigungen zu äußern (§ 20 Abs. 1 Satz 3 BDG). Der Mitwirkung des Beamten bedarf es zur Feststellung eines Dienstvergehens nicht, wenn dieser sich bewusst dafür entscheidet, zu den Vorwürfen zu schweigen, um sich nicht selbst zu belasten (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 3 BDG). Auch die durch § 57 Abs. 1 BDG angeordnete Bindung an tatsächliche Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils verdeutlicht, dass die erforderliche Sachaufklärung im Einzelfall auch ohne Äußerung des Beamten möglich ist. Mit Blick auf die im Rahmen des § 13 BDG gebotene prognostische Gesamtwürdigung ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass § 13 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 BDG die - hier in Rede stehende - Aberkennung des Ruhegehalts (§ 12 BDG) als zwingende Folge anordnet, wenn der Beamte als aktiver Beamter das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hätte. Liegt ein solcher Fall vor, kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beachtlich sein, dass selbst zugunsten des Beklagten unterstellte Milderungsgründe nicht ein solches Gewicht erlangen können, das es erlaubt, vom Ausspruch der schärfsten Disziplinarmaßnahme abzusehen (Urteil vom a.a.O. <insoweit in Buchholz nicht veröffentlicht>, juris Rn. 22 ff.).

Kann allerdings der Beamte im Disziplinarverfahren aufgrund seiner Verhandlungsunfähigkeit keine bewusste Entscheidung für oder gegen eine Mitwirkung im Verfahren mehr treffen, hängt es von den Umständen des Einzelfalles ab, ob sich sein aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs folgender Mitwirkungsanspruch durch die Tätigkeit seines Prozesspflegers noch verwirklichen lässt. Dies kann sowohl die Feststellung des disziplinarrechtlich relevanten Sachverhalts als auch dessen Würdigung betreffen (vgl. Urteil vom a.a.O. und BVerwG 2 B 63.08 - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 29 und BVerwG 1 D 13.05 - juris Rn. 19). Dabei hat das Gericht den aus dem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Anspruch des Beamten auf Beweisteilhabe (vgl. - NJW 2001, 2245) zu beachten. Dieses Recht, zu den belastenden Beweismitteln Stellung zu nehmen wird in der Regel durch den Prozesspfleger ausgeübt werden können. Wenn es jedoch um den Nachweis von Tatsachen geht, zu denen sich nur der Beamte selbst aufgrund seiner höchstpersönlichen Wahrnehmung des angeschuldigten Geschehens aufgrund unmittelbaren Erlebens äußern kann, wird sich sein Mitwirkungsrecht durch den bestellten Prozesspfleger vielfach nicht verwirklichen lassen. Die Verhandlungsunfähigkeit des Beamten ist in diesem Fall nicht kompensierbar; eine Beweiswürdigung des Gerichts bleibt zwangsläufig unvollständig. In Fällen, in denen die Glaubwürdigkeit eines Dritten und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage zu bewerten sind und hierfür der Beamte selbst, wäre er hierzu in der Lage, Angaben machen könnte, wird eine verlässliche Würdigung des Sachverhalts vielfach nicht möglich sein. Dies wird im Regelfall zu einem verfassungsrechtlich geforderten Maßnahmeverbot führen.

4. Da das Oberverwaltungsgericht mangels einer inhaltlichen Prüfung des Begehrens des Klägers keine Tatsachenfeststellungen getroffen hat, ist eine Zurückverweisung geboten, § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO. Bei seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Oberverwaltungsgericht zum einen zu prüfen haben, ob an der Bestellung des Prozessbevollmächtigten als Prozesspfleger festgehalten werden kann, weil bei der Wahrnehmung der Aufgaben eines Prozesspflegers einerseits und eines Prozessbevollmächtigten andererseits Interessenkollisionen auftreten können. Zum anderen wird das Berufungsgericht berücksichtigen müssen, dass über die vom Verwaltungsgericht - möglicherweise ohne vorherige Anhörung der Beteiligten - nach § 56 BDG vorgenommene Beschränkung hinaus der Umfang der Dienstvergehen, die noch Gegenstand dieses Verfahrens sein können, aus prozessualen Gründen verringert ist. Denn der Kläger ist der auf § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG gestützten Aufforderung zur Beseitigung der nach Maßgabe der Rechtsprechung des BVerwG 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 27 und vom - BVerwG 1 D 1.06 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 <insoweit nicht veröffentlicht> juris Rn. 21) beanstandeten Mängel der Klageschrift (§ 52 Abs. 1 Satz 2 BDG) hinsichtlich der Anschuldigungen, die das Verhalten des Beklagten gegenüber der Firma K. betreffen, nicht fristgerecht nachgekommen. Maßgeblich ist insofern die durch Beschluss der Kammer gesetzte und nicht die durch den Vorsitzenden der Disziplinarkammer verlängerte Frist.

a) Nach § 55 Abs. 3 Satz 2 BDG i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 3 BDG ist eine Fristverlängerung möglich; sie muss jedoch ebenso wie die Fristsetzung selbst gemäß § 53 Abs. 2 Satz 4 BDG durch Beschluss erfolgen. Den Beschluss fassen kann nur die Disziplinarkammer (§ 46 Abs. 1 BDG). Nur sie ist Gericht im Sinne des § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG (Weiß, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, § 55 BDG <Stand: XII.06> Rn. 41), nicht der Vorsitzende. Die Entscheidungen, die im vorbereitenden Verfahren allein der Vorsitzende oder - nach Abs. 3 Satz 2 - der Berichterstatter treffen kann, sind in § 46 Abs. 3 BDG enumerativ ausgewiesen. Auch das im Disziplinarklageverfahren bestehende Verbot des Einzelrichters (§ 46 Abs. 2 Satz 2 BDG) steht der Befugnis des Vorsitzenden entgegen, die gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG gesetzte Frist zu verlängern.

b) Wird ein wesentlicher Mangel, zu dessen Beseitigung das Gericht dem Dienstherrn gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG eine Frist gesetzt hat, innerhalb der Frist nicht beseitigt, ist das Disziplinarverfahren mit der Folge des § 55 Abs. 4 BDG einzustellen. Betrifft der Mangel nur eines von mehreren Dienstvergehen, kann das Disziplinarverfahren wegen sonstiger, von einem Mangel nicht berührter Dienstvergehen weitergeführt werden. Dem liegt die vom Senat bereits zur Bundesdisziplinarordnung vertretene Rechtsauffassung zugrunde, dass der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens keine erschöpfende Sachbehandlung der in das Disziplinarverfahren einbezogenen Pflichtenverstöße verlangt, wenn das Beamtenverhältnis bereits wegen derjenigen in tatsächlicher Hinsicht abgegrenzten Pflichtenverstöße aufzulösen sein könnte, die rechtsfehlerfrei angeschuldigt worden sind (Urteil vom a.a.O. <insoweit in Buchholz nicht veröffentlicht> juris Rn. 21).

c) Die Fristsetzung des Verwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom betraf nur einen Teil der Klageschrift, nämlich diejenigen dem Beklagten als Dienstvergehen zur Last gelegten Tatsachen, die in der Klageschrift nicht hinreichend konkretisiert waren; das waren ausschließlich Handlungen und Unterlassungen des Beklagten in Bezug auf die Fa. Max K. Dieser Sachverhaltskomplex kann infolge der Fristversäumung des Klägers nicht mehr Gegenstand der Disziplinarklage sein. Demgegenüber bedurften die Tatsachen hinsichtlich des gegen den Beklagten erhobenen Vorwurfs, im Jahr 1996 von der Fa. W. Geldzuwendungen in Höhe von 25 000 DM erhalten zu haben, keiner Konkretisierung; sie waren deshalb von der Fristsetzung des Verwaltungsgerichts nicht erfasst. Folglich kann das Disziplinarverfahren in Bezug auf das durch diese Tatsachen begründete Dienstvergehen fortgeführt werden, sobald der Beklagte ordnungsgemäß durch einen Prozesspfleger vertreten ist.

Fundstelle(n):
UAAAD-34458