Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 3 Abs. 1
Instanzenzug: LG Saarbrücken, 7 KFH O 42/09 vom
Gründe
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Kostenentscheidung in einem landgerichtlichen Urteil.
1. Der Beschwerdeführer verkaufte unter anderem über das Internet Gold- und Silberartikel. Der spätere Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Verfügungsbeklagter) betrieb einen Einzelhandel mit Uhren und Schmuck und bot über eine Internetplattform als gewerblicher Verkäufer ein Goldarmband für Kinder zum Kauf an, ohne dabei über das gesetzliche Widerrufs- und Rückgaberecht zu informieren. Deshalb forderte der Beschwerdeführer ihn zur Unterlassung und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Der Verfügungsbeklagte gab eine Unterlassungserklärung ab. Er erstreckte diese aber nicht, wie vom Beschwerdeführer gefordert, insgesamt auf das Anbieten von Goldschmuck, sondern beschränkte sie auf Kindergoldarmbänder beziehungsweise Baby- und Kindergoldschmuckarmbänder. Weiter verpflichtete er sich zwar für jeden Fall der Zuwiderhandlung zur Zahlung einer Vertragsstrafe, allerdings nicht, wie vom Beschwerdeführer gefordert, in Höhe von 1.000 €, sondern lediglich in Höhe von 500 €. Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer beim Landgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung, die antragsgemäß erging. Unter Ziffer 1 des Tenors untersagte das Gericht dem Verfügungsbeklagten, im geschäftlichen Verkehr gegenüber privaten Endverbrauchern in dem fraglichen Internetauktionshaus Angebote zum Abschluss von Fernabsatzverträgen über Goldschmuck zu unterbreiten und/oder zur Abgabe von Angeboten zum Abschluss solcher Verträge aufzufordern, ohne rechtzeitig vor Vertragsschluss über das Widerrufs- und Rückgaberecht zu informieren. Unter Ziffer 2 drohte das Gericht Ordnungsmittel für jeden Fall der Zuwiderhandlung an. Unter Ziffer 3 wurden dem Verfügungsbeklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Auf den Widerspruch des Verfügungsbeklagten führte das Landgericht eine mündliche Verhandlung durch. Vergleichsbemühungen des Gerichts führten zu keinem Erfolg. Mit Urteil vom bestätigte das Landgericht die einstweilige Verfügung in Ziffer 1 und 2 des Tenors. Ziffer 3 hob das Gericht jedoch auf und entschied stattdessen, dass die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben seien. Den Unterlassungsanspruch stützte das Gericht auf § 8 in Verbindung mit §§ 3 und 4 Ziffer 11 UWG. Die vom Verfügungsbeklagten abgegebene Unterlassungsverpflichtungserklärung genüge nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Wiederholungsgefahr habe sich nicht nur auf das Angebot von zu gravierenden Kinderarmbändern bezogen, sondern auch auf anderen Goldschmuck. Die Unterlassungserklärung hätte sich deshalb nach Auffassung des Gerichts - wie vom Beschwerdeführer beantragt - auf "Goldschmuck allgemein" beziehen müssen. Dagegen hielt das Landgericht die vom Verfügungsbeklagten angesetzte Vertragsstrafe in Höhe von 500 € pro Zuwiderhandlung für ausreichend. Abschließend führte das Gericht aus, im Hinblick darauf, dass die einstweilige Verfügung die Androhung von Ordnungsmitteln gemäß § 890 ZPO enthalte, sei sie zwar in Punkt 1 und 2 nicht abzuändern gewesen. Da der Beschwerdeführer den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung aber auch auf die nach seiner Ansicht zu niedrig angesetzte Vertragsstrafe gestützt habe, sei dies bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen; deshalb seien die Kosten gemäß § 92 Abs. 1 ZPO gegeneinander aufzuheben.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Kostenentscheidung in dem Urteil und rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Die Kostenentscheidung sei willkürlich. Obwohl das Gericht die einstweilige Verfügung bestätigt habe, habe es die Kosten nicht gemäß § 91 Abs. 1 ZPO dem Verfügungsbeklagten auferlegt, sondern sie gemäß § 92 Abs. 1 ZPO gegeneinander aufgehoben. Die dafür gegebene Begründung sei derart konstruiert, dass sie nur von sachfremden Erwägungen geleitet sein könne. In diesem Zusammenhang verweist der Beschwerdeführer darauf, dass er einen Vergleichsvorschlag des Gerichts abgelehnt habe, wonach der Verfügungsbeklagte die fragliche Unterlassungserklärung abgeben sollte und die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben werden sollten.
3. Das Ministerium der Justiz des Saarlandes und der Verfügungsbeklagte des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit, zu der Verfassungsbeschwerde Stellung zu nehmen. Die Akte des Ausgangsverfahrens ist beigezogen worden.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg erschöpft (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Das Rechtsmittel der Berufung stand ihm nicht offen, weil § 99 Abs. 1 ZPO die isolierte Anfechtung einer Kostenentscheidung ausschließt und der Beschwerdeführer durch die Entscheidung in der Sache nicht beschwert ist (vgl. dazu Heßler, in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, vor § 511 Rn. 22).
Der Verfassungsbeschwerde fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Insoweit ist nicht zu beanstanden, dass sie sich (lediglich) gegen eine Kostenentscheidung richtet. Der geltend gemachte Verfassungsverstoß bezieht sich nämlich ausschließlich auf diese Entscheidung. In einem solchen Fall besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für eine verfassungsgerichtliche Überprüfung der Kostenentscheidung, denn anderenfalls wäre der verfassungsgerichtliche Rechtsschutz lückenhaft, weil der Betroffene keine Möglichkeit hätte, sich gegen eine selbständig darin enthaltene Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte zur Wehr zu setzen (vgl. BVerfGE 74, 78 <90>).
2. Die angegriffene Kostenentscheidung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot.
Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Die fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung allerdings nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Eine Maßnahme ist willkürlich, die im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich (vgl. BVerfGE 83, 82 <84>; 86, 59 <62 f.>; 89, 1 <13>).
Gemessen an diesem Maßstab stellt sich die Kostenentscheidung des Landgerichts als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot dar. Sie ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr verständlich. Es liegt ein eindeutiger und nicht nachvollziehbarer Verstoß gegen die Grundsätze der Kostentragungspflicht nach den §§ 91 ff. ZPO vor. Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Dagegen sind die Kosten gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Hier konkretisiert sich der Grundsatz, dass bei streitigen Verfahren die Prozesskosten regelmäßig vom unterlegenen Teil zu tragen sind, weil derjenige, der unterliegt, die Vermutung gegen sich hat, zum Streit Anlass gegeben zu haben (vgl. BGHZ 168, 57 <61>). Wer unterlegen ist, bestimmt sich nach dem Sachantrag: Dringt der Kläger mit ihm durch, hat er obsiegt (vgl. Bork, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2004, vor § 91 Rn. 7; Giebel, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2008, § 91 Rn. 13; Wolst, in: Musielak, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 7. Aufl. 2009, § 91 Rn. 5); der Grund des Unterliegens ist grundsätzlich gleichgültig (vgl. Steiner, in: Wieczorek/Schütze, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 3. Aufl. 1994, § 91 Rn. 1). Angesichts dieser klaren Rechtslage und ausgehend von dem insoweit maßgeblichen Rechtsstandpunkt des Landgerichts zur Hauptsache ist es nicht nachvollziehbar, weshalb dem Beschwerdeführer eine Kostenerstattung verwehrt worden ist; denn nach Auffassung des Landgerichts hatte er mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auch nach dem Widerspruch des Verfügungsbeklagten in vollem Umfang Erfolg (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2094/05 -, juris). Das Landgericht hat die vom Verfügungsbeklagten für Kindergoldarmbänder beziehungsweise Baby- und Kindergoldschmuckarmbänder abgegebene strafbewehrte Unterlassungserklärung nicht als genügend angesehen, um hinsichtlich dieser Angebote die Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen und die erlassene einstweilige Verfügung insoweit teilweise aufzuheben. Es hat vielmehr das Fortbestehen der Wiederholungsgefahr für den Fernabsatz von "Goldschmuck allgemein" bejaht und auf dieser Grundlage die Unterlassungsverfügung nebst der Androhung von Ordnungsmitteln bestätigt.
Die Beurteilung der Entscheidung als willkürlich wird nicht dadurch infrage gestellt, dass das Landgericht eine Begründung für die Kostenentscheidung gibt. Der Willkürvorwurf kann sich im Einzelfall gerade daraus ergeben, dass ohne nähere Begründung vom eindeutigen Gesetzeswortlaut abgewichen wird und der Grund hierfür nicht eindeutig zu erkennen ist (vgl. BVerfGE 71, 122 <135 f.>); demgegenüber kann von willkürlicher Missdeutung nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 <279>). Vorliegend gibt das Gericht zwar formal zumindest eine kurze Begründung für seine Kostenentscheidung, indem es darauf verweist, dass der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen zur Höhe der Vertragsstrafe nicht durchgedrungen sei. Auch die Aussage, dass die Ziffern 1 und 2 des Tenors im Hinblick auf die Androhung von Ordnungsmitteln gemäß § 890 ZPO nicht abzuändern gewesen seien, soll möglicherweise zur Begründung der Kostenentscheidung beitragen. Diese Ausführungen lassen aber nicht ansatzweise einen Bezug zu den Voraussetzungen der §§ 91, 92 ZPO erkennen und sind deshalb nicht geeignet, die Beurteilung der Kostenentscheidung als willkürlich infrage zu stellen. Die Höhe der Vertragsstrafe ist bedeutsam für die Frage, ob eine Wiederholungsgefahr besteht; sie betrifft also die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs (vgl. Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 27. Aufl. 2009, § 8 Rn. 1.32 und 1.38, § 12 Rn. 1.139). Nachdem das Landgericht aber trotz des Vertragsstrafeversprechens die vom Verfügungsbeklagten abgegebene Unterlassungserklärung als nicht ausreichend angesehen hat, ist die Höhe der Vertragsstrafe ohne Einfluss auf die Entscheidung in der Hauptsache geblieben. Deshalb ist nicht nachvollziehbar, weshalb sich unter diesem Gesichtspunkt ein teilweises Obsiegen des Verfügungsbeklagten ergeben soll. Auch der Verweis des Landgerichts auf § 890 ZPO führt in diesem Zusammenhang nicht weiter; denn diese Vorschrift regelt die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs, während die Höhe der Vertragsstrafe dessen Voraussetzungen betrifft.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2010 S. 1349 Nr. 19
OAAAD-34392