BVerwG Urteil v. - 1 C 30.08

Leitsatz

1. Die Titelerteilungssperre des am in Kraft getretenen § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erfasst nicht die Fälle, in denen die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 AsylVfG bereits vor diesem Zeitpunkt bestandskräftig geworden ist.

2. Die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 AsylVfG setzt voraus, dass sich aus dem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für den Betroffenen eindeutig ergibt, dass der Offensichtlichkeitsausspruch gerade auf diese Vorschrift gestützt wird; dafür ist in der Regel erforderlich, dass die Vorschrift in der Begründung des Bescheides ausdrücklich genannt wird.

Gesetze: AufenthG § 10 Abs. 3; AufenthG § 25 Abs. 5; AsylVfG § 30 Abs. 1; AsylVfG § 30 Abs. 3; AuslG 1990 § 30 Abs. 5; VwVfG § 51; VwGO § 137 Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4

Instanzenzug: VG München, M 25 K 106/06 vom VGH München, 10 B 2961/06 vom Fachpresse: ja BVerwGE: ja

Gründe

I

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.

Der 1976 geborene Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben im Oktober 2002 zusammen mit seiner weißrussischen Lebensgefährtin in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Er gab an, er habe seit 1996 in Weißrussland studiert, wo er auch seine Lebensgefährtin kennengelernt habe. Wegen Problemen mit der dortigen Regierung sei er mit ihr 2001 nach Pakistan zurückgekehrt. Da er dort als Sympathisant der Organisation MQM verfolgt worden sei, seien sie beide mit Hilfe eines Schleusers, dem sie auch ihre Pässe ausgehändigt hätten, nach Deutschland gelangt. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - lehnte mit Bescheid vom das Asylbegehren als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorliegen. Ferner stellte es fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan an. In der Begründung des Bescheides heißt es, eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG komme schon wegen der Einreise des Klägers aus einem sicheren Drittstaat nicht in Betracht. Unabhängig davon sei sowohl der Antrag auf Asylanerkennung als auch der Antrag auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gemäß § 30 Abs. 1 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Der Vortrag des Klägers über seine Verfolgung in Pakistan sei in wesentlichen Punkten unsubstantiiert. Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit am rechtskräftig gewordenem Urteil ab. Auch die Asylanträge der Lebensgefährtin des Klägers und der beiden gemeinsamen 2003 und 2006 in Deutschland geborenen Kinder blieben erfolglos.

Im Oktober 2005 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Das Landratsamt teilte ihm daraufhin mit, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis das Fehlen eines Reisepasses entgegenstehe und von der Passpflicht auch nicht abgesehen werden könne.

Zur Begründung seiner im Januar 2006 erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, er verfüge über ausreichendes Einkommen und ausreichenden Wohnraum für sich und seine Familie und sei seit über eineinhalb Jahren im Besitz von Duldungen. Er habe sich 2004 und 2006 bei der pakistanischen Botschaft vergeblich um die Ausstellung eines Passes bemüht. Man habe ihm dort aber vorgehalten, dass er in Deutschland einen Asylantrag gestellt habe. Da er mit seiner Frau nicht gesetzlich verheiratet sei und seine Kinder nichtehelich geboren seien, könnten sie nicht die pakistanische Staatsangehörigkeit erhalten und auch nicht mit ihm gemeinsam nach Pakistan ausreisen.

Das Verwaltungsgericht München hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dem Kläger könne nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG schon deshalb kein Aufenthaltstitel erteilt werden, weil sein Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei und er keinen gesetzlich gebundenen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels habe.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen - übereinstimmend mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil - ausgeführt: Der Kläger habe wegen der Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Sein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sei als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden, weil die wesentlichen Umstände, auf die der Kläger seine Verfolgungsfurcht gestützt habe, unsubstantiiert geschildert worden seien. Damit werde aus der Begründung des Ablehnungsbescheides auch ohne ausdrückliche Bezugnahme auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG eindeutig erkennbar, dass der Kläger das Asylverfahren in einer vom Gesetzgeber missbilligten Art und Weise in Anspruch genommen habe. Bei der in dieser Vorschrift erfassten unzureichenden Darstellung des individuellen Verfolgungsschicksals handele es sich ebenso wie bei gefälschten Beweismitteln um typische, ohne weiteres für den betroffenen Asylbewerber erkennbare Fallgruppen der offensichtlichen Unbegründetheit, bei denen sich das Vorbringen des Asylbewerbers insgesamt als unglaubwürdig erweise. Der Anwendung der Vorschrift stehe auch nicht entgegen, dass das Asylverfahren des Klägers bereits vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes abgeschlossen gewesen sei. Mangels einer besonderen Übergangsregelung im Aufenthaltsgesetz finde die neu eingeführte schärfere Bestimmung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auf alle Fälle Anwendung, in denen nach dem über die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu entscheiden sei. Hiergegen bestünden auch unter dem Gesichtpunkt des Vertrauensschutzes keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Sperrwirkung werde auch nicht durch die Ausnahmeregelung in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG überwunden. Diese Regelung erfasse nur gesetzlich gebundene Entscheidungen, was insbesondere auch die Einführung des neuen Halbsatzes 2 durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom deutlich mache. Der Sollanspruch nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, auf den sich der Kläger berufe, falle deshalb nicht unter die Ausnahmeregelung.

Mit seiner Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Der Verwaltungsgerichtshof habe zu Unrecht § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG angewandt, obwohl in dem Bescheid des Bundesamts die Ablehnung als offensichtlich unbegründet nicht ausdrücklich unter Bezugnahme auf § 30 Abs. 3 AsylVfG ausgesprochen worden sei. Wolle man derart schwerwiegende Rechtsfolgen wie die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG an eine Entscheidung knüpfen, sei die Erwähnung der maßgeblichen Normen aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit unabdingbare Voraussetzung. Außerdem habe die Bestimmung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zum Zeitpunkt der Beendigung seines Asylverfahrens noch nicht existiert. Eine Anfechtung der Entscheidung im Asylverfahren allein mit der Begründung, dass er sich gegen die Zurückweisung als offensichtlich unbegründet wende, sei seinerzeit nicht möglich gewesen. Auch eine Hinweispflicht auf diese Rechtsfolgen, wie sie jetzt in § 14 Abs. 1 Satz 2 und 3 AsylVfG vorgeschrieben sei, habe es damals noch nicht gegeben. Ferner sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs nicht nur bei gesetzlich gebundenen Ansprüchen, sondern auch bei Ansprüchen aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null eine Ausnahme von der Sperrwirkung nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zuzulassen. Ein solcher Fall liege bei ihm vor, weil er zusammen mit seiner Familie weder nach Pakistan noch nach Weißrussland ausreisen könne und ein gemeinsames Familienleben deshalb nur in Deutschland möglich sei.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und ist der Auffassung, dass das Revisionsgericht an die tatsächliche Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs gebunden sei, der zufolge der Asylantrag des Klägers unanfechtbar als offensichtlich unbegründet im Sinne von § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG abgelehnt worden sei. Unabhängig davon bedürfe es aber für die Auslösung der Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auch keiner ausdrücklichen Zitierung von § 30 Abs. 3 AsylVfG, wenn - wie hier - aus den Gründen des Bescheides eindeutig hervorgehe, dass die Voraussetzungen für eine derartige qualifizierte Ablehnung vorlägen.

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht teilt ebenfalls die Auffassung des Berufungsgerichts, dass § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auch für Fälle gelte, in denen der Asylantrag bereits vor dem unanfechtbar nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt worden ist. Der damit verbundenen unechten Rückwirkung stünden schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegen.

II

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegensteht. Mangels ausreichender Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs zum Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Verfahren ist deshalb an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht der Erteilung der vom Kläger begehrten Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht entgegen. Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Gemäß Satz 2 der Vorschrift darf, sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 des Asylverfahrensgesetzes abgelehnt wurde, vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Diese Bestimmung verbietet also - vorbehaltlich der in Satz 3 geregelten Ausnahmen - auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 5 (Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen). Diese vor der Ausreise geltende strikte Titelerteilungssperre in Fällen, in denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - den Asylantrag als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt hat, ist erst mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am eingeführt worden. Sie stellt eine erhebliche Verschärfung gegenüber der früheren Rechtslage nach dem Ausländergesetz 1990 dar, das in § 30 Abs. 5 AuslG nur eine dem § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entsprechende Regelung enthielt und eine besondere aufenthaltsrechtliche Sanktion im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 30 Abs. 3 AsylVfG nicht kannte.

Das Berufungsurteil beruht auf zwei Annahmen zur Anwendung von § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, die beide nicht mit Bundesrecht vereinbar sind. Es geht zunächst zu Unrecht davon aus, dass die Vorschrift auch auf Altfälle wie den des Klägers anwendbar ist, in denen die Ablehnung des Asylantrags nach § 30 Abs. 3 AsylVfG bereits vor Inkrafttreten des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG am bestandskräftig geworden ist (a). Außerdem nimmt es zu Unrecht an, dass im Falle des Klägers der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde und damit die tatbestandliche Voraussetzung für das Eingreifen der Sperre nach dieser Vorschrift vorliegt (b).

a) Der Senat hat in seinem BVerwG 1 C 37.07 - (Buchholz 402.242 § 10 AufenthG Nr. 2, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, <Rn. 13>) entschieden, dass § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auch bei vor seinem Inkrafttreten erlassenen, auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützten Bescheiden des Bundesamts eingreift, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestandskräftig waren. Er hat dies aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Übergangsvorschrift sowie aus dem Willen des Gesetzgebers hergeleitet, die aufenthaltsrechtliche Sanktionierung eines Missbrauchs im Asylverfahren möglichst rasch und damit effektiv zu verwirklichen. Ferner hat er ausgeführt, dass es sich bei der Anwendung der Vorschrift auf diese Altfälle lediglich um eine tatbestandliche Rückanknüpfung - und nicht um eine sogenannte echte Rückwirkung - handele und schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen dadurch nicht verletzt werde. Der Senat hat die Anwendbarkeit der Regelung jedoch ausdrücklich nur für den - seinerzeit zu entscheidenden - Fall bejaht, in dem der Asylantrag am noch nicht bestandskräftig nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt war. Er hat hierzu ausgeführt, dass insoweit auch im Hinblick auf Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) keine Bedenken bestünden, weil der Betroffene in diesem Fall noch die Möglichkeit gehabt habe, die gerichtliche Überprüfung und ggf. die Aufhebung eines auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützten Offensichtlichkeitsausspruchs des Bundesamts zu erreichen. Denn für einen derartigen isolierten Anfechtungsantrag besteht seit Einführung der Titelerteilungssperre durch § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerwG 1 C 10.06 - BVerwGE 127, 161 <Rn. 21 f.>). Die in dem Urteil vom noch offen gelassene Frage, was bei bereits zuvor bestandskräftig gewordenen Bescheiden des Bundesamts gilt, entscheidet der Senat nunmehr dahingehend, dass die Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auf Fälle, in denen die auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützten asylrechtlichen Bescheide am bereits bestandskräftig waren, nicht anwendbar ist. Denn eine derartig einschneidende Rechtsfolge, wie sie § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG mit einer zeitlich unbegrenzten Titelerteilungssperre vor der Ausreise vorsieht, erscheint im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nur dann gerechtfertigt, wenn der Betroffene auch die Möglichkeit hat, einen unzutreffenden Offensichtlichkeitsausspruch des Bundesamts nach § 30 Abs. 3 AsylVfG gerichtlich überprüfen zu lassen (vgl. auch Discher, in: GK-AufenthG, Stand: Oktober 2005, § 10 AufenthG Rn. 194). Dies war bei vor dem bestandskräftig gewordenen Ablehnungsbescheiden des Bundesamts jedoch nicht der Fall, weil es an einem Rechtschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage gegen den Offensichtlichkeitsausspruch nach § 30 Abs. 3 AsylVfG fehlte.

Den Betroffenen steht auch kein geeignetes Mittel zur Verfügung, diesen qualifizierten Offensichtlichkeitsausspruch nunmehr trotz Bestandskraft des Bundesamtsbescheides nachträglich gerichtlich überprüfen zu lassen. Der zum Teil in Erwägung gezogene Weg über ein Wiederaufgreifen des asylrechtlichen Verfahrens vor dem Bundesamt nach § 51 VwVfG (vgl. Wenger, in: Storr u.a., Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 10 Rn. 7) bietet insofern keine ausreichende Alternative. Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG scheidet schon deshalb aus, weil sich die dem Offensichtlichkeitsausspruch des Bundesamts zugrunde liegende Sach- und Rechtslage durch die Einführung von § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht nachträglich geändert hat. Ob der Betroffene über ein im Ermessen des Bundesamts stehendes Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG und einen entsprechenden Zweitbescheid das Ziel einer gerichtlichen Überprüfung erreichen könnte (VG Oldenburg, Urteil vom - 11 A 3408/07 - [...] <Rn. 23>), erscheint ebenfalls zweifelhaft. Auch wenn ein solcher, auf den qualifizierten Offensichtlichkeitsausspruch bezogener Wiederaufgreifensantrag nicht den Einschränkungen des § 71 AsylVfG unterliegen sollte, liegt es nicht auf der Hand, dass das Ermessen des Bundesamts in jedem Fall dahingehend reduziert ist, trotz Bestandskraft des Bescheides und unveränderter Sach- und Rechtslage einen Zweitbescheid zu erlassen und damit eine gerichtliche Sachprüfung des Offensichtlichkeitsausspruchs zu eröffnen. Insgesamt ist das Wiederaufgreifen des asylrechtlichen Verfahrens daher kein geeignetes Mittel, den bis zum fehlenden gerichtlichen Rechtsschutz gegen den Offensichtlichkeitsausspruch gemäß § 30 Abs. 3 AsylVfG im Ausgangsbescheid zu ersetzen. Auch der vereinzelt vorgeschlagene Weg, in derartigen Altfällen ausnahmsweise der Ausländerbehörde die Befugnis zu einer inhaltlichen Überprüfung des Offensichtlichkeitsausspruchs im Bescheid des Bundesamts einzuräumen (vgl. - [...] <Rn. 31>), ist nicht gangbar. Eine solche Prüfungsbefugnis der Ausländerbehörde widerspräche sowohl dem Wortlaut der Vorschrift als auch der gesetzgeberischen Konzeption. Denn der Gesetzgeber hat die Rechtsfolge der Titelerteilungssperre bewusst an den formalen Offensichtlichkeitsausspruch des Bundesamts in dem Ablehnungsbescheid geknüpft und nicht, wie noch im Referentenentwurf vorgesehen, materiellrechtlich an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 AsylVfG, das zu einer inzidenten Prüfung dieser Voraussetzungen durch die Ausländerbehörde geführt hätte (vgl. hierzu auch Urteil des Senats vom - BVerwG 1 C 37.07 - a.a.O. <Rn. 15> unter Hinweis auf Wenger, in: Storr u.a., a.a.O. § 10 Rn. 7).

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber, sofern er die Problematik der fehlenden Rechtsschutzmöglichkeit in bestandskräftig abgeschlossenen Altfällen erkannt hätte, diese Fälle mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG von der neu eingeführten Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausgenommen hätte. Diese einschränkende Auslegung für Übergangsfälle führt auch angesichts des mit der Vorschrift verfolgten Zwecks der Bekämpfung des Asylmissbrauchs nicht zu unangemessenen Ergebnissen. Denn der Schwerpunkt der Zielrichtung der aufenthaltsrechtlichen Sanktion für eine missbräuchliche Asylantragstellung liegt, wie auch die neu eingeführte Hinweispflicht in § 14 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG zeigt, in der Vermeidung künftiger Missbrauchsfälle. Wenn es aus Gründen der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes in bestandskräftig abgeschlossenen Altfällen bei der bisherigen aufenthaltsrechtlichen Lage verbleibt, erscheint dies bei Abwägung der schutzwürdigen privaten und öffentlichen Belange hinnehmbar.

Da der den Asylantrag des Klägers ablehnende Bescheid des Bundesamts bereits am bestandskräftig geworden ist, entfaltet er keine Sperrwirkung nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zum Nachteil des Klägers.

b) Unabhängig davon liegen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Falle des Klägers nicht vor, weil sich dem Ablehnungsbescheid des Bundesamts vom nicht entnehmen lässt, dass der Asylantrag des Klägers nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt worden ist. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts hält einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.

aa) Entgegen der Ansicht des Beklagten ist diese Frage nicht schon deshalb mit bindender Wirkung für das Revisionsgericht vorentschieden, weil das Berufungsgericht der Auffassung war, dass der Asylantrag des Klägers "als offensichtlich unbegründet im Sinne von § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG abgelehnt" worden sei. Denn bei diesen Ausführungen handelt es sich nicht um Tatsachenfeststellungen im Sinne des § 137 Abs. 2 VwGO, die für das Revisionsgericht bindend wären, sondern um die Ermittlung des Regelungsgehalts des Bescheides, d.h. um die rechtliche Bewertung des - unstreitigen - Inhalts des Bescheides. Derartige rechtliche Bewertungen im Rahmen der Auslegung eines Verwaltungsakts unterfallen nach Auffassung des Senats grundsätzlich nicht der Bindungswirkung nach § 137 Abs. 2 VwGO und können deshalb vom Revisionsgericht selbständig vorgenommen werden (vgl. allgemein zu dieser Problematik Eichberger, in: Schoch u.a., VwGO, Stand: Januar 2002, § 137 Rn. 156 f. m.w.N.; Neumann in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 137 Rn. 165 ff.). Aber auch wenn man davon ausginge, dass das Revisionsgericht bei der Auslegung von Verwaltungsakten denselben Beschränkungen unterläge wie bei der Auslegung privater Willenserklärungen und nur überprüfen könnte, ob die Auslegung durch die Tatsachengerichte auf einem Rechtsirrtum beruht, gegen gesetzliche Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) verstößt oder allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verletzt, hielten die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Auslegung des Bescheides des Bundesamts einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Denn sie verletzen die für einen solchen Verwaltungsakt geltenden Auslegungsgrundsätze angesichts der materiellrechtlichen Anforderungen die sich aus § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ergeben.

bb) Die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 AsylVfG setzt voraus, dass sich aus dem Bescheid des Bundesamts für den Betroffenen eindeutig ergibt, dass der Offensichtlichkeitsausspruch gerade auf diese Vorschrift gestützt wird. Die bloße Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet reicht hierfür nicht aus, weil das Gesetz nicht nur in den Fällen des § 30 Abs. 3 AsylVfG, sondern auch in anderen Fällen eine derartige Ablehnung vorsieht. So ist nach § 30 Abs. 1 AsylVfG ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter oder für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen, was in Absatz 2 der Vorschrift beispielhaft erläutert wird. Bei Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder § 3 Abs. 2 AsylVfG schreibt § 30 Abs. 4 AsylVfG ebenfalls die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet vor. Für eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 AsylVfG ist es deshalb in der Regel erforderlich, dass die Vorschrift, wenn schon nicht im Tenor, so doch zumindest in der Begründung des Bescheides ausdrücklich genannt wird. Angesichts der gravierenden Rechtsfolgen, die § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG an eine solche qualifizierte Ablehnung knüpft und die nur durch Einlegung von Rechtsmitteln gegen diese Ablehnung vermieden werden können, ist es ein Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, dass die Rechtsgrundlage für den Offensichtlichkeitsausspruch für den Betroffenen insoweit eindeutig und klar erkennbar ist. Dies ist auch mit Blick auf die Ausländerbehörde geboten, die nach der gesetzlichen Konzeption im aufenthaltsrechtlichen Verfahren an den Bescheid des Bundesamts gebunden ist und ihm ohne eigene inhaltliche Prüfung eindeutig entnehmen können muss, dass der Offensichtlichkeitsausspruch auf einen der Missbrauchstatbestände des § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützt wurde.

Diesen Anforderungen genügt der hier zu beurteilende Bescheid des Bundesamts vom nicht. Die Vorschrift des § 30 Abs. 3 AsylVfG wird weder im Tenor noch in der Begründung des Bescheides erwähnt. Im Gegenteil ist als einzige Begründung für den Offensichtlichkeitsausspruch § 30 Abs. 1 AsylVfG mit seinem Wortlaut angeführt (S. 6 oben). Die ausdrückliche Nennung der Vorschrift des § 30 Abs. 3 AsylVfG - hier mit der allein in Betracht kommenden Alternative der Nr. 1 ("in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte und verfälschte Beweismittel gestützt wird") - war auch nicht ausnahmsweise deshalb entbehrlich, weil sich aus den sonstigen Ausführungen des Bescheides eindeutig auf eine Ablehnung nach dieser Vorschrift schließen ließe. Das ist hier schon wegen der ausdrücklichen Bezugnahme des Bescheides auf § 30 Abs. 1 AsylVfG nicht der Fall. Zwar ist es für eine Anwendung von § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht erforderlich, dass das Bundesamt den Offensichtlichkeitsausspruch allein auf § 30 Abs. 3 AsylVfG stützt (vgl. Urteil vom a.a.O <Rn. 16>). Werden jedoch auch andere Gründe für den Offensichtlichkeitsausspruch angeführt, ist es umso mehr geboten, eindeutig klarzustellen, dass auch § 30 Abs. 3 AsylVfG als weitere Rechtsgrundlage herangezogen wird. Soweit das Berufungsgericht es genügen lässt, dass das Bundesamt in dem Bescheid auf die "unsubstantiiert" geschilderten Umstände der behaupteten Verfolgung und Verhaftung abgestellt hat, und darin eine ausreichende inhaltliche Bezugnahme auf eine der in § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG aufgeführten Missbrauchsalternativen sieht, wird dies den oben dargestellten Anforderungen an die Eindeutigkeit des Bescheides nicht gerecht. Im Übrigen lässt ein als unsubstantiiert bezeichnetes Vorbringen auch nicht ohne Weiteres den Schluss auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zu, da die Abgrenzung zwischen unsubstantiiertem, unglaubhaftem oder schlicht für ein Asylbegehren nicht ausreichendem Vorbringen ebenso fließend ist wie die Zuordnung zu den beiden in Betracht kommenden Offensichtlichkeitsgründen nach § 30 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Gerade wenn es um diese Abgrenzung geht, ist es Sache des Bundesamts, in dem Bescheid unzweideutig klarzustellen, dass es seinen Offensichtlichkeitsausspruch (auch) auf den Missbrauchstatbestand nach § 30 Abs. 3 AsylVfG stützen will. Alles andere würde in der Sache auf eine inhaltliche Überprüfung des Bundesamtsbescheides im Aufenthaltserlaubnisverfahren hinauslaufen, die vom Gesetzgeber gerade nicht gewollt war.

Da die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht eingreift, kommt es auf die weitere Frage, ob die Sperrwirkung im Falle eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Grund einer Sollvorschrift (hier § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG) nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG überwunden werden kann, nicht an.

2. Da der Senat mangels tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts nicht selbst abschließend entscheiden kann, ob im Falle des Klägers die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG vorliegen, ist das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorbehalten.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
UAAAD-33421