BGH Beschluss v. - VI ZB 76/08

Leitsatz

[1] Zur Auslegung der Berufungsschrift bei einer Falschbezeichnung des Berufungsklägers.

Gesetze: ZPO § 519 Abs. 2

Instanzenzug: OLG Zweibrücken, 1 U 41/08 vom LG Kaiserslautern, 4 O 158/03 vom

Gründe

I.

Die Klägerin erlitt am einen Verkehrsunfall, bei dem sie erheblich verletzt wurde. Sie hat den Beklagten zu 1 als Unfallverursacher und die Beklagte zu 2, die K. Versicherungs AG, als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom überwiegend stattgegeben. Das Urteil ist der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom , beim Oberlandesgericht eingegangen per Telefax am , hat die Prozessbevollmächtigte Berufung eingelegt und dabei als Berufungsklägerin zu 2 die "Wü. und W. Versicherungs-AG" angegeben. In dem Schriftsatz, der am nochmals unter Beifügung einer Ausfertigung des angefochtenen Urteils eingegangen ist, ist ausgeführt, die Beklagte zu 2 trage nach Verschmelzung einen neuen Namen, der sich auf die Parteibezeichnung auswirke: Die K. Beamtenversicherung sei auf die K. Versicherungs AG verschmolzen und Letztgenannte sei auf die W. verschmolzen, die mit der Wü. nun eine Aktiengesellschaft bilde. Die Bezeichnung habe sich ohne sonstige Auswirkungen in den verantwortlichen Personen geändert, so dass eine Berichtigung genüge. Mit Beschluss vom , zugestellt am , hat das Oberlandesgericht der Prozessbevollmächtigten den Hinweis erteilt, die Berufung der Berufungsklägerin zu 2 sei mangels eigener Beschwer unzulässig. Am hat die Prozessbevollmächtigte im Namen der Beklagten zu 2 unter der Bezeichnung "W. Versicherungs-AG" äußerst hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich Berufung eingelegt.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht die Berufung der "Wü. und W. Versicherungs-AG" als unzulässig verworfen, weil diese Partei nicht existent sei. Eine Umdeutung oder Heilung des Bezeichnungsmangels in ein Rechtsmittel der Beklagten zu 2 komme nicht in Betracht, weil keine offensichtliche Falschbezeichnung vorliege. Die Prozessbevollmächtigte habe vielmehr ausdrücklich und schlüssig dargelegt, dass die nicht existente Berufungsklägerin durch Verschmelzung entstanden und Rechtsnachfolgerin der Beklagten zu 2 sei. Deren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist hat das Oberlandesgericht als unzulässig zurückgewiesen, weil die fehlende Angabe eines Rechtsmittelklägers einen inhaltlichen Mangel der Berufungsschrift darstelle, der nicht im Wege der Wiedereinsetzung geheilt werden könne. Dessen ungeachtet sei der Wiedereinsetzungsantrag auch verspätet gestellt worden, denn die Prozessbevollmächtigte, deren Verschulden sich die Beklagte zu 2 zurechnen lassen müsse, habe spätestens mit der Vorlage der Handelsregisterauszüge am Kenntnis von der Falschbezeichnung der Berufungsklägerin zu 2 gehabt. Im Übrigen sei die Fristversäumung auch deswegen nicht ohne Verschulden erfolgt, weil die Prüfung der korrekten Partei und ihrer richtigen Bezeichnung zu den anwaltlichen Kardinalpflichten gehöre.

Gegen diesen Beschluss wenden sich die "Wü. und W. Versicherungs-AG" und die Beklagte zu 2 mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 575, 576 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit die Berufung als unzulässig verworfen worden ist. Das Berufungsgericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Beklagten zu 2 auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 41, 23, 26; 41, 323, 326 ff.; 41, 332, 334 ff.; 69, 381, 385; BVerfG NJW 1999, 3701, 3702; BGHZ 151, 221, 227).

1.

Das Berufungsgericht geht allerdings zutreffend davon aus, dass zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift gemäß § 519 Abs. 2 ZPO auch die Angabe gehört, für und gegen welche Partei das Rechtsmittel eingelegt wird; aus der Berufungsschrift muss entweder für sich allein oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger und wer Berufungsbeklagter sein soll (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 394/00 - VersR 2002, 777; Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 12/95 - VersR 1996, 251 und vom - VI ZB 12/00 - VersR 2000, 1299 m.w.N.). Dabei sind vor allem an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen; bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung muss jeder Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers ausgeschlossen sein (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 81/98 - VersR 1999, 636, 637 m.w.N.). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre; sie kann auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 12/95 - aaO; - VersR 1982, 769, 770). Dabei sind, wie auch sonst bei der Ausdeutung von Prozesserklärungen, alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen.

2.

Die Anforderungen an die zur Kennzeichnung der Rechtsmittelparteien nötigen Angaben richten sich nach dem prozessualen Zweck dieses Erfordernisses, also danach, dass im Falle einer Berufung, die einen neuen Verfahrensabschnitt vor einem anderen als dem bis dahin mit der Sache befassten Gericht eröffnet, zur Erzielung eines auch weiterhin geordneten Verfahrensablaufs aus Gründen der Rechtssicherheit die Parteien des Rechtsmittelverfahrens, insbesondere die Person des Rechtsmittelführers, zweifelsfrei erkennbar sein müssen (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 12/95 - aaO m.w.N.). Schon im Hinblick darauf, dass die durch das Grundgesetz gewährleisteten Verfassungsgarantien es verbieten, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren (vgl. BVerfG, NJW 1991, 3140 m.w.N.), darf die Zulässigkeit einer Berufung nicht an unvollständigen oder fehlerhaften Bezeichnungen der Parteien des Berufungsverfahrens scheitern, wenn diese Mängel in Anbetracht der jeweiligen Umstände letztlich keine vernünftigen Zweifel an dem wirklich Gewollten aufkommen lassen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 394/00 - aaO und Senatsbeschluss vom - VI ZB 12/95 - aaO, S. 252).

3.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze durfte das Berufungsgericht die Zulässigkeit der Berufung der Beklagten zu 2 nicht mit der Begründung verneinen, das Rechtsmittel sei durch den Schriftsatz vom nicht rechtswirksam eingelegt worden. Denn bei dem sachlich gebotenen Verständnis dieser Rechtsmittelschrift konnten hinsichtlich der Rechtsmittel führenden Partei keine vernünftigen Zweifel aufkommen.

Aus dem genannten Schriftsatz ergab sich eindeutig, dass das erstinstanzliche Urteil von Seiten der Beklagten zu 2 angegriffen worden ist. Aus diesem Grund konnte das Berufungsgericht der Klägerin als Rechtsmittelgegnerin ohne Weiteres die Rechtsmittelschrift zustellen. Es bestand auch keine Verwechslungsgefahr. Zwar war in der Berufungsschrift die "Wü. und W. Versicherungs-AG" als Beklagte zu 2 und Berufungsklägerin aufgeführt, während in Wirklichkeit die "W. Versicherungs-AG" diese Parteirolle innehaben sollte. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts begründete diese Falschbezeichnung indessen keinen Zweifel daran, dass das landgerichtliche Urteil von dem beschwerten Haftpflichtversicherer angefochten wurde. Dies ist die "W. Versicherungs-AG", die die Prozessbevollmächtigte in der Berufungsschrift irrtümlicherweise als "Wü. und W. Versicherungs-AG" bezeichnet hat.

Einer Auslegung der Berufungsschrift dahin gehend, dass Berufungsklägerin zu 2 die "W. Versicherungs-AG" sein sollte, stehen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die in der Berufungsschrift enthaltenen Ausführungen zur Bezeichnung der Berufungsklägerin nicht entgegen. Dort ist nämlich nicht vorgetragen, dass die "Wü. und W. Versicherungs-AG" durch Verschmelzung entstanden und Rechtsnachfolgerin der Beklagten zu 2 sei. Vielmehr heißt es dort lediglich, die K. Beamtenversicherung sei auf die K. Versicherungs AG verschmolzen und Letztgenannte sei auf die W. verschmolzen, die mit der Wü. nun eine Aktiengesellschaft bilde. Von einer Verschmelzung auf eine Gesellschaft mit dem Namen "Wü. und W. Versicherungs-AG" ist nicht die Rede. Auf welche Weise die fälschlicherweise unter dieser Bezeichnung aufgeführte Berufungsklägerin zu 2 entstanden und Rechtsnachfolgerin der Beklagten zu 2 geworden sein soll, lässt sich der Berufungsschrift gerade nicht entnehmen.

Bei dieser Sachlage begegnet die von den Beklagten im Berufungsrechtszug vorgenommene Berichtigung der Bezeichnung der Berufungsklägerin zu 2 keinen Bedenken (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 394/00 -aaO m.w.N.).

4.

Da die Berufung der Beklagten zu 2 somit fristgemäß eingelegt worden ist, erweisen sich ihr vorsorglich gestelltes Wiedereinsetzungsgesuch und die insoweit in dem angefochtenen Beschluss getroffene Entscheidung des Berufungsgerichts als gegenstandslos.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW-RR 2010 S. 277 Nr. 4
SAAAD-32535

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja