Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 176 Abs. 1; StGB § 176 Abs. 3; StGB § 177 Abs. 5; StGB § 184f
Instanzenzug: LG Freiburg, vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 38 Fällen - davon in 37 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung -sowie wegen gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung zu einer zweijährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision. Das auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung insoweit vertretene Rechtsmittel hat im tenorierten Umfang Erfolg.
1.
Nach den Feststellungen beging der Angeklagte im Zeitraum von März 2002 bis Juli 2004 insgesamt 38 Sexualdelikte zum Nachteil seiner am geborenen Stieftochter M. :
In 24 Fällen (II. 1. der Urteilsgründe) berührte er unter M. s Bekleidung deren Schamlippen, ohne mit dem Finger in die Vagina einzudringen. Dabei masturbierte er meistens, kam häufig zum Samenerguss und ejakulierte auf den Rücken- oder Gesäßbereich seiner wie er selbst bekleideten Stieftochter.
In 13 Fällen (II. 2. der Urteilsgründe) legte er sich auf M. , die ihrerseits entweder auf dem Bauch oder auf dem Rücken lag, wobei beide zumindest noch mit einer Unterhose bzw. Boxershorts bekleidet waren. Sodann rieb er seinen Penis an der Scheide oder dem Gesäß des Mädchens bis zum Samenerguss.
Als M. kurz nach ihrem 14. Geburtstag erstmals die Annäherung des Angeklagten ablehnte und aufzustehen versuchte, drückte dieser ihren Oberkörper auf das Bett, hielt sie an den Schultern fest und führte wiederum beischlafähnliche Bewegungen oberhalb der Kleidung bis zum Samenerguss aus, obwohl das Mädchen sich dem widersetzte, indem es ihn "mehrfach aufforderte, sie in Ruhe zu lassen," und "versuchte, ihn abzuschütteln" (Fall II. 3. der Urteilsgründe).
Im Januar 2007 sowie am beging der Angeklagte zudem die beiden festgestellten Körperverletzungen ebenfalls zum Nachteil seiner Stieftochter (II. 4. und 5. der Urteilsgründe).
2.
Das Landgericht hat für die tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen begangene sexuelle Nötigung (II. 3. der Urteilsgründe) die Einsatzstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe, für die weiteren Fälle sexuellen Missbrauchs Einzelstrafen von 24mal vier Monaten (II. 1. der Urteilsgründe) und 13mal sieben Monaten (II. 2. der Urteilsgründe), für die gefährliche Körperverletzung eine achtmonatige (II. 4. der Urteilsgründe) sowie für die Körperverletzung eine dreimonatige Freiheitsstrafe (II. 5. der Urteilsgründe) verhängt und daraus die zweijährige Gesamtfreiheitsstrafe gebildet. Hinsichtlich der 38 Sexualstraftaten hat es den Strafrahmen für minder schwere Fälle zugrunde gelegt, der im Tatzeitraum jeweils gesetzlich vorgesehen war (§§ 176 Abs. 1, 177 Abs. 5 StGB).
3.
Die Beschwerdeführerin beanstandet insbesondere, das Landgericht habe die Sexualdelikte zu Unrecht als minder schwere Fälle bewertet, ferner die Einzelstrafen für die Körperverletzungen sowie die Gesamtstrafe rechtsfehlerhaft bemessen.
4.
Die Überprüfung des Urteils ergibt, dass die landgerichtliche Wahl des Strafrahmens für die 38 Sexualstraftaten durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt. Allerdings ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf Grund der Hauptverhandlung die wesentlichen ent- und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nach ständiger Rechtsprechung nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (BGHSt 34, 345, 349; 29, 319, 320).
a)
Vorliegend erweisen sich die Zumessungserwägungen als in sich fehlerhaft. Zwar hat das Landgericht seiner Entscheidung, jeweils einen minder schweren Fall zu bejahen, zu Recht eine Gesamtwürdigung der für die Strafe bestimmenden Umstände zugrunde gelegt. Es ist aber bezüglich der insofern herangezogenen tatbezogenen Gesichtspunkte von unzutreffenden Maßstäben ausgegangen, sodass die Abwägung insgesamt den an sie zu stellenden Anforderungen nicht genügt.
aa)
Zu den unter II. 1. und 2. festgestellten 37 Taten, die sämtlich bis begangen wurden, hat das Landgericht ausgeführt: "Tatbezogen sprach für einen minder schweren Fall, dass bei beiden Tatvarianten zwar klar die Erheblichkeitsschwelle im Sinne des § 184f Nr. 1 StGB überschritten wurde, andererseits die Taten aber im unteren Bereich des denkbaren Spektrums sexualbezogener Handlungen anzusiedeln sind (die unbekleideten Schamlippen wurden nur von außen gestreichelt, bei den beischlafähnlichen Handlungen waren Angeklagter und Geschädigte bekleidet)" (UA S. 15, ähnlich auch auf UA S. 16 im ersten Halbsatz des vorletzten Absatzes für alle Sexualdelikte).
Beide zur Begründung herangezogenen Gesichtspunkte halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Denn sie stehen in Widerspruch zu Wertungen des Gesetzgebers, die im Übrigen mit das Gebiet der Europäischen Union betreffenden Tendenzen übereinstimmen (vgl. den Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates der Europäischen Union vom , ABl der Europäischen Union L 13/44 vom ). Mit Wirkung zum ist nämlich ein Strafrahmen für besonders schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern in § 176 Abs. 3 StGB eingefügt worden. Dieser aber soll ausweislich der Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom namentlich in Betracht kommen bei "beischlafsähnlichen Praktiken wie so genanntem Schenkelverkehr" und bei "Manipulationen im äußeren Genitalbereich, etwa am Scheidenvorhof" (BTDrucks. 15/350 S. 17).
Auch wenn der neu gefasste § 176 Abs. 3 StGB im relevanten Tatzeitraum noch nicht in Kraft getreten war und vom Landgericht daher zu Recht (§ 2 Abs. 3 StGB) nicht angewendet worden ist, so hätte dieses doch die zugrunde liegenden gesetzgeberischen Erwägungen in seine Abwägung einbeziehen müssen. Dann aber lag seine Einschätzung, die vom Angeklagten ausgeübten Praktiken seien "im unteren Bereich des denkbaren Spektrums sexualbezogener Handlungen anzusiedeln", fern. Im Hinblick darauf vermag der Senat trotz der im Urteil angeführten Milderungsgründe nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei den zu II. 1. und 2. festgestellten 37 Taten die Frage eines minder schweren Falles anders beantwortet hätte, wenn es bei den tatbezogenen Kriterien jeweils von einem zutreffenden Maßstab ausgegangen wäre.
bb)
Ebenso verhält es sich im Ergebnis bei der im Urteil zu II. 3. dargestellten sexuellen Nötigung. Denn die Ansicht des Landgerichts, insofern hätte für einen minder schweren Fall gesprochen, "dass das Maß der vom Angeklagten entfalteten Gewalt eher gering war", wird - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - von den Feststellungen nicht getragen. Diesen zufolge handelte es sich um eine Tat von jedenfalls nicht ganz unerheblicher Dauer, wie sich bereits daraus ergibt, dass M. einerseits "mehrfach" versuchte, sich dem Angeklagten zu widersetzen, und dieser andererseits seine beischlafähnlichen Bewegungen bis zum Samenerguss fortsetzte. Zu deren Begehung hatte der Angeklagte nicht nur den Oberkörper seiner Stieftochter auf das Bett gedrückt, sondern diese auch an den Schultern festgehalten und sie so fixiert, obwohl M. "mehrfach ...versuchte, ihn abzuschütteln". Angesichts dessen begegnet die landgerichtliche Wertung, der Angeklagte habe lediglich geringe Gewalt entfaltet, durchgreifenden Bedenken.
b)
Die rechtliche Prüfung der wegen der beiden Körperverletzungen (Fälle II. 4. und 5. der Urteilsgründe) verhängten Freiheitsstrafen deckt hingegen keinen durchgreifenden Mangel auf, wie dies auch der Vertreter der Bundesanwaltschaft in der Hauptverhandlung dargelegt hat. Da es sich um anders geartete Taten handelt, die zudem zweieinhalb bzw. drei Jahre nach dem Ende der Sexualdelikte begangen worden sind, kann der Senat zudem ausschließen, dass sich die dem Landgericht dort unterlaufenen Wertungsfehler auf die Bemessung der beiden weiteren Einzelstrafen ausgewirkt hat. Sie haben daher Bestand.
5.
Mit der Aufhebung der 38 - zumal die Einsatzstrafe umfassenden -Einzelstrafen entfällt auch die Grundlage für die Gesamtstrafe und für die Entscheidung des Landgerichts über die Strafaussetzung zur Bewährung. Die zu den aufgehobenen Strafen getroffenen Feststellungen sind von den aufgezeigten Wertungsfehlern nicht berührt und auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen worden. Sie können daher bestehen bleiben und ggf. aufgrund der neuen Hauptverhandlung ergänzt werden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
WAAAD-32431
1Nachschlagewerk: nein