BVerwG Urteil v. - 7 C 1.09

Leitsatz

Das ausnahmslose Verbot, Pflanzenschutzmittel im Wege der Selbstbedienung in den Verkehr zu bringen (§ 22 Abs. 1 Satz 1 PflSchG), ist eine verfassungsrechtlich zulässige Regelung der Berufsausübung.

Gesetze: GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1; PflSchG § 1; PflSchG § 2; PflSchG § 2a Abs. 1; PflSchG § 6; PflSchG § 10; PflSchG § 11 Abs. 1; PflSchG § 15; PflSchG § 22; PflSchG § 31

Instanzenzug: VGH Hessen, 6 A 694/08 vom VG Gießen, 10 E 1617/06 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

I

Die Klägerin ist Inhaberin verschiedener Gartenmärkte in Hessen, darunter eines Gartencenters in B. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin verpflichtet ist, hinsichtlich bestimmter - von ihr als ungefährlich betrachteter - Pflanzenschutzmittel das Verbot des Verkaufs von Pflanzenschutzmitteln durch Automaten oder durch andere Formen der Selbstbedienung in § 22 Abs. 1 Satz 1 des Pflanzenschutzgesetzes (PflSchG) zu beachten.

Mit Schreiben vom bat die Klägerin das für B. örtlich zuständige Regierungspräsidium Gießen um Ausstellung einer Bescheinigung, wonach sie berechtigt sei, 17 in dem Schreiben aufgeführte Pflanzenschutzmittel im Wege der Selbstbedienung zu verkaufen.

Das Regierungspräsidium lehnte mit Schreiben vom die Ausstellung der erbetenen Bescheinigung ab. Daraufhin hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Klage erhoben mit dem Ziel der Feststellung, dass sie berechtigt ist, fünf im Einzelnen bezeichnete Pflanzenschutzmittel in dem Gartenmarkt ihres Unternehmens in B. und in anderen hessischen Märkten in Selbstbedienung in Verkehr zu bringen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom abgewiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung gegen dieses Urteil hinsichtlich zweier Pflanzenschutzmittel ("Lac Balsam" und "Tervanol Wundbalsam") zugelassen.

Mit Urteil vom hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Der von der Klägerin begehrten Feststellung stehe das gesetzliche Verbot des § 22 Abs. 1 Satz 1 PflSchG entgegen. Diese Vorschrift enthalte eine verfassungsrechtlich zulässige Regelung der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG).

Die Vertriebsbeschränkung für Pflanzenschutzmittel sei durch Belange des Gemeinwohls (grundsätzlich) gerechtfertigt. Eine Ausbringung der in diesen Mitteln enthaltenen, im Regelfall hochkonzentrierten Stoffe in die Umwelt könnte zu Gefährdungen von Menschen und des Naturhaushalts führen. Eine Anwendung dieser Mittel durch den Verbraucher könnte für ihn selbst mit Gesundheitsgefahren verbunden sein. Das Gesetz schreibe eine sachgerechte Anwendung von Pflanzenschutzmitteln vor, die die durch die Zulassung festgelegten Auflagen und Anwendungsbestimmungen (vgl. § 15 Abs. 2 und 4 PflSchG) beachte. Es bezwecke die Einhaltung der guten fachlichen Praxis bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln.

Der Ausschluss des Selbstbedienungsverkaufs bei Pflanzenschutzmitteln in § 22 Abs. 1 Satz 1 PflSchG sei auch geeignet, die hiermit verfolgten gesetzgeberischen Ziele zu erreichen. Das Verbot sei unmittelbar mit der Verpflichtung nach § 22 Abs. 2 PflSchG verknüpft, den Erwerber über die Anwendung des Pflanzenschutzmittels - insbesondere über Verbote und Beschränkungen - zu unterrichten. Die Beratung habe eine generelle Hinweis- und Warnfunktion, die unter anderem gewährleisten solle, dass jeder Kunde auf das Erfordernis des bestimmungs- und sachgemäßen Umgangs mit dem Mittel aufmerksam gemacht werde. Sie erstrecke sich darüber hinaus auch auf die sachgemäße Verwendung des Mittels zur Schonung der Umwelt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin sei das Verbot des Selbstbedienungsverkaufs auch nicht teilweise, nämlich in Bezug auf "ungefährliche" Pflanzenschutzmittel ungeeignet. Selbst wenn man unterstelle, dass es solche Pflanzenschutzmittel gebe, sei zu berücksichtigen, dass es auch Zweck des § 22 Abs. 1 Satz 1 PflSchG sei, im Interesse einer umfassenden Gefahrenvorsorge und Umweltschonung Eingriffe in den Naturhaushalt mit Pflanzenschutzmitteln zu vermeiden. Jedenfalls dieses Ziel könne mit der Unterbindung des Selbstbedienungsverkaufs gefördert werden.

Das Selbstbedienungsverbot sei des Weiteren erforderlich, um die mit § 22 Abs. 1 Satz 1 PflSchG verfolgten Zwecke zu verwirklichen.

§ 22 Abs. 1 Satz 1 PflSchG sei schließlich mit Blick auf die der Klägerin und anderen Gewerbetreibenden in vergleichbarer Lage zugemuteten Einschränkungen mit Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Die durch das Verbot beeinträchtigte Freiheit zur eigenverantwortlichen Ausgestaltung der Verkaufsart habe bei Abwägung mit den für dieses Verbot streitenden öffentlichen Belangen hinter diese zurückzutreten. Eine unverhältnismäßige Belastung für die Verkäufer von Pflanzenschutzmitteln sei damit nicht verbunden. Dies gelte auch für die von der Klägerin als "ungefährlich" bezeichneten Pflanzenschutzmittel.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision der Klägerin.

Sie meint, der ausnahmslose Ausschluss von Pflanzenschutzmitteln aus dem Selbstbedienungsverkauf sei verfassungswidrig. § 22 Abs. 1 Satz 1 PflSchG verstoße gegen die in Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Berufsausübungsfreiheit, weil die Bestimmung unverhältnismäßig sei. Wegen des funktionalen Pflanzenschutzbegriffs würden vom Selbstbedienungsverbot auch solche Pflanzenschutzmittel erfasst, von denen eine Gefahr im Sinne des Stoffrechts nicht ausgehe. Dies sei unverhältnismäßig, weil im Verfahren der Zulassung des Pflanzenschutzmittels unter Berücksichtigung der Gefährlichkeit auch über die Vertriebsform entschieden werden könnte. Ebenso wenig sei es erforderlich, solche Pflanzenschutzmittel vom Selbstbedienungshandel auszuschließen, die bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier, das Grundwasser und den Naturhaushalt hätten. Wenn solche Gefahren nicht vorlägen, gehe auch die Beratung des Kunden offensichtlich ins Leere. Für die Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung gelte das Gleiche wie für die Eignung. Auch wenn es an einer schweren Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit fehle, müsse dieser Eingriff gerechtfertigt werden.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil. Die beruflichen Anwender von Pflanzenschutzmitteln müssten über die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen (§ 10 Abs. 1 PflSchG). Derartige Kenntnisse könnten bei Anwendern im Haus- und Kleingarten weder erwartet noch gefordert werden. Das Selbstbedienungsverbot und die damit verbundene Beratungspflicht seien deshalb in das Gesetz aufgenommen worden, um die in der Regel fehlende Sachkunde des Käufers auszugleichen und damit Gefahren durch eine unsachgemäße Anwendung vorzubeugen.

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. Er unterstützt das angefochtene Urteil. Das Pflanzenschutzgesetz gehe vom funktionalen Begriff des Pflanzenschutzmittels aus. Grund für diese Regelung sei, dass Pflanzenschutzmittel in die Umwelt ausgebracht würden und dabei komplexe Auswirkungen auf die zu behandelnden Pflanzen, den Naturhaushalt, Nichtzielorganismen und die Gesundheit von Mensch und Tier entstehen könnten, so dass von keinem Stoff von vornherein gesagt werden könne, dass er keine schädlichen Auswirkungen habe.

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Ohne Bundesrecht zu verletzen (§ 137 Abs. 1 VwGO), ist der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klage unbegründet ist, soweit über sie aufgrund der beschränkten Zulassung der Berufung noch zu entscheiden ist.

Der von der Klägerin begehrten Feststellung steht das in § 22 Abs. 1 Satz 1 PflSchG normierte Verbot entgegen, Pflanzenschutzmittel durch Automaten oder durch andere Formen der Selbstbedienung in den Verkehr zu bringen. Dieses Verbot ist verfassungsgemäß und deshalb wirksam, auch soweit es sich auf die beiden allein noch streitigen Pflanzenschutzmittel bezieht.

Das Verbot greift zwar in die Freiheit der Berufsausübung ein (Art. 12 Abs. 1 GG). Dieser Eingriff ist aber verfassungsrechtlich zulässig. Das ausnahmslose Verbot, Pflanzenschutzmittel im Wege der Selbstbedienung in Verkehr zu bringen, ist durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und zur Erreichung dieser Gemeinwohlziele sowohl geeignet als auch erforderlich, ohne den Verkäufer von Pflanzenschutzmitteln übermäßig zu belasten (zu diesen Voraussetzungen einer verfassungsgemäßen Regelung der Berufsausübung vgl. - BVerfGE 106, 181 <192> ).

Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Pflanzenschutzgesetz verschiedene Zwecke, die in § 1 PflSchG umschrieben sind. Zum einen geht es darum, Pflanzen, insbesondere Kulturpflanzen, sowie Pflanzenerzeugnisse vor Schadorganismen und nichtparasitären Beeinträchtigungen zu schützen (§ 1 Nr. 1 und 2 PflSchG). Dazu dürfen und sollen Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Deren Einsatz birgt indes zum anderen Gefahren und erhebliche Nachteile für wichtige Schutzgüter, die zu verhindern ebenfalls Zweck des Pflanzenschutzgesetzes ist (§ 1 Nr. 4 PflSchG). Pflanzenschutzmittel enthalten in der Regel hochkonzentrierte Stoffe. Deren Ausbringung in die Umwelt kann die Gesundheit von Mensch und Tier sowie den Naturhaushalt als solchen gefährden. Unter Naturhaushalt versteht das Gesetz dabei seine Bestandteile Boden, Wasser, Luft, Tier- und Pflanzenarten sowie das Wirkungsgefüge zwischen ihnen (§ 2 Nr. 6 PflSchG). In dieses Wirkungsgefüge wird immer schon dann eingegriffen, wenn in den Naturhaushalt Stoffe eingebracht werden oder wenn auf einzelne Bestandteile des Naturhaushalts eingewirkt wird und dadurch (unerwünschte) Rückwirkungen auf andere Bestandteile ausgelöst werden. Was mit Blick auf einen Bestandteil des Naturhaushalts nützlich sein mag, etwa die Vernichtung eines Pflanzenschädlings, kann sich auf einen anderen Bestandteil nachteilig auswirken, etwa die Nahrungsgrundlage anderer Lebewesen beeinträchtigen. Jedenfalls aus diesem Grund lässt sich von keinem Stoff von vornherein sagen, er könne sich nicht nachteilig auf den Naturhaushalt auswirken. Nicht nur der Schutz der Gesundheit des Menschen und die Abwehr von Gefahren im engeren Sinne für den Naturhaushalt, sondern auch die Integrität des Naturhaushalts und dessen Schutz gegen vermeidbare Eingriffe in das Wirkungsgefüge zwischen seinen einzelnen Bestandteilen sind Gemeinwohlbelange, die der Gesetzgeber legitimerweise verfolgen darf.

Diese unterschiedlichen Gesetzeszwecke hat der Gesetzgeber dabei nicht einseitig verfolgt. Er hat weder die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln generell freigegeben noch ihren Einsatz schlechthin untersagt, sondern eine Abwägung getroffen. Jedes Pflanzenschutzmittel bedarf einer Zulassung (§ 11 Abs. 1 Satz 1 PflSchG). Das dafür zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit entscheidet bei der Zulassung über die Anwendungsgebiete des Mittels (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 PflSchG). Es legt die Anwendungsbestimmungen fest, die zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier und zum Schutz vor sonstigen schädlichen Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt, erforderlich sind; dazu gehören beispielsweise Bestimmungen über die Aufwandmenge, die Wartezeit und den notwendigen Abstand, der bei der Anwendung eines Mittels zum Gewässer einzuhalten ist (§ 15 Abs. 2 Nr. 2 PflSchG). Das Bundesamt entscheidet ferner darüber, ob ein Pflanzenschutzmittel geeignet ist, im Haus- und Kleingartenbereich angewendet zu werden (§ 15 Abs. 2 Nr. 3 PflSchG). Das Bundesamt verbindet die Zulassung schließlich mit Auflagen, die für eine sachgerechte Anwendung sowie zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier und zum Schutz vor sonstigen schädlichen Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt, erforderlich sind (§ 15 Abs. 4 Satz 1 PflSchG). Diesen Regelungen lässt sich über den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier hinaus als ein Ziel des Gesetzes auch entnehmen, dass zum Schutz des Naturhaushalts gegen Eingriffe in sein Wirkungsgefüge Pflanzenschutzmittel so schonend wie möglich eingesetzt werden sollen. Jeder entbehrliche oder übermäßige Einsatz von Pflanzenschutzmitteln soll vermieden werden. Pflanzenschutzmittel dürfen nur nach guter fachlicher Praxis eingesetzt werden (§ 6 Abs. 1 Satz 1 PflSchG i.V.m. § 2a PflSchG).

Zur Durchsetzung dieser Ziele ist das Verbot der Selbstbedienung nicht nur beim Vertrieb wie auch immer abzugrenzender gefährlicher Pflanzenschutzmittel, sondern beim Vertrieb aller Pflanzenschutzmittel geeignet und erforderlich.

Das Verbot ist geeignet. Es ist unmittelbar verknüpft mit dem Gebot, den Erwerber über die Anwendung des Pflanzenschutzmittels, insbesondere über Verbote und Beschränkungen, zu unterrichten (§ 22 Abs. 2 PflSchG). Wer Pflanzenschutzmittel in seinem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb oder seinem Gartenbaubetrieb anwendet, muss die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten haben und auf Verlangen der zuständigen Behörde nachweisen (§ 10 PflSchG). Wer hingegen Pflanzenschutzmittel im eigenen Haus- und Kleingartenbereich anwenden will, muss über diese Kenntnisse und Fertigkeiten nicht verfügen. Dass auch er die Pflanzenschutzmittel sachgerecht, insbesondere entsprechend den vorgegebenen Anwendungsbestimmungen und nach guter fachlicher Praxis einsetzt, ist in seinem Fall durch die Beratung bei Erwerb des Pflanzenschutzmittels sicherzustellen. Könnte er die Pflanzenschutzmittel ohne Weiteres im Wege der Selbstbedienung erwerben, unterbliebe die individuelle und gezielte Beratung, die vermeiden hilft, dass die Pflanzenschutzmittel entgegen guter fachlicher Praxis eingesetzt werden (vgl. BTDrucks 10/4618 S. 48 f.).

Das Verbot der Selbstbedienung und die damit verbundene Beratung des Erwerbers sind erforderlich. Um die Ziele des Gesetzes zu erreichen, genügt es nicht, den Pflanzenschutzmitteln lediglich eine Gebrauchsanleitung beizufügen. Sie reicht nicht aus, um die regelmäßig fehlende Sachkunde des Erwerbers auszugleichen und einer unsachgemäßen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln vorzubeugen. Erst die Beratung ermöglicht es, die Anwendung des Mittels auf die konkreten Verhältnisse des Einzelfalles abzustimmen, insbesondere den Erwerber davon abzuhalten, dass er ein Mittel erwirbt, das für seinen Fall nicht passt und dessen Einsatz deshalb zu einer vermeidbaren Störung des Naturhaushalts führt. Der Besitzer eines Haus- oder Kleingartens wird nur selten einen bestimmten Schadorganismus identifizieren können, der seine Pflanzen befallen hat. Er wird lediglich ein bestimmtes Schadbild an einer Pflanze feststellen. Die Beratung kann klären, ob überhaupt ein Schadorganismus vorhanden ist, um welchen es sich gegebenenfalls handelt, welches Pflanzenschutzmittel zu dessen Bekämpfung geeignet ist und dafür auch angewendet werden darf, oder ob es sich um einen Schadorganismus handelt, gegen den es kein Pflanzenschutzmittel gibt, das für eine Anwendung im Haus- und Kleingartenbereich zugelassen ist, so dass es sich empfiehlt, die befallene Pflanze zu entfernen, um eine weitere Ausbreitung des Schadorganismus zu verhindern. Die bloße Lektüre einer Gebrauchsanleitung kann die Klärung solcher Fragen nicht leisten. Ebenso kann nur im Rahmen einer sachkundigen Beratung geklärt werden, ob angesichts des (drohenden) Schadbefalls und der durch ihn voraussichtlich drohenden Schäden der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln angesichts ihrer Nachteile überhaupt notwendig ist. Eine weitere mündliche Warnung vor einer unsachgemäßen Anwendung des Mittels verstärkt zudem die schriftliche Warnung, die in einer Gebrauchsanweisung enthalten ist, und führt damit zu einer erhöhten Beachtung der Anwendungsbestimmungen.

Die Beratung leistet damit nicht nur einen Beitrag dazu, zu verhindern, dass durch den unsachgemäßen Einsatz eines Pflanzenschutzmittels die Gesundheit von Mensch und Tier gefährdet wird. Sie ist auch notwendig, um den Einsatz weniger gefährlicher Mittel zu begrenzen und dadurch jedenfalls das Wirkungsgefüge des Naturhaushalts vor unerwünschten Eingriffen zu bewahren, die durch einen überflüssigen oder überdosierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verursacht werden.

Damit erledigt sich zugleich der Einwand der Klägerin, das Verbot der Selbstbedienung sei nicht erforderlich für Pflanzenschutzmittel, die bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung keine schädlichen Auswirkungen haben. Erst die Beratung stellt eine bestimmungsgemäße und sachgerechte Anwendung der Mittel sicher.

Um die Ziele des Gesetzes zu erreichen, genügt es ferner nicht, das Verbot der Selbstbedienung auf die Pflanzenschutzmittel zu beschränken, von denen eine Gefahr im Sinne des Gefahrstoffrechts ausgeht. Der Gesetzgeber verfolgt im Gefahrstoffrecht und im Pflanzenschutzrecht je eigene Ziele, die es rechtfertigen, die abzuwehrenden Gefahren und damit auch die "Gefährlichkeit" von Stoffen unterschiedlich zu bestimmen. Das wird etwa auch dadurch belegt, dass ein Sachkundenachweis nach der Chemikalien-Verbotsverordnung für den Verkauf bestimmter Gefahrstoffe allein nicht ausreicht, um auch Pflanzenschutzmittel verkaufen zu dürfen. Hierfür müssen vielmehr zusätzlich die besonderen Aspekte des Pflanzenschutzes Gegenstand der Ausbildung des Verkäufers gewesen sein (§ 3 der Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung, die auf der Grundlage von § 10 Abs. 3 Satz 2 PflSchG ergangen ist). Zudem bliebe bei einer solchen Beschränkung das legitimerweise verfolgte Ziel unberücksichtigt, auch den Einsatz weniger gefährlicher Mittel auf das unbedingte Notwendige im Sinne einer guten fachlichen Praxis zu begrenzen, um das Wirkungsgefüge des Naturhaushalts vor vermeidbaren und deshalb unerwünschten Störungen zu bewahren.

Dass Pflanzenschutzmittel im Versandhandel vertrieben werden dürfen, lässt nicht den Rückschluss zu, der Gesetzgeber selbst halte eine Beratung des Erwerbers nicht in jedem Falle für erforderlich und verhalte sich deshalb widersprüchlich oder gleichheitswidrig, wenn er sie im stationären Einzelhandel durch das Verbot der Selbstbedienung uneingeschränkt erzwinge. Eine Beratung ist auch im Versandhandel erforderlich. § 22 Abs. 2 PflSchG differenziert nicht zwischen den verschiedenen Vertriebsformen. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass es auch im Versandhandel Möglichkeiten gibt, durch gezielte Hinweise oder elektronische Hilfsangebote, die über die Funktion eines Beipackzettels hinausgehen, den sachgerechten Einsatz des Pflanzenschutzmittels entsprechend guter fachlicher Praxis zu fördern. Sollte diese Erwartung enttäuscht werden, hat der Gesetzgeber die zuständige Behörde ermächtigt, den Vertrieb des Pflanzenschutzmittels im Wege des Versandhandels zu untersagen (§ 22 Abs. 3 PflSchG).

Ebenso wenig lässt sich gegen die Erforderlichkeit einer ausnahmslosen Beratung bei Erwerb eines Pflanzenschutzmittels anführen, dass Pflanzenstärkungsmittel (§ 2 Nr. 10, § 31 PflSchG) im Wege der Selbstbedienung vertrieben werden dürfen, obwohl auch bei ihnen eine bestimmungswidrige und nicht sachgerechte Anwendung zumindest in das Wirkungsgefüge des Naturhaushalts eingreifen kann. Der Gesetzgeber hat das ursprünglich auch für Pflanzenstärkungsmittel geltende Verbot der Selbstbedienung (§ 31 Abs. 2 PflSchG a.F.) aufgehoben, weil die Erfahrungen mit Pflanzenstärkungsmitteln gezeigt hätten, dass dieses Verbot nicht erforderlich sei (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung BRDrucks 534/07 S. 25). Wenn der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums mit dieser Begründung für eine abgrenzbare Gruppe von Mitteln das Verbot der Selbstbedienung aufhebt, widerlegt dies nicht die Notwendigkeit, einer Abgabe von Pflanzenschutzmitteln an den Kunden eine Beratung vorzuschalten, um jedenfalls für den Einsatz dieser Mittel die Beachtung der Anwendungsbestimmungen und Auflagen sowie der guten fachlichen Praxis sicherzustellen. Aus diesem Grund verstößt die unterschiedliche Behandlung auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Das ausnahmslose Verbot der Selbstbedienung belastet schließlich den Verkäufer nicht unzumutbar. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem angefochtenen Urteil im Einzelnen dargelegt, dass die Vertriebsbeschränkung keine schweren Nachteile für den Inhaber eines Einzelhandelsgeschäftes hat. Die Klägerin ist dem nicht entgegengetreten. Die ihr verbleibenden geringen Nachteile, die überdies alle Einzelhändler in gleicher Weise treffen, also nicht wettbewerbsverzerrend wirken, werden durch den Vorteil aufgewogen, der mit dem Schutz des Naturhaushalts vor Störungen seines Wirkungsgefüges auch dann verbunden ist, wenn es um die Einbringung weniger gefährlicher Stoffe geht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Fundstelle(n):
WAAAD-31245