Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: SGB V § 109 Abs 4; KBV § 13
Instanzenzug: LSG Niedersachsen-Bremen, L 1 KR 59/08 vom SG Hannover, S 19 KR 362/03 vom
Gründe
I
Umstritten ist die Vergütung für eine stationäre Krankenhaus(KH)-Behandlung.
Der 1948 geborene W. M. (im Folgenden: Versicherter) ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) versichert. Vom 6. bis behandelte ihn die Hochschulklinik der Universität G. stationär, deren Träger (= Land Niedersachsen) nunmehr klagt. Am erfolgte eine Koronarangiographie des Versicherten, am Folgetag eine Ballon-Dilatation (PTCA). Der Kläger forderte von der Beklagten in einer "Endabrechnung" vom insgesamt 7.801,86 Euro (15.259,12 DM); zugrunde lag dieser Rechnung neben Basis- und Abteilungspflegesatz (jeweils vom 6. bis ) für den das Sonderentgelt 21.02 ("Linksherzkatheteruntersuchung bei Ein- und Mehrgefäßerkrankungen mit Koronarangiographie und Dilatation eines oder mehrerer koronarer Gefäße [PTCA], ggf mit Anlage eines temporären Schrittmachers, einschließlich der Kontrastmitteleinbringung und Durchleuchtungen während des Eingriffs, ggf auch mehrfach während des stationären Aufenthalts, nicht zusätzlich abrechenbar zu den Sonderentgelten 20.02 und 21.01"). Die Beklagte zahlte umgehend.
Am entschied das Bundessozialgericht - BSG - (SozR 3-5565 § 15 Nr 1) in einem andere Beteiligte betreffenden Rechtsstreit, das Sonderentgelt 21.02 sei nur anzusetzen, wenn die Herzkatheteruntersuchung und Ballon-Dilatation in einem Eingriff zusammen erbracht würden. Keine Kombinationsleistung iS des Sonderentgelts 21.02 liege vor, wenn die Herzkatheteruntersuchung und die Erweiterung der Herzkranzgefäße (Ballon-Dilatation) während eines stationären Aufenthalts an verschiedenen Tagen durchgeführt würden; die KH-Behandlung sei in solchen Fällen abzurechnen nach den Sonderentgelten 21.01 und 20.02 ("Linksherzkatheteruntersuchung mit Koronarangiographie, ggf mit Anlage eines temporären Schrittmachers, einschließlich der Kontrastmitteleinbringung und Durchleuchtungen während des Eingriffs, ggf auch mehrfach während des stationären Aufenthalts, soweit nicht während des gleichen Eingriffs eine Dilatation durchgeführt wird"; "Dilatation eines oder mehrerer koronarer Gefäße [PTCA]: Perkutane, transluminale Dilatation und Rekanalisation von Koronararterien, einschließlich der Kontrastmitteleinbringung und Durchleuchtungen während des Eingriffs bei Ein- und Mehrgefäßerkrankungen, ggf auch mehrfach während des stationären Aufenthalts, einschließlich erforderlicher Kontrollangiographien und Reinterventionen"). Der Kläger stellte der Beklagten daraufhin in einer neuen "Endabrechnung" neben Basis- und Abteilungspflegesatz (6. bis ) nunmehr für den das Sonderentgelt 21.01 und für den das Sonderentgelt 20.02 zuzüglich QS-Zuschlag in Rechnung (), insgesamt gegenüber der ersten Rechnung zusätzlich 841,38 Euro. Die Beklagte lehnte es ab, die Nachforderung zu begleichen, da sie auf die Richtigkeit der ersten Endabrechnung im Einklang mit § 13 des Sicherstellungsvertrags Niedersachsen (KBV Nds) nach § 112 SGB V vertraut habe und der Kläger keinerlei Vorbehalte hinsichtlich einer Nachforderung gemacht habe.
Während das Sozialgericht (SG) die Klage auf Zahlung des geforderten Restbetrags nebst Zinsen abgewiesen hat, hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers zugelassen und die Beklagte verurteilt, 841,38 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Die Nachberechnung sei weder nach § 13 KBV Nds - entsprechend dem KBV Rheinland-Pfalz (KBV RP) - noch nach Treu und Glauben ausgeschlossen (Urteil vom ).
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 109 Abs 4 SGB V und des § 13 KBV Nds. Einer KK müsse es im Interesse ihrer Finanzplanung möglich sein, bei Erhalt einer KH-Schlussrechnung darauf zu vertrauen, dass das KH keine Nachforderungen stelle.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der beklagten KK ist begründet. Das LSG-Urteil ist aufzuheben und die Berufung des klagenden KH-Trägers gegen das SG-Urteil zurückzuweisen, da der Kläger mit seinem Begehren auf zusätzliche Vergütung ausgeschlossen ist.
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger macht zu Recht den Anspruch auf vollständige Bezahlung seiner Rechnung über die Vergütung für die KH-Behandlung des Versicherten gegen die Beklagte mit der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG geltend (vgl zB BSGE 90, 1 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 3; BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr 12, jeweils RdNr 10; KR R - RdNr 9 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 109 Nr 13 vorgesehen).
2. Die Beklagte war verpflichtet, die KH-Behandlung des Versicherten in der Hochschulklinik G. vom 6. bis zu vergüten. Die Zahlungsverpflichtung einer KK entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen KH durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (stRspr, vgl zB BSGE 70, 20, 22 = SozR 3-2500 § 39 Nr 1; KR R - RdNr 11, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 109 Nr 13 vorgesehen; KR R - RdNr 15, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 109 Nr 15 vorgesehen). Die Vorinstanzen sind zu Recht hiervon ausgegangen und haben festgestellt, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Kläger hätte auch rechtmäßig in seiner ersten Rechnung für die am 11. und erbrachten KH-Leistungen die Sonderentgelte 20.02 und 21.01 ansetzen dürfen. Das Sonderentgelt 21.02 betrifft nur Fälle der gleichzeitigen Durchführung der Linksherzkatheteruntersuchung und der Ballon-Dilatation. Dies ergibt sich aus Wortlaut und systematischem Zusammenhang der Vergütungsregelung entsprechend der Rechtsprechung des BSG (vgl BSG SozR 3-5565 § 15 Nr 1). Das ziehen die Beteiligten übereinstimmend auch nicht in Zweifel.
3. Der Kläger war indes nach Treu und Glauben mit seiner Nachforderung vom nach der ersten Endabrechnung vom ausgeschlossen.
a) Zutreffend haben die Vorinstanzen im Ausgangspunkt § 13 KBV Nds zugrunde gelegt. Diese vertragliche Regelung ist revisibel, obwohl es sich um Landesrecht handelt. Regelungen dieser Art finden sich nämlich - wie sich aus den Ausführungen des LSG und dem Vorbringen der Beteiligten ergibt - bewusst in vergleichbarer Form in vielen Landesverträgen zu § 112 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V (vgl § 162 SGG und hierzu BSG SozR 4-2500 § 112 Nr 6 RdNr 16 mwN), beispielsweise in § 9 KBV RP.
b) Gemäß § 13 Abs 1 KBV Nds wird der zuständigen KK nach Beendigung der KH-Behandlung in der Regel innerhalb von 14 Tagen nach der Entlassung eine Schlussrechnung übersandt. Für laufende Fälle können nach Maßgabe des Abs 3 Zwischenrechnungen, die als solche zu kennzeichnen sind, erstellt werden. Die KK hat nach § 13 Abs 6 KBV Nds die Rechnung unverzüglich, spätestens innerhalb von 14 Tagen nach Rechnungsdatum zu bezahlen. Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art können auch nach Bezahlung der Rechnung geltend gemacht und Differenzbeträge verrechnet werden.
c) Die Erteilung einer Schlussrechnung iS des § 13 Abs 1 KBV Nds schließt nicht umfassend und ausnahmslos Nachforderungen aus. Vielmehr richtet sich die Zulässigkeit von Nachforderungen mangels ausdrücklicher Regelung gemäß dem über § 69 Satz 3 SGB V aF auf die Rechtsbeziehungen zwischen KH und KK einwirkenden Rechtsgedanken des § 242 BGB nach Treu und Glauben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beteiligten aufgrund eines dauerhaften Vertragsrahmens ständig professionell zusammenarbeiten. Ihnen sind die gegenseitigen Interessenstrukturen geläufig. In diesem Rahmen ist von ihnen eine gegenseitige Rücksichtnahme zu erwarten.
Den KHn ist bekannt, dass die KKn aufgrund des laufenden Ausgabenvolumens die Höhe ihrer Beiträge - grundsätzlich bezogen auf das Kalenderjahr - kalkulieren müssen, auch wenn inzwischen seit 2009 aufgrund der Einführung des Gesundheitsfonds nur noch geringere Gestaltungsmöglichkeiten der KKn bestehen. Weil die KKn auf tragfähige Berechnungsgrundlagen angewiesen sind, müssen sie sich grundsätzlich auf die "Schlussrechnung" eines KH verlassen können. Das KH verfügt für die Erteilung einer ordnungsgemäßen, verlässlichen Abrechnung - anders als die KK - umfassend über alle Informationen, die die stationäre Behandlung der Versicherten betreffen. Das KH ist regelmäßig in der Lage, professionell korrekt abzurechnen und sich ggf stellende Abrechnungsprobleme zu erkennen. Hinzu kommt, dass die im Verhältnis KH - KK geltenden Abrechnungsbestimmungen gezielt einfach strukturiert sind, um ihre sachgerechte Anwendung durch das KH zu ermöglichen. Dementsprechend erfolgt ihre Anwendung allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln, ergänzend auch nach dem systematischen Zusammenhang; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben dagegen außer Betracht (stRspr, vgl zB BSG SozR 3-5565 § 15 Nr 1 S 6 mwN; ähnlich bei der Auslegung von Abrechnungsbestimmungen im vertragsärztlichen Bereich BSG SozR 3-5533 Nr 7103 Nr 1 mwN).
Bestehen auf Seiten eines KH dennoch Unsicherheiten bei der Anwendung von Abrechnungsbestimmungen, ist es auf der Ebene der generellen vertraglichen Regelung Aufgabe der Vertragspartner, die nunmehr dafür zuständig sind, diese durch Weiterentwicklung zB der Fallpauschalen- oder Sonderentgelt-Kataloge und der Abrechnungsbestimmungen zu beheben (vgl § 15 Abs 1 Bundespflegesatzverordnung 1995 [BPflV], zuletzt geändert durch Art 4 Nr 8 Buchst a des Gesetzes vom [BGBl I S 534] mWv ). Kommt es dabei zu keiner Einigung, ist zunächst die Schiedsstelle (vgl § 18a Abs 6 KHG) anzurufen (§ 15 Abs 3 BPflV), bevor sich die Gerichte mit Fragen der Angemessenheit von Vergütungen befassen können. Von alledem sind die eng untereinander vernetzten KHr regelmäßig informiert. Ihnen ist es deshalb zumutbar, bei auslegungsbedingten Abrechnungsunsicherheiten in der "Schlussrechnung" explizit Vorbehalte zu erklären, die den KKn den eventuell erforderlichen Rückstellungsbedarf transparent machen. Solche Vorbehalte können nach § 13 Abs 1 KBV Nds zulässig sein. Denn die Übersendung der Schlussrechnung wird den KHn dort nur "in der Regel innerhalb von 14 Tagen nach der Entlassung" abverlangt.
d) Allerdings können sich die KKn nicht ausnahmslos gegenüber Nachforderungen des KH nach Erteilung einer Schlussrechnung auf das Fehlen eines Vorbehalts des KH in der Rechnung berufen. Vielmehr gehört es auch zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach Treu und Glauben, dass KKn je nach der Art des Fehlers, etwa bei offensichtlichem, ins Auge springendem Korrekturbedarf zu Gunsten des KH, bereit sein müssen, die Fehler durch das KH korrigieren zu lassen. Wird etwa einer KK bei Eingang einer KH-Schlussrechnung deutlich, dass durch einen Dateneingabefehler der Rechnungsbetrag des KH sich zB anstelle von (richtig) 15.000 Euro auf lediglich (unrichtig) 150 Euro beläuft, wird das KH sogar umgekehrt einen entsprechenden Hinweis des Rechnungsempfängers aus eigenem Antrieb erwarten dürfen. Es wäre in einem solchen Fall jedenfalls treuwidrig, wollte sich die KK trotz zeitnaher Nachforderung auf die Erteilung einer "Schlussrechnung" durch das KH berufen (vgl in der Zielrichtung ähnlich -, RdNr 39 ff mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-2500 § 106a Nr 5).
e) Die dargelegten Grundsätze unterscheiden sich - bei gleichem rechtlichen Ausgangspunkt - in Nuancen von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Bedeutung der Schlussrechnung für Nachforderungen insbesondere im Anwendungsbereich der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI), auf die sich das LSG in der zutreffenden Erkenntnis gestützt hat, dass weder auf den Rechtsgedanken der §§ 315, 316 BGB noch auf denjenigen der Unabänderlichkeit konstitutiver Rechnungen abgestellt werden kann (vgl zB BGH NJW 2009, 435; BGHZ 136, 1; 120, 133 in Abkehr zu älterer Rspr, etwa BGH NJW-RR 1990, 725; BGHZ 102, 392; BGHZ 101, 357; BGH NJW 1986, 845, alle mwN). Besonderheiten, die Abweichungen gegenüber der genannten BGH-Rechtsprechung rechtfertigen, liegen aber ungeachtet des öffentlich-rechtlichen Ausgangspunktes bei KH-Rechnungen für KKn (§ 69 SGB V) insbesondere einerseits in der Grundsituation dauerhafter vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen KKn und KHn und andererseits in den Besonderheiten der Anforderungen an Abrechnungen nach der HOAI, die etwa eine prüffähige, schwierig zu erstellende Honorarschlussrechnung verlangen (vgl hierzu zB BGHZ 120, 133, 139 f mwN).
4. Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Kläger nach Erteilung der Schlussrechnung vom mit seiner Nachforderung vom nach Treu und Glauben ausgeschlossen. Er hatte keinen ausdrücklichen oder auch nur sinngemäßen Vorbehalt in seiner ersten Schlussrechnung erklärt. Es handelte sich auch nicht bloß um die Korrektur eines offen zutage liegenden Fehlers der ersten Abrechnung. Vielmehr wies die erste Rechnung als Leistungstag für das Sonderentgelt lediglich den aus. Der Beklagten konnte sich aufgrund dieser Abrechnung in keiner Weise erschließen, dass mit dem für einen Tag angesetzten Sonderentgelt tatsächlich an zwei Tagen erbrachte Leistungen abgerechnet werden sollten. Die korrigierende Nachforderung des Klägers erfolgte auch nicht mehr zeitnah, insbesondere nicht innerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Beklagten, sondern mehr als zwei Jahre nach Übersendung und Bezahlung der ersten Rechnung. KKn müssen indes nicht hinnehmen, dass KHr innerhalb der Verjährungsfristen durch Nachforderungen trotz erteilter Schlussrechnung ihre Abrechnung nachträglich optimieren.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz.
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GAAAD-30932