Zusammenballung von Einkünften; keine Gewährung der Tarifvergünstigung, wenn sich die Auszahlung außerordentlicher Einkünfte auf drei oder mehr Veranlagungszeiträume verteilt
Leitsatz
Einkünfte aus selbständiger Arbeit können nur ausnahmsweise - in bestimmten Fallgruppen - als Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten qualifiziert werden.
Ein Fall, in dem eine solche Vergütung anzunehmen sein kann, ist gegeben, wenn es aufgrund einer vorausgegangenen rechtlichen Auseinandersetzung zu einer Nachzahlung kommt, die insgesamt mehrere Kalenderjahre betrifft und zusammengeballt zufließt.
§ 34 EStG ist nur anwendbar, wenn es zu einer Zusammenballung von Einkünften kommt. Dies rechtfertigt sich aus dem Zweck der Regelung, Progressionsnachteile auszugleichen.
Außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 2 EStG sind grundsätzlich nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte (hier: Nachvergütung aufgrund einer vorausgegangenen rechtlichen Auseinandersetzung mit der Kassenärztlichen Vereinigung) in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen.
Verteilt sich die Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit auf drei oder mehr Veranlagungszeiträume, kommt die Gewährung der Tarifvergünstigung nicht in Betracht.
Gesetze: EStG § 34 Abs. 1, EStG § 34 Abs. 2 Nr. 4
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Diplom-Psychologe, ist als Psychotherapeut selbständig tätig. Er behandelt Privat- und Kassenpatienten.
Die Vergütung für seine kassenärztlichen Leistungen erhielt er von der Kassenärztlichen Vereinigung, die mittels Honorarbescheid vierteljährliche Abrechnungen durchführte. Die Honorarzahlungen erfasste er in den Streitjahren 2000 und 2001 in Einnahme-Überschussrechnungen gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Der Kläger hielt, wie andere Berufskollegen auch, die in den neunziger Jahren erhaltene Vergütung für zu gering. Die von ihm eingelegten Widersprüche gegen die Honorarbescheide führten auf der Grundlage eines im Jahr 1999 ergangenen Grundsatzurteils des Bundessozialgerichts zum Erfolg. Für die in 1993 bis 1998 quartalsweise abgerechneten psychotherapeutischen Leistungen erhielt der Kläger in Nachvergütungs- bzw. Widerspruchsbescheiden höhere Beträge zuerkannt, und zwar 10 000 DM im Jahr 2000, 44 731,56 DM im Jahr 2001 und 23 741,51 € im Jahr 2002.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) versagte in den angegriffenen Einkommensteuerbescheiden 2000 und 2001 den vom Kläger begehrten Ansatz des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG mit der Begründung, bei den Nachzahlungen handele es sich nicht um eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) äußerte Zweifel, ob eine der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dieser Gesetzesbestimmung entwickelten Fallgruppen im Streitfall einschlägig ist, ließ die Frage jedoch im Ergebnis dahinstehen, weil die Nachzahlungen jedenfalls nicht zusammengeballt in einem Veranlagungszeitraum zugeflossen seien.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision räumt der Kläger ein, dass der vorliegende Sachverhalt sich von den bislang anerkannten Fällen einer Vergütung für mehrjährige Tätigkeit unterscheide. Die Rechtsprechung gehe von einer mehrjährigen Tätigkeit aus, wenn der Steuerpflichtige sich über mehrere Jahre ausschließlich einer Sache widme, wenn es sich um eine über mehrere Jahre erstreckende abgrenzbare Sondertätigkeit handele oder wenn eine einmalige Sonderzahlung für langjährige Dienste aufgrund einer arbeitnehmerähnlichen Stellung gezahlt werde. Der Streitfall lasse sich indes in seiner Gesamtheit mit diesen drei Fallgruppen vergleichen. Die in den Streitjahren erhaltenen Nachzahlungen bezögen sich auf viel früher geleistete Tätigkeiten, wodurch es zu einer erheblichen Zusammenballung seiner Einnahmen gekommen sei. Dies wirke sich wegen des progressiven Steuertarifs nachteilig aus. Die Anwendung des § 34 EStG würde zudem Schadensersatzansprüche gegen die Kassenärztliche Vereinigung als Körperschaft des öffentlichen Rechts bereits im Vorfeld unterbinden. Die Einheit der Verwaltung gebiete daher eine Entlastung durch den Fiskus.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Einkommensteuerbescheide 2000 und 2001 dahin abzuändern, dass die zugeflossenen Honorarnachzahlungen der Kassenärztlichen Vereinigung für die Jahre 1993 bis 1998 als außerordentliche Einkünfte nach § 34 EStG besteuert werden.
Das FA hat bislang keinen Antrag gestellt.
Es trägt vor, dass der Grundsatz der Einheit der Verwaltung vorliegend nicht die Anwendung des § 34 EStG gebiete. Im Übrigen sei auf die zutreffende Begründung des angegriffenen Urteils zu verweisen.
II. Die Revision ist nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Die dem Kläger in den Streitjahren zugeflossenen Nachzahlungen der Kassenärztlichen Vereinigung stellen keine außerordentlichen Einkünfte i.S. des § 34 EStG dar. Es fehlt an der erforderlichen Zusammenballung von Einkünften.
1. Nach § 34 Abs. 1 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung sind außerordentliche Einkünfte ermäßigt zu besteuern. Als außerordentliche Einkünfte kommen u.a. Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG).
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung können Einkünfte aus selbständiger Arbeit nur ausnahmsweise —in bestimmten Fallgruppen— als Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten qualifiziert werden (, BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180, m.w.N.).
Ein Fall, in dem eine solche Vergütung anzunehmen sein kann, ist gegeben, wenn es aufgrund einer vorausgegangenen rechtlichen Auseinandersetzung zu einer Nachzahlung kommt, die insgesamt mehrere Kalenderjahre betrifft und zusammengeballt zufließt (BFH-Urteil in BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180).
Die Vorschrift des § 34 EStG ist jedoch nur anwendbar, wenn es zu einer Zusammenballung von Einkünften kommt. Dies rechtfertigt sich aus dem Zweck der Regelung, Progressionsnachteile auszugleichen. Deshalb sind außerordentliche Einkünfte grundsätzlich nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (, BFHE 105, 255, BStBl II 1972, 529; vom VI R 55/73, BFHE 115, 366, BStBl II 1975, 690; vom XI R 63/89, BFHE 171, 416, BStBl II 1993, 831; vom XI R 74/92, BFH/NV 1994, 368; vom VI R 46/99, BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289; vom IX R 55/05, BFH/NV 2008, 1666).
2. Nach diesen Maßstäben kann der ermäßigte Steuersatz im Streitfall nicht gewährt werden.
a) Denn der Kläger hat zwar in Folge seiner rechtlichen Auseinandersetzung mit der Kassenärztlichen Vereinigung eine Nachvergütung für seine in den Jahren 1993 bis 1998 erbrachten Tätigkeiten erhalten. Die Nachzahlung erfolgte jedoch nicht in einem Betrag, sondern ist verteilt auf die beiden Streitjahre und das folgende Jahr zugeflossen. Zu einer Zusammenballung der zu begünstigenden Einkünfte ist es daher nicht gekommen.
b) Im Streitfall ist eine ausnahmsweise Anwendung des § 34 EStG nicht zu erwägen.
Von dem in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsatz, dass außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 EStG zusammengeballt in einem —einzigen— Veranlagungszeitraum zufließen müssen (vgl. die unter II.1. der Gründe dieses Urteils aufgeführten Nachweise aus der BFH-Judikatur), ist der BFH nur in eng begrenzten Ausnahmefällen abgerückt und hat dementsprechend in Einzelfällen auch eine auf zwei Veranlagungszeiträume verteilte Auszahlung als unschädlich für die Anwendbarkeit des § 34 EStG erachtet (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs vom IV 91/40, RStBl 1940, 981; , BFHE 86, 760, BStBl III 1967, 2; in BFHE 171, 416, BStBl II 1993, 831, m.w.N.; in BFH/NV 1994, 368). Verteilt sich dagegen die Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit, wie vorliegend, auf drei oder mehr Veranlagungszeiträume, dann kommt die Gewährung der Tarifvergünstigung nicht in Betracht (BFH-Urteile in BFHE 105, 255, BStBl II 1972, 529, und in BFHE 115, 366, BStBl II 1975, 690). An diesen Rechtsgrundsätzen hält der Senat fest, weil ansonsten eine klare Abgrenzung zwischen den ordentlichen und den außerordentlichen Einkünften —gerade bei betrieblichen Einkunftsarten mit typischerweise schwankenden Einnahmen— nicht mehr möglich ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 171, 416, BStBl II 1993, 831).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1973 Nr. 12
KAAAD-29980