BFH Beschluss v. - II B 184/08

Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung bei Versäumung der Frist durch eine Finanzbehörde; Behörde zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet; Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax

Gesetze: FGO § 56 Abs. 1

Instanzenzug: GrE

Gründe

I. Mit Urteil vom hat das Finanzgericht einer Klage der Klägerin und Beschwerdegegnerin auf Aufhebung von Grunderwerbsteuerbescheiden, die der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) erlassen hatte, stattgegeben, die Revision hiergegen jedoch nicht zugelassen. Das Urteil wurde dem FA am zugestellt.

Wegen der Nichtzulassung der Revision hat das FA Beschwerde eingelegt; die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Senatsvorsitzenden antragsgemäß um einen Monat verlängert. Das FA begründete die Nichtzulassungsbeschwerde mit einem auf den datierten Schriftsatz, der am beim Bundesfinanzhof (BFH) einging. Das FA wurde am von der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist in Kenntnis gesetzt.

Mit einem am eingegangenen Schriftsatz beantragte das FA wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und trug zur Begründung vor: Nichtzulassungsbeschwerden würden im FA von den jeweils zuständigen Sachgebietsleitern der Rechtsbehelfsstelle in organisatorischer Abstimmung mit den zuständigen Sachbearbeitern der Rechtsbehelfsstelle bearbeitet. Die Sachgebietsleiter führten insoweit eine eigene Fristenkontrolle im Sinne einer Wiedervorlage für diese selbst bearbeiteten Fälle. Im vorliegenden Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde sei die zuständige Sachgebietsleiterin während der laufenden Bearbeitung erkrankt; sie habe jedoch gleichwohl die Endbearbeitung der Nichtzulassungsbeschwerde übernommen und diese am dem Vorsteher über den zuständigen Vertretungssachgebietsleiter zur Unterschrift vorgelegt. Der Vorsteher habe die Begründungsschrift am unterzeichnet und den sofortigen Vorabversand per Telefax verfügt. Diese Verfügung nebst Begründungsschrift sei der im Sachgebiet der Sachgebietsleiterin für den ordnungsgemäßen Versand zuständigen, regelmäßig geschulten und zuverlässigen Finanzbeamtin Z am zugeleitet worden. Z habe nach Rückkehr aus einem Kurzurlaub die Versendung per Fax unterlassen und lediglich am den Postversand vorgenommen. Dabei habe Z für sich angenommen, dass die Versendung per Fax durch den Vertretungssachgebietsleiter vorzunehmen sei. Diese Vorgehensweise, die nicht im Hause besprochen worden und von Z erstmals gewählt worden sei, sei für keinen der Vorgesetzten erkennbar oder vorhersehbar gewesen.

II. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie ist nicht innerhalb der antragsgemäß bis zum verlängerten Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde begründet worden (§ 116 Abs. 3 Satz 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Dem FA kann eine Wiedereinsetzung in diese Frist nicht gewährt werden.

Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist verhindert war.

a) Im Streitfall kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht deshalb gewährt werden, weil die Fristversäumnis ausschließlich auf Verzögerungen bei der Postbeförderung oder -zustellung beruht und deshalb vom FA nicht zu vertreten ist.

Liefert ein Beteiligter eine Sendung so rechtzeitig bei der Post ein, dass üblicherweise mit einem fristgerechten Zugang zu rechnen ist, dürfen Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder -zustellung, die der Beteiligte nicht zu vertreten hat, nicht als verschuldet gewertet werden (z.B. BFH-Entscheidungen vom VIII R 10/05, BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96; vom VII B 219/05, BFH/NV 2006, 1504; Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 56 Rz 20 „Postbeförderung”).

Nach diesen Grundsätzen scheidet vorliegend eine Wiedereinsetzung aus, weil nach dem Vorbringen des FA nicht von einer rechtzeitigen Einlieferung der Postsendung bei der Deutschen Post AG ausgegangen werden kann. Das FA hat keinen die rechtzeitige Einlieferung bei der Deutschen Post AG belegenden Auszug aus dem Postausgangsbuch vorgelegt. Es hat lediglich —ohne dies durch eine dienstliche Äußerung oder eidesstattliche Versicherung zu belegen— vorgetragen, Z habe „den Postversand am vorgenommen”, so dass „bei regelmäßigem Postverlauf” mit einer Zustellung durch die Post am habe gerechnet werden können. Diesem Vorbringen steht schon entgegen, dass der an den BFH adressierte Briefumschlag mit der fraglichen Begründungsschrift den Datumsstempel des trägt. Zudem lässt die behauptete Vornahme des Postversands durch Z am nicht erkennen, ob diese den Schriftsatz an diesem Tag zur Post aufgegeben oder lediglich —mit einer sich daraus ergebenden Zeitverzögerung bis zur Einlieferung bei der Post— an die Postausgangsstelle des FA weitergeleitet hat.

b) Auch die weiteren vom FA vorgetragenen Tatsachen lassen nicht den Schluss zu, dass die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde unverschuldet versäumt wurde. Es ist nicht erkennbar, dass durch organisatorische Vorkehrungen beim

FA eine zuverlässige Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftstücke gewährleistet war.

aa) Bei der Beurteilung, ob sich eine Finanzbehörde die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom IX R 41/05, BFH/NV 2007, 1508; vom III R 78/06, BFH/NV 2009, 407, jeweils m.w.N.).

Danach ist auch eine Behörde zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet (, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 56 FGO Rz 292, m.w.N.). Die Erledigung des Schriftsatzes muss bis zu seiner Absendung überwacht werden. Daraus ergibt sich, dass Schriftsätze nicht nur rechtzeitig gefertigt und abgesandt werden müssen, sondern die Absendung auch in einem besonderen Vorgang kontrolliert werden muss (, BFH/NV 1998, 70; vom VII R 113/97, BFH/NV 1998, 709). Die Kontrolle der Erledigung und tatsächlichen Absendung des jeweiligen Schriftstücks muss durch jemanden erfolgen,

der den gesamten Bearbeitungsvorgang überwachen kann (BFH-Beschlüsse vom VII R 136/97, BFH/NV 1999, 73, und in BFH/NV 2007, 1508).

Soll ein fristwahrender Schriftsatz per Telefax übermittelt werden, so erfordert eine wirksame Fristenkontrolle, dass Fehler beim Versenden der fristwahrenden Schriftstücke möglichst vermieden werden (Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 20 „Telefax”). Es ist dafür Sorge zu tragen, dass Fristen aus dem Fristenkalender erst gelöscht werden, wenn durch Überprüfung des Sendeprotokolls feststeht, dass der Schriftsatz ordnungsgemäß gesendet worden ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom VI R 69/04, BFH/NV 2005, 2016; vom I B 70/06, BFH/NV 2007, 929; vom I R 39/04, BFH/NV 2008, 81).

bb) Ob die beim FA nach seinem Vorbringen praktizierte eigene Fristenkontrolle durch die Sachgebietsleiter für die von ihnen selbst bearbeiteten Fälle den Anforderungen einer wirksamen Ausgangskontrolle genügt, kann mangels näherer Darlegungen des FA zu Art und Durchführung der Fristenkontrolle nicht abschließend beurteilt werden. Ein solcher Tatsachenvortrag wäre jedoch erforderlich gewesen, weil die Schilderung einer wirksamen Erledigungs- und Ausgangskontrolle zur Beurteilung, ob ein Organisationsverschulden ausscheidet, unverzichtbar ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 2016).

Ein Organisationsverschulden des FA als Ursache der Fristversäumnis ist schon deshalb nicht auszuschließen, weil das FA offensichtlich kein Fristenkontrollbuch geführt hat. Das FA hat auch nichts dazu vorgetragen, ob —auf der Grundlage der eigenen Fristenkontrolle der Sachgebietsleiter für die von ihnen selbst bearbeiteten Fälle— organisatorische Vorkehrungen zur Sicherstellung der Fristenkontrolle im Fall einer krankheits- oder urlaubsbedingten Abwesenheit der Sachgebietsleiter getroffen waren. Insbesondere fehlen Darlegungen zu der Frage, ob bei solchen Abwesenheitszeiten die Fristenkontrolle auf die Vertretungssachgebietsleiter übertragen war und ob diese auch die ordnungsgemäße Versendung fristgebundener Schriftsätze per Telefax zu überwachen hatten. Bei einer effektiven Fristenkontrolle hätte jedenfalls die unterbliebene Übersendung per Telefax nicht unentdeckt bleiben und noch am —dem Tag, an dem Z den Postversand vorgenommenen haben soll— oder am Folgetag fristwahrend nachgeholt werden können.

cc) Allerdings ist ein Organisationsmangel im Allgemeinen nicht ursächlich für die Fristversäumnis, wenn eine diesen Mangel ausgleichende konkrete Einzelanweisung an Bürobedienstete erteilt, jedoch von diesen nicht befolgt wird (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 2016). Dies gilt auch bei einer konkreten Anweisung, einen Schriftsatz per Telefax an das Gericht zu übermitteln (, BFHE 205, 9, BStBl II 2004, 564, m.w.N.). Voraussetzung für die Anwendung dieser Grundsätze ist jedoch eine klare und präzise Einzelweisung (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 2016, m.w.N.). Eine diesen Anforderungen genügende Einzelweisung ergibt sich aus der Verfügung des Vorstehers vom nicht.

Zweifelhaft ist schon, ob der Vorsteher des FA überhaupt —was nicht durch eine entsprechende dienstliche Erklärung des Vorstehers bzw. der Z belegt ist— durch den am auf dem Entwurf des Begründungsschriftsatzes aufgebrachte Stempelaufdruck „(Vorab-)Versand per FAX am .” den sofortigen Vorabversand der Begründungsschrift verfügt. Der Wortlaut des Stempelaufdrucks kann vielmehr auch dahin verstanden werden, dass lediglich das Datum einer etwaigen Vorabübermittlung per Telefax festzuhalten war. Zudem ist weder aus der Begründung des Wiedereineinsetzungsgesuchs noch aus der Verfügung des Vorstehers vom ersichtlich, dass gegenüber Z eine Einzelweisung zur Übermittlung per Telefax erteilt worden ist.

Selbst wenn jedoch der Stempelaufdruck im Sinne einer Einzelweisung gegenüber Z zur Übermittlung des Begründungsschriftsatzes vorab per Telefax zu verstehen sein sollte, kann jedenfalls aufgrund der fehlenden Ausgangskontrolle ein Organisationsverschulden des FA als Ursache der Fristversäumnis nicht ausgeschlossen werden. Eine konkrete Anweisung zur Übermittlung per Telefax kann nur dann allgemeine organisatorische Regelungen zur Fristenkontrolle erübrigen, wenn solche Regelungen durch die Einzelanweisung ihre Bedeutung für die Einhaltung der Frist verloren hätten. Das aber ist nicht der Fall, wenn die Weisung nur dahin geht, einen Schriftsatz per Telefax zu übermitteln, die Fristüberschreitung aber —wie vorliegend— auf unzureichenden organisatorischen Vorkehrungen zur Fristenkontrolle beruhen (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 2016, m.w.N.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
LAAAD-29971