BSG Urteil v. - B 1 KR 17/08 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB V § 62 Abs 2 Satz 3; EStG § 32 Abs 6 Satz 1; EStG § 32 Abs 6 Satz 2

Instanzenzug: LSG Niedersachsen-Bremen, L 1 KR 22/08 vom SG Bremen, S 7 KR 142/05 vom

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Erstattung für geleistete Zuzahlungen und hierbei über die Berechnung der Belastungsgrenze.

Der 1946 geborene Kläger ist bei der beklagten Ersatzkasse versichert, seine chronisch kranke Ehefrau und zwei im gemeinsamen Haushalt lebende Kinder sind familienversichert. Der Kläger leistete 2004 Zuzahlungen in Höhe von 442,62 Euro. Er beantragte die Befreiung von Zuzahlungen, da er 2004 eigene monatliche Bruttoeinnahmen von 2.906 Euro nebst Sonderzahlungen von 1.100 Euro erziele und seine Ehefrau 400 Euro Arbeitsentgelt brutto monatlich erhalte. Die Beklagte erstattete ihm 193,02 Euro, da die Belastungsgrenze 249,60 Euro betrage. Der Freibetrag je Kind belaufe sich auf 3.648 Euro (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Dem Klagevorbringen, der Freibetrag sei je Kind mit 5.808 Euro anzusetzen, ist das Sozialgericht (SG) gefolgt und hat die Beklagte unter Änderung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger weitere 43,20 Euro (= 1 vH von 4.320 Euro) zu erstatten (Urteil vom ).

Das Landessozialgericht (LSG) hat die - vom SG zugelassene - Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 62 Abs 2 Satz 3 SGB V iVm § 32 Abs 6 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) verminderten sich die jährlichen Bruttoeinnahmen für jedes Kind des Versicherten und seines Lebenspartners "um den sich nach § 32 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 des Einkommensteuergesetzes ergebenden Betrag". Dieser "Betrag" werde nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG aus dem für jedes Kind zu berücksichtigenden Freibetrag (1.824 Euro) sowie dem Freibetrag von 1.080 Euro gebildet und sei hier wegen der steuerlichen Zusammenveranlagung der Ehegatten auf 5.808 Euro je Kind zu verdoppeln (Urteil vom ).

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 62 Abs 2 Satz 3 SGB V iVm § 32 Abs 6 Satz 1 und 2 EStG. Der gesetzgeberische Wille sei nach dem in den Materialien zu § 62 SGB V enthaltenen Rechenbeispiel, in dem ein Freibetrag von "3.648 Euro" (unter Einschluss der Verdoppelung nach § 32 Abs 6 Satz 2 EStG) genannt werde, eindeutig. Die Gesetzessystematik gebiete ebenfalls eine einschränkende Auslegung, weil die Entlastung je Kind sonst diejenige für den ersten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten (2004: 4.347 Euro) überstiege. Schon der 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) habe sich hierzu kritisch geäußert (BSG SozR 4-2500 § 62 Nr 1). Eine derart weitreichende Besserstellung von Kindern, die sich bei einer noch hinzukommenden Nichtberücksichtigung von Kindergeld als Einkommen weiter verstärke, sei nicht gewollt. Dies belege auch der Vergleich mit den Vorgängerregelungen des § 62 SGB V, nach denen die Minderung der Bruttoeinnahmen für gemeinsame Kinder nur 10 vH der jährlichen Bezugsgröße betragen habe, während sie für den Ehegatten bei 15 vH dieses Wertes gelegen habe.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom und des Sozialgerichts Bremen vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die zulässige Revision der beklagten Ersatzkasse ist unbegründet.

Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass sie dem Kläger für das Jahr 2004 geleistete Zuzahlungen in Höhe von weiteren 43,20 Euro erstatten muss. Die Beklagte hat die Belastungsgrenze im Rahmen der Anwendung des § 62 SGB V in Bezug auf die für seine Kinder geltenden Freibeträge unzutreffend zu hoch angesetzt.

1. Die Höhe der vom Kläger im Jahr 2004 nach § 61 SGB V zu leistenden Zuzahlungen beurteilt sich nach § 62 SGB V in seiner hier anzuwendenden, ab gültig gewesenen Neufassung des Art 1 Nr 40 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz [GMG] vom , BGBl I 2190, geändert mit Wirkung vom durch Art 4 Nr 1 des Kommunalen Optionsgesetzes vom , BGBl I 2014). Nach § 62 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte während jedes Kalenderjahres nur Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten; wird die Belastungsgrenze bereits innerhalb eines Kalenderjahres erreicht, hat die Krankenkasse eine Bescheinigung darüber zu erteilen, dass für den Rest des Kalenderjahres keine Zuzahlungen mehr zu leisten sind. Die Belastungsgrenze beträgt 2 vH der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt für chronisch Kranke, die - wie die Ehefrau des Klägers - wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung sind, beträgt sie 1 vH der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt (vgl § 62 Abs 1 Satz 2 SGB V).

Das Gesetz geht davon aus, dass der Versicherte eine Zuzahlung über die Belastungsgrenze hinaus durch eine zeitgerecht erteilte Bescheinigung vermeiden und dass er diese Bescheinigung gegebenenfalls gerichtlich erwirken kann. Hat er Zuzahlungen bereits über die maßgebliche Belastungsgrenze hinaus geleistet, weil die Krankenkasse die Grenze nicht rechtzeitig oder in einer zu großen Höhe bescheinigt hat, sind Zuzahlungen über die Belastungsgrenze hinaus aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zu erstatten. Bei Berechnung der Belastungsgrenze für Zuzahlungen sind nach der Rechtsprechung des BSG die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt des laufenden Kalenderjahres zugrunde zu legen. Der hierauf gerichtete Anspruch ist - wie hier erfolgt - im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage durchzusetzen (stRspr, vgl zum Ganzen zuletzt BSG SozR 42500 § 62 Nr 6 RdNr 11 mwN).

2. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass der Kläger einen solchen Erstattungsanspruch in Höhe von weiteren 43,20 Euro hat, weil die Beklagte die Belastungsgrenze des Klägers für das Jahr 2004 um 4.320 Euro zu hoch ansetzte.

a) Nach § 62 Abs 2 Satz 1 SGB V werden bei der Ermittlung der Belastungsgrenze nach Abs 1 die Zuzahlungen und die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten und des Lebenspartners jeweils zusammengerechnet. Hierbei sind nach Satz 2 der Regelung die jährlichen Bruttoeinnahmen für den ersten in dem gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen um 15 vH und für jeden weiteren in dem gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten und des Lebenspartners um 10 vH der jährlichen Bezugsgröße zu vermindern. Nach § 62 Abs 2 Satz 3 SGB V sind "für jedes Kind des Versicherten und des Lebenspartners ... die jährlichen Bruttoeinnahmen um den sich nach § 32 Abs. 6 Satz 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes ergebenden Betrag zu vermindern", wobei die nach Satz 2 bei der Ermittlung der Belastungsgrenze vorgesehene Berücksichtigung entfällt.

Zu dem sich nach § 32 Abs 6 Satz 1 und 2 EStG (hier anzuwenden in der ab geltenden Fassung des Gesetzes vom , BGBl I 2848; gleichlautend auch noch in der aktuellen, ab geltenden Fassung des EStG idF des Gesetzes vom , BGBl I 2955) ergebenden "Betrag" wiederum heißt es dort:

"Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer wird für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 1.824 Euro für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie ein Freibetrag von 1.080 Euro für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes vom Einkommen abgezogen. Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, verdoppeln sich die Beträge nach Satz 1, wenn das Kind zu beiden Ehegatten in einem Kindschaftsverhältnis steht".

b) Aus dem in § 62 SGB V in Bezug genommenen Gesetzeswortlaut des § 32 Abs 6 Satz 1 und 2 EStG ergibt sich, dass dort nicht lediglich ein einziger zahlenmäßig ausgeworfener "Betrag" von 1.824 Euro benannt wird, sondern dass sich der "Betrag" aus dem für jedes Kind zu berücksichtigenden Freibetrag von 1.824 Euro sowie zusätzlich einem - allerdings von bestimmten Voraussetzungen (= Betreuung, Erziehung, Ausbildung des Kindes) abhängigen - weiteren Freibetrag von 1.080 Euro gebildet wird; dieser Betrag ist sodann kraft der Anordnung in § 32 Abs 6 Satz 2 EStG bei steuerlich zusammen veranlagten Ehegatten wie dem Kläger und seiner Ehefrau je gemeinsamem Kind auf 5.808 Euro zu verdoppeln ([1.824 Euro + 1.080 Euro] x 2). Die demgegenüber von der Beklagten befürwortete Beschränkung des "Betrages" auf den "Freibetrag für Kinder" und einen Höchstbetrag von 3.648 Euro je Kind (also unter Außerachtlassung des - zu verdoppelnden - Freibetrages in Höhe von 1.080 Euro) lässt sich aus dem Gesetzeswortlaut und der aufgezeigten, vom Gesetzgeber gewählten Regelungssystematik dagegen nicht herleiten.

c) Dass diese nach dem Wortlaut und nach der Gesetzessystematik allein in Betracht kommende Auslegung im Widerspruch zu der Begründung zum Entwurf des § 62 SGB V steht (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, BT-Drucks 15/1525 S 95 zu Nr 40 [§ 62 des Entwurfs]), spricht jedenfalls nicht für die Richtigkeit und Maßgeblichkeit der von der Beklagten und anderen Krankenkassen vertretenen Rechtsauffassung zur Höhe der für Kinder in Betracht kommenden Freibeträge (ebenso: Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: Februar 2009, K § 62 RdNr 55; Sichert in: Becker/Kingreen, SGB V, 2008, § 62 RdNr 23; aA: Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenversicherung vom , Die Leistungen, 2004, 340, 351 unter 2.2.; Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand Juni 2008, § 62 SGB V RdNr 44; Albers in: jurisPK-SGB V, 1. Aufl 2007, § 62 RdNr 47; Schomburg in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Bd 1/1, Gesetzliche Krankenversicherung - Soziale Pflegeversicherung, Stand Februar 2009, Kap 2-278 Fußnote 474).

In der Gesetzesbegründung zu § 62 SGB V heißt es:

"Es bleibt bei der bisherigen Orientierung der Überforderungsklausel am Familieneinkommen; für Kinder wird ein gesonderter Freibetrag (2003 = 3.648 Euro) eingeführt, der an die Stelle der bisherigen prozentualen Berücksichtigung nach Absatz 2 Satz 1 tritt."

Diese Gesetzesbegründung ist mit der Gesetz gewordenen Fassung schlechterdings nicht in Einklang zu bringen.

In den Fällen, in denen lediglich die Verweisung auf § 32 Abs 6 Satz 1 EStG greift, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32 Abs 6 Satz 2 EStG nicht erfüllt sind, ist der in der Begründung aufgeführte Freibetrag zu hoch (3.648 Euro statt richtig 2.904 Euro). In den Fällen der Einbeziehung des § 32 Abs 6 Satz 2 EStG ist der in der Klammer aufgeführte Freibetrag dagegen zu niedrig (3.648 Euro statt richtig 5.808 Euro). Eine dem Wortlaut des § 62 SGB V widersprechende Berücksichtigung von stets 3.648 Euro je Kind würde auch dem System und Ziel dieser Regelung nicht mehr gerecht, das auch für die Ermittlung der Belastungsgrenze im Krankenversicherungsrecht bedeutsame Existenzminimum des Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung zumindest entsprechend dem Rahmen der steuerlichen Freistellung des Einkommens zu berücksichtigen.

Die schon im Gesetzentwurf enthaltene und später Gesetz gewordene Textfassung des § 62 Abs 2 Satz 3 SGB V erschöpft sich - wie dargestellt - nicht allein in dem zu verdoppelnden "Freibetrag für Kinder" (= 1.824 Euro x 2), an den die Begründung anknüpft, sondern nimmt die Regelung des § 32 Abs 6 Satz 1 und 2 EStG ausdrücklich in ihrer Gesamtheit in Bezug, indem sie das Tatbestandsmerkmal "Betrag" verwendet. Die SGB V-Regelung beschränkt sich damit nicht nur auf das eine der beiden in § 32 Abs 6 EStG genannten Elemente, den "Freibetrag für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag)". Wenn allein dieser Freibetrag hätte einschlägig sein sollen, wäre bei der gewählten Regelungstechnik offenkundig - ähnlich wie in anderen Regelungsbereichen geschehen - nur eine Teilverweisung auf die einkommensteuerrechtliche Bestimmung erfolgt. § 62 Abs 2 Satz 3 SGB V verweist aber zweifelsfrei zusätzlich auch auf den Freibetrag von 1.080 Euro für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes. Es kann keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass bei einer derartigen offenen Diskrepanz zwischen dem in einem förmlichen Verfahren zustande gekommenen und im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Gesetzestext einerseits und den in den Gesetzesmaterialien angeführten Vorstellungen andererseits dem Gesetzeswortlaut der Vorrang zukommen muss. Anhaltspunkte für ein sich im Gesetzestext niederschlagendes Redaktionsversehen im Sinne einer offensichtlichen Unrichtigkeit (vgl § 38 SGB X, § 138 Satz 1 SGG), die im Rahmen der Rechtsanwendung durch "Auslegung" behoben werden könnte, fehlen.

Eine Gesetzesbegründung, die mit dem Gesetzeswortlaut, dem Regelungssystem und dem Regelungsziel nicht in Einklang steht, kann nicht zur Grundlage einer vermeintlichen authentischen Gesetzesinterpretation gemacht werden. Deshalb hat auch der 10. Senat des BSG, der sich zwar kritisch zu der Diskrepanz zwischen Kinder- und Angehörigenentlastung geäußert hat, keinen Zweifel an der Maßgeblichkeit des Freibetrags von 5.808 Euro für ein Kind geäußert, sondern ihn zugrunde gelegt (vgl BSG SozR 4-2500 § 62 Nr 1 RdNr 14). Der 1. Senat hat hieran in seiner Rechtsprechung angeknüpft und insgesamt auf die Entscheidung des 10. Senats verwiesen, ohne von einer Abweichung auszugehen (vgl BSG SozR 4-2500 § 62 Nr 5 RdNr 10). Aus der im Urteil des 1. Senats vorgenommenen Rechnung lässt sich im Übrigen entgegen der Ansicht der Beklagten nicht herleiten, dass generell von einem Freibetrag pro Kind in Höhe von nur 3.648 Euro auszugehen sei; im dortigen Rechtsstreit hatten die Vorinstanzen das Vorliegen der Voraussetzungen für den weiteren Freibetrag von 1.080 Euro (= Betreuung, Erziehung, Ausbildung der Kinder) nicht festgestellt, ohne dass dies mit Revisionsrügen angegriffen wurde.

d) Angesichts des klaren Gesetzeswortlauts und der klaren Verweisung scheidet auch eine von der Beklagten befürwortete teleologische Reduktion von § 62 Abs 2 Satz 3 SGB V iVm § 32 Abs 6 Satz 1 und 2 EStG aus.

So mag zwar die Folge der Regelung bisweilen als rechtspolitisch unbefriedigend empfunden werden, weil die Entlastung für den ersten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten (2004: 4.347 Euro) niedriger ausfällt als diejenige für ein Kind (2004: 5.808 Euro), wobei hinzukommt, dass nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 4-2500 § 62 Nr 5) das Kindergeld bei der Einkommensberechnung unberücksichtigt bleibt. Aus den Gesetzesmaterialien zu § 62 SGB V ergibt sich ebenfalls nicht, was den Gesetzgeber bewogen hat, die Entlastung für Kinder deutlich höher ausfallen zu lassen als in den Vorgängerregelungen zu § 62 SGB V, nach denen die Minderung der Bruttoeinnahmen für gemeinsame Kinder nur 10 vH der jährlichen Bezugsgröße betrug, während sie sich für einen Ehegatten auf 15 vH dieses Wertes belief. Diese Umstände rechtfertigen angesichts des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Entscheidungsspielraums aber keine abweichende Beurteilung der Rechtslage in Bezug auf die Bemessung der Entlastungsbeträge für Kinder.

Eine zu niedrig oder gleichheitswidrig ausgefallene Entlastung für Ehegatten bzw für den ersten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen kann nicht bewirken, dass der Rechtsprechung daraus auf der Rechtsanwendungsebene die Befugnis zuwüchse, für die Rechtsverhältnisse in einer anderen - begünstigten - Vergleichsgruppe (hier: der Kinder) eine restriktive Auslegung gegen den klaren Gesetzeswortlaut, das Regelungsziel und die Regelungssystematik vorzunehmen. Eine aus Rechtsgründen unzureichende Entlastung für Ehegatten und gleichgestellte Personen müsste im Rahmen von Streitigkeiten über entsprechende Sachverhalte zur ggf verfassungsrechtlichen Überprüfung gestellt werden. Hinzu kommt hier indessen, dass die finanzielle Begünstigung, die der Kläger durch die hier vorgenommene Auslegung erlangt hat, mit 43,20 Euro im Kalenderjahr 2004 von relativ geringem Gewicht ist. Außerdem erscheint es nicht von vornherein sach- und gleichheitswidrig, wenn der Gesetzgeber angesichts der oft - gerade auch im Rahmen von Zuzahlungsstreitigkeiten (vgl zB BSGE 92, 46 = SozR 4-2500 § 61 Nr 1) - in der Rechtsprechung streitig gewesenen Frage nach der Wahrung des bei der Erziehung von Kindern maßgeblichen Existenzminimums hier eine zumindest am Steuerrecht orientierte Begünstigung vornahm: Schließlich wurde zum die Möglichkeit einer vollständigen Befreiung von Zuzahlungen (§ 61 SGB V aF) abgeschafft und sollte nach den Vorstellungen des Gesetzgebers - entsprechend den allgemeinen Vorgaben des § 6 SGB I - in den Befreiungs- und Überforderungsregelungen ua bei den Freibeträgen für Kinder "auf Familien ... besonders Rücksicht genommen" werden, "um die soziale Balance sicherzustellen" (vgl Gesetzentwurf zum GMG, aaO, BT-Drucks 15/1525 S 77 linke Spalte unten/rechts oben, allerdings auch nicht berufstätige Ehegatten hervorhebend).

e) Nach alledem ergibt sich nach den von den Beteiligten im Übrigen nicht beanstandeten Rechnungsgrößen ausgehend von den jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt von 36.603 Euro der im gemeinsamen Haushalt mit dem Kläger lebenden Personen folgende Berechnung für den offenen Erstattungsbetrag:

jährliche Bruttoeinnahmen| 36.603,00 Euro

./. von der Beklagten bereits berücksichtigter Minderungsbetrag für Angehörige| 11.643,00 Euro

./. zusätzlich zu berücksichtigende Freibeträge für Kinder (s. o.) |4.320,00 Euro

anrechenbare Einnahmen| 20.640,00 Euro

davon Belastungsgrenze 1 vH| 206,40 Euro

Summe der geleisteten Zuzahlungen| 442,62 Euro

./. Belastungsgrenze| 206,40 Euro

Erstattungsbetrag| 236,22 Euro

./. bereits von der Beklagten gezahlt| 193,02 Euro

Rest| 43,20 Euro

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
DStR 2009 S. 2541 Nr. 49
HAAAD-29874