Betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers ist keine regelmäßige Arbeitsstätte
Leitsatz
Die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers ist keine regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG bzw. § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG. Die Vorschriften kommen demnach auch dann nicht zur Anwendung, wenn ein Arbeitnehmer bei einem Kunden des Arbeitgebers längerfristig eingesetzt ist.
Gesetze: EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
Instanzenzug: , H (L) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, die Dienstleistungen in der elektronischen Daten- und Informationsverarbeitung erbringt.
Die Arbeitnehmer der Klägerin, die jeweils auch einen Arbeitsplatz in den Räumen der Klägerin haben, werden im Wesentlichen projektbezogen in den Räumlichkeiten der Kunden der Klägerin tätig.
In § 1 der Anstellungsverträge der Arbeitnehmer der Klägerin ist u.a. geregelt: „Der Angestellte erbringt seine Leistung…vorwiegend in den Räumlichkeiten des Kunden der Firma, für den er projektbezogen tätig ist, aber auch in den Räumlichkeiten der Firma.”
Aufgrund einer bei der Klägerin für die Streitjahre (2004 bis 2006) durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte der Prüfer in seinem Bericht vom zu der Feststellung, dass Arbeitnehmern der Klägerin für Fahrten zwischen Wohnort und Einsatzort unentgeltlich ein PKW zur Verfügung gestellt worden war. Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass für die Zeit nach Ablauf von drei Monaten an derselben Tätigkeitsstätte die Voraussetzungen für die Anerkennung der Fahrten zwischen Wohnung und Tätigkeitsstätte als Dienstreise nicht mehr erfüllt seien. Die Fahrten zwischen Wohnung und Tätigkeitsstätte seien nach Ablauf von drei Monaten steuerlich wie Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte zu behandeln. Der Prüfer ermittelte deshalb einen geldwerten Vorteil aus der unentgeltlichen Überlassung der PKW für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und behandelte diesen als steuerpflichtigen Arbeitslohn. Für den Prüfungszeitraum berechnete der Prüfer einen nachzuversteuernden Arbeitslohn von insgesamt 32 706,32 €; die darauf entfallende Lohnsteuer betrug 11 093 € zuzüglich Annexsteuern.
Des Weiteren stellte der Prüfer fest, dass verschiedenen Arbeitnehmern gewährter Fahrtkostenersatz nach § 40 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in seiner in den Veranlagungszeiträumen 2004 bis 2006 geltenden Fassung (EStG) mit einem Pauschsteuersatz von 15 % versteuert worden war, dies allerdings zum Teil für jeden gefahrenen Kilometer und über den Zeitraum von drei Monaten hinaus. Insoweit berechnete der Prüfer für die Streitjahre 2004 bis 2006 nachzufordernde Lohnsteuer in Höhe von 3 358,15 € zuzüglich Annexsteuern.
Auf der Grundlage der Ergebnisse der Lohnsteuer-Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) am einen Haftungs- und Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer.
Mit ihrem Einspruch machte die Klägerin erfolglos geltend, dass eine auswärtige Tätigkeitsstätte bei einem Kunden nicht zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte führe, so dass Reisekostenersatz nach § 3 Nr. 16 EStG steuerfrei geleistet werden könne.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 640 veröffentlichten Gründen ab.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragt, das vorinstanzliche Urteil und den Lohnsteuerhaftungs- und Nachforderungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und des angefochtenen Lohnsteuerhaftungs- und Nachforderungsbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). FG und FA sind für die Streitjahre zu Unrecht davon ausgegangen, dass Tätigkeitsstätten bei Kunden der Klägerin als regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusehen sind.
1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Die unentgeltliche Überlassung von Fahrzeugen an Arbeitnehmer der Klägerin für Fahrten zwischen Wohnung und betrieblichen Einrichtungen von Kunden der Klägerin führte indes nicht zu einem Lohnzufluss, da es sich bei den Tätigkeitsstätten beim Kunden nicht um regelmäßige Arbeitsstätten gehandelt hat. Deshalb war die Klägerin insoweit nicht verpflichtet, Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen.
b) Regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats jede ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, das heißt fortdauernd und immer wieder aufsucht; dies ist regelmäßig der Betrieb des Arbeitgebers oder ein Zweigbetrieb (, BFHE 207, 225, BStBl II 2004, 1074; vom VI R 15/04, BFHE 209, 515, BStBl II 2005, 788; VI R 16/04, BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789, und VI R 25/04, BFHE 209, 523, BStBl II 2005, 791; vom VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53; vom VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887; in BFHE 222, 391, BFH/NV 2008, 1923; vom VI R 39/07, BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475).
aa) Liegt eine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vor, so kann sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken. Dies kann etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und ggf. durch eine entsprechende Wohnsitznahme geschehen (z.B. , BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825; in BFHE 222, 391, BFH/NV 2008, 1923). Für diesen Grundfall erweist sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip (z.B. BFH-Urteile in BFHE 209, 523, BStBl II 2005, 791; in BFHE 222, 391, BFH/NV 2008, 1923; in BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475).
bb) Liegt keine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vor, auf die sich der Arbeitnehmer typischerweise in der aufgezeigten Weise einstellen kann, ist eine Durchbrechung der Abziehbarkeit beruflich veranlasster Mobilitätskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sachlich nicht gerechtfertigt. Dies ist insbesondere bei Auswärtstätigkeiten der Fall (, BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782; VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785; in BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825). Ein auswärts tätiger Arbeitnehmer hat typischerweise nicht die vorbezeichneten Möglichkeiten, seine Wegekosten gering zu halten, insbesondere scheidet ein Familienumzug an die Tätigkeitsstätte aus.
cc) In seinem Urteil in BFHE 222, 391, BFH/NV 2008, 1923 ist der erkennende Senat auch bei einem Arbeitnehmer, der vorübergehend ausschließlich am Betriebssitz eines Kunden für seinen Arbeitgeber tätig ist, davon ausgegangen, dass dieser typischerweise nicht die Möglichkeit hat, sich auf diese Tätigkeitsstätte einzustellen. Hieraus hat der Senat geschlossen, dass die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist, und insoweit ausgeführt, dass diese Vorschrift auch dann nicht zur Anwendung komme, wenn ein Arbeitnehmer bei einem Kunden längerfristig eingesetzt wird. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Denn die Beurteilung, ob sich ein Arbeitnehmer in der genannten Weise auf eine bestimmte Tätigkeitsstätte einstellen kann, hat stets aus der Sicht zum Zeitpunkt des Beginns der jeweiligen Tätigkeit („ex ante”) zu erfolgen. Soll ein Arbeitnehmer in der betrieblichen Einrichtung eines Kunden seines Arbeitgebers eingesetzt werden, so ist prägend für diese Sicht des Arbeitnehmers allein das Arbeitsverhältnis und nicht die Vertragsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Kunde. Auf die konkrete Ausgestaltung und die Dauer jener vertraglichen Beziehung kann und muss sich der Arbeitnehmer typischerweise weder rechtlich noch faktisch mit dem Ergebnis der Minderung der Wegekosten einstellen. Vielmehr ist es gerade Ausdruck des Arbeitsverhältnisses, dass der beim Kunden eingesetzte Arbeitnehmer hinsichtlich des Orts, an dem er seine Arbeitsleistung zu erbringen hat, in besonderer Weise dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Auch bei längerfristigem Einsatz beim Kunden steht die dortige Tätigkeit unter einem dem Einfluss des Arbeitnehmers entzogenen Vorbehalt, dass die vom Arbeitverhältnis unabhängige Vertragsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Kunde Bestand hat.
c) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe führt die unentgeltliche Überlassung eines Fahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnort und Einsatzort bei den Kunden der Klägerin nicht zu einem nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG zu bewertenden geldwerten Vorteil und damit nicht zu zusätzlichem Arbeitslohn. Denn der Einsatz der Arbeitnehmer der Klägerin bei deren Kunden erfolgte jeweils nicht an einer (weiteren) regelmäßigen Arbeitsstätte. Ungeachtet dessen, dass das FG keine Feststellungen zur Dauer der jeweiligen Arbeitseinsätze in den Streitjahren getroffen hat, liegt nach den vom Senat entwickelten Rechtsgrundsätzen im Streitfall selbst dann keine regelmäßige Arbeitsstätte beim Kunden vor, wenn sich die dortige Tätigkeit längerfristig gestaltet hätte. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, dass die Finanzverwaltung mittlerweile nicht mehr an ihrer für die Streitjahre in R 37 Abs. 3 Satz 3 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) vertretenen Rechtsauffassung festhält, dass bei einer längerfristigen vorübergehenden Auswärtstätigkeit allein die Überschreitung einer Dreimonatsgrenze zu einer (neuen) regelmäßigen Arbeitsstätte führt (vgl. R 9.4 Abs. 3 LStR 2009). Der Umstand, dass in den Arbeitsverträgen ein „vorwiegend” auswärtiger Einsatz der Arbeitnehmer der Klägerin bestimmt war, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn damit war der Ort der Erbringung der Arbeitsleistung nur allgemein geregelt, während die Ausgestaltung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen der Arbeitnehmer und ihr jeweiliger Einsatzort erst durch Weisungen der Klägerin im Einzelfall konkretisiert wurden. Zudem stand auch hier der einzelne Arbeitseinsatz stets unter dem Vorbehalt des Fortbestands einer vom Arbeitsverhältnis unabhängigen Vertragsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Kunde.
2. Auch die Nacherhebung von Lohnsteuer durch Nachforderungsbescheid scheidet im Streitfall aus. Nach § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG kann der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 15 % u.a. für zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistete Zuschüsse zu den Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erheben, soweit diese Bezüge den Betrag nicht übersteigen, den der Arbeitnehmer nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG als Werbungskosten geltend machen könnte, wenn die Bezüge nicht pauschal besteuert würden. Nach den vorstehenden Rechtsgrundsätzen führten die Tätigkeitsstätten bei den Kunden der Klägerin nicht zu regelmäßigen Arbeitsstätten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Deshalb ist das FA zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin über die von ihr nach § 40 Abs. 3 Satz 1 EStG übernommene pauschale Lohnsteuer hinaus noch weitere Lohnsteuer hinsichtlich des von ihr geleisteten Fahrtkostenersatzes schulde. Inwieweit hinsichtlich dieser Fahrtkostenzuschüsse nach § 3 Nr. 16 EStG die Steuerfreiheit für die Erstattung von Reisekosten hätte beansprucht werden können, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1806 Nr. 11
DStRE 2009 S. 1171 Nr. 19
EStB 2009 S. 390 Nr. 11
StBW 2009 S. 7 Nr. 25
VAAAD-29317