BAG Urteil v. - 8 AZR 318/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BGB § 242; BGB § 613a

Instanzenzug: LAG Düsseldorf, 5 (6) Sa 1213/06 vom ArbG Solingen, 5 Ca 551/06 lev vom

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht.

Der Kläger war seit dem bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Er war zuletzt im Bereich C I (CI) eingesetzt und erhielt eine monatliche Vergütung von 7.692,30 Euro brutto.

Bei der Beklagten, die früher als "A mbH & C KG" firmierte, handelt es sich um eine Tochtergesellschaft der früheren "A-G AG". Als sich diese entschloss, die Aktivitäten des Bereichs CI auf eine "A GmbH" zu übertragen, fasste die Beklagte einen entsprechenden Beschluss für ihre Vertriebsaktivitäten im Bereich CI. Diese sollten auf die "A Ge GmbH" übertragen werden. Darüber unterrichtete die Beklagte als Arbeitgeberin den Kläger mit Schreiben vom , das auszugsweise lautet:

"... die A mbH & C KG plant, ihren Geschäftsbereich C I (CI) mit Wirkung zum auf die A Ge GmbH zu übertragen.

Für die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter, die dem Geschäftsbereich CI zugeordnet sind, führt diese Übertragung zu einem automatischen Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse. Dies ist in § 613 a BGB geregelt, dessen Bestimmungen auf den Übergang zwingend anwendbar sind. § 613 a Absatz 5 BGB sieht eine schriftliche Information des von einem solchen Übergang betroffenen Arbeitnehmers vor, der nach § 613 a Absatz 6 BGB dem Übergang auch widersprechen kann.

..."

Der Vertriebsbereich CI wurde sodann zum auf die A Ge GmbH übertragen. Der Kläger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf diese Gesellschaft zunächst nicht und arbeitete bei ihr weiter.

Für die A GmbH, auf die der Bereich CI - ohne die Vertriebsaktivitäten der Beklagten - übertragen worden war, wurde am Insolvenzantrag gestellt, das Insolvenzverfahren wurde am eröffnet. Der Kläger reagierte darauf nicht. Im Oktober 2005 folgte der Insolvenzantrag sodann für die A Ge GmbH, bei der der Kläger arbeitete. Mit Schreiben vom , der Beklagten am selben Tag zugegangen, widersprach der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A Ge GmbH.

Mit einem weiteren, der Beklagten am zugegangenen Schreiben, begehrte der Kläger nochmals Auskünfte der Beklagten. Sodann schloss er, datiert auf den , mit der A Ge GmbH einen Aufhebungsvertrag, demzufolge das Arbeitsverhältnis auf seinen Wunsch im gegenseitigen Einvernehmen rückwirkend zum beendet werden sollte. Ziff. 11 Satz 2 dieser Vereinbarung lautet:

"Nicht erledigt und abgegolten sind Insolvenzforderungen gem. § 38 InsO oder Ansprüche gem. § 613a BGB gegenüber der A mbH & C KG."

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am über das Vermögen der A Ge GmbH kündigte der Insolvenzverwalter am das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis zum , wogegen der Kläger keine Kündigungsschutzklage erhob.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das Unterrichtungsschreiben der Beklagten vom habe den gesetzlichen Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB nicht genügt. Die Informationen über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Betriebsübergangs auf die A Ge GmbH seien ungenügend gewesen und vor allem habe es die Beklagte versäumt, über die Haftungsverteilung des § 613a Abs. 2 BGB zu unterrichten. Die wirtschaftliche Situation der Betriebserwerberin sei völlig falsch dargestellt worden. Infolge der fehlerhaften Unterrichtung habe er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses noch am widersprechen können, da die Widerspruchsfrist noch nicht angelaufen gewesen sein. Der später mit der A Ge GmbH abgeschlossene, zum rückwirkende Aufhebungsvertrag über das Arbeitsverhältnis berühre das Rechtsverhältnis zur Beklagten nicht, da er sich seine Ansprüche nach § 613a BGB ausdrücklich vorbehalten habe.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Anstellungsverhältnis besteht.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Information zum Betriebsübergang vom habe den gesetzlichen Anforderungen genügt. Daher sei die Frist für den Widerspruch des Klägers spätestens Ende November 2004 abgelaufen. Unabhängig davon müsse aber von einer Verwirkung ausgegangen werden, weil nach Ablauf von zwölf Monaten das Zeitmoment als erfüllt anzusehen sei. Gleiches gelte für das Umstandsmoment. Die Beklagte habe keine eigene Kenntnis darüber, ob der auf den datierte Aufhebungsvertrag tatsächlich rückwirkend vereinbart worden sei. Aber auch wenn dies erst nach dem Widerspruch des Klägers geschehen sei, stelle sich der nachträgliche Abschluss des Aufhebungsvertrags als eine Rücknahme des erklärten Widerspruchs dar. Damit erklärte sich die Beklagte vorsorglich einverstanden.

Das Arbeitsgericht hat dem Klagebegehren entsprochen. Die Berufung der Beklagten blieb vor dem Landesarbeitsgericht ohne Erfolg. Mit der für sie zugelassenen Revision strebt sie weiterhin die Abweisung der Klage an.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Widerspruch des Klägers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses ist weder verfristet noch verwirkt, weswegen zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht.

A. Das Landesarbeitsgericht hat sein Urteil im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Unterrichtung des Klägers vom zu dem bevorstehenden Betriebsübergang sei nicht ordnungsgemäß, weil der Kläger nicht ausreichend über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs informiert worden sei. Dazu gehöre die Information über die beschränkte gesamtschuldnerische Haftung des Betriebsveräußerers nach § 613a Abs. 2 BGB und grundsätzlich auch die Information über die kündigungsrechtliche Situation. Die Unterrichtung habe den Lauf der Widerspruchsfrist nicht in Gang gesetzt, sodass der später erklärte Widerspruch vom nicht verspätet sei. Der Widerspruch sei auch nicht verwirkt. Das Zeitmoment sei schon deshalb nicht erfüllt, weil angesichts des schwierig gelagerten Sachverhalts aus dem Unterrichtungsschreiben vom davon auszugehen sei, dass die für das Zeitmoment relevante Frist erst mit der Kenntnis des Klägers von der unvollständigen und teilweisen Information zu laufen beginne. Vor allem aber sei von einer Verwirkung deswegen nicht auszugehen, weil es an dem erforderlichen Umstandsmoment fehle. Zwar habe der Kläger auf den Insolvenzantrag für die A GmbH im Mai 2005 nicht reagiert, obwohl aus dem Unterrichtungsschreiben die rechtliche und wirtschaftliche Verbindung zwischen der A GmbH und der A Ge GmbH hervorgehe. Der Kläger habe aber zeitnah zu dem Insolvenzantrag für die Betriebserwerberin widersprochen.

B. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

I. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Unterrichtung des Klägers mit Schreiben vom zu dem beabsichtigten Betriebsübergang nicht den Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB entsprochen hat und dadurch die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB für den Kläger nicht in Gang gesetzt worden ist. Dies hat der Senat bereits in mehreren gleichgelagerten Fällen entschieden (vgl. - 8 AZR 175/07 - AP BGB § 613a Nr. 347; - 8 AZR 174/07 - NZA 2009, 552).

II. Der Kläger hat sein Widerspruchsrecht nicht verwirkt.

1. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit der Verwirkung wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruches nicht mehr zuzumuten ist.

2. Schon nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor dem Inkrafttreten des § 613a Abs. 5 und 6 BGB konnte das Widerspruchsrecht wegen Verwirkung ausgeschlossen sein. An dieser Rechtsprechung hat der Senat im Einklang mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum auch nach der neuen Rechtslage festgehalten. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine Widerspruchsfrist eingeführt hat, schließt eine Anwendung der allgemeinen Grundsätze nicht aus, denn jedes Recht kann nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeübt werden (Senat - 8 AZR 431/06 - mwN, BAGE 121, 289 = AP BGB § 613a Nr. 320 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 64).

3. Angesichts der gesetzlichen Regelung kann hinsichtlich des Zeitmoments nicht auf eine feststehende Monatsfrist, beispielsweise von sechs Monaten abgestellt werden. Im Gesetzgebungsverfahren sind nämlich Vorschläge auf Aufnahme einer generellen Höchstfrist von drei (BR-Drucks. 831/1/01 S. 2) bzw. sechs Monaten (BT-Drucks. 14/8128 S. 4) nicht aufgegriffen worden. Abzustellen ist vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalles (Senat - 8 AZR 431/06 - BAGE 121, 289 = AP BGB § 613a Nr. 320 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 64). Dabei ist, wie der Senat bereits zur Verwirkung der Geltendmachung eines Betriebsüberganges ( - 8 AZR 106/99 -) ausgeführt hat, davon auszugehen, dass bei schwierigen Sachverhalten die Rechte des Arbeitnehmers erst nach längerer Untätigkeit verwirken können. Zutreffend ist es weiterhin auch, die Länge des Zeitablaufes in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machen, sind, desto schneller kann ein Anspruch verwirken. Es müssen letztlich besondere Verhaltensweisen des Berechtigten als auch des Verpflichteten vorliegen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechtes als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (Senat - 8 AZR 431/06 - mwN, aaO.).

4. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

a) Es kann dahinstehen, ob das Zeitmoment erfüllt ist. Allerdings beginnt dieses entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht erst mit Kenntniserlangung von der nicht ordnungsgemäß erfolgten Unterrichtung. Das Zeitmoment bemisst den Zeitraum, für welchen die möglichen, die Verwirkung begründenden Vertrauensumstände gesetzt worden sind. Dieser beginnt grundsätzlich einen Monat nach einer Unterrichtung über den Betriebsübergang in Textform, auch wenn diese unvollständig oder fehlerhaft war, denn durch eine solche Unterrichtung gibt der Arbeitgeber zu erkennen, dass er mit dieser die Widerspruchsfrist von einem Monat in Gang setzen will und danach die Erklärung von Widersprüchen nicht mehr erwartet. Im Streitfall waren seit dem fiktiven Ablauf der Widerspruchsfrist bis zur Ausübung des Widerspruchsrechts knapp zwölf Monate vergangen. Es kann jedoch unentschieden bleiben, ob damit bereits das Zeitmoment für die Verwirkung als verwirkt anzusehen ist.

b) Bis zu seinem Widerspruch hat der Kläger mit Ausnahme der Weiterarbeit bei der Betriebserwerberin keine Umstände gesetzt, die das Vertrauen der Beklagten in eine Nichtausübung seines Widerspruchsrechts rechtfertigen könnten. Die Weiterarbeit als solche ist kein Umstand, auf Grund dessen die Beklagte sich darauf einstellen konnte, vom Kläger nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Der Kläger ging seinerzeit davon aus, zur Erbringung der Arbeitsleistung gegenüber der A Ge GmbH verpflichtet zu sein.

c) Dass der Kläger auf den Insolvenzantrag über das Vermögen der A GmbH, mit der enge, rechtliche und tatsächliche Verflechtungen seitens der Betriebserwerberin bestanden, nicht schon mit einem Widerspruch nach dem reagiert hat, stellt kein Umstandsmoment dar. Unter Ziff. 7 des Informationsschreibens vom war dem Kläger für den Fall eines Widerspruchs angekündigt worden, dass er dann mit der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte rechnen müsse. Daher konnte die Beklagte kein Vertrauen darauf entwickeln, dass die übergeleiteten Arbeitnehmer die sichere Kündigung bei ihr der schmäler gewordenen Hoffnung auf den Weiterbestand des Arbeitsverhältnisses bei der A Ge GmbH vorziehen würden und bei unterbleibendem Widerspruch diesen auch in Zukunft nicht mehr ausüben würden.

d) Soweit in der Revisionsinstanz unstreitig gestellt worden ist, dass der Kläger mit der A Ge GmbH einen auf den datierten Aufhebungsvertrag geschlossen hat, demzufolge das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der A Ge GmbH rückwirkend zum beendet worden sein sollte, stellt auch dies kein Umstandsmoment dar. Die Beklagte hat die Darstellung des Klägers, dieser Vertrag sei erst nach Ausübung seines Widerspruchsrechts am abgeschlossen worden, nicht bestritten. Ein Aufhebungsvertrag für ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der A Ge GmbH mit Wirkung zum geht aber ins Leere, da zu diesem Datum infolge des am ausgeübten Widerspruchs des Klägers der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten bereits feststand. Ersichtlich ist der Aufhebungsvertrag nur für den Fall geschlossen worden, dass infolge eines unwirksamen Widerspruchs des Klägers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses doch noch ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der A Ge GmbH bestehen sollte. Eine Rücknahme oder ein rückwirkender Verzicht auf das gegenüber der Beklagten ausgeübte Widerspruchsrecht ergibt sich aus diesem Vertrag entgegen der mit der Revision geäußerten Rechtsauffassung gerade nicht. Denn ausdrücklich haben die A Ge GmbH und der Kläger unter Ziff. 11 Satz 2 des Aufhebungsvertrages vereinbart, dass Ansprüche des Klägers nach § 613a BGB gegenüber der Beklagten gerade nicht erledigt und abgegolten sein sollten. Dementsprechend kommt es auch auf eine Zustimmung der Beklagten zu einer - einseitig nicht wirksam erklärbaren - Rücknahme des Widerspruchs nicht an.

e) Unerheblich ist schließlich, dass der Kläger eine ihm vom Insolvenzverwalter der A Ge GmbH unter dem ausgesprochene Kündigung nicht angegriffen hat. Da das Arbeitsverhältnis aufgrund des wirksamen Widerspruchs des Klägers vom zwischen den Parteien, also mit der Beklagten, fortbestand, ging diese Kündigung ins Leere. Ebenso ist das nach ausgeübtem Widerspruch noch erfolgte Auskunftsersuchen vom ohne rechtliche Bedeutung.

C. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BB 2009 S. 2141 Nr. 40
DB 2009 S. 2215 Nr. 41
FAAAD-29250

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein