BAG Beschluss v. - 1 ABR 12/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BetrVG § 21b; BetrVG § 77 Abs. 4; BetrVG § 112 Abs. 1 S. 2; BetrVG § 112 Abs. 1 S. 3; BetrVG § 112 Abs. 4; ZPO § 81; ZPO § 88; ZPO § 256 Abs. 1; ArbGG § 10

Instanzenzug: LAG Düsseldorf, 17 TaBV 86/07 vom ArbG Essen, 1 BV 36/07 vom

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs zur Aufstellung eines Sozialplans.

Die Arbeitgeberin gehört zur S-Gruppe. Die Gruppenunternehmen sind überwiegend auf dem Gebiet des Bewachungsgewerbes tätig. Die Arbeitgeberin unterhielt mehrere Betriebsstätten, insbesondere im Ruhrgebiet. Der antragstellende Betriebsrat ist die im Jahr 2006 - nach Kündigung eines Tarifvertrags gem. § 3 BetrVG - für den Betrieb E gewählte Arbeitnehmervertretung.

Der Betrieb E wurde nach den Angaben der Arbeitgeberin spätestens im Laufe des Jahres 2005 defizitär. Die Arbeitgeberin beriet deshalb ab November 2005 mit dem seinerzeit unternehmenseinheitlichen Betriebsrat über Kosteneinsparungen. Die Verhandlungen blieben ohne Erfolg. Die Beklagte übertrug ab Beginn des Jahres 2006 sämtliche Geschäftsbereiche mit einer Ausnahme auf Schwesterunternehmen. Dabei wurde Anlagevermögen zum Buchwert, der jeweilige Kundenstamm für 1,00 Euro veräußert. Bei der Arbeitgeberin selbst verblieb nur der Geschäftsbereich "1104" mit etwa 140 Arbeitnehmern.

Im Mai 2006 kündigte die Arbeitgeberin sämtliche bestehenden Aufträge spätestens zum Jahresende 2006. Zudem informierte sie den unternehmenseinheitlichen Betriebsrat über ihre Absicht, den Betrieb zum Jahresende 2006 zu schließen. Eine Einigungsstelle zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs beendete am ihre Tätigkeit mit der Feststellung, dass die Verhandlungen über einen Interessenausgleich gescheitert seien.

Am legte die Arbeitgeberin den Betrieb E still und stellte darüber hinaus ihr gesamtes operatives Geschäft ein. In der Folgezeit wurde eine Einigungsstelle zur Aufstellung eines Sozialplans tätig, an der auf Betriebsratsseite nunmehr der antragstellende Betriebsrat beteiligt war. Am beschloss die Einigungsstelle mit vier zu drei Stimmen einen Sozialplan. Er hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"1. Präambel

Die Nachteile, die den Arbeitnehmern der [Arbeitgeberin] durch die Schließung des Betriebes der Gesellschaft am Standpunkt E, B, E, zum entstehen, können aus dem liquiden Vermögen der Gesellschaft nicht ausgeglichen oder gemildert werden. Sollte nach Verwertung des Aktivvermögens und Bedienung aller Passiva, ohne nachfolgende Sozialplanansprüche, noch Vermögen verbleiben, wird dieses in nachfolgender Weise aufgeteilt.

2. Geltungsbereich

...

3. Abfindung

Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis mit der [Arbeitgeberin] aufgrund der Stilllegung der Gesellschaft zum endet, erhalten nach folgender Maßgabe für den Verlust des Arbeitsplatzes und des damit verbundenen sozialen Besitzstandes eine Abfindung.

a) Das nach Verwendung des Aktivvermögens und Bedienung aller Passiva, ohne die Sozialplanansprüche, verbleibende Vermögen bildet das Sozialplanvermögen. Dieses ist durch die von den betroffenen Arbeitnehmern erreichte Gesamtpunktzahl zu teilen und das so errechnete Ergebnis mit der von einzelnen Arbeitnehmern erreichten Punktzahl zu vervielfältigen. Das sich so errechnende Ergebnis stellt die individuelle Abfindungssumme dar.

...

e) Der Abfindungsanspruch ist fällig, sobald die Frist zur Anfechtung dieses Sozialplans nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG abgelaufen ist, ohne dass es zu einer Anfechtung kommt, oder sobald rechtskräftig festgestellt ist, dass der Sozialplan die Grenzen des Ermessens nicht überschreitet und die unverzüglich begonnene Vermögensverwertung abgeschlossen ist."

Der Spruch der Einigungsstelle wurde dem Betriebsrat am zugeleitet. Mit einem am beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat er ihn angefochten. Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, der Sozialplan sei in rechtswidriger Weise unterdotiert. Er führe zu einer Umgehung von § 123 InsO. Überdies habe die Einigungsstelle einen Berechnungsdurchgriff auf andere Konzernunternehmen vornehmen müssen.

Der Betriebsrat hat beantragt

festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom unwirksam ist.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Dem haben die Vorinstanzen entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Feststellungsbegehren weiter.

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Spruch der Einigungsstelle ist unwirksam. Diese ist ihrem Regelungsauftrag nicht nachgekommen. Sie hat nicht festgelegt, in welchem Umfang die den Arbeitnehmern entstandenen wirtschaftlichen Nachteile ausgeglichen oder gemildert werden sollen.

I. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist wirksam eingelegt worden. Dem steht nicht entgegen, dass der Betriebsrat am bei seiner Entschließung, die vorliegende Rechtsbeschwerde erheben zu lassen, beschlussunfähig war. Die für ihn handelnde Rechtsanwältin war zur Einlegung der Rechtsbeschwerde unabhängig von einer solchen Entscheidung bevollmächtigt. Nach § 81 ZPO iVm. § 46 Abs. 2 ArbGG ermächtigt die einmal erteilte Prozessvollmacht im Außenverhältnis - in den zeitlichen Grenzen des § 87 ZPO - zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen einschließlich der Einlegung von Rechtsmitteln ( - zu B I 1 c der Gründe mwN, BAGE 109, 61). Die Arbeitgeberin hat nicht bestritten, dass der Betriebsrat seine Verfahrensvertreterin jedenfalls erst- und zweitinstanzlich wirksam bevollmächtigt hatte. Damit geht ihre mit Schriftsatz vom nach § 88 Abs. 1 ZPO erhobene Rüge des Fehlens einer Vollmacht "für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens" ins Leere.

II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Vorinstanzen haben den Antrag des Betriebsrats zu Unrecht abgewiesen.

1. Der Antrag ist zulässig.

a) Der Betriebsrat ist beteiligtenfähig iSv. § 10 ArbGG. Er war bei Antragstellung und er ist weiterhin im Amt. Er wurde im Jahr 2006 für den Betrieb E gewählt, nachdem ein Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BetrVG gekündigt worden war. Zwar hat die Arbeitgeberin den Betrieb zum Ende des Jahres 2006 stillgelegt. Nach § 21b BetrVG behält aber der Betriebsrat in einem solchen Fall sein Mandat solange, wie dies zur Wahrnehmung der mit der Betriebsstilllegung im Zusammenhang stehenden Mitbestimmungsrechte erforderlich ist. Für die Aufstellung eines Sozialplans besteht sein Amt deshalb fort. Ein Sozialplan kann vom Betriebsrat auch noch nach der Stilllegung des Betriebs und der Beendigung aller Arbeitsverhältnisse verlangt werden ( - zu II 1 a, c der Gründe mwN, BAGE 96, 15). In einem darüber geführten arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren kann der Betriebsrat Beteiligter, insbesondere Antragsteller sein.

b) Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO liegen vor. Ein auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle gerichteter Antrag hat das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses zum Inhalt. Der Betriebsrat will festgestellt wissen, dass der Spruch der Einigungsstelle eine Einigung zwischen ihm und der Arbeitgeberin nicht ersetzt hat. Das Feststellungsbegehren ist dafür die richtige Antragsart ( - zu B II 1 der Gründe mwN, BAGE 111, 335).

2. Der Antrag ist begründet. Der angefochtene Spruch ist unwirksam. Die Einigungsstelle hat keinen Sozialplan iSv. § 112 Abs. 1 Satz 2, 3, Abs. 4 BetrVG beschlossen.

a) Ein Sozialplan ist nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Einigung der Betriebsparteien über den Ausgleich oder doch die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern in Folge einer geplanten oder bereits durchgeführten Betriebsänderung entstehen oder entstanden sind. Er hat nach § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG die Wirkung einer Betriebsvereinbarung iSv. § 77 Abs. 4 BetrVG. Dementsprechend hat die betriebliche Einigungsstelle nach § 112 Abs. 4 Satz 1, 2 BetrVG über die Aufstellung eines Sozialplans erst entschieden, wenn sie Regelungen getroffen hat, die den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer mit normativer Wirkung gem. § 77 Abs. 4 BetrVG festlegen.

Dies setzt voraus, dass sich dem Spruch der Einigungsstelle - und sei es nach entsprechender Auslegung - eindeutig entnehmen lässt, welchen genauen Umfang der beschlossene Ausgleich oder die Milderung der Nachteile hat. Normative Regelungen unterliegen dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. Sollen sie wirtschaftliche Nachteile von Arbeitnehmern nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ausgleichen oder mildern, muss es möglich sein, auf ihrer Grundlage die Höhe von Ausgleich oder Milderung durch Auslegung exakt zu bestimmen. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, welchen Umfang die Regelungen festlegen, ob sie also zumindest eine Nachteilsmilderung vorsehen oder stattdessen von Leistungspflichten des Arbeitgebers gänzlich absehen. Sie müssen insoweit nur überhaupt eine eindeutige Bestimmung treffen. Lassen die Regelungen eine klare Inhaltsbestimmung nicht zu, haben sie ihr Ziel verfehlt und bleiben normativ wirkungslos. Ein Sozialplan iSv. § 112 Abs. 1 Satz 2, 3, Abs. 4 Satz 1 BetrVG ist dann nicht aufgestellt.

b) So verhält es sich hier. Die Einigungsstelle hat keinen Sozialplan beschlossen. Sie hat einen bestimmten Umfang des Nachteilsausgleichs oder der Nachteilsmilderung nicht festgelegt. Sie hat weder beschlossen, die mit der Betriebsschließung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile für die Arbeitnehmer sollten zu keinerlei Leistungsverpflichtungen der Arbeitgeberin führen, noch hat sie entschieden, in welchem Umfang Leistungsansprüche der Arbeitnehmer bestehen.

aa) Die Einigungsstelle hat in der Präambel des Spruchs nicht endgültig beschlossen, keinerlei Ansprüche für die Arbeitnehmer wegen der Betriebsstilllegung vorzusehen. Dies folgt aus ihrem Beschluss über detaillierte Abfindungsregelungen für den Fall, dass "nach Verwertung des Aktivvermögens und Bedienung aller Passiva ... noch Vermögen verbleiben (sollte)". Hätte sie einen sog. Null-Sozialplan aufstellen wollen, ist nicht erklärlich, weshalb sie solche Regelungen getroffen hat.

bb) Ebenso wenig hat die Einigungsstelle bestimmte Ausgleichs- oder Milderungsansprüche der Arbeitnehmer begründet. Sie hat in Nr. 2 und Nr. 3 des Spruchs zwar Regelungen über Bezugsberechtigungen und die Verteilung eines möglichen Finanzvolumens getroffen. Sie hat jedoch eine eigene Entscheidung darüber, in welchem Umfang die Arbeitgeberin solche Finanzmittel zur Aufteilung an die Arbeitnehmer tatsächlich zur Verfügung zu stellen hat, nicht getroffen. Sie hat lediglich ein Verfahren zur Aufteilung eines unbeziffert gebliebenen Finanzvolumens beschlossen. Auf diese Weise hat sie keine bestimmten normativen Ansprüche geschaffen.

Die möglichen Ansprüche sind auch nicht bestimmbar. Dazu wäre erforderlich, dass sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums aufgrund eines bestimmten Verfahrens überprüfbar feststellen ließe, ob und in welchem Umfang ein Verteilungsvolumen vorhanden ist. Es bedarf an dieser Stelle keiner abschließenden Entscheidung darüber, unter welchen Voraussetzungen die Einigungsstelle sich mit einem bloßen Verfahren zur Feststellung eines konkreten Verteilungsvolumens - auch unter Berücksichtigung der Rechtsgedanken aus § 162 BGB - begnügen darf, ohne sich die endgültige Beschlussfassung über dessen Umfang und damit über den Umfang von Nachteilsausgleichs- oder Nachteilsmilderungsansprüchen iSd. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorzubehalten. Im Streitfall hat die Einigungsstelle ein solches Verfahren nicht einmal ansatzweise geregelt.

cc) Die Einigungsstelle hat auf diese Weise gleichsam zwei Sozialpläne beschlossen: einen "Null-Sozialplan" für den Fall, dass der Arbeitgeberin nach Verwertung des Aktivvermögens und Begleichung aller (anderen) Passiva kein Vermögen verbleibt, und einen Sozialplan nach Maßgabe der Regelungen in Nr. 2 ff. des Spruchs für den Fall, dass aufteilbares Vermögen vorhanden bleibt. Dies kommt in der Sache einer Nichtregelung gleich. Auch wenn es wegen der Ungewissheit zukünftiger, sozialplanrelevanter Ereignisse nicht grundsätzlich ausgeschlossen erscheint, dass normative, anspruchsbegründende Regelungen eines Sozialplans unter einer Bedingung nach § 158 BGB getroffen werden können, so muss doch die betreffende Bedingung selbst eindeutig formuliert und ihr (Nicht-)Eintritt zweifelsfrei festzustellen sein. Es muss für die Normadressaten klar erkennbar sein, von welchen tatsächlichen Umständen es abhängt, ob sie einen Leistungsanspruch - ggf. in welcher Höhe - erworben haben oder nicht (vgl. den Sachverhalt der Entscheidung - BAGE 96, 15). Dem genügen die Regelungen des angefochtenen Spruchs nicht. Die darin vorgesehene anspruchsbegründende Bedingung ist das Vorhandensein von Restvermögen nach Verwertung der Aktiva und Bedienung aller Passiva durch die Arbeitgeberin. Wie der (Nicht-)Eintritt der Bedingung von wem bis zu welchem Zeitpunkt überprüft werden kann, hat die Einigungsstelle nicht geregelt. Bedingungseintritt und möglicher Anspruchsinhalt sind keiner Feststellung bzw. Bestimmung durch die Normadressaten und Dritte zugänglich.

dd) Die Einigungsstelle hat damit ihren Regelungsauftrag iSv. § 112 Abs. 1 Satz 2, 3, Abs. 4 BetrVG nicht erfüllt. Sie hat eine endgültige Einigung der Betriebsparteien, sei es über einen Ausgleich oder eine Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, sei es über einen "Null-Sozialplan" nicht herbeigeführt. Sie hat offengelassen, ob und in welchem Umfang die Arbeitgeberin Sozialplanmittel zur Verfügung zu stellen hat. Wenn die Einigungsstelle sich im Zeitpunkt ihrer Beschlussfassung zu einer eigenen abschließenden Entscheidung darüber noch nicht in der Lage sah, hätte sie mit der endgültigen Beschlussfassung zuwarten müssen, bis die Tatsachen, deren Kenntnis sie für eine Entscheidung benötigte, festständen. Die Einigungsstelle durfte dagegen nicht dauerhaft von einer eigenen Entscheidung über die Höhe des Sozialplanvolumens absehen, ohne zumindest ein eindeutiges, möglichen Manipulationen nicht zugängliches Verfahren zu beschließen, mittels dessen die offenen Fragen geklärt würden.

c) Auf die vom Landesarbeitsgericht und den Beteiligten erörterten materiellrechtlichen Fragen der grundsätzlichen Zulässigkeit eines "NullSozialplans", der Auswirkungen des Umstands, dass die Arbeitgeberin keine Arbeitnehmer mehr beschäftigt, auf die Grenzbestimmung in § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG, der Möglichkeit eines Berechnungs- oder Haftungsdurchgriffs auf andere Konzernunternehmen uÄ kommt es für die Entscheidung nicht an.

Fundstelle(n):
KAAAD-29189

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein