BGH Beschluss v. - II ZB 16/08

Leitsatz

[1] a) Ein Rechtsstreit um die Wirksamkeit des Ausschlusses eines Mitglieds aus einer Genossenschaft ist in der Regel vermögensrechtlicher Natur.

b) Die Rechtsmittelbeschwer der Genossenschaft in Bezug auf ein die Unwirksamkeit des Ausschlusses eines Mitglieds feststellendes Urteil bemisst sich - spiegelbildlich zu dem Interesse des Genossen am Fortbestehen seiner Mitgliedschaft - nach dem (wirtschaftlichen) Wert des von dem Ausschluss betroffenen Geschäftsanteils.

Gesetze: GG Art. 103 Abs. 1; GenG § 73 Abs. 2; ZPO § 522 Abs. 1; ZPO § 574 Abs. 1

Instanzenzug: LG Duisburg, 13 S 129/08 vom AG Duisburg, 53 C 2974/07 vom

Gründe

I.

Die Beklagte, eine eingetragene Baugenossenschaft, hat den Kläger, der im Rahmen seiner Mitgliedschaft eine im Eigentum der Beklagten stehende Immobilie bewohnt, mit Beschluss ihres Vorstands vom ausgeschlossen. Der Aufsichtsrat der Beklagten hat den Ausschluss des Klägers bestätigt. Das Amtsgericht hat auf Antrag des Klägers festgestellt, dass seine Mitgliedschaft bei der Beklagten durch die Beschlüsse des Vorstands und des Aufsichtsrats nicht beendet wurde. Das Landgericht hat die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Beklagten durch Beschluss vom als unzulässig verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR nicht übersteige. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO).

2.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, weil das Berufungsgericht in einer gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßenden Weise angenommen hat, dass die Berufungssumme nicht erreicht ist, und die Berufung der Beklagten deshalb rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen hat.

a)

Die gegen den Ausschluss des Klägers aus der beklagten Genossenschaft gerichtete Klage ist - wie das Berufungsgericht noch zutreffend angenommen hat - als vermögensrechtliche Streitigkeit anzusehen. Der Zweck der Beklagten als eingetragener Genossenschaft ist - wie sich auch aus § 2 ihrer Satzung ergibt - wirtschaftlicher Natur. Dies hat zur Folge, dass ein Mitglied der Genossenschaft durch seinen Ausschluss regelmäßig in seinen vermögensrechtlichen Belangen betroffen ist (RGZ 89, 336, 337; Beuthien, GenG 14. Aufl. § 68 Rdn. 21; Schulte in Lang/Weidmüller, GenG 35. Aufl. § 68 Rdn. 40).

So liegt der Fall hier. Der Kläger macht mit seiner Klage keinen - den Rechtsstreit prägenden - personenrechtlichen Anspruch geltend (vgl. dazu: Senat, BGHZ 13, 5, 8 ; RGZ 163, 200, 202 f.), sondern verfolgt nach den - von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts lediglich das Ziel, sich die wirtschaftlichen Vorteile seiner Mitgliedschaft zu erhalten.

b)

Das Berufungsgericht hat auch - entgegen der Ansicht der Beklagten -nicht verkannt, dass es für die Festsetzung des Wertes der Beschwer auf das Interesse des Rechtsmittelklägers am Erfolg des Rechtsmittels ankommt. Es hat nämlich, wie sich bereits aus dem Hinweisbeschluss vom unzweifelhaft ergibt, als Maßstab für die Bewertung des Interesses der Beklagten an der Aufrechterhaltung des Ausschlusses des Klägers - spiegelbildlich zu dem mit der Feststellungsklage des Klägers verfolgten Interesse am Fortbestehen seiner Mitgliedschaft - im Grundsatz zutreffend den Wert des von der Ausschließung betroffenen Geschäftsanteils des Klägers herangezogen (vgl. Sen. Urt. v. - II ZR 328/00, ZIP 2001, 1734, 1735 - zur GmbH).

c)

Entgegen der verfehlten Annahme des Berufungsgerichts übersteigt jedoch der Wert des Beschwerdegegenstandes im vorliegenden Fall die sog. Erwachsenheitssumme von 600,00 EUR (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), so dass die Berufung der Beklagten zulässig ist.

aa)

Das Berufungsgericht hat bei seiner unzutreffenden Festsetzung des Beschwerdewerts auf lediglich 600,00 EUR von dem ihm durch § 3 ZPO eingeräumten Ermessen rechtsfehlerhaft Gebrauch gemacht, weil es hierbei von der Beklagten glaubhaft gemachte, bewertungsrelevante Tatsachen außer Acht gelassen hat (Sen. Beschl. v. - II ZR 27/07, WM 2009, 329 Tz. 4 m.w.Nachw.).

Mit seiner ausschließlich am Nennwert des Geschäftsanteils orientierten Bewertung des Genossenschaftsanteils des Klägers hat das Berufungsgericht den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Dem angefochtenen Beschluss ist nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht den auf seinen Hinweisbeschluss vom von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung gehaltenen und durch Vorlage der Bilanz für das Jahr 2007 und anderer Geschäftsunterlagen glaubhaft gemachten Vortrag, der tatsächliche Wert des Geschäftsanteils des Klägers liege erheblich über seinem Nennwert und belaufe sich unter Berücksichtigung der in der Bilanz ausgewiesenen Ergebnisrücklagen zuzüglich des zur Ausschüttung im Jahre 2008 vorgesehenen Bilanzgewinns des Jahres 2007 einschließlich seines Geschäftsguthabens auf 3.500,44 EUR, in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und bei der Festsetzung des Wertes der Beschwer in Erwägung gezogen hat.

bb)

Unter Berücksichtigung dieses Vortrags überstieg der Wert der Beschwer die Erwachsenheitssumme von 600,00 EUR. Zwar bemisst sich die Beschwer - ebenso wie der Streitwert - bei einem Streit um den Ausschluss eines Mitglieds aus der Genossenschaft, sofern dieser - wie hier - vermögensrechtlicher Natur ist, in der Regel nach der Höhe des Geschäftsguthabens des ausgeschlossenen Mitglieds (Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG 3. Aufl. § 68 Rdn. 39; Schulte in Lang/Weidmüller aaO Rdn. 40), weil dieses zumeist den tatsächlichen Wert des Anteils des Ausgeschiedenen widerspiegelt. Hier war jedoch eine andere Bewertung deshalb geboten, weil sich aus dem glaubhaft gemachten Vortrag der Beklagten als Berufungsführerin ein höherer wirtschaftlicher Wert des Geschäftsanteils des Klägers ergibt. Denn schon allein im Hinblick auf die in der - von der Beklagten vorgelegten - Bilanz für das Jahr 2007 ausgewiesenen Ergebnisrücklagen von mehr als 8 Millionen EUR übersteigt der wirtschaftliche Wert des Anteils des Klägers sowohl den Nennwert seines Anteils als auch den Betrag seines Geschäftsguthabens (594,00 EUR) deutlich. Auch wenn das ausgeschiedene Genossenschaftsmitglied nach § 73 Abs. 2 Satz 3 GenG grundsätzlich keinen Anspruch auf Beteiligung an den Rücklagen hat - es sei denn, dass die Satzung einen solchen Anspruch ausdrücklich vorsieht (§ 73 Abs. 3 GenG) -, ändert dies nichts daran, dass ein Genosse jedenfalls während seiner Mitgliedschaft, um deren Fortbestehen die Parteien streiten, an diesem Wert beteiligt ist.

Zudem ist die Berufungssumme aber auch wegen des zur Ausschüttung im Jahr 2008 vorgesehenen Bilanzgewinns des Jahres 2007 erreicht.

3.

Die Sache ist demnach an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es sich nunmehr im Rahmen der Begründetheit des Rechtsmittels mit der Frage der Wirksamkeit des Ausschlusses des Klägers befassen kann.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BB 2009 S. 1929 Nr. 37
DB 2009 S. 2206 Nr. 41
DStR 2009 S. 2061 Nr. 40
NJW 2009 S. 3161 Nr. 43
NWB-Eilnachricht Nr. 38/2009 S. 2943
WM 2009 S. 1797 Nr. 38
ZIP 2009 S. 1883 Nr. 39
OAAAD-28035

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja