BSG Urteil v. - B 1 KR 21/08 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB X § 111

Instanzenzug: SG Düsseldorf, S 8 KR 222/05 vom

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über einen Erstattungsanspruch in Höhe von 339,70 Euro.

Die Versicherte S. W. (im Folgenden: Versicherte) war zunächst bei der klagenden Ersatzkasse krankenversichert, anschließend in der Zeit vom bis zum bei der beklagten AOK. In Unkenntnis des Wechsels der Krankenkasse (KK) leistete die Klägerin am 10.10., 2.12. und der Versicherten Arzneimittel für insgesamt 339,70 Euro. Die Klägerin machte mit Schreiben vom an die Beklagte geltend: "Nach unseren Informationen war ... (die Versicherte) vom bis bei Ihrer Kasse versichert. Es wurden jedoch weiterhin Leistungen durch uns zur Verfügung gestellt. Hiermit melden wir vorsorglich den Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X an. Wir bitten um kurze Bestätigung, dass Sie unseren Erstattungsanspruch erhalten haben." Die Beklagte bestätigte unter dem Betreff "Anmeldung eines Erstattungsanspruchs" den Eingang des Schreibens und wies darauf hin, hiermit sei weder die Anerkennung als eine den rechtlichen Anforderungen genügende Erstattungsanmeldung noch die Anerkennung des Erstattungsanspruchs selbst verbunden (). Die Klägerin konkretisierte die zu erstattenden Kosten mit Schreiben vom . Die Beklagte lehnte anschließend eine Erstattung ab, weil die Klägerin ihren Erstattungsanspruch nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X wirksam geltend gemacht habe.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage aus dem gleichen Grunde abgewiesen: Um einen Erstattungsanspruch wirksam geltend zu machen, müsse der Anspruchsteller die zu erstattenden Kosten zumindest durch Angabe der Leistungsart grob umreißen. Hieran habe es gefehlt (Urteil vom ).

Mit ihrer Sprungrevision rügt die Klägerin die Verletzung des § 111 SGB X. Für ein rechtlich wirksames Geltendmachen des Erstattungsanspruchs dürfe nicht gefordert werden, "ins Blaue hinein" alle Leistungsarten zu benennen. § 11 SGB V sei der erstattungspflichtigen KK ohnehin bekannt. Selbst auf die Mitteilung der ungefähren Größenordnung des Erstattungsbetrags komme es nicht an, da hierfür beim Erstattungspflichtigen keine Rückstellungen gebildet würden. Maßgeblich sei dagegen vor allem die - hier gewahrte - Mitteilung des Leistungsgrundes. Die bisherige strenge Auslegung des § 111 SGB X durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) überspanne die rechtsstaatlich gebotenen Bestimmtheitsanforderungen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 339,70 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II

Die zulässige Sprungrevision der Klägerin ist nicht begründet.

1. Im Revisionsverfahren fortwirkende Umstände, die einer Sachentscheidung des Senats entgegenstehen könnten, liegen nicht vor. Einer notwendigen Beiladung der Versicherten nach § 75 Abs 2 SGG bedurfte es nicht. Denn die Versicherte hat von der Klägerin bereits Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten. Die Versicherte kann diese Leistungen - unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Erstattungsrechtsstreits - nicht nochmals von der Beklagten beanspruchen. Es kommt wegen § 107 SGB X auch nicht in Betracht, dass die Versicherte der Klägerin deren Wert erstatten muss (vgl auch BSGE 57, 146, 148 f = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 4; BSG SozR 3-2200 § 1237a Nr 2 S 2 f; BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 3).

2. Das SG hat die Zahlungsklage der Klägerin zutreffend abgewiesen. Zwar stand der Klägerin gegen die Beklagte zunächst ein Erstattungsanspruch nach § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X in Höhe von 339,70 Euro zu (dazu 3.). Der hierauf gerichtete Erstattungsanspruch ist jedoch gemäß § 111 Satz 1 SGB X wegen verspäteter Geltendmachung ausgeschlossen (dazu 4.).

3. Die Beklagte war der Klägerin zunächst nach § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X zur Erstattung von insgesamt 339,70 Euro verpflichtet. Die Regelung bestimmt: "Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs 1 SGB X vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat." Die Voraussetzungen des § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X waren vorliegend erfüllt.

Die Klägerin erbrachte als Sozialleistungen Arzneimittel für 339,70 Euro (§ 11 Satz 1 SGB I; vgl dazu BSGE 99, 102 = SozR 4-2500 § 19 Nr 4, jeweils RdNr 9 mwN) an die Versicherte, obwohl diese im Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht bei ihr, sondern bei der Beklagten krankenversichert war. Die Voraussetzungen des § 102 Abs 1 SGB X waren nicht erfüllt. Die Klägerin hatte nicht bewusst eine vorläufige Leistung erbracht (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 39a Nr 1 RdNr 11 mwN; BSG SozR 1300 § 105 Nr 1 S 2). Sie hatte vielmehr die Arzneimittel in der Annahme einer eigenen Leistungspflicht der Versicherten zur Verfügung gestellt. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 105 SGB X (vergleichbare Leistungspflichten der betroffenen Träger und zeitliche Kongruenz - vgl dazu BSG SozR 3-1300 § 105 Nr 5 S 14 f mwN; BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 19) waren erfüllt: Die Beklagte hätte der Versicherten die zur Behandlung im Oktober und Dezember 2003 notwendigen Arzneimittel als ab zuständige KK leisten müssen. Die Beklagte "ersparte" durch die Leistung der Klägerin an die Versicherte für diese Zeit eigene Leistungen in persönlich, sachlich und zeitlich entsprechendem Umfang (kongruent).

4. Der Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe von 339,70 Euro ist indes ausgeschlossen, weil sie ihn nicht rechtzeitig geltend gemacht hat.

a) Gemäß § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Diese Frist hat die Klägerin nicht eingehalten. Nach den Feststellungen des SG erfolgte die Arzneimittelversorgung der Versicherten für Zeiträume bis . Auf den Tag, "an" dem die Leistung erbracht wurde, kommt es demgegenüber nicht an (vgl BSGE 65, 27, 30 = SozR 1300 § 111 Nr 4 sowie BSG SozR 1300 § 111 Nr 6; - USK 2008-6, RdNr 12). Die Klägerin hat den Erstattungsanspruch nicht innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf dieses Tages, insbesondere nicht bereits mit ihrem Schreiben vom in einer die Frist wahrenden Weise geltend gemacht, sondern erst später, mehr als zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages des Dezember 2003, mit Schreiben vom . Das Schreiben vom konkretisierte den Erstattungsanspruch seiner Art nach nicht hinreichend.

b) Der Begriff des "Geltendmachens" meint im Zusammenhang mit § 111 Satz 1 SGB X keine gerichtliche Geltendmachung und keine Darlegung in allen Einzelheiten, sondern das Behaupten oder Vorbringen (stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2500 § 10 Nr 4 RdNr 11 ff mwN). Allerdings muss der Wille erkennbar werden, zumindest rechtssichernd tätig zu werden. Eine bloß "vorsorgliche" Anmeldung reicht dagegen nicht aus (BSGE 65, 27, 30 = SozR 1300 § 111 Nr 4; BSGE 66, 246, 248 = SozR 3-1300 § 111 Nr 2). Unter Berücksichtigung des Zwecks der Ausschlussfrist, möglichst rasch klare Verhältnisse darüber zu schaffen, ob eine Erstattungspflicht besteht (vgl BT-Drucks 9/95, S 26 zu § 117 des Entwurfs eines SGB X; BSGE 65, 31, 39 = SozR 1300 § 111 Nr 6), muss der in Anspruch genommene Leistungsträger bereits beim Zugang der Anmeldung des Erstattungsanspruchs ohne weitere Nachforschungen beurteilen können, ob die erhobene Forderung ausgeschlossen ist. Dies kann er ohne Kenntnis des Forderungsbetrages feststellen, wenn die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruches maßgeblich sind, und der Zeitraum, für den die Sozialleistungen erbracht wurden (§ 111 Satz 1 SGB X), hinreichend konkret mitgeteilt sind (vgl BSGE 65, 31, 37 = SozR 1300 § 111 Nr 6; - USK 90174; - HVBG-INFO 1999, 2803; BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 9 S 37 mwN). Da der Erstattungsanspruch iS des § 111 Satz 1 SGB X bereits geltend gemacht werden kann, bevor die Ausschlussfrist zu laufen begonnen hat, können allgemeine Angaben genügen, die sich auf die im Zeitpunkt des Geltendmachens vorhandenen Kenntnisse über Art und Umfang künftiger Leistungen beschränken (zum Ganzen BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 9 S 37 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 10 Nr 4 RdNr 11).

c) Diesen Anforderungen genügt das Schreiben vom im Ergebnis nicht. Allerdings erfüllt es noch die förmlichen Anforderungen an ein Geltendmachen im Sinne von § 111 Satz 1 SGB X. Denn in ihm wird der Wille der Klägerin noch hinreichend deutlich, zumindest rechtssichernd tätig zu werden. Obwohl die Klägerin zunächst davon schrieb, nur "vorsorglich" ihren Erstattungsanspruch anzumelden, kam ihr Rechtssicherungswille in ihrer Bitte "um kurze Bestätigung, dass Sie unseren Erstattungsanspruch erhalten haben" noch hinreichend klar zum Ausdruck. Zudem hieß es eingangs: "Erstattungsanspruch gemäß § 105 SGB X". Die Klägerin benannte auch den Zeitraum hinreichend konkret, für den sie die Sozialleistungen erbrachte. Denn sie verwies auf die Zeit vom bis .

Die Klägerin teilte dagegen der Beklagten im Schreiben vom nicht hinreichend konkret die Umstände mit, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruches maßgeblich waren. Dem Schreiben war lediglich zu entnehmen, dass die Klägerin der Versicherten irrtümlich noch "Leistungen" erbracht hatte, nicht aber, wofür die Leistungen bestimmt waren. Mag bei weitester Auslegung auch noch davon ausgegangen werden, dass sich das Schreiben konkludent auf Leistungen im Sinne des § 11 SGB V berief, weil die Klägerin als KK diese in der Annahme eigener Leistungspflicht der Versicherten zuwandte, so fehlt jedenfalls jeglicher Anhaltspunkt für den Anlass und den Umfang der erbrachten Leistungen. Hierzu hätte seitens der Klägerin angesichts der im Raum stehenden Leistungen der Krankenbehandlung zumindest die Diagnose genannt werden müssen (vgl in diesem Sinne BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 9 S 38 f; ähnlich BSG SozR 4-2500 § 10 Nr 4 RdNr 12 f; - USK 2004-96, [juris] RdNr 21 mwN). Ohne solche Angaben besteht keine im Mindestmaß erforderliche Klarheit über die zu erwartenden Belastungen (vgl dazu - USK 90174, [juris] RdNr 23 mwN), die dem Verpflichteten im Rahmen einer ordnungsgemäßen Haushaltsführung etwa Anlass geben können, bei größeren Summen Rückstellungen zu bilden.

d) Es spricht im Übrigen nach dem Vorbringen der Beteiligten und dem Akteninhalt nichts für das Vorliegen eines Falles, in dem der Fristablauf unbeachtlich wäre, weil die Beklagte als erstattungspflichtiger Leistungsträger schwer gegen ihre Pflicht zu enger Zusammenarbeit verstoßen hätte. Derartige Umstände hat der 10. Senat des BSG (BSGE 98, 238 = SozR 4-1300 § 111 Nr 4, Leitsatz und jeweils RdNr 19 ff; ebenso der erkennende Senat, Urteil vom - B 1 KR 13/07 R - USK 2008-6, [juris] RdNr 13) für möglicherweise erheblich erachtet.

e) Zu Recht ziehen die Beteiligten nicht in Zweifel, dass der Lauf der Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nicht gemäß § 111 Satz 2 SGB X auf einen späteren Zeitpunkt als den nach § 111 Satz 1 SGB X maßgeblichen Zeitpunkt der Leistungserbringung hinausgeschoben war. Die Regelung lautet in der hier einschlägigen, ab geltenden Fassung des Art 10 Nr 8 des 4. Euro-Einführungsgesetzes vom (BGBl I 1983): "Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat".

Nach der Rechtsprechung des Senats kann bei Erstattungsansprüchen von KKn untereinander eine solche, den Fristenlauf hinausschiebende Kenntnisnahme von der "Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht" nicht vorliegen, wenn der Erstattungsverpflichtete eine materiell-rechtliche Entscheidung über Leistungen, wie sie der Erstattungsberechtigte bereits erbracht hat, überhaupt nicht mehr treffen kann und darf (BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 LS 1 und RdNr 15 f; dem folgend BSGE 98, 238 = SozR 4-1300 § 111 Nr 4, jeweils RdNr 16 f; ebenso - USK 2008-6, [juris] RdNr 15 ff). Das ist in aller Regel der Fall, wenn der Versicherte die Sachleistung bereits von einer KK erhalten hat. Der Bedarf des Versicherten ist insoweit - wenn auch durch einen unzuständigen Träger - bereits gedeckt worden. Der zuständige Leistungsträger hat keine Befugnis mehr, gegenüber dem Versicherten nochmals eine materiell-rechtliche Entscheidung über den Anspruch auf Gewährung gerade dieser Leistungen zu treffen und die Leistung zu bewilligen. Für einen entsprechenden Antrag des Versicherten würde es von vornherein an der dafür erforderlichen rechtlichen Betroffenheit fehlen. Denn sein Anspruch gegenüber dem zuständigen Leistungsträger ist sowohl faktisch also als auch rechtlich kraft der Fiktion des § 107 SGB X erfüllt (BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 18) .

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Entscheidung über den Streitwert stützt sich auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG ivm §§ 52 Abs 3, 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz.

Fundstelle(n):
AAAAD-28018