Zeitnahe Prüfung von Großbetrieben
Bezug:
Die bisherige Prüfungspraxis bei Großbetrieben zeigt, dass oftmals sehr große zeitliche Abstände zwischen den jeweiligen zu prüfenden Besteuerungszeiträumen und dem aktuellen Veranlagungsjahr bestehen. Ich halte die in Nordrhein-Westfalen entwickelte Strategie der sogenannten „zeitnahen Betriebsprüfung” oder „Prüfung im Jahrestakt” für geeignet, hier zu Verbesserungen zu gelangen. Die für Fragen der Betriebsprüfung zuständigen Referatsleiter des Bundes und der Länder haben in ihren Sitzungen Bp II/06 und Bp I/07 (jeweils TOP 8) die Zulässigkeit der Vorgehensweise in Nordrhein-Westfalen unter folgenden Voraussetzungen bestätigt:
Zu Beginn der Prüfung soll eine Steuererklärung vorliegen.
Auf einen Bp-Bericht soll nicht verzichtet werden.
Die Mitwirkungsrechte der Bundesbetriebsprüfung dürfen nicht beeinträchtigt werden.
Die Rahmenbedingungen, unter denen zeitnahe Betriebsprüfungen durchgeführt werden, unterscheiden sich damit nicht von denen der herkömmlichen Prüfung. Insbesondere soll auch die zeitnahe Betriebsprüfung nur auf der Grundlage einer eingereichten und veranlagten Steuererklärung und einer Prüfungsanordnung (§ 5 BpO) durchgeführt und mit einem förmlichen Prüfungsbericht abgeschlossen werden (§ 12 BpO). Die Regelung des § 4 Abs. 2 BpO (Grundsatz der Anschlussprüfung) steht der Durchführung einer zeitnahen Betriebsprüfung nicht entgegen.
Folgende Gründe sprechen für eine größere Zeitnähe bei Prüfungen:
Die Prüfung weit zurückliegender Veranlagungszeiträume verursacht in Verwaltung und in den zu prüfenden Unternehmen einen deutlich höheren Aufwand als die Prüfung aktueller Veranlagungszeiträume, weil fortgesetzte komplexe Steuerrechtsänderungen und strategische Umorganisationen in den großen Unternehmen zu merkbaren Effizienzverlusten auf beiden Seiten führen.
Moderne Prüfungsmethoden wie der Einsatz des Datenzugriff gem. § 146 Abs. 5 AO sind für beide Seiten leichter einzusetzen, wenn es sich um Veranlagungszeiträume handelt, die bei Durchführung der Prüfung noch nicht lange zurück liegen. So kann der Rückgriff auf bereits archivierte Daten vermieden werden.
Kompetente Ansprechpartner auf Seiten der Unternehmen sind häufig im Zeitpunkt der Prüfung schon nicht mehr im Unternehmen tätig, was zu Verzögerungen z. B. bei der Abwicklung von Prüferanfragen führt.
Steuernachforderungen aufgrund von Prüfungsmaßnahmen können schneller haushaltswirksam festgesetzt und erhoben werden.
Die Folgeprüfung wird von den bisher häufig zeitaufwändigen Kontrollen der Bilanzanpassungen der Unternehmen an die Vorprüfung entlastet.
Das FinMin NRW bittet daher, ab sofort in allen Finanzämtern für Groß- und Konzernbetriebsprüfung aus dem Fallbestand einen Anteil von geeigneten Fällen auszuwählen, in denen zukünftig zeitnahe Betriebsprüfungen erfolgen sollen. Für die Auswahl geeigneter Fälle erscheinen starre Abgrenzungskriterien wie z. B. bestimmte Umsatzgrößen nicht sinnvoll. Die Entscheidung, in welchen Fällen eine zeitnahe Betriebsprüfung durchgeführt wird, trifft das GKBP-FA im Einzelfall (ggf. im Benehmen mit den an der Prüfung beteiligten Prüfungsstellen für konzernanhängige Unternehmensteile) spätestens im Zeitpunkt der Aufstellung des Prüfungsgeschäftsplans. Da die Grundlage für eine zeitnahe Betriebsprüfung das Heranführen des Falles an aktuelle Zeiträume ist, hat es sich im Einzelfall als sinnvoll erwiesen, dem zu prüfenden Unternehmen bereits im Zeitpunkt des Abschlusses der Vor-Betriebsprüfung mitzuteilen, dass der Fall für ein zeitnahe Betriebsprüfung vorgesehen ist.
Geeignete Fälle für eine zeitnahe Betriebsprüfung
Besonders geeignet sind nach den bisherigen Erfahrungen
Fälle mit bedeutenden Einkünften,
konzernunabhängige Betriebe und
Fälle mit einfachen Konzernstrukturen.
Auch Fälle mit Verrechnungspreisproblematiken können sich für die zeitnahe Betriebsprüfung anbieten, verbunden mit dem Ziel, die Verrechnungspreise frühzeitig festzulegen. Es hat sich in Einzelfällen gezeigt, dass damit zugunsten des inländischen Ergebnisses ein Verrechnungspreis vorgegeben wird, der die Durchsetzungschancen in etwaigen Verständigungsverfahren für den deutschen Fiskus erhöht.
Gut für eine zeitnahe Betriebsprüfung eignen sich außerdem steuerloyale Unternehmen, die sich beispielsweise durch folgende Merkmale auszeichnen:
Sie haben sich in der Vergangenheit steuerehrlich verhalten.
Sie haben bei vorangegangenen Prüfungen aktiv bei der Informationsbeschaffungmitgewirkt.
Die steuerlichen Pflichten wurden ernst genommen (z. B. Anpassungsanträge der Vorauszahlungen zur Vermeidung hoher Abschlusszahlungen).
Es werden keine fragwürdigen Steuergestaltungsmodelle genutzt.
Im Einzelfall kann eine zeitnahe Betriebsprüfung aber auch bei hohem Risiko- und geringem Compliance-Faktor angezeigt sein, damit gerade in diesen Fällen die zutreffende Steuer rechtzeitig festgesetzt und steuerliches Fehlverhalten zeitnah sanktioniert werden kann.
Organisatorische Gründe und die Personalausstattung werden es nicht zulassen, dass die Mehrzahl der Betriebsprüfungsfinanzämter kurz- und mittelfristig einen wesentlichen Teil des jeweiligen Fallbestandes in einem verkürzten Rahmen (< drei Prüfungsjahre) zeitnah prüft. Um sich jedoch diesem Ziel zu nähern, ist es erforderlich, bei allen Betriebsprüfungen von Großbetrieben nachdrücklich eine größere Zeitnähe zu den zu prüfenden Veranlagungszeiträumen anzustreben. Die risikoorientierte Fallauswahl sowie ein konsequent nach Schwerpunkten gebildeter Prüfungsansatz, verbunden mit einer effizienten Zeitplanung – möglichst im Einvernehmen mit dem Unternehmen (Vereinbarung von Zeitkorridoren zur Prüfungsabwicklung) – sind hierfür geeignete Maßnahmen. Denkbar ist es auch, die Prüfung von Dauersachverhalten (wie z. B. Bewertungen des Warenbestandes) in spätere für die zeitnahe Betriebsprüfung vorgesehene Jahre zu verschieben. Als zusätzliche Maßnahme bietet sich auch die vorübergehende personelle Verstärkung des Prüfereinsatzes an, um den Fall an aktuelle Veranlagungszeiträume heranzuführen.
Es ist davon auszugehen, dass zukünftig verstärkt Anträge von Unternehmen auf Durchführung von zeitnahen Prüfungen eingehen werden. Ich weise daher ausdrücklich darauf hin, dass ein Rechtsanspruch auf eine zeitnahe Prüfung nicht besteht (§ 2 Abs. 3 BpO). Ich bitte, über entsprechende Anträge im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens (§ 5 AO) zu entscheiden.
Sicherstellung der Beteiligungsrechte der Bundesbetriebsprüfung
Die Entscheidung wird mit der Planaufstellung bis spätestens Mitte Februar eines Jahres dokumentiert. Hierzu bitte ich in den ausgewählten Fällen in BPI den neuen Prüfungsgrund „98 – Fall der zeitnahen Bp” aufzunehmen. Diese Information wird im Rahmen der Vorgaben der §§ 20, 21 BpO im üblichen Verfahren durch das RZF dem BZSt spätestens bis Ende Februar eines Jahres übermittelt. Das BZSt erhält damit die Möglichkeit, frühzeitig über eine Beteiligung an Fällen einer zeitnahen Betriebsprüfung zu entscheiden.
Abstimmungsbedarf mit anderen Prüfungsdiensten
Die Durchführung einer zeitnahen Betriebsprüfung kann dazu führen, dass der Abschluss der Prüfung erfolgt, bevor die Lohnsteuer-Außenprüfung oder Umsatzsteuer-Sonderprüfung über die Durchführung einer eigenen Prüfung entschieden bzw. ihre Prüfung beendet hat. Zur Vermeidung von Steuerausfällen bitte ich in diesen Fällen, die Prüfungen aufeinander abzustimmen. Ich werde das RZF beauftragen, eine automatisierte Übermittlung der Fälle mit Prüfungsgrund 98 an die jeweiligen Innendienstsysteme der Lohnsteuer-Außenprüfung und Umsatzsteuer-Sonderprüfung sicherzustellen. Nähere Einzelheiten zur Zusammenarbeit der Prüfungsdienste werde ich mit gesondertem Erlass auf der Grundlage des noch ausstehenden Abschlussberichts der Arbeitsgruppe „Neuorganisation der ZALSt” regeln.
Sollte es in Fällen einer zeitnahen Betriebsprüfung zu Abstimmungsschwierigkeiten mit dem BZSt oder den Prüfungsstellen der anderen Länder kommen, bitte ich um Bericht.
Statistische Erfassung der zeitnahen Betriebsprüfung
Anhand der Kennzahlen „Zeitnähe der Prüfungen bei Großbetrieben” und „durchschnittlicher Umfang der Prüfung bei Großbetrieben” sowie durch Auswertung der o. g. Kennzeichnung als zeitnah geprüfter Fall wird der Einsatz des Mittels einer zeitnahen Betriebsprüfung bereitshinreichend abgebildet.
Für die statistische Erfassung zeitnah geprüfter Fälle bestehen keine Besonderheiten. Von weitergehenden Aufzeichnungen bittet das FinMin NRW abzusehen.
Evtl. Auswirkungen im Bereich Controlling (ggf. Anstieg der Fälle im geringen Mehrergebnisbereich, da eine Prüfung weniger Zeiträume umfasst) wird das FinMin NRW im Rahmen der endgültigen Einführung des Controllings in den GKBP-FÄ berücksichtigen.
Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen v. - S 0401 - 10 - V A 5
Fundstelle(n):
UAAAD-27745