Haftung des gesetzlichen Vertreters für nicht fristgerechte Anmeldung und Entrichtung der Stromsteuer; Schutzzweck des § 8 Abs. 3 StromStG
Gesetze: AO § 69, StromStG § 8 Abs. 3, InsO § 130, FGO § 115 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war geschäftsführender Vorstandsvorsitzender einer AG, die mit Strom handelte. Die Buchführung übertrug die AG einer Steuerberatungsgesellschaft. In der Folgezeit wurden weder von dieser Gesellschaft noch von der AG Stromsteueranmeldungen abgegeben. Aufgrund der steuerlichen Unzuverlässigkeit widerrief der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt —HZA—) im Juli 2000 die der AG rückwirkend zum erteilte Erlaubnis, als Versorger an Dritte auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland Strom zu liefern. Im Juli 2000 beantragte die AG die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Daraufhin ordnete das HZA eine Betriebsprüfung an. Aus dem Zwischenbericht ergab sich, dass die AG im Zeitraum vom April 1999 bis zum Juli 2000 insgesamt . MWh unversteuerten Strom erhalten und an Dritte geliefert hatte. Ausweislich des Prüfungsberichts betrug die angefallene und nicht entrichtete Stromsteuer insgesamt . DM. Auf diesen Betrag wurde der Kläger vom HZA gemäß § 69 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 34 Abs. 1 AO und § 78 Abs. 1 des Aktiengesetzes als Haftungsschuldner in Anspruch genommen.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Kläger die ihm als geschäftsführenden Vorstandsvorsitzenden obliegenden steuerlichen Pflichten grob fahrlässig verletzt habe. Er könne sich zu seiner Entlastung nicht darauf berufen, eine Steuerberatungsgesellschaft mit der Buchführung beauftragt zu haben. Die vom HZA aufgrund der Auswertung von Wareneingangsrechnungen ermittelte Strommenge und die daraus errechnete Haftungssumme seien nicht zu beanstanden. Ausgehend von einer gelieferten Strommenge von . MWh betrage die Haftungsschuld insgesamt . DM. Anhaltspunkte dafür, dass die AG zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt nicht über ausreichende Mittel verfügte, um die Steuerschuld zu begleichen, seien nicht ersichtlich. Der Kläger habe im Termin zur mündlichen Verhandlung selbst darauf hingewiesen, dass von einem Konto der AG noch kurz vor der Insolvenzeröffnung eine Abschlagszahlung in Höhe von . DM in Auftrag gegeben worden sei.
Ferner sei die angenommene Haftungsquote von 100 % in Anbetracht der finanziellen Schwierigkeiten der AG lebensfremd. Bei seiner Entscheidung habe das FG den Grundsatz der anteiligen Tilgung und der zeitraumbezogenen Berechnung der Haftungssumme außer Acht gelassen und sich in Widerspruch zur BFH-Entscheidung vom VII R 188/82 (BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172) gesetzt. Eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme sei allenfalls in Höhe der noch zu ermittelnden Haftungsquote gerechtfertigt.
Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob eine Tilgungsvereitelung durch einen Insolvenzverwalter zur Haftungsfreistellung führe. Denn noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei versucht worden, die Stromsteuer für die Monate Januar bis Mai 2000 zu bezahlen. Hinsichtlich der für den Monat Juni 2000 geschuldeten Stromsteuer sei eine Bezahlung zum Fälligkeitstermin am aufgrund der im Juli 2000 erfolgten Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters gar nicht mehr möglich gewesen. Mit den Ausführungen, dass keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass die AG nicht über ausreichende Mittel verfügt habe, habe das FG eine Beweislastverteilung zum Nachteil des Klägers vorgenommen. Nicht er, sondern das HZA müsse die anspruchsbegründenden Tatsachen beweisen. Mit der Verkennung der zutreffenden Beweislastverteilung sei das FG vom (BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859) abgewichen.
Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten. Das HZA habe die Haftungssumme im Wege der Schätzung ermitteln können, weil der Kläger durch die Nichtabgabe von Steueranmeldungen seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Im Übrigen habe der Insolvenzverwalter der zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderung nicht widersprochen. Allein der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens entbinde den Schuldner nicht von der Abführung geschuldeter Steuern. Im Streitfall sei dem Kläger erst am . September 2000 die Verfügungsbefugnis entzogen worden. Die Nichtausführung des Überweisungsauftrags durch die Bank habe der Kläger hingenommen. Bereits dies sei als schuldhafte Pflichtverletzung zu werten.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Hinsichtlich der Versorgereigenschaft der AG musste sich dem FG keine weitere Beweiserhebung aufdrängen müssen. Ausweislich der Sitzungsniederschrift war das in der Beschwerdeschrift angeführte Schreiben des Hauptzollamts für Prüfungen, in dem die AG hinsichtlich einer einzelnen Vertragsbeziehung als Letztverbraucher eingestuft worden ist, Gegenstand der Erörterungen der mündlichen Verhandlung. Das HZA hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der AG unversteuerter Strom geliefert worden sei, was für die Stellung als Versorger spricht. Das FG hat somit die Ansicht des Hauptzollamts für Prüfungen zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidungsfindung auch berücksichtigt. Entgegen der Auffassung der Beschwerde bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass das FG aufgrund des Ergebnisses des Prüfungsberichts und des Umstandes, dass die AG selbst eine Erlaubnis zur Aufnahme einer Tätigkeit als Versorger beantragt und auch erhalten hat, von einer Versorgereigenschaft der AG ausgegangen ist und insoweit eine von der Einschätzung des Hauptzollamts für Prüfungen abweichende Rechtsauffassung vertreten hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die AG von insgesamt 17 Energieversorgungsunternehmen mit Strom beliefert worden ist und dass sich die Auffassung des Hauptzollamts für Prüfungen nur auf einen einzigen Liefervertrag bezieht. Warum sich dem FG aus seiner Sicht nach der Aktenlage und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung das Erfordernis weiterer Ermittlungen hätte aufdrängen müssen, wird durch das Vorbringen der Beschwerde nicht schlüssig belegt.
2. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das FG bei seiner Entscheidungsfindung von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der dem schriftlichen oder mündlichen Vorbringen des Klägers widerspricht. Die behauptete Verletzung von § 96 Abs. 1 FGO liegt somit nicht vor. Aus dem Umstand, dass die AG bei einer Bank ein Konto mit einem beträchtlichen Guthaben unterhielt und dass der Kläger von diesem Konto eine Überweisung in Höhe von . DM vorgenommen hat, hat das FG geschlossen, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die AG zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt nicht über ausreichende Mittel verfügte. Die Beschwerde trägt selbst vor, dass im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung allein bei einer Bank ein Guthaben von insgesamt . DM bestand. Zudem hat der Kläger in der Klageschrift selbst eingeräumt, dass zum Zeitpunkt der Insolvenz nachgewiesenermaßen ausreichend finanzielle Mittel auf dem Konto der AG vorhanden gewesen seien, um sogar die zu hoch angesetzte Stromsteuer zu begleichen. Unter diesen Umständen ist die Schlussfolgerung des FG nachvollziehbar und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze, dass die AG in der Lage gewesen ist, ihre steuerlichen Pflichten pünktlich und in ausreichendem Maße zu erfüllen. Zumindest waren . Juli 2000 ausreichend Mittel vorhanden, um auch die rückständigen Steuerschulden zu begleichen.
3. Soweit der Kläger in Bezug auf die Liquidität der AG im Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeit der Stromsteuer eine mangelnde Sachaufklärung durch das FG rügt, entspricht das Vorbringen nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Insbesondere lässt sich der Beschwerde nicht hinreichend entnehmen, warum sich dem FG eine Beweiserhebung auch ohne entsprechende Beweisanträge hätte aufdrängen müssen, welche Kontostände es durch eine weitere Aufklärung hätte genau feststellen können und weshalb die Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG anders hätte ausfallen müssen.
Entgegen der Ansicht des Klägers kann der Klageschrift ein substantiiertes Bestreiten der Zahlungsfähigkeit der AG zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen nicht entnommen werden. Vielmehr stellt der Kläger darin lediglich die nicht näher substantiierte Behauptung auf: „Dies ist nicht so und widerspricht der Erfahrung in Bezug auf sich im Aufbau befindliche Unternehmen.” Warum junge Unternehmen in der Regel nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen sollen, ihre Steuerschulden fristgerecht zu begleichen, wird nicht schlüssig dargelegt. Auch aus den Anlagen zum Schriftsatz an das FG vom . Januar 2005 ergeben sich keine eindeutigen Hinweise darauf, dass die AG bereits zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten zahlungsunfähig gewesen ist. Zumindest ist ersichtlich, dass noch im Mai 2000 Löhne und Gehälter gezahlt worden sind und dass die AG im Juni 2000 auf einem Guthabenkonto noch über erhebliche liquide Mittel verfügte. Erst mit der Beschwerdeschrift hat der Kläger zur finanziellen Situation während des Haftungszeitraums ausführlich Stellung genommen und ein umfangreiches Anlagenkonvolut nachgereicht.
Für den Fall, dass die Beweiserhebung ergeben hätte, dass die AG zumindest vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung in der Lage gewesen wäre, die rückständige Stromsteuer zu entrichten, vermag die Beschwerde nicht schlüssig darzulegen, warum das FG zu dem Ergebnis einer Haftungsfreistellung hätte kommen müssen. Dem Argument, dass dem Kläger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis entzogen worden sei, ist nicht zu folgen. Ausweislich des Akteninhalts wurde im Juli 2000 das vorläufige Insolvenzverfahren über das Vermögen der AG eröffnet. Ein Entzug der Verfügungsbefugnis war damit jedoch nicht verbunden. Vielmehr wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Nach der Rechtsprechung des BFH vermag allein ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen gesetzlichen Vertreter nicht von der Haftung zu befreien (, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129). Die Verpflichtung zur Abführung von Steuern besteht vielmehr solange fort, bis durch die Bestellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters oder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis entzogen wird.
4. Soweit sich der Kläger auf den Widerruf der von ihm veranlassten Überweisung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter und auf eine das Verschulden ausschließende subjektive Unmöglichkeit der Pflichterfüllung beruft, ist den Ausführungen ein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO nicht zu entnehmen. Im Kern seines Vorbringens wendet er sich gegen die materiell-rechtliche Würdigung des FG, das diesen Umstand unberücksichtigt gelassen hat. Dies kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen.
5. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Geschäftsführer auch dann für die Nichtentrichtung einer Steuer der von ihm vertretenen Kapitalgesellschaft gemäß § 69 AO haftet, wenn er die Überweisung der geschuldeten Steuern erst nach Fälligkeit und damit verspätet veranlasst und der unternommene Zahlungsversuch aus Gründen scheitert, die er nicht zu vertreten hat, ist bei Zweifeln an ihrer Klärungsfähigkeit in dem angestrebten Revisionsverfahren zumindest nicht klärungsbedürftig. Diese Frage ist durch die jüngste Rechtsprechung des BFH geklärt. Wie der Senat für die Lohnsteuer entschieden hat, bleibt die Pflichtverletzung einer nicht fristgerechten Steuerentrichtung selbst dann für den beim Fiskus eingetretenen Vermögensschaden kausal, wenn der Zeitpunkt der Zahlung nunmehr in die Anfechtungsfrist des § 130 der Insolvenzordnung (InsO) fällt, so dass der Insolvenzverwalter die Zahlung erfolgreich gegenüber dem Finanzamt anfechten kann (, BFHE 223, 303, BStBl II 2009, 342). Der Schutzzweck des § 41a des Einkommensteuergesetzes (EStG) erstreckt sich allgemein auf die Vermeidung von Risiken, die infolge einer verspäteten Zahlung entstehen können. Zu diesen Risiken gehört auch eine insolvenzrechtliche Anfechtung.
Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Rechtsgedanke lässt sich auf § 8 Abs. 3 des Stromsteuergesetzes übertragen. Die Pflicht zur fristgerechten Anmeldung und Abführung der Stromsteuer dient der Durchsetzung der Interessen der Finanzverwaltung. Mithin erfasst der Schutzzweck der Vorschrift auch die Vermeidung allgemeiner Risiken, die mit einer nicht fristgerechten Pflichterfüllung verbunden sein können. Zu diesen Risiken zählt der Widerruf einer Überweisung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter und eine Anfechtung der Zahlung gemäß § 130 InsO. Die von der Beschwerde allgemein auf alle Steuerarten und vom Haftungsschuldner nicht zu vertretenen Umstände der Zahlungsvereitelung bezogene Frage bedarf daher keiner erneuten Klärung. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers bereits in der Nichtentrichtung der geschuldeten Steuern zum gesetzlichen Fälligkeitstermin liegt. Durch eine verspätete Steuerentrichtung bleibt der Vorwurf der schuldhaften Pflichtverletzung grundsätzlich bestehen, lediglich der Eintritt eines Haftungsschadens wird vermieden.
6. Die behauptete Abweichung vom BFH-Urteil in BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172, liegt nicht vor. Einen von dieser Entscheidung abweichenden Rechtssatz hat das FG bereits deshalb nicht aufstellen können, weil es sich mit dem Grundsatz der anteiligen Tilgung überhaupt nicht befasst hat. Aus der Sicht des FG war dies auch folgerichtig, da es unterstellt hat, dass zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten ausreichend liquide Mittel vorhanden gewesen sind. Anlass zur Ermittlung einer Haftungsquote unter Berücksichtigung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung hat das FG offensichtlich nicht gesehen.
7. Soweit der Kläger eine Divergenz zur BFH-Entscheidung vom VII B 178/04 (BFH/NV 2005, 661) behauptet, genügt das Vorbringen nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Rügt der Beschwerdeführer eine Abweichung von Entscheidungen des BFH, so muss er tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (BFH-Beschlüsse vom X B 52/03, BFH/NV 2004, 80, und vom XI B 67/00, BFH/NV 2002, 1479). Eine solche Gegenüberstellung enthält die Beschwerde nicht. Dieses Versäumnis lässt sich darauf zurückführen, dass sich das FG weder im Tatbestand noch in den Entscheidungsgründen mit dem Widerruf der Überweisung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter befasst hat. Folglich konnte es auch keinen von der angeführten BFH-Entscheidung abweichenden Rechtssatz aufstellen.
8. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist den Ausführungen des FG nicht zu entnehmen, dass es eine Aussage über die Beweislastverteilung im Haftungsstreit getroffen hat. Den Rechtssatz, dass der Haftungsschuldner die Feststellungslast dafür trägt, dass die haftungsbegründenden Merkmale nicht vorliegen, hat es nicht aufgestellt. Vielmehr hat sich das FG zur Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich auf das Vorbringen des Klägers berufen, dass die AG bei einer Bank Geld hatte und von dem dort geführten Konto noch kurz vor Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens eine Abschlagszahlung in Höhe von . DM in Auftrag gegeben hat.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1605 Nr. 10
HAAAD-27719