BFH Urteil v. - II R 7/08

Kfz-Tower, der aus zwei mehrstöckigen Stahlregalen mit dazwischen befindlichem Aufzug besteht als Gebäude; Abgrenzung zwischen Gebäude und Betriebsvorrichtung

Leitsatz

Ein Gebäude im Sinne des § 68 Abs. 1 BewG muss nicht zum Aufenthalt von Menschen bestimmt sein. Es genügt, wenn es zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen geeignet ist. Diese Eignung wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass es während des Betriebsablaufs nicht betreten werden kann.
Ein Glastrum für neue Personenkraftwagen, dessen Stahlkonstruktion aus zwei Regalen besteht, zwischen denen sich der Aufzug für die Fahrzeuge befindet, die in mehreren Etagen abgestellt werden können, kann ein Gebäude im Sinne des § 68 Abs. 1 BewG sein, wenn zwar der Eingangsbereich und die Regale auf den einzelnen Etagen keine festen Böden aufweisen, der Aufenthalt von Menschen in dem Glasturm aber integraler Teil des Betriebsablaufs ist, weil die ein- und auszulagernden Fahrzeuge von Menschen in den Turm hinein- bzw. herausgefahren werden müssen.
Weist die Umschließung des Bauwerks eine vertikale bauliche Verbindung mit einer Betriebsvorrichtung auf oder ist sie so konstruiert, dass die Konstruktionselemente über die Gebäudefunktion hinaus auch eine betriebliche Funktion erfüllen, kommt dem Gebäudemerkmal der Standfestigkeit neben dem der festen Verbindung mit dem Grund und Boden eine selbständige Bedeutung zu.

Gesetze: BewG § 68 Abs. 1 Nr. 1, BewG § 68 Abs. 2

Instanzenzug: Ew, EW (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt den Handel mit Automobilen einer bestimmten Marke. Sie erweiterte in den Jahren 1999 und 2000 ihre Ausstellungsfläche, indem sie an eine Ausstellungshalle einen Glasturm für Neuwagen (PKW) anbaute. Dabei handelt es sich um eine rund 36 m hohe Stahlkonstruktion mit vorgehängten Glasfassaden. Die Stahlkonstruktion besteht aus zwei Regalen, zwischen denen sich der Aufzug für die Fahrzeuge befindet, die in 13 Etagen abgestellt werden können, und zwar vier Fahrzeuge auf jeder Etage. Die Regale weisen auf den einzelnen Etagen keine festen Böden auf. Die Fahrzeuge werden vielmehr durch den Aufzug auf Paletten in die jeweilige Etage gehoben und mit dieser Palette in den Stahlregalrahmen geschoben, wobei jeweils zwei Paletten mit ihren Fahrzeugen nebeneinander platziert werden können.

Der Turm hat drei Öffnungen mit verglasten Schiebetüren, von denen zwei —übereinanderliegend— in die zwei Stockwerke der angrenzenden Ausstellungshalle und eine ins Freie führen. Die Öffnungen ermöglichen den Zugang zum Aufzug, der ebenfalls keinen festen Boden aufweist. Die Fahrzeuge fahren von außen kommend direkt auf eine der Paletten, mit der sie dann zu einem der freien Regalplätze transportiert werden. Beim Verlassen des Turms werden sie dann mit dieser Palette wieder zu einer der drei Öffnungen gebracht. Die Fahrzeuge müssen von Menschen in den Turm hinein- und herausgefahren werden. Die Fahrer können den Turm nur betreten, wenn eine Palette mit oder ohne Fahrzeug vor eine der Öffnungen gebracht worden ist. Die Aufzugsanlage kann erst in Gang gesetzt werden, wenn sie den Turm wieder verlassen haben. Im Übrigen werden die Transportvorgänge von der angrenzenden Ausstellungshalle aus automatisch gesteuert. Wo das einzulagernde Fahrzeug abgestellt wird, regelt das eingegebene EDV-Programm (sog. chaotische Einlagerung). Im Turm selbst befindet sich lediglich eine Notsteuerung. Während des Betriebs des Aufzugs dürfen sich keine Menschen in dem Turm aufhalten. Er verfügt über ein Kellergeschoss mit jeweils einem Raum unter den Regalen. In einem der Räume befindet sich die Schaltanlage, in dem anderen die Sprinkleranlage. Dazwischen ist das Kellergeschoss zum Aufzug hin nach oben offen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) verglich den Turm mit dem sog. Smart-Tower, erkannte keine rechtserheblichen Unterschiede und beurteilte den Turm daher gemäß dem Erlass des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom - 3 - S 3190/15 (Steuer-Eildienst 1999, 331) als Gebäude. Er nahm mit Bescheid vom eine Wertfortschreibung auf den vor. Dabei berücksichtigte er u.a. den Turm mit einem Gebäudewert von 200 355 DM und gelangte so zu einem Einheitswert von (507 500 DM =) 259 480 €. Durch weiteren Bescheid vom selben Tag setzte er im Wege einer Neuveranlagung auf den einen Grundsteuermessbetrag von (1 776,25 DM =) 908,18 € fest.

Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des § 68 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG). Der Turm sei zu einem nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen geeignet. Dazu müsse er nicht in allen Teilen begehbar sein. Auch komme es nicht auf das Verhältnis der begehbaren zur unbegehbaren Fläche an. Sobald und solange sich vor einer Öffnung eine Palette befinde, könne der Turm betreten werden. Da der Turm eine geringere Umschlagsfrequenz habe als ein übliches Hochregallager, könne ein solcher Zustand durchaus länger andauern. Hinzu komme, dass das von Menschenhand vorzunehmende Ein- und Ausfahren zum Betriebsablauf gehöre und für diesen unumgänglich sei. Die Zweckbestimmung eines Bauwerks oder die Verkehrsauffassung sei für die Abgrenzung der Gebäude von den Betriebsvorrichtungen unbeachtlich.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hebt besonders hervor, dass der Turm nur betreten werden könne, wenn sich im Ein- bzw. Ausgangsbereich eine Palette befinde. Ansonsten sei der Turm geschlossen.

II. Die Revision ist begründet. Der Glasturm der Klägerin ist zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen geeignet und erfüllt auch die sonstigen Anforderungen an ein Gebäude. Da das FG dies verkannt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Gemäß § 68 Abs. 1 BewG gehören zum Grundvermögen außer dem Grund und Boden auch die Gebäude, die sonstigen Bestandteile und das Zubehör. Nicht in das Grundvermögen einzubeziehen sind nach § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG Maschinen und sonstige Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören (Betriebsvorrichtungen), auch wenn sie wesentliche Bestandteile sind. Bei der Abgrenzung der Gebäude von den Betriebsvorrichtungen ist vom Gebäudebegriff auszugehen, weil Gebäude grundsätzlich zum Grundvermögen gehören und demgemäß ein Bauwerk, das als Gebäude zu betrachten ist, nicht Betriebsvorrichtung sein kann (, BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517). Als Gebäude ist ein Bauwerk anzusehen, das durch räumliche Umschließung Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt, den nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen gestattet, fest mit dem Grund und Boden verbunden sowie von einiger Beständigkeit und standfest ist. Alle Bauwerke, die sämtliche dieser Begriffsmerkmale aufweisen, sind ausnahmslos als Gebäude zu behandeln (BFH-Urteile in BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517, sowie vom III R 132/67, BFHE 96, 365, BStBl II 1969, 612, 614). Sämtliche dieser Merkmale treffen auf den Glasturm der Klägerin zu, wobei lediglich das Merkmal der Eignung zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen sowie das der Standfestigkeit näherer Betrachtung bedürfen.

a) Ein Bauwerk muss nicht zum Aufenthalt von Menschen bestimmt sein. Es genügt, wenn es zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen geeignet ist. Diese Eignung wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass das Bauwerk während des Betriebsablaufs nicht betreten werden kann (vgl. Halaczinsky in Rössler/ Troll, Bewertungsgesetz, § 68 Rz 67). Dagegen fehlt die Eignung zu mehr als nur vorübergehendem Aufenthalt von Menschen, wenn in dem Bauwerk kontinuierlich ablaufende Betriebsvorgänge stattfinden, die den Aufenthalt von Menschen überhaupt nicht oder nur während kurzer Betriebspausen zulassen (vgl. , BFHE 150, 62, BStBl II 1987, 551).

Im Streitfall ist der Aufenthalt von Menschen in dem Glasturm nicht nur während der Betriebspausen oder in größeren zeitlichen Abständen zu Wartungsarbeiten möglich. Vielmehr ist der Aufenthalt von Menschen in dem Bauwerk integraler Teil des Betriebsablaufs. Die ein- oder auszulagernden Fahrzeuge müssen von Menschen in den Turm hinein- bzw. herausgefahren werden. Dazu müssen die Fahrer den Turm betreten. Dass sie sich dabei auf wechselnden Paletten befinden, ist unerheblich. Dass die Fahrer den Turm innerhalb einer bestimmten Zeit verlassen müssen, weil sich danach die Schiebetüren schließen und sich die Aufzugsablage in Betrieb setzt, ist nicht festgestellt. Sollte keine bestimmte Zeitvorgabe für das Verlassen des Turms bestehen, wäre der Aufenthalt von Menschen ohnehin nicht begrenzt, und zwar ungeachtet dessen, dass die Fahrer keine Veranlassung haben, im Turm länger als nötig zu verbleiben. Sollte ein technischer Zwang bestehen, den Turm nach kurzer Zeit wieder zu verlassen, stünde auch dies der Eignung des Turms zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen nicht entgegen. Denn dann wäre nicht nur auf die Dauer des einzelnen Ein- oder Ausfahrvorgangs abzustellen, sondern auf die Gesamtheit dieser Vorgänge. Dadurch ist der Aufenthalt von Menschen in dem Turm nur durch die technisch mögliche Anzahl dieser Vorgänge pro Arbeitstag begrenzt. Angesichts dieser technischen Möglichkeiten kann dem Turm die Eignung zum Aufenthalt von Menschen im erforderlichen zeitlichen Umfang nicht abgesprochen werden, und zwar unabhängig davon, ob die technischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden.

Die für den Aufenthalt von Menschen geeignete Fläche ist auch nicht von so untergeordneter Bedeutung, dass sie vernachlässigt werden könnte. Sie nimmt etwa 20 v.H. der gesamten Grundfläche des Turms ein, der als solcher ohnehin nur einen Raum bildet. Abgesehen davon kommt es für die Bedeutung der betretbaren Fläche nicht nur auf das reine Größenverhältnis an, sondern auch auf die unterschiedliche Intensität der Nutzung (, BFHE 117, 492, BStBl II 1976, 198). Die betretbare Fläche ist die einzige, die alle eingelagerten Fahrzeuge mindestens zweimal durchlaufen, wobei sie jeweils von Menschenhand bewegt werden müssen.

Das FG hat somit die Eignung des Turms zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen zu Unrecht verneint. Da auch alle übrigen Gebäudemerkmale erfüllt sind und somit die Vorentscheidung nicht etwa gemäß § 126 Abs. 4 FGO Bestand haben kann, war sie aufzuheben.

b) Insbesondere fehlt es nicht an dem Gebäudemerkmal der Standfestigkeit. Sie ist gegeben, obwohl die räumliche Umschließung —nämlich die Glasfassaden— an der Stahlkonstruktion des Turms aufgehängt ist, auf der auch die Bedachung lastet, und obwohl der Turm dadurch seine Standfestigkeit nur mit Hilfe der Regale erlangt. Weist die Umschließung des Bauwerks eine vertikale bauliche Verbindung mit einer Betriebsvorrichtung auf oder ist sie so konstruiert, dass die Konstruktionselemente über die Gebäudefunktion hinaus auch eine betriebliche Funktion erfüllen, kommt dem Gebäudemerkmal der Standfestigkeit neben dem der festen Verbindung mit dem Grund und Boden eine selbständige Bedeutung zu. Derartige doppelfunktionale Konstruktionselemente sind nicht allein deshalb den Betriebsvorrichtungen zuzuordnen, weil sie in der zeitlichen Abfolge des Herstellungsvorgangs als erstes ausgeführt werden; vielmehr ist auch bei ihnen zur Abgrenzung des Grundvermögens von den Betriebsvorrichtungen vom Gebäudebegriff auszugehen. Bedarf das Bauwerk einer äußeren Umschließung, weil etwa die in ihm stattfindenden betrieblichen Abläufe vor Wind und Wetter geschützt werden sollen, sind die Konstruktionselemente, mit deren Hilfe die Standfestigkeit der Umschließung erreicht wird, ungeachtet sonstiger Funktionen dem Grundvermögen zuzuordnen (so , BFHE 202, 376, BStBl II 2003, 693).

Solch eine technische Einheit aus räumlicher Umschließung und den Regalen als dafür konstruktiv geeigneter Betriebsvorrichtung liegt auch im Streitfall vor. Die Regale sind in ihrer Gesamtheit zur Standfestigkeit der Umschließung einschließlich des Daches erforderlich. Dass die für die Standfestigkeit des Gebäudes erforderliche Trägerkonstruktion so ausgeführt ist, dass sie gleichzeitig zur Aufnahme der Fahrzeuge genutzt werden kann, lässt ihre Gebäudefunktion nicht entfallen. Dasselbe würde gelten, wenn die Trägerkonstruktion wegen ihrer Regalfunktion stärker ausgeführt worden wäre, als sie es bei ausschließlicher Gebäudefunktion sein müsste.

2. Die Sache ist spruchreif. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Klage war abzuweisen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1609 Nr. 10
HFR 2010 S. 12 Nr. 1
KÖSDI 2009 S. 16714 Nr. 11
NAAAD-27354