BAG Urteil v. - 1 AZR 18/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BetrVG § 77 Abs. 2; BetrVG § 77 Abs. 4

Instanzenzug: LAG Hamburg, H 3 Sa 118/07 vom ArbG Hamburg, 9 Ca 522/01 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Ausgleichsanspruch wegen der Absenkung von Prämienlohn.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metallindustrie. Der Kläger ist bei ihr seit mindestens 1997 als Monteur beschäftigt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts "finden" auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge für die Metallindustrie in Hamburg und Schleswig-Holstein "Anwendung".

Im H Betrieb der Beklagten galt für Monteure aufgrund einer Betriebsvereinbarung vom Juni 1981 ein Prämienlohnsystem. Der Prämienausgangslohn betrug 125 % des jeweiligen Tarifgrundlohns. Im August 1996 nahmen die Betriebsparteien Verhandlungen über eine Änderung des Systems und eine Absenkung des Ausgangslohns auf. Zugleich verhandelten sie über eine Übergangsregelung. Zu dieser unterbreitete die Beklagte am einen ersten schriftlichen Vorschlag. Er wurde in der Folgezeit mehrfach geändert. Es gab eine Version vom und schließlich eine weitere Version vom . Sie waren überschrieben mit "Übergangsregelung (O Vorschlag vom )" bzw. "Übergangsregelung für Montagestammarbeiter im Prämienlohn (O Vorschlag vom )". Die Schriftstücke wurden von den Betriebsparteien nicht unterzeichnet. In Nr. 2 des Vorschlags vom heißt es:

"Die Höhe der individuellen Ausgleichszulage wird auf Basis der im Durchschnitt der letzten 12 Monate erreichten Überverdienste gegenüber dem Tarifgrundlohn ermittelt. Als Überverdienste werden ausschließlich die Zulage auf den Prämienausgangslohn in Höhe von 25 % und die Prämien- bzw. Prämiendurchschnittszahlungen berücksichtigt. Die Ausgleichszulage ist die Differenz zwischen diesem durchschnittlichen Überverdienst und dem möglichen zukünftigen Überverdienst in Höhe von 35 Prozentpunkten (20 % Prämienuntergrenze plus 15 % Prämie) über dem Tarifgrundlohn."

In Nr. 3 ist vorgesehen, dass mögliche Tariferhöhungen zur Hälfte auf die Ausgleichszulage angerechnet werden.

Am schlossen die Beklagte und der "Gesamtbetriebsrat sowie (die) Betriebsräte der Betriebe gemäß Anlage 1, vertreten durch den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden" eine "Betriebsvereinbarung Beschäftigungssicherung und Kostensenkung" (BV 1997). Danach wurde der Prämienausgangslohn für Monteure mit Wirkung vom auf 100 % des tariflichen Grundlohns festgesetzt. In Nr. 3 BV 1997 verpflichtete sich die Beklagte bis zum keine betriebsbedingten Kündigungen gegenüber Monteuren auszusprechen; mit Betriebsvereinbarung vom wurde diese Frist bis zum verlängert. In Nr. 4 BV 1997 heißt es:

"Wenn und sofern die Beschäftigungssicherung nach Ziffer 3 ausläuft, wird für die dann betroffenen Mitarbeiter - in den in Anlage 1 mit ABL gekennzeichneten Betrieben - eine Überregelung gemäß dem O Vorschlag vom in Kraft gesetzt. Die Basis für die Lohnsicherung ist der jeweilige Stand vom ."

Mit seiner im November 2001 bei Gericht eingegangenen Klage hat der Kläger für den Zeitraum vom bis zum Ansprüche auf Ausgleichszahlungen nach Nr. 2 des Vorschlags zu einer Übergangsregelung in der Fassung vom geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, in Nr. 4 BV 1997 sei diese Regelung in Bezug genommen worden. Er hat in deren Anwendung eine Verdienstdifferenz in Höhe der Klageforderung errechnet. Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 602,22 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

Die Revision ist unbegründet, das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ausgleichszahlung weder aus Nr. 2 des Vorschlags für eine Übergangsregelung vom noch aus Nr. 4 BV 1997 iVm. dieser Bestimmung zu.

I. Der Kläger kann seine Forderung nicht unmittelbar auf Nr. 2 des Vorschlags vom stützen. Dieser Vorschlag ist keine Grundlage für individualrechtliche Ansprüche der Beschäftigten. Zwar gelten gem. § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat für die Arbeitnehmer unmittelbar und zwingend. Der Vorschlag vom ist jedoch keine Betriebsvereinbarung. Es fehlt an der nach § 77 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG erforderlichen und unverzichtbaren Schriftform. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Vorschlag der Beklagten von den Betriebsparteien nicht unterzeichnet wurde. Er ist deshalb allenfalls als Regelungsabrede anzusehen. Eine solche hat schuldrechtliche Wirkung für die Betriebsparteien, begründet aber keine eigenen Ansprüche der Beschäftigten ( - zu B II 2 c aa (2) der Gründe, AP BetrVG 1972 § 21a Nr. 1 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 3).

II. Die Klageforderung folgt ebenso wenig aus Nr. 2 des Vorschlags vom iVm. Nr. 4 BV 1997. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass die BV 1997 vom Gesamtbetriebsrat als entweder nach § 50 Abs. 1 BetrVG originär oder nach § 50 Abs. 2 BetrVG kraft Auftrags zuständigem Gremium abgeschlossen wurde und auch nicht wegen abschließender tariflicher Leistungslohnbestimmungen nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam ist. Ein Ausgleichsanspruch besteht auch dann nicht. Nr. 4 BV 1997 nimmt nicht auf eine schon existierende "Übergangsregelung gemäß dem O Vorschlag vom " Bezug. Nr. 4 BV 1997 ist vielmehr dahin zu verstehen, dass sich die Betriebsparteien verpflichtet haben, eine entsprechende Übergangsregelung erst noch zu schaffen, wenn "die Beschäftigungssicherung nach Ziffer 3 ausläuft". Das ergibt die Auslegung.

1. Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt ( - Rn. 20 mwN, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 37 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 22).

2. Danach wird in Nr. 4 BV 1997 nicht auf eine bereits bestehende Übergangsregelung verwiesen. Die Klageforderung entbehrt damit der rechtlichen Grundlage.

a) Nach dem Wortlaut von Nr. 4 BV 1997 wird eine Übergangsregelung "in Kraft gesetzt", wenn und sofern die vereinbarte Beschäftigungssicherung ausläuft. Soll eine Regelung unter bestimmten Voraussetzungen "in Kraft gesetzt" werden, bedarf es zu ihrem Wirksamwerden eines Aktes des "Inkraftsetzens". Die Formulierung "wird in Kraft gesetzt" zielt auf ein zukünftiges Handeln, nicht auf einen bereits in Gang gesetzten Automatismus. Hätten die Betriebsparteien Letzteres gewollt, dh. hätten sie ein Wirksamwerden ohne weiteres künftiges Zutun herbeiführen wollen, hätte es nahegelegen zu formulieren, unter den aufgeführten Bedingungen "trete" eine Übergangsregelung gemäß dem O Vorschlag vom in Kraft. Ein "Inkrafttreten" würde lediglich voraussetzen, dass die genannte Bedingung einträte, ein "Inkraftsetzen" verlangt darüber hinaus nach einer entsprechenden, erst noch vorzunehmenden Handlung. Nr. 4 BV 1997 ist deshalb ihrem Wortlaut nach dahin zu verstehen, dass die Betriebsparteien sich lediglich schuldrechtlich zur Schaffung einer Übergangsregelung unter den genannten Bedingungen verpflichtet und nicht eine solche Regelung inhaltlich bereits abschließend getroffen und verbindlich vereinbart haben.

b) Dieses Verständnis der Bestimmung wird durch den Umstand bestärkt, dass der BV 1997 eine entsprechende Übergangsregelung nicht beibefügt war. Dies ist in aussagekräftiger Weise ungewöhnlich. Hätten die Betriebsparteien in Nr. 4 BV 1997 auf eine schon existente, inhaltlich vollständige und zwischen ihnen abschließend verhandelte Übergangsregelung Bezug nehmen wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass sie diese Regelung in die BV 1997 selbst aufgenommen oder ihr doch als Anlage beigefügt hätten. Nur so hätten sie angesichts des Fehlens der handschriftlichen Unterzeichnung eines der mindestens drei schriftlichen Regelungsvorschläge gewiss sein können, dass der Inhalt der getroffenen Übergangsregelung auch künftig zwischen ihnen außer Streit bleiben und die Regelung für die Beschäftigten eine klagbare Anspruchsgrundlage sein würde. Diese Erwartung ist umso mehr berechtigt, als die Betriebsparteien in derselben Nr. 4 BV 1997 in anderer Beziehung auf eine "Anlage 1" verwiesen, sich also der entsprechenden Regelungstechnik in anderer Hinsicht durchaus bedient haben.

c) Für das Verständnis von Nr. 4 BV 1997 als bloßer Verpflichtung zur Schaffung einer Übergangsregelung und nicht als Einbezug einer schon bestehenden, verbindlichen Übereinkunft spricht ferner das Gebot der gesetzeskonformen Auslegung. Die Bestimmung wäre ansonsten wegen Verstoßes gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Normenklarheit unwirksam.

aa) Diesem Grundsatz zufolge ist Mindestvoraussetzung für die Wirksamkeit einer Norm, dass jedenfalls der Regelungstext als solcher unzweifelhaft feststeht. Lässt sich nicht auf einfache Weise und sicher klären, welches der Wortlaut einer Regelung im äußerlich-phonetischen Sinne ist, fehlt es an der unverzichtbaren, notwendigen Grundlage für den Eintritt bestimmter normativer Wirkungen überhaupt. Für den Fall der Verweisung einer Regelung auf Regelungen außerhalb ihrer selbst bedeutet dies, dass eindeutig feststehen muss, auf welchen genau identifizierbaren, konkreten Regelungstext Bezug genommen wird. Unabhängig davon, welche möglichen Anforderungen das Schriftformerfordernis des § 77 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Halbs. 1 BetrVG an die in Bezug genommene Regelung als solche stellt, ist deren exakte Kennzeichnung zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit der sie in Bezug nehmenden Regelung. Die in Bezug genommene Bestimmung muss in der verweisenden Betriebsvereinbarung so genau bezeichnet werden, dass Irrtümer über ihre Identität ausgeschlossen sind ( - zu B II 1 b der Gründe mwN, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 30 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 17).

bb) Diesen Anforderungen würde Nr. 4 BV 1997 verstanden als Verweisungsnorm nicht gerecht. Es heißt in der Bestimmung, es werde eine "Übergangsregelung gemäß dem O Vorschlag vom " in Kraft gesetzt. Unter dieser Bezeichnung sind jedoch mindestens drei unterschiedliche schriftliche Fassungen einer Übergangsregelung existent: die ursprüngliche Fassung vom , die Fassung vom und die vom . Auf welche dieser Versionen die Betriebsparteien in Nr. 4 BV 1997 Bezug genommen hätten, ließe sich anhand objektiver Umstände nicht klären. Es gibt keinen zwingenden Anhaltspunkt für die Berechtigung der Annahme, dass dies nur der auf den zeitlich spätesten Termin datierte Regelungstext vom hätte sein können, zumal dieser nicht mit "Übergangsregelung", sondern mit "Übergangsregelung für Montagestammarbeiter im Prämienlohn" überschrieben ist. Für die Normadressaten bliebe daher in nicht auflösbarer Weise unklar, auf welchen genauen Regelungstext Nr. 4 BV 1997 Bezug nähme. Das hätte die Unwirksamkeit der Regelung zur Folge.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BAAAD-26843

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein