BGH Urteil v. - Xa ZR 156/05

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: BPatG, 4 Ni 25/03 vom

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des am angemeldeten und im Verlaufe des Berufungsverfahrens durch Zeitablauf erloschenen deutschen Patents 39 13 109 (Streitpatents). Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Spritzgießen gasgefüllter Kunststoffhohlkörper und eine Vorrichtung zur Durchführung dieses Verfahrens und umfasst 15 Patentansprüche. In der Fassung, die sie im Einspruchsverfahren erhalten haben, lauten die Patentansprüche 1 und 8 wie folgt:

"1.

Verfahren zum Spritzgießen gasgefüllter Kunststoffhohlkörper, bei dem einerseits durch mindestens eine Düse eine druckbeaufschlagte fließfähige Kunststoffschmelze in das Innere eines durch ein zwei- oder mehrteiliges Werkzeug gebildeten Formhohlraums und andererseits durch mindestens eine weitere Düse ein druckbeaufschlagtes Gas derart in das Innere der bereits im Formhohlraum befindlichen Kunststoffschmelze eingespritzt wird, dass ein Teil der Kunststoffschmelze aus dem Formhohlraum wieder in mindestens eine außerhalb des Formhohlraums angeordnete und mit diesem verbundene Nebenkavität ausgetrieben wird, dadurch gekennzeichnet, dass der Formhohlraum zunächst vollständig mit Kunststoffschmelze ausgefüllt und erst nach dem Einsetzen des Erstarrens der Kunststoffschmelze an den Wänden des Formhohlraums die noch schmelzfähige Seele des Kunststoffkörpers mittels des Gases in die mindestens eine entformbare Nebenkavität ausgetrieben wird, wobei als solche Nebenkavität die von den jeweils durch Kunststoff-Einspritzdüse, Angusskanal und Spritzeinheit gebildeten Hohlräume oder Teile davon und/oder außerhalb der vorgenannten Hohlräume und des Formhohlraums ausgebildete und mit letzterem verbundene Hohlräume, deren jeweilige Verbindung mit dem Formhohlraum zeitweise abgesperrt wird, verwendet werden.

8.

Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass sie in einem Werkzeug (5) im geschlossenen Zustand mindestens einen Formhohlraum (7) enthält, der mindestens mit einer in oder am Werkzeug (5) angeordneten, mit einer vorgeschalteten Spritzeinheit (1) und einem nachgeschalteten Angusskanal (6) verbundenen Düse (3, 17) zum Einspritzen von druckbeaufschlagter fließfähiger Kunststoffschmelze (4), mit mindestens einer weiteren, im Werkzeug (5) angeordneten Düse (8, 9, 16, 22) zum Einbringen eines druckbeaufschlagten Gases (13) in das Innere der bereits im Formhohlraum (7) befindlichen Kunststoffschmelze (4) und mit mindestens einer außerhalb des Formhohlraums (7) angeordneten und mit diesem verbundene entformbare Nebenkavität (14, 18, 19) zur Aufnahme ausgetriebener überschüssiger Kunststoffschmelze (4) versehen ist, wobei solche entformbare Nebenkavitäten (14, 18, 19) durch die jeweils von Kunststoff-Einspritzdüse (3), Angusskanal (6) und Spritzeinheit (1) gebildeten Hohlräume oder Teile davon und/oder durch im oder am Werkzeug (5) außerhalb des Formhohlraums (7) angeordnete und mit diesem verbundene Hohlräume, deren Verbindung zum Formhohlraum (7) mit Mitteln (20, 21) zum Öffnen und Verschließen der Verbindungen ausgestattet sind, ausgebildet werden."

Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, die Lehre des Streitpatents sei nicht neu und beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Die Beklagte hat das Streitpatent nur in eingeschränktem Umfang verteidigt. Die Patentansprüche 1, 4, 9 und 11 lauten in dieser Fassung:

"1.

Verfahren zum Spritzgießen gasgefüllter Kunststoffhohlkörper, bei dem einerseits durch mindestens eine Düse eine druckbeaufschlagte fließfähige Kunststoffschmelze durch eine Angussöffnung in das Innere eines durch ein zwei- oder mehrteiliges Werkzeug gebildeten Formhohlraums und andererseits durch mindestens eine weitere Düse ein druckbeaufschlagtes Gas derart in das Innere der bereits im Formhohlraum befindlichen Kunststoffschmelze eingespritzt werden, dass ein Teil der Kunststoffschmelze aus dem Formhohlraum wieder in mindestens eine außerhalb des Formhohlraums angeordnete und mit diesem verbundene Nebenkavität ausgetrieben wird, wobei der Formhohlraum zunächst vollständig mit Kunststoffschmelze ausgefüllt und erst nach dem Einsetzen des Erstarrens der Kunststoffschmelze an den Wänden des Formhohlraums die noch schmelzflüssige Seele des Kunststoffkörpers mittels des Gases durch die Ausgussöffnung in die Nebenkavität ausgetrieben wird, wobei als Teile solcher Nebenkavität die von den jeweils durch Kunststoff-Einspritzdüse und Spritzeinheit gebildeten Hohlräume verwendet werden, dadurch gekennzeichnet, dass als weiteres Teil solcher Nebenkavität ein durch einen entformbaren Angusskanal gebildeter Hohlraum verwendet wird und dass die Austreibphase unter gleichzeitiger Steuerung des Aufbaus eines Gegendruckprofils der Spritzeinheit(en) so gesteuert wird, dass ein Rest der noch schmelzflüssigen Seele des Kunststoffhohlkörpers in der Angussöffnung einen Pfropfen erzeugt.

4.

Verfahren zum Spritzgießen gasgefüllter Kunststoffhohlkörper, bei dem einerseits durch mindestens eine Düse eine druckbeaufschlagte fließfähige Kunststoffschmelze in das Innere eines durch ein zwei- oder mehrteiliges Werkzeug gebildeten Formhohlraums und andererseits durch mindestens eine weitere Düse ein druckbeaufschlagtes Gas derart in das Innere der bereits im Formhohlraum befindlichen Kunststoffschmelze eingespritzt werden, dass ein Teil der Kunststoffschmelze aus dem Formhohlraum wieder in mindestens eine außerhalb des Formhohlraums angeordnete und mit diesem verbundene Nebenkavität ausgetrieben wird, wobei der Formhohlraum zunächst vollständig mit Kunststoffschmelze ausgefüllt und erst nach dem Einsetzen des Erstarrens der Kunststoffschmelze an den Wänden des Formhohlraums die noch schmelzfähige Seele des Kunststoffkörpers mittels des Gases in die Nebenkavität ausgetrieben wird, dadurch gekennzeichnet, dass als solche Nebenkavitäten im Werkzeug außerhalb des Formhohlraums ausgebildete und mit letzterem verbundene, entformbare Hohlräume verwendet werden und jede Verbindung zwischen der außerhalb der jeweils aus Kunststoff-Einspritzdüse, Angusskanal und Spritzeinheit gebildeten Hohlräume angeordneten Nebenkavität und dem Formhohlraum nur während der Austreibphase gesteuert, zeitweise geöffnet wird.

9.

Vorrichtung zum Spritzgießen gasgefüllter Kunststoffhohlkörper zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1, aus einem Werkzeug (5), das im geschlossenen Zustand mindestens einen Formhohlraum (7) enthält, einer am Werkzeug (5) angeordneten, mit einer vorgeschalteten Spritzeinheit (1) und einem nachgeschalteten Angusskanal (6) verbundenen Düse (3) zum Einspritzen von druckbeaufschlagter, fließfähiger Kunststoffschmelze (4), mindestens einer weiteren, im Werkzeug (5) angeordneten Düse (8, 9) zum Einbringen eines druckbeaufschlagten Gases (13) in das Innere der bereits im Formhohlraum (7) befindlichen Kunststoffschmelze (4) und einer außerhalb des Formhohlraums (7) angeordneten und mit diesem verbundenen Nebenkavität (1, 3, 6) zur Aufnahme ausgetriebener überschüssiger Kunststoffschmelze (4), die teilweise durch die jeweils von Kunststoff-Einspritzdüse (3) und Spritzeinheit (1) gebildeten Hohlräume gebildet ist, d a -durch gekennzeichnet, dass ein weiteres Teil der Nebenkavität (1, 3, 6) durch einen als entformbarer Angusskanal (6) ausgebildeten Hohlraum gebildet ist und dass die Spritzeinheit (1) Einrichtungen zum Steuern des Aufbaus eines Gegendruckprofils aufweist, die die Austreibphase so steuern, dass ein Rest der noch schmelzflüssigen Seele des Kunststoffhohlkörpers in der Angussöffnung einen Pfropfen erzeugt.

11.

Vorrichtung zum Spritzgießen gasgefüllter Kunststoffhohlkörper zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 4, aus einem Werkzeug (5), das im geschlossenen Zustand mindestens einen Formhohlraum (7) enthält, einer am Werkzeug (5) angeordneten, mit einer vorgeschalteten Spritzeinheit (1) und einem nachgeschalteten Angusskanal (6) verbundenen Düse (3) zum Einspritzen von druckbeaufschlagter, fließfähiger Kunststoffschmelze (4), mindestens einer weiteren, im Werkzeug (5) angeordneten Düse (8, 9, 16, 22) zum Einbringen eines druckbeaufschlagten Gases (13) in das Innere der bereits im Formhohlraum (7) befindlichen Kunststoffschmelze (4) und mindestens einer außerhalb des Formhohlraums (7) angeordneten und mit diesem verbundenen Nebenkavität (14, 18, 19) zur Aufnahme ausgetriebener überschüssiger Kunststoffschmelze (4), gekennzeichnet d u r c h wenigstens eine im Werkzeug (5) außerhalb des Formhohlraums (7) angeordnete und mit diesem verbundene entformbare Nebenkavität (18, 19), deren Verbindung zum Formhohlraum (7) mit steuerbaren Mitteln (20, 21) zum Öffnen und Verschließen der Verbindungen ausgestattet ist."

Wegen der übrigen Patentansprüche wird auf den Schriftsatz vom Bezug genommen.

Hilfsweise hat die Beklagte Patentanspruch 11 in folgender Fassung () verteidigt:

"11.

Vorrichtung zum Spritzgießen gasgefüllter Kunststoffhohlkörper zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 4, aus einem Werkzeug (5), das im geschlossenen Zustand mindestens einen Formhohlraum (7) enthält, einer am Werkzeug (5) angeordneten, mit einer vorgeschalteten Spritzeinheit (1) und einem nachgeschalteten Angusskanal (6) verbundenen Düse (3) zum Einspritzen von druckbeaufschlagter, fließfähiger Kunststoffschmelze (4), mindestens einer weiteren, im Werkzeug (5) angeordneten Düse (8, 9, 16, 22) zum Einbringen eines druckbeaufschlagten Gases (13) in das Innere der bereits im Formhohlraum (7) befindlichen Kunststoffschmelze (4) und mindestens einer außerhalb des Formhohlraums (7) angeordneten und mit diesem verbundenen Nebenkavität (14, 18, 19) zur Aufnahme ausgetriebener überschüssiger Kunststoffschmelze (4), g e k ennzeichnet durch wenigstens eine im Werkzeug (5) außerhalb des Formhohlraums (7)

angeordnete und mit diesem verbundene entformbare Nebenkavität (18, 19), deren Verbindung zum Formhohlraum mit steuerbaren Mitteln (20, 21) zum Öffnen und Verschließen der Verbindungen ausgestattet ist."

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der diese weiterhin die Abweisung der Nichtigkeitsklage anstrebt, soweit sich diese gegen das Streitpatent in der erstinstanzlich verteidigten Fassung der Patentansprüche richtet. Patentanspruch 11 verteidigt die Beklagte nur noch in der Fassung des vorstehend wiedergegebenen Hilfsantrags.

Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr.-Ing. E. S. , Lehrstuhl für Kunststofftechnik der Universität E. , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Gründe

Die zulässige Berufung hat Erfolg. Die Klage ist, obwohl das Streitpatent inzwischen durch Zeitablauf erloschen ist, im Hinblick auf den anhängigen Verletzungsprozess weiterhin zulässig (, GRUR 2005, 749 - Aufzeichnungsträger). Sie ist jedoch in dem Umfang, in dem das Streitpatent noch verteidigt wird, nicht begründet.

I.

Das Streitpatent betrifft Verfahren und Vorrichtungen zum Spritzgießen gasgefüllter "Kunststoffhohlkörper".

1.

Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend erläutert hat, ist der vom Streitpatent verwendete Begriff des Hohlkörpers missverständlich, weil darunter üblicherweise Behälter und dergleichen verstanden werden. Zur Herstellung derartiger Kunststofferzeugnisse ist das erfindungsgemäße Verfahren jedoch weder bestimmt noch nach den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen geeignet. Hohlkörper im Sinne des Streitpatents sind vielmehr Hohlräume aufweisende Kunststoffbauteile, die sich zur Herstellung mittels eines Spritzgießverfahrens eignen.

Die Patentschrift schildert eingangs bekannte Spritzgießverfahren. An diesen beanstandet sie als nachteilig, dass sich Fließmarkierungen auf der Oberfläche des Endprodukts nicht vermeiden ließen (Sp. 2 Z. 53-65). Bei Kunststoffkörpern mit weitgehend massivem Aufbau und nur wenigen verhältnismäßig engen gas- oder flüssigkeitsgefüllten Hohlräumen müsse außerdem allein mittels des Fluiddrucks in diesen Hohlräumen und dem daraus zu verdrängenden plastischen Kunststoffmaterial ein solcher Druck erzeugt werden, dass der fluidgefüllte Kunststoffhohlkörper nach dem Erstarren keine Einfallstellen an seiner Oberfläche aufweise. Dies sei nur in speziellen Einzelfällen erreichbar (Sp. 3 Z. 4-15). Bei Endprodukten mit stark variierenden Querschnitten, insbesondere gekrümmten Rohren, sei darüber hinaus ebenfalls nur in Einzelfällen vorherzubestimmen, welcher Temperaturgradient sich bei jedem einzelnen Spritzgießzyklus tatsächlich an einem bestimmten Querschnitt durch den Formhohlraum während der gemeinsamen Ausbildung der Wand des - noch fließfähigen - Kunststoffhohlkörpers und seines fluidgefüllten Hohlraums einstelle. Die so hergestellten Rohre könnten dadurch eine unterschiedliche Wandstärke bis hin zum Durchbruch aufweisen (Sp. 3 Z. 19-46).

2.

Vor diesem Hintergrund soll das Streitpatent ein Verfahren und eine zur Durchführung des Verfahrens geeignete Vorrichtung zur Verfügung stellen, mit denen auch gasgefüllte Kunststoffhohlkörper mit komplizierter geometrischer Form hergestellt werden können, die eine einwandfreie Oberfläche ohne Fließmarkierungen aufweisen, die auch im Falle verhältnismäßig enger gasgefüllter Hohlräume in einem weitgehend massiven Kunststoffkörper keine Einfallstellen in der Oberfläche zeigen und die gasgefüllte Hohlräume an den vorbestimmten Stellen innerhalb des Kunststoffhohlkörpers mit im Wesentlichen reproduzierbarem Volumen einschließen.

3.

Die verteidigten Patentansprüche 1 und 4 schlagen hierzu Verfahren zum Spritzgießen gasgefüllter Kunststoffhohlkörper mit folgenden Merkmalen vor:

Patentanspruch 1:

1.1

Eine druckbeaufschlagte, fließfähige Kunststoffschmelze wird mittels (mindestens) einer Düse durch eine Angussöffnung in das Innere eines Formhohlraums eingespritzt, der durch ein zwei- oder mehrteiliges Werkzeug gebildet wird;

1.2

der Formhohlraum wird zunächst vollständig mit Kunststoffschmelze ausgefüllt;

1.3

nach dem Einsetzen des Erstarrens der Kunststoffschmelze an den Wänden des Formhohlraums wird mittels (mindestens) einer weiteren Düse ein druckbeaufschlagtes Gas in das Innere der (bereits im Formhohlraum befindlichen) Kunststoffschmelze eingespritzt, derart, dass die noch schmelzflüssige Seele des Kunststoffhohlkörpers durch die Angussöffnung in (mindestens) eine Nebenkavität ausgetrieben wird, die mit dem Formhohlraum verbunden, aber außerhalb desselben angeordnet ist;

1.4

als Teile der Nebenkavität werden die von den jeweils durch Kunststoffeinspritzdüse und Spritzeinheit gebildeten Hohlräume und ein durch einen entformbaren Angusskanal gebildeter Hohlraum verwendet;

1.5

die Austreibphase wird unter gleichzeitiger Steuerung des Aufbaus eines Gegendruckprofils der Spritzeinheit so gesteuert, dass ein Rest der noch schmelzflüssigen Seele des Kunststoffhohlkörpers in der Angussöffnung einen Pfropfen erzeugt.

Patentanspruch 4:

(Die Merkmale 4.1 bis 4.3.2 entsprechen mit der Maßgabe den Merkmalen 1.1 bis 1.3.2, dass jeweils die Wörter "durch eine Angussöffnung" fehlen.)

4.4

Als Nebenkavität(en) werden entformbare Hohlräume im Werkzeug außerhalb der aus Kunststoffeinspritzdüse, Angusskanal und Spritzeinheit gebildeten Hohlräume verwendet;

4.5

jede Verbindung zwischen der Nebenkavität und dem Formhohlraum wird nur während der Austreibphase gesteuert zeitweise geöffnet.

Patentanspruch 1 gibt damit ein Verfahren an, bei dem der Formhohlraum zunächst vollständig mit Kunststoffschmelze gefüllt wird (Merkmal 1.2). Nach dem Einsetzen des Erstarrens der Schmelze an den Wänden des Formhohlraums wird die noch schmelzflüssige Seele des Kunststoffkörpers mittels Gas in eine Nebenkavität ausgetrieben (Merkmal 1.3). Das Gas wird dabei durch eine weitere Düse eingebracht als durch diejenige, durch welche die Kunststoffschmelze eingespritzt wird. Die Beschreibung gibt dazu an, dass das Anbringen von Düsen zum Einblasen des Gases und von mit entformbaren Nebenkavitäten verbundenen Ausgängen für das Gas an keiner Stelle des Formhohlraums ausgeschlossen sei, so dass bei jeder geometrisch noch so komplizierten Form des Kunststoffhohlkörpers stets ein oder mehrere Paar(e) aus je einer Gaseinblasdüse und einem zugehörigen Gasausgang zu einer entformbaren Nebenkavität konstruiert werden könnten, um Körperbereiche mit größeren Querschnitten mit Gas auszublasen (Sp. 4 Z. 42-54). Die Austreibphase wird unter gleichzeitiger Steuerung des Aufbaus eines Gegendruckprofils der Spritzeinheit(en) so gesteuert, dass dadurch ein Rest der noch schmelzflüssigen Seele des Kunststoffhohlkörpers in der Angussöffnung einen Pfropfen erzeugt (Merkmal 1.5). Weiter gibt Patentanspruch 1 an, dass das Austreiben der noch schmelzflüssigen Seele des Kunststoffkörpers in mindestens eine Nebenkavität erfolgt und als Teile dieser Nebenkavität die durch Kunststoffeinspritzdüse und Spritzeinheit gebildeten Hohlräume und ein durch einen entformbaren Angusskanal gebildeter Hohlraum verwendet werden sollen (Merkmal 1.4).

Patentanspruch 4 lehrt hierzu alternativ, als Nebenkavität(en) entformbare Hohlräume im Werkzeug außerhalb der aus Kunststoffeinspritzdüse, Angusskanal und Spritzeinheit gebildeten Hohlräume zu verwenden und die Verbindung zur Nebenkavität nur während der Austreibphase zeitweise zu öffnen (Merkmale 4.4 und 4.5).

Die Patentansprüche 9 und 11 formulieren im Wesentlichen dieselbe technische Lehre als Anweisung zur Ausgestaltung einer entsprechenden Vorrichtung.

II.

Das Patentgericht hat die Patentfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 verneint, weil ein Fachmann, ein Diplomingenieur der Fachrichtung Kunststofftechnologie mit mehrjähriger Erfahrung im Spritzgießen, insbesondere auf dem Gebiet der Herstellung von Hohlkörpern, durch den Stand der Technik ausreichende Anregungen erhalten habe, um zu einem derartigen Verfahren zu gelangen. Aus der französischen Patentschrift 1 145 441 (Anl. K 4 - Cretin) sei ein Verfahren zum Spritzgießen gasgefüllter Hohlkörper bekannt, bei dem durch eine Düse eine druckbeaufschlagte fließfähige Kunststoffschmelze in das Innere eines durch ein zwei- oder mehrteiliges Werkzeug gebildeten Formhohlraums eingespritzt werde, wobei der Formhohlraum zunächst vollständig mit der Kunststoffschmelze gefüllt werde. Durch eine weitere Düse werde nach dem Einsetzen des Erstarrens der Kunststoffschmelze an den Wänden des Formhohlraums druckbeaufschlagtes Gas in die noch schmelzflüssige Seele des Kunststoffkörpers eingespritzt, die hierdurch in eine entformbare Nebenkavität ausgetrieben werde. Dabei würden als Nebenkavitäten die von den jeweils von Kunststoffeinspritzdüse, Angusskanal und Spritzeinheit gebildeten Hohlräume oder Teile davon genutzt. Allerdings werde bei diesem Verfahren die schmelzflüssige Seele in der Austreibphase durch das gesteuerte Zurückziehen der Spritzeinheit so weit über Kunststoffeinspritzdüse und Angusskanal in den Raum vor der Spritzeinheit zurückgedrängt, dass ein offener Hohlkörper entstehe. Bei dem (nachfolgend wiedergegebenen) Ausführungsbeispiel nach Figur 8 werde jedoch ein Stopfen an den Hohlkörper angeformt, um einen geschlossenen Hohlkörper zu erhalten. Dazu werde eine Klappe (clapet 8) so vor den Angusskanal gelegt, dass über das in den Hohlkörper eingeleitete Gas eine Wandung mit einer optimierten Wandstärke und Oberfläche gebildet werde.

Komme es in diesem Bereich auf eine gleichmäßige Wandung nicht an, liege es nahe, die Einspritzeinheit gesteuert nur so weit zurückzuführen, dass kein offener Hohlkörper entstehe. Dabei baue sich zwangsläufig ein Gegendruckprofil auf. Im Übrigen zeige die US-Patentschrift 4 101 617 (Anl. B 2 - Friedrich) ein Verfahren zum Spritzgießen eines gasgefüllten Kunststoffhohlkörpers, bei dem zum Verschließen der Öffnung über die Einspritzdüse und den Angusskanal eine bestimmte Menge des Kunststoffs in die durch das austretende Gas verursachte Öffnung eingespritzt und die Öffnung damit verschlossen werde.

Das Patentgericht hat weiter angenommen, der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 4 beruhe ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. In der japanischen Offenlegungsschrift Sho 50-74660 (Anl. K 3 - Asahi) werde ein den Merkmalen 4.1, 4.2, 4.3.1, 4.3.2 und 4.4 entsprechendes Verfahren zum Spritzgießen gasgefüllter Hohlkörper beschrieben. Zwar sei der Schrift nicht zu entnehmen, dass das Gas erst nach dem Einsetzen des Erstarrens der Kunststoffschmelze an den Wänden des Formhohlraums eingespritzt werde (Merkmal 4.3). Es werde aber beschrieben, dass der Formhohlraum zunächst vollständig gefüllt werde und erst dann das Gas bzw. (alternativ) ein Kernharz eingespritzt werde. Damit liege die Kunststoffschmelze an den Formwänden an, so dass umgehend die Abkühlung beginne. Die Verbindung zur Nebenkavität könne erst geöffnet werden, wenn der Formhohlraum gefüllt sei und das Gas eingeleitet werde (Merkmal 4.5). Eine frühere Öffnung ergebe keinen Sinn, da die Kunststoffschmelze dann nicht an der Formwandung anliege, der Abkühlvorgang unkontrolliert verlaufe und Einfallstellen am Formkörper entstünden.

Mit diesen Erwägungen hat das Patentgericht auch die Gegenstände der verteidigten Patentansprüche 9 und 11 für nicht patentfähig erachtet.

III.

Die Angriffe der Berufung gegen diese Beurteilung haben Erfolg.

1.

Die Lehre des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist neu. Sie wird, was auch die Klägerin nicht in Abrede stellt, durch die französische Patentschrift 1 145 441 (Anl. K 4 - Cretin) nicht vollständig vorweggenommen.

Diese beschreibt allerdings ein Verfahren mit dem Merkmalen 1.1 bis 1.4.2. Dabei ist es unerheblich, dass es bei dem Verfahren nach Cretin nur zwei Düsen gibt. Dies schließt Patentanspruch 1 des Streitpatents nicht aus. Auch die Lage der Gaseinspritzdüse in der Achse der Kunststoffdüse, wie sie in der Entgegenhaltung Cretin (S. 2 l. Sp. 2. Abs. = S. 3 Z. 23-28 d. Übers.) beschrieben wird, schließt Patentanspruch 1 nicht aus; das Ausführungsbeispiel nach Figur 4 zeigt und beschreibt eine Koaxialdüse. Im Übrigen gibt auch die Entgegenhaltung Cretin ausdrücklich an, dass das Einspritzen von Gas über eine o-der mehrere entsprechend in der Achse der Kunststoffeinspritzdüse oder an beliebigen anderen geeigneten Punkten angebrachten Hohlnadeln erfolgen könne (S. 4 l. Sp. unten = S. 10 Z. 29-35 d. Übers.). Nach der Beschreibung des Ausführungsbeispiels nach Figur 8 der Entgegenhaltung Cretin (S. 4 l. Sp. 2. Abs. = S. 9 Z. 28 - S. 10 Z. 3 d. Übers.) ist die Austreibphase so gesteuert, dass ein noch schmelzflüssiger Kunststoffrest in der Angussöffnung einen Pfropfen erzeugt (Merkmal 1.5.2).

Nicht offenbart ist allerdings die Erzeugung des Pfropfens durch gleichzeitigen Aufbau eines Gegendruckprofils. Der Aufbau des Gegendruckprofils ist beim Streitpatent nach Merkmal 1.5.1 Bestandteil der Steuerung der Austreibphase; die Steuerung muss so erfolgen, dass ein passender "Rest" der ausgetriebenen Kunststoffschmelze gemäß Merkmal 1.5.2 den Pfropfen erzeugt. Dies lehrt die Entgegenhaltung Cretin nicht.

2.

Die Lehre der Entgegenhaltung Cretin gab dem Fachmann auch keine Anregung, zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen. Wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, bestand aus fachlicher Sicht keine Veranlassung, die Lehre der Entgegenhaltung Cretin in Betracht zu ziehen, weil sie kein funktionsfähiges Verfahren angibt. Sie stellt den Versuch dar, ein aus der Technik des Metallformens bekanntes Herstellungsverfahren, bei dem auf die Wirkung der Schwerkraft beim Fließen des zu formenden Materials abgestellt wird, auf ein Verfahren zum Spritzgießen von Hohlkörpern im üblichen Sinne, nämlich Flakons und dergleichen Behältern, anzuwenden (S. 1 l. Sp. 1. u. 3. Abs. = Sp. 1 Z. 4-13 u. 29-35 d. Übers.). Dieses Verfahren ist jedoch wegen der hohen Viskosität der Thermoplastschmelze auf das Spritzgießverfahren nicht zu übertragen. Der in den Figuren 3, 4 und 5 der Entgegenhaltung dargestellte Zustand lässt sich auf diese Weise nicht erreichen. Der gasgefüllte Hohlraum bildet sich nicht oberhalb der Thermoplastschmelze, sondern in der Mitte der Form und in wesentlich geringerer Ausdehnung als in der Figur 4 gezeigt. Wegen der Viskosität der Schmelze lässt sich auch mit Druck nicht so viel Material austreiben, dass ein Hohlkörper oder Flakon entsteht. Daher wurde, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, dieses Verfahren auch nicht industriell angewandt und hat für die Entwicklung der Spritzgießtechnik weder bei der Herstellung von Kunststoffbehältern wie Flakons oder Flaschen noch bei der Herstellung von Kunststoffbauteilen eine Rolle gespielt. Der Fachmann, der jedenfalls durch Versuche erkannte, dass das Verfahren nach Cretin kein funktionsfähiges Herstellungsverfahren darstellte, hätte daher diese Schrift von vornherein verworfen und nicht als Anregung für ein verbessertes Spritzgießverfahren herangezogen.

3.

Dies gilt ebenso für den Gegenstand des Patentanspruchs 9, der wie Patentanspruch 1 zu beurteilen ist.

4.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 4 ist gleichfalls neu und war dem Fachmann nicht durch die japanische Offenlegungsschrift Sho 50-74660 (Anl. K 3 - Asahi) nahegelegt.

Dabei kann dahinstehen, ob Asahi das Merkmal 4.3.1 offenbart, nach dem das Gas mittels mindestens einer weiteren Düse in das Innere der bereits im Formhohlraum befindlichen Kunststoffschmelze gespritzt wird. Denn jedenfalls ist Merkmal 4.5 nicht verwirklicht, nach dem jede Verbindung zwischen der Nebenkavität und dem Formhohlraum nur während der Austreibphase gesteuert zeitweise geöffnet wird. Dies verlangt nicht nur, dass die Nebenkavitäten - was sich, wie das Patentgericht zu Recht angenommen hat, von selbst versteht - erst für die Austreibphase überhaupt geöffnet werden. Die Ergänzung "gesteuert zeitweise" bedeutet vielmehr, dass die Öffnung der Verbindung zur Nebenkavität, nicht anders als Merkmal 1.5 bei Patentanspruch 1, dazu benutzt wird, die Austreibphase zu steuern. Auf diese Weise kann, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend erläutert hat, etwa durch eine mehr oder weniger weitgehende Ausnutzung der Kapazität der Nebenkavität die Austreibphase den Erfordernissen des Einzelfalles angepasst werden. Ferner kann, wie in Spalte 7 Zeilen 51 bis 57 beschrieben, auf diese Weise die Menge der ausgetriebenen Kunststoffschmelze so gesteuert werden, dass mit dem Rest der Schmelze ein Pfropfen gebildet wird, der an dieser Stelle die Öffnung in der Wandung des Formkörpers schließt.

Dazu gab die Entgegenhaltung Asahi keine Anregung. Sie lehrt ein Verfahren, bei dem beide Komponenten (Schmelze und Kernharz oder Gas) durch dasselbe Düsensystem in das Formnetz fließen. Die Beladung des Formteils mit Kunststoffschmelze und Gas erfolgt nacheinander. Eine Anregung, die Düsen für das Gas und für die Kunststoffschmelze auch räumlich zu trennen, wie dies erfindungsgemäß möglich und gegebenenfalls zur Erzielung praktisch brauchbarer Ergebnisse auch erforderlich ist, weil sich die Gasblase von der Injektionsnadel aus ausbreitet und nur so an einem bestimmten Ort des Formteils ein Hohlraum erzeugt werden kann, enthält die Entgegenhaltung Asahi nicht. Damit eröffnet die Entgegenhaltung dem Fachmann aber auch keinen Weg, die Austreibphase entsprechend Merkmal 4.5 so zu steuern, dass auch die Verbindung zwischen Formhohlraum und Nebenkavität(en) zielgerichtet zur gewünschten Formgebung des Hohlkörpers eingesetzt werden kann.

5.

Gegenstand von Patentanspruch 11 ist eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach Patentanspruch 4. Zu den Merkmalen der Vorrichtung gehört daher eine Steuerung, mit der die Verbindung zwischen Formhohlraum und den außerhalb der aus Kunststoffeinspritzdüse, Angusskanal und Spritzeinheit gebildeten Hohlräume liegenden Nebenkavitäten entsprechend Merkmal 4.5 zeitweise geöffnet werden kann. Die Patentfähigkeit ist daher e-benso zu beurteilen wie diejenige des Gegenstands des Patentanspruchs 4.

6.

Die Unteransprüche werden von der Patentfähigkeit der Gegenstände der Patentansprüche 1, 4, 9 und 11 getragen und haben daher mit diesen Bestand.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 i.V. mit §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
CAAAD-26552

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein