BSG Beschluss v. - B 5a R 88/07 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB VI § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3; SGB VI § 77 Abs 2 Satz 2; SGB VI § 77 Abs 2 Satz 3

Instanzenzug: SG Detmold, S 20 R 68/05 vom

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die dem Kläger bewilligte Rente wegen Erwerbsminderung mit dem ungeminderten Zugangsfaktor von 1,0 oder mit einem Zugangsfaktor von 0,895 ("Abschlag" von 10,5 %) zu berechnen ist.

Der am ... 1948 geborene Kläger bezieht seit dem eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Laut Anlage 6 des Bescheids vom wurde der Zugangsfaktor von 1,0 um 0,105 (35 Kalendermonate x 0,003) auf 0,895 vermindert; der Rentenberechnung wurden dementsprechend an Stelle von 47,4666 persönlichen Entgeltpunkten (EP) nur 42,4826 EP zu Grunde gelegt. Dies hatte eine Absenkung der Rente um 10,5 % zur Folge, wodurch sich (ab ) ein monatlicher Zahlbetrag von 1.110,07 Euro (brutto) ergab. Zugleich wurde im Versicherungsverlauf eine Zurechnungszeit vom Eintritt der Erwerbsminderung am bis zum Tag vor Vollendung des 60. Lebensjahrs am (insgesamt 56 Monate) berücksichtigt. Seinen Widerspruch, mit dem er die Berücksichtigung des ungeminderten Zugangsfaktors von 1,0 begehrte, lehnte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom ab.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Detmold (SG) mit Urteil vom abgewiesen und die Sprungrevision zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0. Dies ergebe sich aus § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3, Satz 2 und 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Dem - BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3) werde nicht gefolgt. Die Entscheidung sei zu Recht in Literatur und Rechtsprechung auf Kritik gestoßen. Bereits der gesetzlichen Formulierung sei die Rechtmäßigkeit der Verwaltungspraxis der Beklagten zu entnehmen. § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB VI regle die Minderung des Zugangsfaktors ohne Einschränkung generell vor Vollendung des 63. Lebensjahres. Eine Begrenzung des Abschlags finde sich in § 77 Abs 2 Satz 2 SGB VI, wonach der Zugangsfaktor um maximal 0,108 (36 Kalendermonate x 0,003) gemindert werde. Diese sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebende Interpretation werde durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Der Gesetzgeber habe generell das Ziel gehabt, Vorteile eines längeren Rentenbezugs durch einen verminderten Zugangsfaktor auszugleichen, um damit dem vom BSG mehrfach zur Begründung herangezogenen Grundsatz der "Vorleistungsbezogenheit" Rechnung zu tragen. Darüber hinaus sei Sinn der Neuregelung auch gewesen, Ausweichreaktionen von den Altersrenten in die Renten wegen Erwerbsminderung entgegenzuwirken. Der Gesetzesbegründung sei an keiner Stelle zu entnehmen, dass ein verminderter Zugangsfaktor lediglich für Versicherte gelten solle, die das 60. Lebensjahr vollendet hätten. Dagegen sei in der Gesetzesbegründung ausdrücklich ein Abschlag von höchstens 10,8 % genannt worden (Hinweis auf BT-Drucks 14/4230 S 24). Aus § 264c SGB VI könne entgegen der Auffassung des 4. Senats des BSG ein anderer Schluss gezogen werden, denn hierbei handele es sich um eine Übergangsregelung zur Berechnung der Höhe der Abschläge, die die Berechnungsregel des § 77 Abs 2 Satz 2 SGB VI modifiziere. Für dieses Ergebnis spreche die vom Gesetzgeber gleichzeitig normierte Verlängerung der Zurechnungszeit, die einen Ausgleich für die Absenkung des Zugangsfaktors darstelle. Die Auffassung des BSG, dass ab dem 60. Lebensjahr eine laufende Rente zu kürzen sei, widerspreche im Übrigen auch dem Grundsatz des § 88 SGB VI, wonach es bei der Höhe der EP für eine einmal bezogene Rente bleibe, sofern diese nicht aus tatsächlichen Gründen anders zu berechnen sei. Die von der Beklagten vorgenommene Berechnung der Rente begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt der Kläger eine Verletzung von § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3, Satz 2 und 3 SGB VI. Schon der Wortlaut des § 77 Abs 2 Satz 3 SGB VI spreche für sein Begehren. Danach gelte die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Auch die Entstehungsgeschichte spreche für die Auffassung des 4. Senats des BSG (BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3). Grundgedanke der Gesetzesreform sei gewesen, die Höhe von Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten anzupassen und damit Ausweichreaktionen von den Altersrenten in die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entgegenzuwirken. Ein solches Ausweichen komme erst nach Vollendung des 60. Lebensjahres in Betracht. In der Gesetzesbegründung finde sich kein Anhalt dafür, dass eine Rentenkürzung bei Erwerbsminderungsrenten beabsichtigt gewesen sei. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass die Erwerbsminderung unabhängig vom Willen des Versicherten eintrete. Im Übrigen sei bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten diejenige vorzuziehen, die mit der Verfassung am besten in Einklang stehe. Allein die Tatsache, dass der Gesetzgeber gleichzeitig die Zurechnungszeit erhöht habe, ändere an dem Ergebnis nichts. Denn die Erhöhung der Zurechnungszeit mildere die hinzunehmenden Abschläge auch für die Versicherten ab, die vor Beginn des 60. Lebensjahres und darüber hinaus eine Erwerbsminderungsrente bezögen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom zu verurteilen, dem Kläger ab Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors von 1,0 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend und trägt ergänzend vor, die Regelung des § 77 Abs 2 Satz 2 SGB VI begrenze die Höhe des Abschlags bei Erwerbsminderungsrenten, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres geleistet werden, sodass der Zugangsfaktor um maximal 10,8 % zu mindern sei. Unter Berücksichtigung der Übergangsregelung des § 264c SGB VI iVm Anlage 23 zum SGB VI ergebe sich beim Kläger ein Abschlag von 10,5 %. Entgegen der Ansicht des 4. Senats des BSG stelle § 77 Abs 2 Satz 3 SGB VI keine inhaltsleere Regelung dar, sondern sei eine notwendige Ergänzung zu § 77 Abs 3 SGB VI.

II

Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers zurückzuweisen. Er sieht sich jedoch durch das Urteil des 4. Senats vom (B 4 RA 22/05 R - BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3) gehindert; würde er die Rechtsauffassung, auf der dieses Urteil beruht, auch im vorliegenden Fall zu Grunde legen, wären auf die Revision des Klägers das angegriffene Urteil aufzuheben und die angefochtenen Bescheide abzuändern und der Klage damit stattzugeben. Dies macht die aus dem Entscheidungssatz ersichtliche Anfrage gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderlich.

1. Die Sprungrevision ist zulässig. Die Voraussetzungen des § 161 Abs 1 SGG sind erfüllt, da die Zustimmung der Beklagten der Revisionsschrift des Klägers beigefügt war und die Beklagte in diesem Schreiben (vom ) ausdrücklich ihr Einverständnis zur Einlegung der Sprungrevision erteilt hat (zum Erfordernis der Zustimmung zur "Einlegung" - und nicht lediglich zur "Zulassung" - BSG SozR 3-1500 § 161 Nr 7 S 15).

Der Kläger ist auch beschwert. Ihm stünde ein höherer Monatsbetrag der Rente zu, wenn der Rentenberechnung an Stelle des Zugangsfaktors von 0,895 ein solcher von 1,0 zu Grunde zu legen wäre. Bezogen auf den aktuellen Rentenwert bewirkt die Absenkung des Zugangsfaktors eine Rentenminderung um 130,93 Euro, die durch die gleichzeitig mit der gesetzlichen Regelung erfolgte Verlängerung der Zurechnungszeit nicht ganz ausgeglichen wird. Die Neuregelung hat demnach insgesamt in der Auslegung durch die Beklagte eine Rentenminderung um (aktuell) 37,70 Euro zur Folge.

2. Die Sprungrevision des Klägers ist nach Auffassung des Senats unbegründet. Das SG hat die zulässige Klage auf Zahlung einer höheren Erwerbsminderungsrente zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung des Zugangsfaktors 1,0. Die Rechtsanwendung der Beklagten, den Zugangsfaktor bei Beginn einer Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres zu mindern, ist nicht zu beanstanden.

Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich gemäß § 63 Abs 6, § 64 Nr 1 bis 3 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen EP, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Der Zugangsfaktor ist ein Berechnungselement der persönlichen EP.

Nach § 77 Abs 1 SGB VI in der hier anwendbaren Fassung des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom (BGBl I 1791; zur Gesetzesentwicklung Blüggel in Wannagat, SGB VI, § 77 RdNr 6 f, Stand 7/2007; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 77 SGB VI RdNr 1 ff, Stand 12/2005) richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang EP bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche EP zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist für EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente waren, gemäß § 77 Abs 2 Nr 3 SGB VI bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Erziehungsrenten für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. So liegt der Fall beim Kläger. Er hat eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen. Zum Zeitpunkt des Rentenbeginns wegen voller Erwerbsminderung hatte der Kläger das 55. Lebensjahr vollendet (zur Auslegung des Begriffs "Rentenbeginn" im Sinne des Rentenzahlbeginns s Senatsbeschluss vom - B 5 RJ 15/04 R, unveröffentlicht; BSG SozR 3-2600 § 71 Nr 2).

Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, so bestimmt § 77 Abs 2 Satz 2 SGB VI, dass die Vollendung des 60. Lebensjahres für die "Bestimmung des Zugangsfaktors" maßgebend ist. Davon abweichend regelt § 264c SGB VI (idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 754; zur Neufassung ab dem s Art 1 Nr 72 des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung = RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom , BGBl I 554), dass bei der Ermittlung des Zugangsfaktors an Stelle der Vollendung des 60. Lebensjahres die Vollendung des in Anlage 23 zum SGB VI (in der bis geltenden Fassung; zur Aufhebung der Anlage 23 ab dem s Art 1 Nr 83 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes) angegebenen Lebensalters maßgebend ist, wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem beginnt. Die Voraussetzungen dieser Übergangsvorschrift liegen beim Kläger vor; entsprechend der Anlage 23 zum SGB VI und dem Rentenbeginn am hat die Beklagte bei der Absenkung des Zugangsfaktors 35 Monate berücksichtigt (vom zu unterstellenden Lebensalter von 60 Jahren und 1 Monat bis zur Erreichung des 63. Lebensjahres) und deshalb einen Zugangsfaktor von 0,895 ermittelt. Gleichzeitig legte die Beklagte entsprechend § 253a SGB VI iVm der Anlage 23 im Ergebnis zutreffend eine Zurechnungszeit von insgesamt 57 Monaten (1 Monat als beitragsgeminderte Zeit) zu Grunde; ohne die Übergangsregelung wären vom bis zum insgesamt 58 Monate zu berücksichtigen gewesen.

Die Regelung des § 77 Abs 2 Satz 2 SGB VI (ggf iVm § 264c SGB VI und der Anlage 23 zum SGB VI in der bis geltenden Fassung) ist nach Auffassung des 5. Senats als Berechnungsregel zu verstehen, mit der Folge, dass bei Inanspruchnahme von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres der Zugangsfaktor um maximal 0,108 (36 Kalendermonate x 0,003) zu mindern ist. Hierdurch ergibt sich in diesen Fällen ein Zugangsfaktor von 0,892. Der Senat vermag sich der entgegenstehenden Rechtsauffassung des 4. Senats im Urteil vom nicht anzuschließen (ablehnend auch die überwiegende Rechtsprechung der Instanzgerichte, vgl insbesondere - alle veröffentlicht in Juris - Hessisches Landessozialgericht [LSG] vom - L 5 R 228/06, derzeit anhängig beim BSG; LSG Niedersachsen-Bremen vom - L 2 R 415/07, derzeit anhängig beim BSG; , derzeit anhängig beim BSG; , derzeit anhängig beim BSG; , derzeit anhängig beim BSG; SG Detmold vom - S 20 R 83/07; , derzeit anhängig beim BSG; ; SG Duisburg vom - S 21 R 145/07, derzeit anhängig beim BSG; SG Freiburg vom - S 6 R 886/07; ; SG Aachen vom - S 13 Kn 9/07; SG für das Saarland vom - S 14 R 82/07; SG Augsburg vom - S 3 R 26/07; der Auffassung des 4. Senats angeschlossen haben sich hingegen insbesondere , derzeit anhängig beim BSG; LSG für das Saarland vom - L 7 R 40/06; SG Mannheim vom - S 9 R 2887/07; SG Lübeck vom - S 14 R 191/07; in der Literatur ist die Auffassung des 4. Senats weitgehend auf Ablehnung gestoßen, vgl insbesondere Bredt, NZS 2007, 192 ff; von Koch/Kolakowski, SGb 2007, 71 ff; Ruland, NJW 2007, 2086 ff; Mey, RVaktuell 2007, 44 ff, Plagemann in jurisPR-SozR 20/2006 Anm 4).

Für die Auffassung des erkennenden Senats sprechen Wortlaut und systematische Stellung des § 77 SGB VI wie auch Sinn und Zweck, systematischer Gesamtzusammenhang und Entstehungsgeschichte dieser Norm.

a) Nach seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung ist § 77 SGB VI eine Norm, die Berechnungsregeln zur Umsetzung der allgemeinen Grundsätze zur Rentenhöhe iS des § 63 Abs 5 iVm § 64 Nr 1 SGB VI enthält (so auch stellvertretend: Bredt, NZS 2007, 193; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 77 SGB VI RdNr 1, Stand 12/2005; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung im SGB § 77 SGB VI Anm 1, Stand 5/2005; Stahl in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 77 RdNr 4, Stand 2/2002).

aa) Nach § 77 Abs 1 SGB VI richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang EP bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche EP zu berücksichtigen sind. Durch diese Grundregel fließt zum einen das Alter des Versicherten in die Rentenberechnung mit ein, und zum anderen wird die Funktion des Zugangsfaktors als Berechnungskomponente bei der Ermittlung der persönlichen EP deutlich. Für die Bestimmung des Zugangsfaktors ist nach dieser Grundregel somit das Alter des Versicherten zum Zeitpunkt des Rentenbeginns maßgebend. Damit bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass der Zugangsfaktor für die gesamte Dauer des ununterbrochenen Rentenbezugs und auch für eine sich daran anschließende Rente einheitlich zu bestimmen ist - die nach § 77 Abs 2, 3 SGB VI zu ermittelnden "Abschläge" oder "Zuschläge" also für die gesamte ununterbrochene Rentenlaufzeit gelten (vgl - Juris RdNr 281 ff; Stahl in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 77 RdNr 10, Stand 2/2002; Blüggel in Wannagat, SGB, § 77 SGB VI RdNr 18, Stand 7/2007; Ohsmann/Stolz/Thiede, DAngVers 2003, 171).

bb) § 77 Abs 2 SGB VI enthält sodann Regelungen zur Berechnung der Höhe des Zugangsfaktors. Für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bestimmt Satz 1 Nr 3, dass der Zugangsfaktor für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger ist als 1,0. Somit erfolgt eine Absenkung des Zugangsfaktors nur bei einer Inanspruchnahme der Rente vor dem 63. Lebensjahr. Da für die Anzahl der Monate, um die Rente vor dem 63. Lebensjahr beansprucht wird, der Zugangsfaktor jeweils um 0,003 niedriger als 1,0 anzusetzen ist, würde sich bei einem sehr frühen Rentenbeginn eine Absenkung des Zugangsfaktors auf Null ergeben, wenn § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB VI isoliert anzuwenden wäre. Zur Vermeidung dieses Ergebnisses bestimmt jedoch § 77 Abs 2 Satz 2 SGB VI, dass die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend sein soll, wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bereits vor der Vollendung des 60. Lebensjahres beginnt. Damit wird der Versicherte hinsichtlich der Höhe des Zugangsfaktors so behandelt, als habe er das 60. Lebensjahr bereits vollendet. Entgegen der Grundregel des § 77 Abs 1 SGB VI, wonach sich der Zugangsfaktor nach dem (tatsächlichen) Alter des Versicherten bei Rentenbeginn bestimmt, ordnet das Gesetz eine fiktive Rentenberechnung unter der Annahme an, der Versicherte habe das 60. Lebensjahr bereits vollendet, um auf diese Weise die Minderung des Zugangsfaktors entsprechend der 36 Monate zwischen dem vollendeten 60. und dem vollendeten 63. Lebensjahr auf maximal 0,108 zu begrenzen (so auch Ruland, NJW 2007, 2087; Mey, RVaktuell 2007, 46; Bredt, NZS 2007, 194; Blüggel in Wannagat, SGB, § 77 SGB VI RdNr 28, Stand 7/2007; Kreikebohm in BeckOK, § 77 SGB VI RdNr 5, Stand 9/2007; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung im SGB, § 77 SGB VI Anm 3b, Stand 5/2005; Stahl in Hauck/Noftz, § 77 SGB VI, RdNr 28, Stand 2/2002; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 77 SGB VI RdNr 16, Stand 12/2005; Polster in Kasseler Kommentar, § 77 SGB VI RdNr 12, Stand 9/2006). Eine weitere Herabsetzung des Zugangsfaktors für die Monate der tatsächlichen Inanspruchnahme der Erwerbsminderungsrente, die vor der Vollendung des 60. Lebensjahres liegen, ist somit ausgeschlossen; dadurch ist sichergestellt, dass der Zugangsfaktor nicht unter 0,892 absinkt und die Rente somit niemals um mehr als 10,8 % zu mindern ist (36 Kalendermonate x 0,003 = 0,108). Dass es bei der Bezugnahme auf das 60. Lebensjahr des Versicherten um eine fiktive Rechengröße für die Bestimmung des Zugangsfaktors und nicht etwa um die Festlegung des Beginns der Rentenminderung geht, wird insbesondere daran deutlich, dass dieselbe Vorschrift auch bei der Hinterbliebenenrente auf die Vollendung des 60. Lebensjahres abstellt, um die Höhe des Zugangsfaktors zu bestimmen. Andernfalls müsste dem Gesetz unterstellt werden, es wolle eine Regelung für die Zeit treffen, nachdem der verstorbene Versicherte das genannte Lebensalter erreicht haben würde.

§ 77 Abs 2 Satz 2 und 3 SGB VI dienen ausschließlich der Berechnung des Zugangsfaktors. Das vom 4. Senat entwickelte Konzept der "Vorzeitigkeit" einer Rente wegen Erwerbsminderung (BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3, jeweils RdNr 22 f) findet im Gesetz keine Stütze. Eine "vorzeitige" Inanspruchnahme einer Rente wegen Erwerbsminderung im Sinne einer freien Entscheidung des Versicherten, vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden zu wollen, ist nicht möglich, da der Leistungsfall (Eintritt der Erwerbsminderung) in der Regel unabhängig vom Willen des Versicherten eintritt (vgl insoweit auch die Kritik des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des VdK im Rahmen der 57. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am , Prot 14/57 S 18, 26). Streng genommen kann somit im Hinblick auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht von einer vorzeitigen, sondern allenfalls von einer früheren oder späteren Inanspruchnahme gesprochen werden (in diesem Sinne auch Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung im SGB, § 63 SGB VI Anm 6, Stand 12/2005). Dessen war sich der Gesetzgeber auch bewusst, wie nicht nur die Auseinandersetzung im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (aaO) zeigt, sondern auch im Wortlaut des § 77 Abs 2 Satz 1 SGB VI zum Ausdruck kommt. Denn das Gesetz spricht in Satz 1 Nr 2a von einer "vorzeitigen" Inanspruchnahme nur insoweit, als Renten wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres (ab : "Erreichen der Regelaltersgrenze"; vgl Art 1 Nr 23 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes) bezogen werden.

Dies bestätigt die Änderung des Wortlauts des § 63 Abs 5 SGB VI, welcher vom bis auf Grund des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 - RRG 1999) vom (BGBl I 2998) folgende Fassung hatte: "Bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente oder bei Verzicht auf eine Altersrente nach dem 65. Lebensjahr werden Vorteile oder Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Zugangsfaktor vermieden." Mit der Einführung des abgesenkten Zugangsfaktors auch bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen werden, durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (RRErwerbG) vom (BGBl I 1827) wurde § 63 Abs 5 SGB VI entsprechend neu gefasst: "Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer werden durch einen Zugangsfaktor vermieden." Der Begriff der "Vorzeitigkeit" ist somit entfallen. Danach gilt, dass bei allen Rentenarten Vorteile oder Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Zugangsfaktor vermieden werden sollen.

cc) An diesem Ergebnis ändert auch die Regelung des § 77 Abs 2 Satz 3 SGB VI nichts. Danach "gilt" die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Durch die Fiktion des § 77 Abs 2 Satz 3 SGB VI wird gewährleistet, dass sich der geminderte Zugangsfaktor bei einem Wegfall der Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres (zB bei einem Rentenbezug zwischen dem 42. und 44. Lebensjahr) auf eine spätere Rente (neue Erwerbsminderungsrente oder Rente wegen Alters ab dem 65. Lebensjahr bzw ab dem nach Erreichen der Regelaltersgrenze) nicht mehr auswirkt. § 77 Abs 2 Satz 3 SGB VI statuiert insoweit eine Ausnahme zu dem Grundsatz (vgl § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI), dass ein früherer Zugangsfaktor auch für spätere Renten maßgeblich bleibt (ebenso Ruland, NJW 2007, 2087; Bredt, NZS 2007, 194; Mey, RVaktuell 2007, 46 f; Blüggel in Wannagat, SGB, § 77 SGB VI RdNr 30 ff, Stand 7/2007; Kreikebohm SGB VI, 2. Aufl 2003, § 77 RdNr 16; Polster in Kasseler Kommentar, § 77 SGB VI RdNr 21, Stand 9/2006; Stahl in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 77 RdNr 47 mit Beispiel, Stand 2/2002; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 77 SGB VI RdNr 18 f mit Beispiel; Stand 12/2005; unklar hingegen Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung im SGB, § 77 SGB VI Anm 4, Stand 5/2005). Insoweit handelt es sich um eine "Schutzvorschrift" zu Gunsten des Versicherten, die es ihm ermöglicht, bei Inanspruchnahme einer späteren Rente einen höheren Zugangsfaktor als den bei der früher gewährten Rente zu erhalten, und ihn vor einem "immerwährenden Abschlag" schützt.

Infolge des § 77 Abs 2 Satz 3 SGB VI bestimmt sich der Zugangsfaktor für eine spätere Rente demnach wiederum allein nach § 77 Abs 2 Satz 1 SGB VI. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über das 60. Lebensjahr hinaus bezogen wird und sich daran nahtlos eine Folgerente anschließt. Zwar handelt es sich bei Folgerenten um eigenständige Leistungsansprüche mit eigenen, ggf neu zu ermittelnden Berechnungsfaktoren. Damit aber die Dauerwirkung des Abschlags aus der Vorrente gewährleistet bleibt, ordnet § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI die Übernahme des bisherigen Zugangsfaktors in die Berechnung der Folgerente an (vgl hierzu im Einzelnen Schmitz, LVA Rheinprovinz Mitteilungen 2003, 142 ff). Sachlicher Hintergrund für diese Ausnahmeregelung ist der Umstand, dass Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß § 102 Abs 2 SGB VI grundsätzlich nur auf Zeit und längstens für drei Jahre gewährt werden (so auch Bredt, NZS 2007, 194).

dd) Gestützt wird dieses Normverständnis durch die Regelung des § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 2 SGB VI. Danach wird der Zugangsfaktor für EP, die Versicherte bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit einem Zugangsfaktor kleiner als 1,0 nach Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 60. Lebensjahres bis zum Ende des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres nicht in Anspruch genommen haben, um 0,003 je Kalendermonat erhöht. Die Normierung dieses "Zuschlags" nach Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 60. Lebensjahres bei einem Zugangsfaktor "kleiner als 1,0" wäre sinnlos, hätte die gesetzgeberische Absicht tatsächlich darin bestanden, die Minderung des Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf die Zeit ab dem 60. Lebensjahr zu beschränken (zutreffend Mey, RVaktuell 2007, 47).

b) Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für die Auffassung, dass in § 77 Abs 2 SGB VI "Rentenabschläge" in Folge der Minderung des Zugangsfaktors auch für Zeiten des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente vor der Vollendung des 60. Lebensjahres geregelt sind.

§ 77 SGB VI wurde neu gefasst durch Art 1 Nr 22 RRErwerbG vom (BGBl I 1827). Nach der bisherigen Fassung waren EP bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Renten wegen Todes in vollem Umfang (Zugangsfaktor 1,0) zu berücksichtigen. Einen "Abschlag" sah das Gesetz nur bei der vorzeitigen Inanspruchnahme von Altersrenten vor.

Mit dem RRErwerbG wurde das Ziel verfolgt, die Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten anzupassen, und zwar bei gleichzeitiger Verlängerung der Zurechnungszeit bis zum 60. Lebensjahr (vgl BT-Drucks 14/4230 S 23 f Nr 3). Mit der Umsetzung dieses Ziels folgte der Gesetzgeber einer Aufforderung des Bundesrates, der bereits im Jahr 1989 in seiner Stellungnahme zum RRG 1992 die Bundesregierung aufforderte, eine Änderung des Rechts der Erwerbsminderungsrenten vorzubereiten, die verhindern sollte, dass die im RRG 1992 angeordnete Heraufsetzung der Altersgrenzen unterlaufen wird (vgl BR-Drucks 120/89 S 8). Dabei ging es dem Gesetzgeber des RRErwerbG nur um eine "Anpassung" und nicht um eine "Gleichbehandlung"; denn bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente kann der "Abschlag" bis zu 18 % betragen (vgl zur Anhebung der Altersgrenzen bei der Altersrente BSG SozR 4-2600 § 237 Nr 1 mwN). Dass der Gesetzgeber nur eine Anpassung, nicht aber eine Gleichbehandlung der Erwerbsminderungsrenten mit den vorzeitigen Altersrenten beabsichtigte, findet seinen Ausdruck zum einen darin, dass die maximale Rentenabsenkung durch den geminderten Zugangsfaktor nur 10,8 % beträgt. Zum anderen wird der Versicherte mit Hilfe der Erhöhung der Zurechnungszeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres (vgl §§ 59 Abs 1 und 2, 253a SGB VI) jetzt so gestellt, als ob er bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres weitergearbeitet hätte; dann aber hätte er - bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente - einen Abschlag von bis zu 18 % in Kauf nehmen müssen (vgl BT-Drucks 14/4230 S 23, II Nr 3).

Mit der Anpassung der Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten wollte der Gesetzgeber zwar einerseits Ausweichreaktionen in die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entgegenwirken, wie sich in der Gesetzesbegründung zu § 77 SGB VI zeigt (vgl BT-Drucks 14/4230 S 26 zu Nr 22). Andererseits sollten die Vorteile eines längeren Rentenbezuges durch einen verminderten Zugangsfaktor ausgeglichen werden, dessen Wirkung jedoch für erwerbsgeminderte Versicherte und deren Hinterbliebene durch die Verlängerung der Zurechnungszeit gemildert werden sollte (vgl § 59 Abs 2 Satz 2, § 63 Abs 5 SGB VI idF des RRErwerbG; BT-Drucks 14/4230 S 26 zu Nr 16). Der Vorteil einer früheren Inanspruchnahme einer Rente liegt (statistisch gesehen) darin, dass die Rentensumme desto höher ist, je länger die Rentenlaufzeit insgesamt ist. Ein früher Renteneintritt bedeutet somit eine Mehrbelastung der Versichertengemeinschaft, die durch einen abgesenkten Zugangsfaktor begrenzt werden soll. Ziel ist es, dass der Gesamtwert der lebenslangen Rente unabhängig vom Rentenbeginn im statistischen Durchschnitt gleich hoch ist (vgl Ohsmann/Stolz/Thiede, DAngVers 2003, 172; Ruland in GK-SGB VI, § 63 RdNr 53 f, Stand 9/2006). Denn die möglichst frühzeitige Inanspruchnahme einer Rente entspricht nicht dem eine Versicherung prägenden Prinzip der Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung. Eine wesentliche Durchbrechung dieses Äquivalenz- bzw Versicherungsprinzips lag im früheren Recht darin, dass Versicherte die Altersrente ohne Abschlag bis zu fünf Jahren vor der regulären Altersgrenze erhalten konnten und durch den "statistisch" verlängerten Rentenbezug die insgesamt zu zahlende Rentensumme beträchtlich erhöhten. Das Äquivalenzprinzip kommt durch die Neuregelung des § 63 Abs 5 SGB VI durch das RRErwerbG deutlicher zum Ausdruck als bisher (vgl Ruland, aaO vor §§ 63 ff RdNr 14 ff, Stand 9/2006). Dass die Stärkung des Äquivalenzprinzips auf die Fälle des Rentenbezugs nach Vollendung des 60. Lebensjahres beschränkt und der Vorteil einer längeren Rentenbezugsdauer erst ab diesem Zeitpunkt ausgeglichen werden sollte, lässt sich weder dem Wortlaut des § 63 Abs 5 SGB VI noch sonstigen Anhaltspunkten im Gesetz entnehmen.

Die Anpassung der Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten wird durch die Verlängerung der Zurechnungszeit nach § 59 Abs 2 Satz 2 SGB VI begrenzt (vgl die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Ruland im Rahmen der 57. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am , Prot 14/57 S 8; BT-Drucks 14/4230 S 23 f, II Nr 3). Bei Inanspruchnahme einer Rente wegen Erwerbsminderung im Alter von 56 Jahren und acht Monaten ergibt sich danach bei einem "Eckrentner" eine um 3,3 % niedrigere Rente. Je mehr sich der Versicherte der Altersgrenze von 60 Jahren nähert, desto höher ist der effektive Abschlag bis maximal 10,8 %. Gerade bei diesen altersrentennahen Versicherten sind zusätzliche Anträge auf Erwerbsminderungsrente zu befürchten, um der maximal 18-prozentigen Minderung einer vorzeitigen Altersrente auszuweichen. Es wäre jedoch insbesondere vor dem Hintergrund des Art 3 Abs 1 GG nicht gerechtfertigt, die längere Rentenbezugsdauer nur bei der Gruppe der altersrentennahen Versicherten zu berücksichtigen, sodass sich die allmähliche Steigerung der Rentenminderung, je näher sich die Betroffenen der Vollendung des 60. Lebensjahres nähern, und ihre Verringerung, je länger das 60. Lebensjahr bereits hinter dem Versicherten liegt, ein in sich schlüssiges Konzept darstellt (ebenso Mey, RVaktuell 2007, 48).

c) Der weitere systematische und rechtspolitische Gesamtzusammenhang spricht ebenfalls für dieses Normverständnis. Die Anhebung des Renteneintrittsalters, beginnend mit dem RRG 1992, und die Minderung des Zugangsfaktors ist Teil einer Gesamtstrategie zur Sicherung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung und Reaktion auf die demografische Entwicklung (vgl diesbezüglich die Begründung zum RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz, BT-Drucks 16/3794 S 1). Die stufenweise Anhebung des Renteneintrittsalters dient einer sozial angemessenen und finanziell tragfähigen Alterssicherungspolitik und ist nach Ansicht der Bundesregierung ein wichtiger Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung (vgl dazu Nationaler Strategiebericht Sozialschutz und soziale Eingliederung vom der Bundesregierung, BR-Drucks 583/06 S 33). Die Absenkung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme von Renten wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 63. Lebensjahres bei gleichzeitiger Verlängerung der Zurechnungszeit ist Teil dieser Gesamtstrategie. Bei den § 59 Abs 2 Satz 2, § 63 Abs 5, §§ 77, 253a, 264c SGB VI handelt es sich um ein aufeinander abgestimmtes "Gesamtpaket" (vgl Klattenhoff in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 253a RdNr 2; Stahl in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 264c RdNr 4 f). Dies findet auch seinen Ausdruck in der Anlage 23, die übergangsweise sowohl für die Bestimmung des Zugangsfaktors (§ 264c SGB VI) als auch für die Anhebung der Zurechnungszeit (§ 253a SGB VI) anzuwenden ist. Danach mindert sich der Zugangsfaktor je nach Rentenbeginn in abgestuften Schritten, die jeweils der ebenfalls stufenweise angeordneten Verlängerung der Zurechnungszeit entsprechen.

Aus einem weiteren Grund kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den abgesenkten Zugangsfaktor erst ab dem vollendeten 60. Lebensjahr bei den Versicherten hat einführen wollen, deren Rente vor dem 60. Lebensjahr begonnen hat und darüber hinaus zu zahlen ist. Ungeachtet möglicher verfassungsrechtlicher Bedenken verstieße die Minderung einer laufenden Erwerbsminderungsrente ab Vollendung des 60. Lebensjahres (vgl BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3, jeweils RdNr 37) bereits gegen den Grundsatz des § 88 Abs 1 Satz 2 SGB VI, wonach die in einer zuvor festgestellten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ermittelten EP auch für eine Folgerente zu übernehmen sind, wenn diese innerhalb von 24 Kalendermonaten nach der Erwerbsminderungsrente beginnt (so auch von Koch/Kolakowski, SGb 2007, 73; Plagemann in jurisPR-SozR 20/2006 Anm 4). Laufende Renten werden demnach nicht neu berechnet oder gekürzt, auch dann nicht, wenn eine Rente wegen Erwerbsminderung in eine Altersrente übergeht. Bei einer vom Gesetzgeber gewollten Durchbrechung dieser Grundsätze wären deutliche Hinweise, wenn nicht im Gesetzeswortlaut, so zumindest in der Gesetzesbegründung zu erwarten gewesen.

Als Fortführung der ursprünglichen gesetzgeberischen Intention ist auch die Einfügung von Abs 4 in § 77 SGB VI durch Art 1 Nr 23 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom (BGBl I 554) ab dem zu werten (vgl zum Inkrafttreten Art 27, zur Neufassung des § 264c s Art 1 Nr 72 des genannten Gesetzes), der in der ab geltenden Fassung (nF) lautet: "Bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Hinterbliebenenrenten, deren Berechnung 40 Jahre mit den in § 51 Abs. 3a und 4 und mit den in § 52 Abs. 2 genannten Zeiten zugrunde liegen, sind die Absätze 2 und 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle der Vollendung des 65. Lebensjahres die Vollendung des 63. Lebensjahres und an die Stelle der Vollendung des 62. Lebensjahres die Vollendung des 60. Lebensjahres tritt." In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu (vgl BT-Drucks 16/3794 S 36 zu Nr 23): "In Anlehnung an die Regelung für Versicherte, die nach 45 Pflichtbeitragsjahren abschlagsfrei in die neue Altersrente für besonders langjährig Versicherte gehen können, wird für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eine besondere Regelung für Versicherte getroffen, die 40 Pflichtbeitragsjahre zurückgelegt haben. Für sie verbleibt es beim bisherigen Recht. Entsprechendes gilt für Hinterbliebenenrenten. Übergangsregelung ist § 264c."

Wollte man der Auffassung des 4. Senats folgen (vgl nochmals BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3, jeweils RdNr 37), wonach der "Rentenabschlag" erst ab Vollendung des 60. Lebensjahres greifen soll, so würde die Vertrauensschutzregelung des § 77 Abs 4 SGB VI nF in ihr Gegenteil verkehrt: Versicherte mit mindestens 40 Pflichtbeitragsjahren würden durch die Herabsetzung des 62. auf das 60. Lebensjahr nicht begünstigt, sondern benachteiligt, obwohl es für diesen Personenkreis beim bisherigen Recht bleiben soll.

3. Entgegen der Ansicht des Klägers verstößt die Regelung des § 77 Abs 2 SGB VI nicht gegen das GG.

a) Der Kläger ist nicht dadurch in seinem Grundrecht aus Art 14 Abs 1 GG (Eigentumsgarantie) verletzt, dass bei der Berechnung des Monatsbetrags seiner Rente wegen Erwerbsminderung statt eines Zugangsfaktors von 1,0 ein Zugangsfaktor von 0,895 (Abschlag von 10,5 %) zu Grunde gelegt wird.

aa) Rentenansprüche und -anwartschaften werden vom verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz nach Art 14 Abs 1 GG erfasst (vgl zuletzt BVerfGE 117, 272, 292 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 50 mwN; stRspr). Der Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG ist vorliegend dadurch tangiert, dass im Vergleich zur früheren Rechtslage mit der Rechtsänderung durch das RRErwerbG eine Verschlechterung für den Kläger insoweit eingetreten ist, als nunmehr bei einer Inanspruchnahme einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 63. Lebensjahres der Zugangsfaktor gemindert wird. Dass der Gesetzgeber die EP als solche nicht gekürzt hat, ändert am Ergebnis einer Verschlechterung der bisherigen Rechtsposition nichts (vgl zur Kürzung von EP zuletzt BSG SozR 4-2600 § 237 Nr 11; BSGE 85, 161, 164 ff mwN = SozR 3-5050 § 22 Nr 7).

Der Kläger wird jedoch nicht in seinem Grundrecht aus Art 14 GG verletzt. Bei der in Streit stehenden Vorschrift handelt es sich um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Gesetzgebers. Der Eingriff in die Rechtsposition des Klägers erweist sich gemessen an der gesetzgeberischen Zielsetzung als geeignet und erforderlich und ist andererseits gemessen an der vom Kläger erworbenen Rechtsposition sowie Art und Umfang seiner Beitragsleistung verhältnismäßig und zumutbar.

bb) Eingriffe in rentenrechtliche Anwartschaften sind zulässig, wenn sie einem Gemeinwohlzweck dienen und verhältnismäßig sind. Dabei verengt sich die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in dem Maße, in dem Rentenanwartschaften durch den personalen Anteil eigener Leistungen der Versicherten geprägt sind (vgl zuletzt BVerfGE 117, 272, 294 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 54 mwN; stRspr). Die eigene Leistung findet vor allem in einkommensbezogenen Beitragszahlungen ihren Ausdruck. Sie rechtfertigt es, dass der durch sie begründeten rentenrechtlichen Rechtsposition ein höherer Schutz gegen staatliche Eingriffe zuerkannt wird als einer Anwartschaft, soweit sie nicht auf Beitragsleistungen beruht (vgl hierzu BVerfGE 116, 96, 122 = SozR 4-5050 § 22 Nr 5 RdNr 81; BVerfGE 100, 1, 33 = SozR 3-8570 § 10 Nr 3; kritisch zur Zuordnung der Zurechnungszeit zum Eigentumsschutzbereich im Hinblick auf das Erfordernis der "Eigenleistung" Plagemann in jurisPR-SozR 20/2006 Anm 4). Knüpft der Gesetzgeber an ein bereits bestehendes Versicherungsverhältnis an und verändert er die in dessen Rahmen begründete Anwartschaft zum Nachteil des Versicherten, so ist darüber hinaus ein solcher Eingriff am rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes zu messen, der für die vermögenswerten Güter und damit auch für die rentenrechtliche Anwartschaft in Art 14 GG eine eigene Ausprägung erfahren hat (vgl zuletzt BVerfGE 117, 272, 294 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 55 mwN).

Mit den in Frage stehenden Regelungen des § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3, Satz 2 und 3 SGB VI idF des RRErwerbG hat der Gesetzgeber zum einen der Gefahr Rechnung getragen, dass im Hinblick auf die gesetzlich normierten Abschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme von Altersrenten unverhältnismäßig viele Anträge auf Erwerbsminderungsrenten zu befürchten waren. Zum anderen hat er das Ziel verfolgt, das Versicherungsrisiko der unterschiedlich langen Rentenbezugsdauer mit Hilfe versicherungsmathematischer Abschläge zu neutralisieren (vgl Stahl in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 77 RdNr 26). Bereits anlässlich des RRG 1992 wurde die Bundesregierung vom Bundesrat aufgefordert, das Recht der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu reformieren und dabei der Gefahr zu begegnen, dass die im RRG 1992 normierte Heraufsetzung der Altersrenten unterlaufen wird (vgl BR-Drucks 120/89 S 8). Dem Kläger ist zuzustimmen, dass ein Versicherter es letztlich nicht in der Hand hat, den Zeitpunkt einer rentenberechtigenden Erwerbsminderung selbst zu bestimmen. Jedoch kann es bei länger währender Arbeitslosigkeit im rentennahen Alter ebenfalls kaum noch praktische Alternativen zu einem Antrag auf vorgezogene Altersrente mit Rentenabschlägen geben; bei Entlassungen gegen Abfindung kann sogar eine arbeitsrechtliche Verpflichtung zu einem solchen Antrag bestehen. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der in Frage stehenden Rentenminderung darf dieser Gesichtspunkt daher nicht überbewertet werden.

Die mit dem RRErwerbG normierte Absenkung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 63. Lebensjahres stellt allein schon deshalb eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung dar, weil sie ersichtlich dazu dient, die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten und den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen. Hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen der im RRErwerbG vorgesehenen Maßnahmen ist ua ausgeführt (BT-Drucks 14/4230 S 2): "Aus der Beseitigung der sozialen Härten bei den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bedingt durch die landwirtschaftliche Ausnahmeregelung zur Ökosteuer ergeben sich in der Rentenversicherung um 1 bis 2 Zehntel höhere Beitragssätze. Dadurch ergeben sich für den Bund höhere Ausgaben für den allgemeinen Bundeszuschuss, Beiträge für Kindererziehungszeiten und für Arbeitslosenhilfeempfänger sowie Entlastungen durch die landwirtschaftliche Ausnahmeregelung. Insgesamt wird der Bund im Zeitraum 2001 bis 2004 um 1,5 Mrd. DM entlastet."

Im Bereich der Rentenversicherung wurde eine Entlastung von knapp 0,5 Beitragssatzpunkten angestrebt, wobei wegen der Umgestaltung der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit der um 0,1 Prozentpunkt höhere Beitragssatz berücksichtigt wurde (vgl BT-Drucks 14/4230 S 36 mit Tabelle Nr 1). Sind allein die finanziellen Erwägungen ein legitimer Grund für den Eingriff, so kann offen bleiben, ob auch andere mit der Regelung vom Gesetzgeber verfolgte Ziele für sich oder zusätzlich die in Frage stehende Regelung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE 117, 272, 297 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 63).

cc) Die im öffentlichen Interesse liegende Minderung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme einer Rente wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 63. Lebensjahres war auch verhältnismäßig im weiteren Sinne (dh geeignet, erforderlich und zumutbar).

Die Regelung war geeignet, die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele zu erreichen. Ihm steht - wie dies das BVerfG erneut in seinem Beschluss vom (BVerfGE 117, 272, 295 f = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 58 f) zum Ausdruck gebracht hat - im Sozialversicherungsrecht wie in allen komplexen, auf künftige Entwicklungen ausgelegten Rechtsbereichen ein weiter Einschätzungsspielraum zu. Bei der Ausgestaltung der Versicherungsverhältnisse benötigt der Rentengesetzgeber Flexibilität, die ihm nach der Rechtsprechung des BVerfG verfassungsrechtlich nicht verwehrt werden kann. Mit Rücksicht auf das unterschiedliche Versicherungsrisiko von in niedrigerem oder höherem Alter beginnenden Renten und auf die dadurch gebotene Annäherung von Erwerbsminderungs- und Altersrenten bewegt sich die Vorschrift über die Absenkung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme einer Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 63. Lebensjahres innerhalb dieses verfassungsrechtlichen Einschätzungsspielraums.

Die Regelung genügt auch dem Gebot der Erforderlichkeit. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht des Klägers nicht oder doch weniger einschränkendes Mittel hätte wählen können. Der Gesetzgeber kann insbesondere nicht darauf verwiesen werden, eine Einsparung in anderen, von dem betroffenen Gesetz nicht erfassten Bereichen zu erzielen (vgl BVerfG SozR 4-5050 § 22 RdNr 91 mwN; stRspr). Unter dem Gesichtspunkt des Erforderlichkeitsgrundsatzes war er nicht verpflichtet, auf andere Maßnahmen auszuweichen, insbesondere - im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen - die Beitragssätze zu erhöhen, die Bestandsrenten abzusenken oder auf eine Anpassung der Renten an die Lohn- und Gehaltsentwicklung zu verzichten. Ebenso wenig war er, um dem Erforderlichkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen, gehalten, einen höheren Bundeszuschuss vorzusehen und ggf für diesen Zweck Steuern einzuführen oder zu erhöhen.

Die Absenkung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 63. Lebensjahres ist für den Kläger auch zumutbar. Hierbei ist zu beachten, dass beim Kläger kein Eingriff in einen schon bestehenden Rentenanspruch vorgenommen wird. Allerdings hat das Gesetz in seine Rentenanwartschaft eingegriffen. Anwartschaften sind aber wegen des großen Zeitraums zwischen ihrem Erwerb und der Aktivierung des Rentenanspruchs naturgemäß stärker einer Veränderung der für die Rentenberechnung maßgeblichen Verhältnisse unterworfen (vgl BSGE 92, 206 = SozR 4-2600 § 237 Nr 1, jeweils RdNr 43) und genießen nicht denselben eigentumsrechtlichen Schutz wie die Rente. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch die Übergangsregelung des § 264c SGB VI (iVm der Anlage 23 des SGB VI; jeweils in der bis zum geltenden Fassung) und die Kompensation über die verlängerte Zurechnungszeit nach §§ 59, 253a SGB VI die Wirkung der Absenkung des Zugangsfaktors abgemildert hat (zur Aufhebung der Anlage 23 und der Neufassung des § 264c SGB VI ab dem s Art 1 Nr 72 und 83 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes). Die den Eingriff in die Rentenanwartschaft mindernde Wirkung der Anhebung der Zurechnungszeit wirkt sich gerade beim Kläger deutlich aus und führt im Ergebnis dazu, dass an Stelle der durch die Absenkung des Zugangsfaktors bewirkten Minderung um 130,93 Euro, der Rentenzahlbetrag im Ergebnis nur 37,70 Euro weniger beträgt. Der Senat verkennt nicht, dass dies immer noch eine Einbuße von knapp 3,4 vH bedeutet, die aber im Hinblick auf die Einbußen anderer Versicherter zumutbar ist. Der um 3,4 vH herabgesenkte Rentenbetrag führt noch nicht zu wesentlichen, unzumutbaren Einschränkungen im Lebensstandard des Versicherten, wie er ihn aufgrund seines durchschnittlichen Verdienstes im aktiven Erwerbsleben aufbauen konnte.

dd) Die Neuregelung durch das RRErwerbG genügt auch dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes. Dabei kann offen bleiben, ob sich dieser Grundsatz bei Rentenanwartschaften aus Art 14 Abs 1 GG ergibt oder aus Art 2 Abs 1 iVm dem Rechtsstaatsgebot des Art 20 Abs 3 GG hergeleitet wird (vgl BSGE 92, 206 = SozR 4-2600 § 237 Nr 1, jeweils RdNr 44 mwN).

Die hier für den Eingriff - Absenkung des Zugangsfaktors - maßgebliche Regelung des § 77 Abs 2 Nr 3 SGB VI idF des RRErwerbG greift nicht im Sinne einer (echten) Rückwirkung zu Ungunsten des Klägers in eine Rechtsposition ein, die dieser bereits vor Inkrafttreten am (vgl Art 24 Abs 1 RRErwerbG) inne hatte. Im Übrigen ist hierbei zu berücksichtigen, dass der Bundesrat bereits im April 1989 die Bundesregierung aufgefordert hatte, der Gefahr zu begegnen, dass die im RRG 1992 vorgesehene Heraufsetzung der Altersgrenzen unterlaufen wird. Die Änderung der Rechtslage war für die Versicherten daher nicht völlig überraschend.

b) Die Regelungen des § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3, Satz 2 und 3 SGB VI verstoßen auch nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 75, 348, 357 = SozR 2200 § 555a Nr 3, stRspr); entsprechendes gilt für eine Gleichbehandlung trotz Bestehens gewichtiger Unterschiede.

Im Hinblick auf die Versichertengruppe, die wegen eines Rentenbeginns vor dem nicht von der Absenkung des Zugangsfaktors betroffen war, ist die unterschiedliche Behandlung durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt. Sowohl das vorrangige Ziel der Vermeidung von Vor- und Nachteilen einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer als auch das Ziel der Vermeidung von Ausweichreaktionen von rentenberechtigten Versicherten von der Altersrente auf die Rente wegen Erwerbsminderung sind sachlich rechtfertigende Gründe für die Absenkung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme einer Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 63. Lebensjahres. Ohne die entsprechenden Maßnahmen des RRErwerbG wären sowohl die Altersgrenzenanhebung des RRG 1992 als auch das Vorziehen und Beschleunigen dieser Anhebung im Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom (BGBl I 1461) in ihrer Wirkung gefährdet gewesen.

c) Ein Verstoß gegen Art 3 Abs 3 Satz 2 GG liegt ebenfalls nicht vor.

Art 3 Abs 3 Satz 2 GG bezweckt die Stärkung der Stellung behinderter Menschen in Recht und Gesellschaft. Sie enthält ein Gleichheitsrecht zu Gunsten Behinderter sowie einen Auftrag an den Staat, auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl 2007, Art 3 RdNr 142). Es ist bereits fraglich, ob der Schutzbereich des Grundrechts, der zunächst eine Ungleichbehandlung voraussetzt, tangiert ist. Jedenfalls liegt eine Benachteiligung wegen Behinderung nicht vor. Die Absenkung des Zugangsfaktors nach § 77 Abs 2 SGB VI betrifft seit dem RRErwerbG alle Rentenarten, wenn die jeweilige Rente vor der im Gesetz normierten Altersgrenze in Anspruch genommen wird. Damit sollen Vor- und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer bei allen Rentenarten ausgeglichen werden. Eine Benachteiligung des Klägers wegen einer Behinderung liegt somit nicht vor.

4. Unter Zugrundelegung der hier vertretenen Auffassung wäre die Revision des Klägers mithin zurückzuweisen. Eine Entscheidung in diesem Sinne ist dem Senat jedoch nicht ohne Abweichung von dem Urteil des 4. Senats vom (BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3) möglich.

In dem vom 4. Senat entschiedenen Fall hatte die im August 1960 geborene Klägerin ein Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und begehrte von der Beklagten für Bezugszeiten ab dem die Berechnung der Rente unter Zugrundelegung des Zugangsfaktors 1,0. Sie beanstandete, dass die Beklagte den Zugangsfaktor auf 0,919 abgesenkt hatte. Der 4. Senat hat der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage auf Zahlung einer höheren Rente stattgegeben. Dabei hat er ua ausgeführt (aaO, RdNr 21 ff):

"Nach dieser Vorschrift gibt es drei Gruppen von Erwerbsminderungsrentnern:

- Erstens die 63- bis 65-jährigen, die keine Kürzung ihrer Vorleistung hinnehmen müssen ...

- Zweitens ältere Rentner, bei denen der Versicherungsfall der 'Erwerbsminderung' zwar vor Vollendung des 63. Lebensjahres, aber erst eingetreten ist, als sie älter als 35 Jahre und zwei Monate waren. Diese müssen für jeden Monat der 'vorzeitigen Renteninanspruchnahme' eine Minderung des Zugangsfaktors ('Rentenabschlag') um 0,003 hinnehmen.

- Drittens die Versicherten, die im Alter von 35 Jahren und zwei Monaten oder früher nach Erfüllung der Wartezeit einen der Versicherungsfälle der Sparte der Erwerbsminderungsversicherung erleiden; sie erhalten keine Rente. Denn bei ihnen ist gemäß § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB VI idF des RRErwerbG (333,3 Periode an Kalendermonaten mal 0,003 = 1) der gesamte Zugangsfaktor abgeschmolzen und deshalb überhaupt keine Vorleistung mehr anzurechnen (Zugangsfaktor 0,0) mit der Folge, dass dieses Recht (als nudum ius) keinen Geldwert mehr hat.

Diese Regelung ist schon deshalb in sich schlechthin objektiv willkürlich, wenn man sie nicht verfassungskonform auf die Anordnung reduziert, dass zwischen einer 'Regelerwerbsminderungsrente', die nach Vollendung des 63. Lebensjahres (anders als die flexible AlR nach § 36 SGB VI) 'abschlagsfrei' zusteht, und 'vorzeitigen Erwerbsminderungsrenten' zu unterscheiden ist. § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB VI stellt somit klar, dass es 'vorzeitige' Erwerbsminderungsrenten bei Rentenbeginn 'vor' dem 64. Lebensjahr gibt, lässt aber offen, wann der 'Vorzeitigkeitszeitraum' beginnt.

Den Beginn der 'Vorzeitigkeit' regelt ausdrücklich § 77 Abs 2 Satz 2 (und Satz 3 - dazu sogleich) SGB VI idF des RRErwerbG. Die Vorschrift legt - wie bei den AlRn - den frühesten Beginn der 'Vorzeitigkeit' auf die Vollendung des 60. Lebensjahres fest.

... Das Gesetz schließt ausdrücklich einen verringerten Zugangsfaktor ('Rentenabschlag') für Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres aus.

... Vielmehr legt dieses fest, dass Erwerbsminderungsrenten erst dann eine 'Bestimmung des Zugangsfaktors' (also einer von 1,0 abweichenden Festsetzung) unterworfen sind, wenn der Rentner 'das 60. Lebensjahr vollendet hat' und damit erstmals ein Ausweichen vor Abschlägen bei Altersrenten überhaupt theoretisch möglich wird."

Diese Auffassung ist für die Entscheidung des 4. Senats insoweit tragend, als dieser die Anfechtungsklage für zulässig und begründet erachtet hat. Die Rechtsauffassung des 4. Senats ist mit der Rechtsauffassung des erkennenden Senats nicht zu vereinbaren. Auf den Fall des Klägers angewandt, würde sie bedeuten, dass auf die Revision des Klägers das Urteil des SG Detmold vom aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen wäre, eine höhere Rente unter Zugrundelegung des Zugangsfaktors 1,0 zu leisten.

5. Zwar kann der 4. Senat wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit Wirkung zum mit dieser Rechtsfrage nicht mehr befasst werden. Der 13. Senat ist aber nach dem Geschäftsverteilungsplan in der ab gültigen Fassung wie auch der erkennende Senat an die Stelle des 4. Senats getreten. Der erkennende Senat kann somit nicht allein die bisherige Rechtsprechung des 4. Senats aufgeben, sodass gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 und 2 SGG beim 13. Senat des BSG anzufragen ist, ob dieser an der Rechtsauffassung des 4. Senats festhält.

Fundstelle(n):
MAAAD-26498