Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 145 Abs. 3; StPO § 217; StPO § 218; StPO § 265 Abs. 4; StPO § 338; StPO § 349 Abs. 4
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten - und zwei Mitangeklagte in weitaus geringerem Umfang - wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Rüge Erfolg, das Landgericht habe die Verteidigung in einem wesentlichen Punkt unzulässig beschränkt, indem es die Hauptverhandlung am ersten Verhandlungstag nicht unterbrochen, sondern zum Schuldspruch substanziell weiterverhandelt hat (§ 338 Nr. 8, § 265 Abs. 4 StPO). Auf die Zulässigkeit und Begründetheit der weiteren Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.
1.
Die Revision trägt folgenden Verfahrensgang vor:
a)
Der einschlägig wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln mehrfach vorbestrafte - und im letzten Verfahren durch Rechtsanwalt C. verteidigte - Angeklagte wurde am in Untersuchungshaft genommen. Er bevollmächtigte den bei der ermittlungsrichterlichen Verhandlung anwesenden Rechtsanwalt C. erneut als Verteidiger. Die Staatsanwaltschaft erhob am Anklage gegen B. wegen dreier Fälle des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und vier weiterer Fälle des unerlaubten Handeltreibens sowie gegen den nichtrevidierenden J. und die Revidentin J. -N. . Diese hatte bereits anlässlich ihrer Festnahme am eingeräumt, zweimal für B. gegen Belohnung verkaufsfertig portioniertes Heroin zu einem Bunker in einem Park verbracht zu haben. J. hatte am vor dem Ermittlungsrichter eingeräumt, am ebenfalls 20 Verkaufseinheiten Heroin vom Angeklagten B. erworben zu haben. Daraufhin wurde er haftverschont.
b)
Das Landgericht eröffnete am das Hauptverfahren. Ohne Absprache mit den Verteidigern setzte der Vorsitzende am gleichen Tag Termine für die Hauptverhandlung für den 13., 20. und fest. Auf den wurden fünf Polizeibeamte als Zeugen geladen. Sechs Tage nach Zugang der Ladung beantragte Rechtsanwalt C. mit Schreiben vom Aufhebung der Termine wegen seines Jahresurlaubs in dieser Zeit und Neuterminierung nach Absprache mit seinem Büro. Im Rahmen einer anderen Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende diesem Verteidiger mit, dass die Terminssituation der Kammer dem Verlegungsantrag entgegenstünde. Dies tat Rechtsanwalt C. dem Angeklagten kund, der indes auf einer - wenn dann auch nur später möglichen - Verteidigung durch diesen Rechtsanwalt beharrte.
Das Landgericht hat am ein weiteres beim Amtsgericht Tiergarten gegen den Angeklagten B. anhängiges Verfahren wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen übernommen, eröffnet und mit dem bereits terminierten Verfahren verbunden. Der Vorsitzende forderte den Angeklagten mit Schreiben vom auf, im Hinblick auf die Verhinderung von Rechtsanwalt C. innerhalb einer Woche einen anderen Rechtsanwalt seines Vertrauens zu benennen. Dem kam der Angeklagte nach und bevollmächtigte Rechtsanwalt K. als Verteidiger, der indes mit Schreiben vom für den Verhinderung anzeigte und erklärte, die weiteren Termine wahrnehmen zu können. Daraufhin teilte der Vorsitzende diesem Rechtsanwalt mit, dass eine Verlegung des auf den anberaumten Hauptverhandlungstermins nicht in Betracht komme. Rechtsanwalt K. legte sodann mit Schreiben vom das Mandat nieder. Am , einem Freitag, bestellte der Strafkammervorsitzende Rechtsanwalt H. zum Pflichtverteidiger, der noch am Nachmittag die Verfahrensakten zur Einsicht übernahm.
c)
In der am planmäßig begonnenen Hauptverhandlung hat der Pflichtverteidiger die Aussetzung der Hauptverhandlung wegen Nichteinhaltung der Ladungsfrist, hilfsweise entsprechend § 145 Abs. 3 StPO beantragt und höchst hilfsweise Unterbrechung der Hauptverhandlung und deren Fortsetzung frühestens am begehrt. Zur Begründung hat der Verteidiger Folgendes ausgeführt: "Obwohl mir die Akten am Nachmittag des zur Verfügung gestellt wurden, konnte ich erst am Montag, den , die Akten am Vormittag ein erstes Mal kurz überfliegen. Da es sich um ca. 8 Bände handelte und zwei Verfahren verbunden worden sind, war eine genaue und fundierte Aufarbeitung nicht annähernd möglich. Ich habe dessen ungeachtet den Herrn B. ebenfalls am Vormittag des in der JVA ... aufgesucht, um mich zumindest vorzustellen und ein kurzes Gespräch zu führen. Da ich aber mit dem Akteninhalt nicht annähernd vertraut war, konnte ich das Verhalten in der Hauptverhandlung nicht ausreichend besprechen. Ein erneutes Aufsuchen des Mandanten war mir bis heute aus terminlichen Gründen nicht möglich, [so] konnte die Vorgehensweise in der Hauptverhandlung nicht besprochen, geschweige denn eine gemeinsame Verteidigungsstrategie erarbeitet werden. Es ist mir daher zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich, meinen Mandanten ordnungsgemäß zu verteidigen" (Revisionsbegründung S. 86).
Diese Anträge hat die Strafkammer zurückgewiesen. Sie hat geltend gemacht, die späte Bestellung des Pflichtverteidigers sei dem Gericht nicht zuzurechnen. Der Pflichtverteidiger habe ausreichend Zeit gehabt, sich auf die Hauptverhandlung vorzubereiten. "Die Hauptakten umfassen zwar mittlerweile 6 Bände. Es finden sich darin aber viele doppelt oder mehrfach vorhandene Unterlagen. Ein Teil betrifft auch allein die Mittäter in dem verbundenen Verfahren. Die Vorwürfe sind relativ einfach und der Sachverhalt überschaubar. Auch die Beweislage ist in keiner Weise besonders schwierig. Der Pflichtverteidiger rügte ja auch bei Übernahme des Verfahrens nicht, dass die Zeit der Vorbereitung nicht ausreiche. Angesichts dieser Sachlage reichte die vorhandene Zeit aus, sich genügend auf die heutige Hauptverhandlung vorzubereiten und die erforderlichen Gespräche mit dem Angeklagten zu führen." (Revisionsbegründung S. 184 f.)
Die Mitangeklagten haben sich sodann - den Angeklagten belastend - zur Sache eingelassen und sich geweigert, Fragen der weiteren Prozessbeteiligten zu beantworten. Ferner wurden zwei Observationsbeamte als Zeugen vernommen und drei Gutachten und zwei Behördenerklärungen verlesen.
2.
Die Rüge ist zulässig.
a)
Der Vortrag enthält die für die Begründung der erhobenen Rüge der Behinderung der Verteidigung erforderlichen Tatsachen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Verteidigungsverhältnisse werden umfassend dargelegt. Der zu beurteilende Verfahrensstoff und die Beweislage sind den vorgelegten Anklageschriften und dem mit dem Hauptverhandlungsprotokoll übereinstimmenden geschilderten Ablauf des ersten Verhandlungstages zu entnehmen.
b)
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts bedurfte es nicht einer genaueren Darlegung des Umfangs und des Inhalts der Akten, um die vom Landgericht abweichende Bewertung des Aktenmaterials nachvollziehbar zu machen. Diese Bewertung ist für das hiesige Revisionsverfahren rechtlich irrelevant.
Ob nämlich der - ohne Wahrung der Ladungsfrist bestellte - Pflichtverteidiger für die Erfüllung seiner Aufgabe hinreichend vorbereitet gewesen ist, hatte er in erster Linie selbst zu beurteilen. Es ist grundsätzlich nicht Sache des Gerichts, dies nachzuprüfen, denn als unabhängiges Organ der Rechtspflege hat der Rechtsanwalt die Verteidigung selbstständig zu führen (BGH JR 1998, 251 f.; StV 2000, 402, 403; BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 5; vgl. auch BGH NJW 1965, 2164, 2165) . Die nähere Darlegung des Akteninhalts zu fordern, liefe deshalb auf eine Überspannung der Zulässigkeitsanforderungen hinaus (vgl. BVerfGE 112, 185, 213).
c)
Die Rüge wird nicht deshalb unzulässig, weil sie auf eine "Verletzung der Vorschriften der §§ 228 StPO, 145 Abs. 3 StPO analog und Art. 6 MRK" abhebt, indes § 265 Abs. 4 StPO nicht erwähnt. Die lediglich gebotene Darlegung der rechtlichen Bedeutung des Revisionsangriffs ist hierdurch jedenfalls erfolgt (vgl. BGH NJW 2007, 92, 96 m.w.N.).
3.
Die Rüge ist begründet.
a)
Das Landgericht wäre entsprechend § 265 Abs. 4 StPO gehalten gewesen, wenigstens dem hilfsweise gestellten Antrag des Pflichtverteidigers auf Unterbrechung der Hauptverhandlung stattzugeben.
(1)
Diese Vorschrift wäre nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechend anzuwenden gewesen. Eine Veränderung der Sachlage kann auch durch verfahrensmäßige Vorgänge und Situationen entstehen, wie es der Fall ist, wenn ein kurzfristig gewählter oder bestellter Verteidiger sich nicht ausreichend auf die Verteidigung vorbereiten konnte (vgl. BGH NJW 1958, 1736, 1737 ; 1965, 2164, 2165 ; BGH NStZ 1983, 281; BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 5 bis 7). Eine Prüfung der Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 145 Abs. 3 StPO ist demnach nicht geboten.
(2)
Der Pflichtverteidiger war am ersten Verhandlungstag noch nicht in der Lage, an der Hauptverhandlung in materieller Hinsicht im Sinne des § 140 Abs. 1 StPO mitzuwirken (vgl. BGHSt 13, 337, 343 f. ; BGH StV 2000, 402, 403). Die hierfür notwendige wirksame Wahrnehmung der Interessen des Angeklagten hätte vorausgesetzt, dass der Verteidiger den Sachverhalt ausreichend gekannt, genügend über das bisherige Verteidigungsverhalten des Angeklagten und dessen Vorstellung, wie er sich weiter zu verteidigen wünscht, informiert gewesen wäre und ein klares Bild von den Möglichkeiten hätte gewinnen können, die für eine sachgemäße Verteidigung relevant gewesen wären (vgl. BGH aaO). Dass dies nicht der Fall war, liegt angesichts der von der Revision vorgetragenen Sachlage auf der Hand.
Die überaus gewichtigen Anklagevorwürfe (u. a. drei Verbrechen mit Mindestfreiheitsstrafen von jeweils fünf Jahren) und die durch teilweise geständige Mitangeklagte gekennzeichnete belastende Beweislage erforderten es, zur Erarbeitung der Verteidigungskonzeption eine Überprüfung der sechs Aktenbände umfassenden Verfahrensakten auf Entlastungsmöglichkeiten vorzunehmen und nach deren Bewertung durch den Verteidiger die erkannten Möglichkeiten mit dem Angeklagten eingehend zu beraten. Dies war dem Verteidiger aus den von ihm dargelegten tatsächlichen Gründen bis zum Beginn der Hauptverhandlung nachvollziehbar noch nicht möglich (vgl. auch BGH NStZ 1983, 281).
Solches hatte das Landgericht in tatsächlicher Hinsicht hinzunehmen. Es war - wie ausgeführt - grundsätzlich nicht dazu berufen, aus seiner Sicht anstelle des Verteidigers entsprechend seiner Auffassung von den Schwierigkeiten der Verteidigungsaufgabe eine angemessene Vorbereitungszeit festzusetzen. Gegen die Bewertung des Landgerichts, die Vorbereitungszeit sei ausreichend gewesen, spricht zudem die den §§ 217, 218 StPO zu entnehmende Erwägung, dass grundsätzlich auch dem Verteidiger die Wohltat der durch die - hier freilich im Blick auf den Zeitpunkt der Bestellung unter Umständen nicht zwingend einzuhaltende - Ladungsfrist bezweckten Möglichkeit, die Verteidigung vorbereiten zu können, zugute kommen soll (vgl. BGHSt 13, 337, 344 ; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 217 Rdn. 1).
Die im Aussetzungsantrag enthaltene Erklärung, zur Führung der Verteidigung noch nicht genügend vorbereitet zu sein, war auch nicht - wie das Landgericht annimmt - verspätet. Aus der Vorschrift des § 145 Abs. 3 StPO ergibt sich nur für den während einer laufenden Hauptverhandlung bestellten neuen Pflichtverteidiger die sofort zu erfüllende Pflicht - nach bloßer pauschaler Prüfung im Interesse der zügigen Weiterführung des Verfahrens - zu erklären, ob die Verteidigung noch genügend vorbereitet werden kann (vgl. BGHSt 13, 337, 339 ; BGH NJW 1973, 1985, 1986 ; Meyer-Goßner aaO § 145 Rdn. 11). Eine Ausweitung dieser Pflicht auf den vor Beginn der Hauptverhandlung bestellten Verteidiger ist rechtlich nicht geboten und würde die Erreichung des Ziels, den Fortgang des Verfahrens zu fördern, sogar erschweren. Der neu bestellte Verteidiger würde sich nämlich nahe liegend zur Sicherheit eher auf fehlende Vorbereitungszeit berufen und die Chance, durch intensive Vorbereitung die Verteidigung doch noch führen zu können, nicht ergreifen.
Aber selbst wenn der Verteidiger hier eine ausreichende Vorbereitungszeit nicht genutzt hätte - was das Landgericht ohne weiteres annimmt, wofür hier allerdings nichts spricht - wäre die Fähigkeit, die Verteidigung zu führen, am ersten Verhandlungstag nicht gegeben gewesen. Nach Auffassung des Landgerichts hätte sich der Verteidiger vielmehr geweigert, sich durch genügende Vorbereitung verteidigungsfähig zu machen, was indes ebenfalls einer Fortführung der Verhandlung entgegen gestanden und allenfalls ein Vorgehen gemäß § 145 Abs. 1 und 4 StPO ermöglicht hätte (vgl. BGH NJW 1958, 1736, 1737 ; Stern in AK-StPO § 145 Rdn. 11).
(3)
Die am ersten Tag der Hauptverhandlung bei eingeschränkter Verteidigungsfähigkeit durchgeführte substantielle Sachverhandlung hat den Anspruch des Angeklagten aus Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK auf konkrete und wirkliche Verteidigung verletzt (vgl. BGHSt 46, 36, 44 m.w.N.; BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 5). Hierin geht der ebenfalls vorliegende Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. b MRK auf (vgl. auch Hammerstein NStZ 2000, 327).
Die grundlegende Bedeutung des Rechts auf eine wirksame Verteidigung als Bestandteil eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens (vgl. BGHSt aaO) führte zu einer Reduzierung des dem Landgericht eingeräumten Ermessens dahingehend, dass die Hauptverhandlung zumindest, wie vom Pflichtverteidiger hilfsweise beantragt, zu unterbrechen gewesen wäre (vgl. BGH NStZ 1983, 281; BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 6).
b)
Die durch den Beschluss des Landgerichts entgegen § 265 Abs. 4 StPO versagte Unterbrechung der Hauptverhandlung mit nachfolgender substantieller Sachverhandlung zum Schuldspruch belegt jedenfalls die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil (vgl. BGHSt 49, 317, 327 f. m.w.N.) und begründet die Verletzung des § 338 Nr. 8 StPO (vgl. BGH NStZ 1983, 281; BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 5 und 6).
4.
Die Sache bedarf demnach neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat weist darauf hin, dass es bei der grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden stehenden Terminierung nicht bloß darum geht, Terminswünsche des Wahlverteidigers zu bedenken, sondern das Recht des Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, in Frage steht. Es muss seitens des Gerichts bei der Planung der Hauptverhandlung wenigstens ernsthaft versucht werden, diesem Recht Geltung zu verschaffen (vgl. BGHR StPO § 137 Satz 1 Beschränkung 2; Brause Kriminalistik 1995, 349, 351). Dies verbietet es in der Regel, Terminsnöte zumal, wie hier, kompromissbereiter Wahlverteidiger ohne weiteres zu übergehen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
LAAAD-25094
1Nachschlagewerk: nein