Artikel 6 Recht auf Ergänzung der Tagesordnung und auf
Einbringung von Beschlussvorlagen
DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT
UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION,
gestützt auf den
Vertrag zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44 und
Artikel 95,
auf Vorschlag der
Kommission,
nach Stellungnahme des
Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
,
gemäß dem Verfahren
des Artikels 251 des Vertrags
,
in Erwägung nachstehender
Gründe:
(1) Die Kommission hat in
ihrer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament vom 21. Mai
2003 mit dem Titel „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und
Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen
Union – Aktionsplan”, die Auffassung vertreten, dass
neue gezielte Initiativen eingeleitet werden sollten, um die Rechte der
Aktionäre in börsennotierten Gesellschaften zu stärken, und dass
die Probleme im Zusammenhang mit der Stimmrechtsausübung im Ausland
dringend gelöst werden sollten.
(2) In seiner
Entschließung vom 21. April 2004
unterstützte das
Europäische Parlament die Kommission in ihrer Absicht, die Rechte der
Aktionäre insbesondere durch erweiterte Transparenzregeln,
Vertretungsrechte bei der Ausübung des Stimmrechts, die Möglichkeit
der Teilnahme an Hauptversammlungen auf elektronischem Wege sowie die
Gewährleistung der grenzüberschreitenden Stimmrechtsausübung zu
stärken.
(3) Die Inhaber von
Aktien, die mit Stimmrechten verbunden sind, sollten diese Rechte ausüben
können, da sie sich in dem Preis niederschlagen, der für den Erwerb
der Aktien zu zahlen ist. Darüber hinaus ist eine wirksame Kontrolle durch
die Aktionäre eine Grundvoraussetzung für eine solide
Unternehmensführung und sollte daher erleichtert und gefördert
werden. Es ist deshalb notwendig, Maßnahmen zu erlassen, mit denen die
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu diesem Zweck angeglichen werden
können. Hindernisse, die die Aktionäre von der Stimmabgabe abhalten,
wie etwa Bestimmungen, die als Voraussetzung für die Ausübung der
Stimmrechte die Sperrung der Aktien während eines bestimmten Zeitraums vor
der Hauptversammlung verlangen, sollten beseitigt werden. Diese Richtlinie
berührt indes nicht die Gemeinschaftsvorschriften über Anteile, die
von Organismen für gemeinsame Anlagen ausgegeben, erworben oder
veräußert werden.
(4) Die geltenden
gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften reichen zur Verwirklichung dieses Ziels
nicht aus. Die Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur
amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser
Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen
behandelt die Informationen,
die die Emittenten dem Markt offen zu legen haben, und geht folglich nicht auf
den Abstimmungsprozess der Aktionäre als solchen ein. Darüber hinaus
schreibt die Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der
Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren
Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind
, den Emittenten verbindlich
vor, bestimmte Informationen und Dokumente, die für Hauptversammlungen von
Bedeutung sind, zur Verfügung zu stellen; allerdings müssen solche
Informationen und Dokumente im Herkunftsmitgliedstaat des Emittenten zur
Verfügung gestellt werden. Daher sollten gewisse Mindestnormen zum Schutz
der Anleger und zur Förderung einer reibungslosen und wirksamen
Ausübung der mit Stimmrechtsaktien verbundenen Rechte der Aktionäre
eingeführt werden. Bei anderen Rechten als dem Stimmrecht steht es den
Mitgliedstaaten frei, die Anwendung dieser Mindestnormen auch auf
stimmrechtslose Aktien auszudehnen, soweit dies nicht bereits der Fall
ist.
(5) Große Pakete von
Aktien börsennotierter Gesellschaften werden von Aktionären gehalten,
die nicht in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem die Gesellschaft
ihren Sitz hat. Gebietsfremde Aktionäre sollten ihre Rechte in der
Hauptversammlung ebenso leicht ausüben können wie Aktionäre, die
in dem Mitgliedstaat wohnen, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Dies macht
es erforderlich, die bestehenden Hindernisse beim Zugang gebietsfremder
Aktionäre zu den für die Hauptversammlung relevanten Informationen
und bei der Ausübung der Stimmrechte ohne persönliche Anwesenheit auf
der Hauptversammlung zu beseitigen. Die Beseitigung dieser Hindernisse sollte
auch den gebietsansässigen Aktionären zugute kommen, die bei der
Hauptversammlung nicht anwesend sind oder sein können.
(6) Die Aktionäre
sollten in der Lage sein, unabhängig vom Ort ihres Wohnsitzes in der
Hauptversammlung selbst oder davor in Kenntnis der Sachlage ihr Stimmrecht
wahrzunehmen. Alle Aktionäre sollten genügend Zeit haben, um die der
Hauptversammlung vorzulegenden Unterlagen zu prüfen und ihr
Abstimmungsverhalten festzulegen. Deshalb sollte die Hauptversammlung
rechtzeitig vorher anberaumt werden, und die Aktionäre sollten die
vollständigen Informationen erhalten, die der Hauptversammlung vorgelegt
werden sollen. Dazu sollten die Möglichkeiten genutzt werden, die die
modernen Technologien für einen unmittelbaren Zugang zu Informationen
bieten. Mit dieser Richtlinie wird vorausgesetzt, dass alle
börsennotierten Gesellschaften bereits über eine Internetseite
verfügen.
(7) Grundsätzlich
sollte es den Aktionären möglich sein, neue Punkte auf die
Tagesordnung der Hauptversammlung setzen zu lassen und Beschlussvorlagen zu
Tagesordnungspunkten einzubringen. Unbeschadet der unterschiedlichen Zeitrahmen
und Modalitäten, die derzeit in der Gemeinschaft verwendet werden, sollte
die Ausübung dieser Rechte zwei grundlegenden Regeln unterliegen: Die
für die Ausübung dieser Rechte erforderliche Mindestbeteiligung am
Aktienkapital der Gesellschaft sollte nicht höher als 5 % sein, und
alle Aktionäre sollten in jedem Fall so rechtzeitig die endgültige
Fassung der Tagesordnung erhalten, dass sie ihre Beiträge und die
Stimmabgabe zu allen Tagesordnungspunkten vorbereiten können.
(8) Jeder Aktionär
sollte grundsätzlich die Möglichkeit haben, Fragen zu Punkten auf der
Tagesordnung der Hauptversammlung zu stellen und Antworten auf diese Fragen zu
erhalten; die Vorschriften darüber, wie und wann Fragen zu stellen und
Antworten zu geben sind, sollten jedoch die Mitgliedstaaten festlegen
können.
(9) Es sollte keine
rechtlichen Hindernisse für Gesellschaften geben, ihren Aktionären
die Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege zu
ermöglichen. Die Ausübung des Stimmrechts ohne persönliche
Anwesenheit auf der Hauptversammlung – ob per Brief oder auf
elektronischem Wege – sollte an keine weiteren Bedingungen als die
Überprüfung der Identität und die Gewährleistung der
Sicherheit der Kommunikation geknüpft sein. Allerdings sollte es den
Mitgliedstaaten unbenommen bleiben, Vorschriften zu erlassen um
sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Abstimmung die Absichten der
Aktionäre unter allen Umständen widerspiegeln, und zwar auch
Vorschriften für den Fall, dass neue Umstände auftreten oder bekannt
werden, nachdem ein Aktionär sein Stimmrecht per Brief oder auf
elektronischem Wege ausgeübt hat.
(10) Eine gute
Unternehmensführung erfordert reibungslose und wirksame Verfahren für
die Stimmrechtsvertretung. Bestehende Beschränkungen und Zwänge, die
eine Stimmrechtsvertretung schwerfällig und kostspielig machen, sollten
daher beseitigt werden. Eine gute Unternehmensführung erfordert aber auch
angemessene Schutzvorkehrungen gegen einen möglichen Missbrauch der
Stimmrechtsvertretung. Der Vertreter sollte daher verpflichtet sein,
Anweisungen, die der Aktionär ihm erteilt hat, zu befolgen, und die
Mitgliedstaaten sollten geeignete Maßnahmen ergreifen können um zu
gewährleisten, dass der Vertreter keine anderen Interessen verfolgt als
die des Aktionärs, unabhängig davon, aus welchen Gründen der
Interessenkonflikt zustande kam. Maßnahmen gegen einen möglichen
Missbrauch können insbesondere in Regelungen bestehen, die die
Mitgliedstaaten annehmen, um die Tätigkeit von Personen zu regeln, die
sich aktiv um die Sammlung von Vertretungen bemühen oder die mehr als eine
bestimmte wesentliche Anzahl von Vertretungen gesammelt haben; solche
Regelungen sollten insbesondere ein angemessenes Maß an
Zuverlässigkeit und Transparenz gewährleisten. Nach dieser Richtlinie
haben Aktionäre ein uneingeschränktes Recht, solche Personen für
die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Stimmabgabe in ihrem Namen zu
bestellen. Allerdings berührt diese Richtlinie nicht Vorschriften oder
Sanktionen, die die Mitgliedstaaten auf solche Personen anwenden, wenn
Abstimmungen unter betrügerischer Verwendung gesammelter Stimmrechte
erfolgen. Ferner verpflichtet diese Richtlinie die Gesellschaften nicht zu
überprüfen, ob Vertreter entsprechend den Anweisungen der
Aktionäre, von denen sie bestellt wurden, abstimmen.
(11) Sind
Finanzintermediäre zwischengeschaltet, so hängt die Wirksamkeit der
weisungsgebundenen Abstimmung weitgehend davon ab, ob die Kette der
Intermediäre funktioniert, da die Investoren meist die mit ihren Aktien
verbundenen Stimmrechte nur dann ausüben können, wenn alle
Intermediäre dieser Kette, auch wenn sie selbst möglicherweise kein
wirtschaftliches Interesse an den Aktien haben, zusammenarbeiten. Damit die
Investoren ihre Stimmrechte grenzüberschreitend ausüben können,
ist es daher wichtig, dass die Intermediäre die Ausübung dieser
Rechte erleichtern. Diesem Aspekt sollte die Kommission zusätzlich
Rechnung tragen, indem sie eine Empfehlung abgibt um sicherzustellen, dass die
Investoren Zugang zu wirksamen Abstimmungsdiensten erhalten und dass die
Stimmrechte ihren Weisungen entsprechend ausgeübt werden.
(12) Obwohl der Zeitpunkt
der Offenlegung von vor der Hauptversammlung per Brief oder auf elektronischem
Wege abgegebenen Stimmen gegenüber dem Verwaltungs-, Leitungs- oder
Aufsichtsorgan oder der Öffentlichkeit eine wichtige Angelegenheit der
Unternehmensführung ist, kann er vom Mitgliedstaat festgelegt
werden.
(13) Die
Abstimmungsergebnisse sollten mit Methoden festgestellt werden, die die von den
Aktionären geäußerten Abstimmungsabsichten widerspiegeln, und
sie sollten nach der Hauptversammlung zumindest auf der Internetseite der
Gesellschaft veröffentlicht werden.
(14) Da das Ziel dieser
Richtlinie, nämlich es den Aktionären zu gestatten, ihre Stimmrechte
in der Gemeinschaft tatsächlich geltend zu machen, auf Ebene der
Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen des
Umfangs und der Wirkungen der Maßnahmen besser auf Gemeinschaftsebene zu
verwirklichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5
des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden.
Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das
zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.
(15) Nach Nummer 34
der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung
sind die Mitgliedstaaten
aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft
eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die
Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu
entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen –