Suchen Barrierefrei

Besitzen Sie diesen Inhalt bereits, melden Sie sich an.
oder schalten Sie Ihr Produkt zur digitalen Nutzung frei.

Dokumentvorschau
RL 2007/36/EG Artikel 12

Kapitel II: Hauptversammlung

Artikel 12 Abstimmung per Brief

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION,

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44 und Artikel 95,

auf Vorschlag der Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses ,

gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags ,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1) Die Kommission hat in ihrer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament vom 21. Mai 2003 mit dem Titel „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan”, die Auffassung vertreten, dass neue gezielte Initiativen eingeleitet werden sollten, um die Rechte der Aktionäre in börsennotierten Gesellschaften zu stärken, und dass die Probleme im Zusammenhang mit der Stimmrechtsausübung im Ausland dringend gelöst werden sollten.

(2) In seiner Entschließung vom 21. April 2004 unterstützte das Europäische Parlament die Kommission in ihrer Absicht, die Rechte der Aktionäre insbesondere durch erweiterte Transparenzregeln, Vertretungsrechte bei der Ausübung des Stimmrechts, die Möglichkeit der Teilnahme an Hauptversammlungen auf elektronischem Wege sowie die Gewährleistung der grenzüberschreitenden Stimmrechtsausübung zu stärken.

(3) Die Inhaber von Aktien, die mit Stimmrechten verbunden sind, sollten diese Rechte ausüben können, da sie sich in dem Preis niederschlagen, der für den Erwerb der Aktien zu zahlen ist. Darüber hinaus ist eine wirksame Kontrolle durch die Aktionäre eine Grundvoraussetzung für eine solide Unternehmensführung und sollte daher erleichtert und gefördert werden. Es ist deshalb notwendig, Maßnahmen zu erlassen, mit denen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu diesem Zweck angeglichen werden können. Hindernisse, die die Aktionäre von der Stimmabgabe abhalten, wie etwa Bestimmungen, die als Voraussetzung für die Ausübung der Stimmrechte die Sperrung der Aktien während eines bestimmten Zeitraums vor der Hauptversammlung verlangen, sollten beseitigt werden. Diese Richtlinie berührt indes nicht die Gemeinschaftsvorschriften über Anteile, die von Organismen für gemeinsame Anlagen ausgegeben, erworben oder veräußert werden.

(4) Die geltenden gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften reichen zur Verwirklichung dieses Ziels nicht aus. Die Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen behandelt die Informationen, die die Emittenten dem Markt offen zu legen haben, und geht folglich nicht auf den Abstimmungsprozess der Aktionäre als solchen ein. Darüber hinaus schreibt die Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind , den Emittenten verbindlich vor, bestimmte Informationen und Dokumente, die für Hauptversammlungen von Bedeutung sind, zur Verfügung zu stellen; allerdings müssen solche Informationen und Dokumente im Herkunftsmitgliedstaat des Emittenten zur Verfügung gestellt werden. Daher sollten gewisse Mindestnormen zum Schutz der Anleger und zur Förderung einer reibungslosen und wirksamen Ausübung der mit Stimmrechtsaktien verbundenen Rechte der Aktionäre eingeführt werden. Bei anderen Rechten als dem Stimmrecht steht es den Mitgliedstaaten frei, die Anwendung dieser Mindestnormen auch auf stimmrechtslose Aktien auszudehnen, soweit dies nicht bereits der Fall ist.

(5) Große Pakete von Aktien börsennotierter Gesellschaften werden von Aktionären gehalten, die nicht in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Gebietsfremde Aktionäre sollten ihre Rechte in der Hauptversammlung ebenso leicht ausüben können wie Aktionäre, die in dem Mitgliedstaat wohnen, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Dies macht es erforderlich, die bestehenden Hindernisse beim Zugang gebietsfremder Aktionäre zu den für die Hauptversammlung relevanten Informationen und bei der Ausübung der Stimmrechte ohne persönliche Anwesenheit auf der Hauptversammlung zu beseitigen. Die Beseitigung dieser Hindernisse sollte auch den gebietsansässigen Aktionären zugute kommen, die bei der Hauptversammlung nicht anwesend sind oder sein können.

(6) Die Aktionäre sollten in der Lage sein, unabhängig vom Ort ihres Wohnsitzes in der Hauptversammlung selbst oder davor in Kenntnis der Sachlage ihr Stimmrecht wahrzunehmen. Alle Aktionäre sollten genügend Zeit haben, um die der Hauptversammlung vorzulegenden Unterlagen zu prüfen und ihr Abstimmungsverhalten festzulegen. Deshalb sollte die Hauptversammlung rechtzeitig vorher anberaumt werden, und die Aktionäre sollten die vollständigen Informationen erhalten, die der Hauptversammlung vorgelegt werden sollen. Dazu sollten die Möglichkeiten genutzt werden, die die modernen Technologien für einen unmittelbaren Zugang zu Informationen bieten. Mit dieser Richtlinie wird vorausgesetzt, dass alle börsennotierten Gesellschaften bereits über eine Internetseite verfügen.

(7) Grundsätzlich sollte es den Aktionären möglich sein, neue Punkte auf die Tagesordnung der Hauptversammlung setzen zu lassen und Beschlussvorlagen zu Tagesordnungspunkten einzubringen. Unbeschadet der unterschiedlichen Zeitrahmen und Modalitäten, die derzeit in der Gemeinschaft verwendet werden, sollte die Ausübung dieser Rechte zwei grundlegenden Regeln unterliegen: Die für die Ausübung dieser Rechte erforderliche Mindestbeteiligung am Aktienkapital der Gesellschaft sollte nicht höher als 5 % sein, und alle Aktionäre sollten in jedem Fall so rechtzeitig die endgültige Fassung der Tagesordnung erhalten, dass sie ihre Beiträge und die Stimmabgabe zu allen Tagesordnungspunkten vorbereiten können.

(8) Jeder Aktionär sollte grundsätzlich die Möglichkeit haben, Fragen zu Punkten auf der Tagesordnung der Hauptversammlung zu stellen und Antworten auf diese Fragen zu erhalten; die Vorschriften darüber, wie und wann Fragen zu stellen und Antworten zu geben sind, sollten jedoch die Mitgliedstaaten festlegen können.

(9) Es sollte keine rechtlichen Hindernisse für Gesellschaften geben, ihren Aktionären die Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege zu ermöglichen. Die Ausübung des Stimmrechts ohne persönliche Anwesenheit auf der Hauptversammlung – ob per Brief oder auf elektronischem Wege – sollte an keine weiteren Bedingungen als die Überprüfung der Identität und die Gewährleistung der Sicherheit der Kommunikation geknüpft sein. Allerdings sollte es den Mitgliedstaaten unbenommen bleiben, Vorschriften zu erlassen um sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Abstimmung die Absichten der Aktionäre unter allen Umständen widerspiegeln, und zwar auch Vorschriften für den Fall, dass neue Umstände auftreten oder bekannt werden, nachdem ein Aktionär sein Stimmrecht per Brief oder auf elektronischem Wege ausgeübt hat.

(10) Eine gute Unternehmensführung erfordert reibungslose und wirksame Verfahren für die Stimmrechtsvertretung. Bestehende Beschränkungen und Zwänge, die eine Stimmrechtsvertretung schwerfällig und kostspielig machen, sollten daher beseitigt werden. Eine gute Unternehmensführung erfordert aber auch angemessene Schutzvorkehrungen gegen einen möglichen Missbrauch der Stimmrechtsvertretung. Der Vertreter sollte daher verpflichtet sein, Anweisungen, die der Aktionär ihm erteilt hat, zu befolgen, und die Mitgliedstaaten sollten geeignete Maßnahmen ergreifen können um zu gewährleisten, dass der Vertreter keine anderen Interessen verfolgt als die des Aktionärs, unabhängig davon, aus welchen Gründen der Interessenkonflikt zustande kam. Maßnahmen gegen einen möglichen Missbrauch können insbesondere in Regelungen bestehen, die die Mitgliedstaaten annehmen, um die Tätigkeit von Personen zu regeln, die sich aktiv um die Sammlung von Vertretungen bemühen oder die mehr als eine bestimmte wesentliche Anzahl von Vertretungen gesammelt haben; solche Regelungen sollten insbesondere ein angemessenes Maß an Zuverlässigkeit und Transparenz gewährleisten. Nach dieser Richtlinie haben Aktionäre ein uneingeschränktes Recht, solche Personen für die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Stimmabgabe in ihrem Namen zu bestellen. Allerdings berührt diese Richtlinie nicht Vorschriften oder Sanktionen, die die Mitgliedstaaten auf solche Personen anwenden, wenn Abstimmungen unter betrügerischer Verwendung gesammelter Stimmrechte erfolgen. Ferner verpflichtet diese Richtlinie die Gesellschaften nicht zu überprüfen, ob Vertreter entsprechend den Anweisungen der Aktionäre, von denen sie bestellt wurden, abstimmen.

(11) Sind Finanzintermediäre zwischengeschaltet, so hängt die Wirksamkeit der weisungsgebundenen Abstimmung weitgehend davon ab, ob die Kette der Intermediäre funktioniert, da die Investoren meist die mit ihren Aktien verbundenen Stimmrechte nur dann ausüben können, wenn alle Intermediäre dieser Kette, auch wenn sie selbst möglicherweise kein wirtschaftliches Interesse an den Aktien haben, zusammenarbeiten. Damit die Investoren ihre Stimmrechte grenzüberschreitend ausüben können, ist es daher wichtig, dass die Intermediäre die Ausübung dieser Rechte erleichtern. Diesem Aspekt sollte die Kommission zusätzlich Rechnung tragen, indem sie eine Empfehlung abgibt um sicherzustellen, dass die Investoren Zugang zu wirksamen Abstimmungsdiensten erhalten und dass die Stimmrechte ihren Weisungen entsprechend ausgeübt werden.

(12) Obwohl der Zeitpunkt der Offenlegung von vor der Hauptversammlung per Brief oder auf elektronischem Wege abgegebenen Stimmen gegenüber dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan oder der Öffentlichkeit eine wichtige Angelegenheit der Unternehmensführung ist, kann er vom Mitgliedstaat festgelegt werden.

(13) Die Abstimmungsergebnisse sollten mit Methoden festgestellt werden, die die von den Aktionären geäußerten Abstimmungsabsichten widerspiegeln, und sie sollten nach der Hauptversammlung zumindest auf der Internetseite der Gesellschaft veröffentlicht werden.

(14) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich es den Aktionären zu gestatten, ihre Stimmrechte in der Gemeinschaft tatsächlich geltend zu machen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahmen besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.

(15) Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen –

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN: