Rüge der Nichtbefolgung eines Beweisantritts; Verfügungsberechtigter i.S. von § 35 AO
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 76 Abs. 1, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, AO § 35
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Mitgesellschafter einer 1996 gegründeten GmbH und zunächst zusammen mit den beiden anderen Gesellschaftern auch Geschäftsführer. Im Dezember 1999 fassten die Gesellschafter einen Auflösungsbeschluss. Als Liquidator wurde der Kläger bestellt. Eine Auflösung der Gesellschaft erfolgte jedoch nicht. Stattdessen übertrugen die Gesellschafter im März 2002 die Anteile an der GmbH auf Frau B, die zur neuen alleinigen Geschäftsführerin bestellt wurde. Im Januar 2003 hoben die bisherigen Gesellschafter den Auflösungsbeschluss auf und übernahmen wieder die Geschäftsführung über die GmbH. Schließlich stellte das Amtsgericht im März 2007 das im August 2004 über das Vermögen der GmbH eröffnete Insolvenzverfahren mangels Masse ein.
Aufgrund erheblicher Umsatzsteuer- und Körperschaftsteuerrückstände nebst steuerlichen Nebenleistungen nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den Kläger nach § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 und § 35 der Abgabenordnung (AO) als Haftungsschuldner in Anspruch. Zur Begründung führte das FA aus, dass der Kläger als faktischer Geschäftsführer für die Monate März 2002 bis Dezember 2003 keine Umsatzsteuervoranmeldungen und für die Jahre 2002 und 2003 auch keine Umsatzsteuerjahreserklärungen sowie für das Jahr 2002 keine Körperschaftsteuerjahreserklärung abgegeben habe. Im Einspruchsverfahren reduzierte das FA geringfügig die Haftungssumme. Die daraufhin erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Im Klageverfahren korrigierte das FA einen Rechenfehler, indem die Haftungssumme im Wege der Berichtigung nach § 129 AO erhöht wurde.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass das FA den Kläger zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen habe. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers habe dieser im Jahr 2003 für drei Monate ausstehende Löhne der Arbeitnehmer vom Geschäftskonto bar abgehoben und an die Arbeitnehmer ausbezahlt. Die Kontovollmacht habe noch über diesen Zeitraum Bestand gehabt. Zudem sei der gegen den Kläger ergangene Strafbefehl zu berücksichtigen, in dem von einer faktischen Geschäftsführung durch den Kläger ausgegangen werde. In der öffentlichen Sitzung vor dem Strafgericht habe der Kläger die Verurteilung akzeptiert und keine substantiierten Einwendungen gegen die Annahme einer faktischen Geschäftsführung erhoben. Unerheblich sei der Hinweis, der Strafbefehl sei lediglich aus Kostengründen hingenommen worden. Einwände seien auch im finanzgerichtlichen Verfahren nicht vorgetragen worden. Soweit der Kläger unter Beweisantritt Tatsachen vorgetragen habe, hätten diese nur die Tätigkeit der Geschäftsführerin, nicht jedoch die eigene Tätigkeit zum Gegenstand gehabt. Selbst wenn Frau B gegenüber Dritten geäußert haben sollte, dass der Kläger nicht über Gelder und Geschäfte des Unternehmens habe verfügen können, ändere dies nichts an der Stellung und dem konkreten Verhalten des Klägers als faktischer Geschäftsführer.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). In der mündlichen Verhandlung habe der Prozessbevollmächtigte auf die bereits schriftsätzlich gestellten Beweisanträge hingewiesen. Durch die Vernehmung der benannten Zeugen hätte sich ergeben, dass die vom FA behauptete faktische Geschäftsführung nicht bestanden habe. Eine Verfügungsmacht über das Vermögen der GmbH habe er, der Kläger, im Haftungszeitraum nicht gehabt. Entgegen der Annahme des FG habe er auch substantiierte Einwendungen gegen die im Strafbefehl getroffenen Feststellungen erhoben. Verfahrensfehlerhaft sei das FG den Beweisanträgen nicht nachgegangen und habe stattdessen sofort ein Urteil gefällt.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Es ist der Ansicht, dass der Kläger sein Rügerecht durch eine unterlassene Rüge in der mündlichen Verhandlung verloren habe. Da das FG keine Zeugen geladen habe, sei es für den Kläger erkennbar gewesen, dass es den Beweisanträgen nicht folgen würde. Trotzdem habe der Kläger dies unbeanstandet gelassen.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor.
1. Wird mit der Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) geltend gemacht, das FG habe zu Unrecht einen Beweisantrag übergangen, so genügt bereits die schlichte Rüge der Nichtbefolgung des Beweisantritts den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO, wenn das FG in der angefochtenen Entscheidung selbst begründet hat, weshalb von der Vernehmung der in der letzten mündlichen Verhandlung benannten Zeugen abgesehen worden ist (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom XI B 58/02, BFH/NV 2003, 787, m.w.N.; vom VII B 267/01, BFH/NV 2003, 63, und vom V B 205/02, BFH/NV 2004, 964, m.w.N.).
2. Nach § 76 Abs. 1 FGO hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und dabei die erforderlichen Beweise zu erheben (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FGO). Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn es auf das Beweismittel für die Entscheidung nicht ankommt oder das Gericht die Richtigkeit der durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsachen zugunsten des betreffenden Beteiligten unterstellt oder das Beweismittel nicht erreichbar oder völlig ungeeignet ist, den Beweis zu erbringen (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2004, 964, und vom XI B 182/02, BFH/NV 2005, 564). Im Streitfall durfte das Gericht von einer Beweiserhebung absehen, weil es auf diese aus seiner Sicht für die Entscheidung nicht ankam, was das FG auch nachvollziehbar begründet hat.
Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung beantragt, Beweis entsprechend den Beweisanträgen zu erheben, wie sie in den Schriftsätzen gestellt worden sind. In der Urteilsbegründung hat das FG zu den Beweisanträgen Stellung genommen und begründet, warum aus seiner Sicht die unter Beweis gestellten Tatsachen, selbst wenn sie als wahr unterstellt werden könnten, nicht geeignet wären, den Kläger von einer Haftung freizustellen. Hierzu führt das FG aus, dass die unter Beweis gestellten Tatsachen lediglich die Tätigkeit der Geschäftsführerin beträfen und dass es dahingestellt bleiben könne, welche Erklärungen die Geschäftsführerin Dritten gegenüber abgegeben habe. Entscheidend komme es auf das konkrete Verhalten des Klägers an, das nicht aus dem Verhalten anderer abgeleitet werden könne.
Aus Sicht des FG ergab sich die Stellung des Klägers als faktischer Geschäftsführer zum einen aus den Feststellungen im Strafbefehl, die das FG sich zu eigen gemacht hat, zum anderen aus dem Umstand, dass der Kläger aufgrund einer zeitlich nicht befristeten Kontovollmacht Geld vom Konto der GmbH abgehoben und damit zumindest für drei Monate ausstehende Löhne an die Arbeitnehmer ausbezahlt hat. Dass das FG bereits auf diese Umstände die Annahme einer im Haftungszeitraum bestehenden faktischen Geschäftsführung stützt, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Als Verfügungsberechtigten hat der BFH u.a. denjenigen angesehen, der tatsächlich Zahlungen geleistet hat (Senatsurteil vom VII R 165/85, BFHE 156, 46, BStBl II 1989, 491) bzw. der über eine Kontovollmacht verfügte (, BFHE 163, 106, BStBl II 1991, 284, und vom VII R 35/85, BFH/NV 1989, 139).
Gegen die Feststellungen des FG, dass der Kläger von ihm selbst abgehobene Gelder an Arbeitnehmer der GmbH ausbezahlt hat, hat der Kläger in der Beschwerdebegründung keine substantiierten Einwände erhoben, sondern lediglich behauptet, während des Haftungszeitraums keine Verfügungsmacht über das Vermögen der GmbH gehabt zu haben. Zugleich räumt er jedoch die Auszahlung von Löhnen in diesem Zeitraum ein, die ohne Verfügungsmacht über die verwendeten Geldmittel der GmbH nicht vorstellbar ist. Mit der Behauptung, die Geschäftsführerin habe ihm nach Rückkehr aus der Kur „von der Kontoverfügung der GmbH ausgeschlossen” macht der Kläger selbst nicht geltend, dass die ihm erteilte Kontovollmacht wieder aufgehoben worden ist; ein entsprechender Beweisantrag ist den Akten nicht zu entnehmen.
3. Mit dem Einwand, das FG habe in der mündlichen Verhandlung selbst Zweifel daran geäußert, ob die Voraussetzungen der faktischen Geschäftsführung nachgewiesen seien, wird schließlich ebenfalls kein Verfahrensfehler dargelegt. Denn aus der Urteilsbegründung wird hinreichend deutlich, woraus das FG schließlich seine Überzeugung von der faktischen Geschäftsführung des Klägers herleitet. Der bloße Hinweis auf nicht im Einzelnen bezeichnete Beweisangebote reicht im Übrigen ohnehin nicht aus, einen Sachaufklärungsmangel zu begründen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1277 Nr. 8
AAAAD-24078