BGH Urteil v. - IX ZR 39/06

Leitsatz

[1] Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist dahin auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig sind, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.

Sind die deutschen Gerichte für eine Insolvenzanfechtungsklage europarechtlich international zuständig, ohne dass nach den allgemeinen deutschen Gerichtsstandsbestimmungen eine örtliche Zuständigkeit begründet wäre, ist das sachlich zuständige Streitgericht für den Sitz des eröffnenden Insolvenzgerichts ausschließlich örtlich zuständig.

Gesetze: EuInsVO Art. 3 Abs. 1; ZPO § 19a; InsO § 3; EGInsO Art. 102 § 1

Instanzenzug: OLG Frankfurt am Main, 15 U 200/05 vom LG Marburg, 2 O 209/04 vom

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der F. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Diese überwies am auf ein Konto der Beklagten bei der Bank in Düsseldorf 50.000 EUR. Die Beklagte ist eine Gesellschaft belgischen Rechts, die ihren Sitz in Belgien hat. Aufgrund des am gestellten Antrags der Schuldnerin wurde das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen durch das Amtsgericht Marburg am eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Er verlangt mit der beim Landgericht Marburg eingereichten Klage Rückzahlung des Betrages unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung.

Das Landgericht hat über die Zulässigkeit der Klage abgesondert verhandelt und sie wegen fehlender internationaler Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Gründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und auf die Berufung des Klägers zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils sowie zur Zurückverweisung an das Landgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat - im Ergebnis übereinstimmend mit dem Landgericht - die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit für unzulässig gehalten. Nach den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12, S. 1; im Folgenden: EuGVVO) sei ein Gerichtsstand im Inland nicht begründet. Die Bestimmung des Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO, wonach die Verordnung auf Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren nicht anwendbar ist, beziehe sich nicht auf die Insolvenzanfechtung. Auf diese sei die Verordnung deshalb anwendbar. Aus ihr ergebe sich aber kein Gerichtsstand in Deutschland. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. EG Nr. L 160, S. 1; im Folgenden: EuInsVO) enthalte keine Regelung der internationalen Zuständigkeit für Annexverfahren im Zusammenhang mit der Insolvenz, wie sie die Insolvenzanfechtung darstelle. Eine analoge Anwendung der Vorschrift komme mangels einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht. Aus den Vorschriften der deutschen Zivilprozessordnung ergebe sich ebenfalls keine Zuständigkeit des Landgerichts Marburg.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1.

Die Entscheidung über die Revision hängt, wie der Senat in seinem Vorlagebeschluss vom (IX ZR 39/06, ZIP 2007, 1415) im Einzelnen ausgeführt hat, von der Frage ab, ob sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ergibt. Auf die Vorlage des Senats hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit Urteil vom (Rs. C-339/07, ZIP 2009, 427) für Recht erkannt:

"Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, zuständig sind."

2.

An dieses Auslegungsergebnis ist der erkennende Senat gebunden. Hieraus ergibt sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, weil das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin von einem deutschen Gericht, nämlich dem Amtsgericht Marburg, eröffnet worden ist. Das angefochtene Berufungsurteil beruht demgegenüber rechtsfehlerhaft auf der entgegengesetzten Annahme, Art. 3 Abs. 1 EuInsVO enthalte keine Regelung der internationalen Zuständigkeit für Klagen aus Insolvenzanfechtung.

3.

Das Landgericht Marburg ist auch sachlich und örtlich zuständig.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs betrifft ausschließlich die internationale Zuständigkeit. Die Festlegung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit ist demgegenüber von den Mitgliedstaaten vorzunehmen. Diese Zuständigkeiten müssen nicht mit derjenigen zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens übereinstimmen ( aaO Rn. 27).

Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Marburg ergibt sich aus § 71 Abs. 1 i.V.m. § 23 Nr. 1 GVG, weil es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit handelt, deren Gegenstand den Wert der Summe von 5.000 EUR übersteigt.

Die örtliche Zuständigkeit folgt aus einer analogen Anwendung von § 19a ZPO i.V.m. § 3 InsO, Art. 102 § 1 EGInsO.

a)

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts und des Landgerichts ergibt sich aus den Vorschriften des deutschen Rechts unmittelbar keine örtliche Zuständigkeit. Rechtsfehlerfrei verneint wurde insbesondere ein Gerichtsstand nach den §§ 13, 17 ZPO, weil die Beklagte ihren Sitz in Belgien hat, und aus § 32 ZPO, weil es sich bei dem Anfechtungsanspruch nicht um einen deliktischen Anspruch handelt (vgl. , ZIP 1990, 246, 247; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 129 Rn. 98).

§ 19a ZPO betrifft lediglich Klagen gegen den Insolvenzverwalter (, ZIP 2003, 1419, 1420; HK-InsO/Kreft aaO).

Denkbar gewesen wäre zwar eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf nach § 23 ZPO, weil die Beklagte dort im März 2002 ein Bankkonto unterhielt, auf das der streitgegenständliche Betrag geflossen ist. Der für diesen Gerichtsstand erforderliche hinreichende Inlandsbezug des Rechtsstreits (vgl. BGHZ 115, 90, 94 ff) wäre gegeben. Es fehlt aber an jeglichem Parteivortrag, ob dieses Konto im Zeitpunkt der Klageerhebung im Juli 2004 noch bestand.

Auch aus Art. 102 § 1 EGInsO ergibt sich kein Gerichtsstand für Anfechtungsklagen, denn diese Vorschrift regelt lediglich die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte, nicht diejenige der Streitgerichte.

b)

Ist nach Europäischem Recht für Anfechtungsklagen die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben, muss auch für den Fall, dass sich aus den bestehenden gesetzlichen Regelungen ein Gerichtsstand nicht ausdrücklich ergibt, ein solcher Gerichtsstand bestimmt werden. Müssten Anfechtungsklagen trotz bestehender internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen werden, würde dies in europarechtswidriger Weise gegen Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO verstoßen, zumal der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil ersichtlich davon ausgeht, dass die hiernach gegebene internationale Zuständigkeit ausschließlicher Natur ist. Denn er führt aus, dass die im zweiten und achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1346/2000 genannten Zwecke der Verbesserung der Effizienz und der Beschleunigung der Insolvenzverfahren einer Bündelung sämtlicher sich unmittelbar aus der Insolvenz eines Unternehmens ergebender Klagen vor dem Gericht des für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständigen Mitgliedstaates entsprechen. Die Möglichkeit, dass verschiedene Gerichte für in unterschiedlichen Mitgliedstaaten erhobene Anfechtungsklagen zuständig wären, würde darauf hinauslaufen, die Verfolgung dieser Ziele zu erschweren. Deshalb müsse verhindert werden, dass es für die Parteien vorteilhaft ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlegen, um auf diese Weise eine verbesserte Rechtsstellung anzustreben (forum shopping; vgl. EuGH aaO Rn. 22-24).

Ist dies für den Vollzug europarechtlicher Bestimmungen erforderlich, muss nationales Recht auch von den Gerichten im Rahmen der ihnen gezogenen Grenzen fortgebildet werden (vgl. für den Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung und Rechtsfortbildung des nationalen Rechts , ZIP 2009, 176, 177 Rn. 19 ff).

Eine Analogie setzt allerdings eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes als Voraussetzung einer "gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung" voraus. Ob eine derartige Lücke vorhanden ist, haben die Gerichte vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht aus zu beurteilen (BGHZ 149, 165, 174 ; vgl. auch , ZIP 2005, 447, 449; Urt. v. , aaO Rn. 22 ff). Eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes kann sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen, die Annahme des Gesetzgebers, die Regelung sei richtlinienkonform, aber falsch ist (vgl. aaO). Für eine in jedem Mitgliedstaat gemäß § 249 Abs. 2 EGV unmittelbar und allgemein geltende Verordnung gilt Entsprechendes, wenn die zur Ausführung der Verordnung erforderlichen Zuständigkeitsregelungen unvollständig sind. Das nationale Recht darf die Anwendbarkeit vorrangigen Europäischen Rechts nicht dadurch unterlaufen, dass es die erforderlichen örtlichen Zuständigkeiten nicht schafft.

Ein Gerichtsstand für Anfechtungsklagen, die unmittelbar aus einem in Deutschland geführten Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang mit diesem stehen, ist in diesem Falle internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte auch erforderlich, um die in Deutschland durchgeführten Insolvenzverfahren effektiv abwickeln zu können. Nur auf diese Weise kann dem verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruch der am Insolvenzverfahren Beteiligten, insbesondere des Verwalters und der Insolvenzund Massegläubiger, Rechnung getragen werden.

c)

In den Fällen, in denen nach Art. 3 Abs. 1 EuInsO eine (ausschließliche) internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Insolvenzanfechtungsklagen besteht, sich aber aus den bestehenden Vorschriften kein Gerichtsstand entnehmen lässt, besteht eine unbeabsichtigte Regelungslücke. Vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom musste nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO vom deutschen Gesetzgeber nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass diese Vorschrift auch in den genannten Fällen, insbesondere der Insolvenzanfechtung, eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründet. Wenn deshalb eine Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit für die Fälle fehlt, in denen sich diese nicht aus den allgemeinen Vorschriften ergibt, kann diese Lücke im Wege der Analogie geschlossen werden. Damit kann dem Zweck der europarechtlichen Bestimmung der internationalen Zuständigkeit die erforderliche Wirksamkeit verliehen werden.

Aus einer analogen Anwendung von § 19a ZPO i.V.m. § 3 InsO, Art. 102 § 1 EGInsO ergibt sich für diese Fälle der Gerichtsstand des sachlich zuständigen Gerichts am Ort des für das Verfahren zuständigen Insolvenzgerichts. Denn beide Bestimmungen bringen übereinstimmend zum Ausdruck, dass hierfür der sich daraus ergebende Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs maßgebend sein soll.

Im Falle des § 19a ZPO soll die Norm der Wahrung des Sachzusammenhangs mit dem Insolvenzverfahren dienen und die Zuständigkeit für massebezogene Passiv-Rechtsstreitigkeiten dem Ort der Durchführung des Insolvenzverfahrens folgen (vgl. RegE BT-Drucks. 12/3803 S. 67; Ausschussbericht BT-Drucks. 12/7303 S. 108 je zu § 19a ZPO; Zöller/Vollkommer, ZPO 27. Aufl. § 19a Rn. 2; Musielak/Heinrich, ZPO 6. Aufl. § 19a Rn. 1). Artikel 102 § 1 Abs. 1 EGInsO liegt der Gedanke zugrunde, dass in Fällen, in denen nach § 3 Abs. 1 EuInsVO die internationale Zuständigkeit der deutschen Insolvenzgerichte, aber keine örtliche Zuständigkeit nach deutschem Recht gegeben ist, das Insolvenzgericht zuständig sein soll, in dessen Bezirk der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Damit wird für den Fall, dass Art. 3 EuInsVO eine internationale Zuständigkeit der deutschen Insolvenzgerichte bestimmt, für diese nach § 3 InsO aber keine örtliche Zuständigkeit besteht, eine ausschließliche Auffangzuständigkeit begründet (vgl. RegE BT-Drucks. 15/16 S. 14 zu Art. 1 § 1; HK-InsO/Stephan, aaO Art. 102 § 1 EGInsO Rn. 4; MünchKomm-Inso/Reinhart, 2. Aufl. Art. 102 § 1 EGInsO Rn. 6).

Da aber in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO über seinen Wortlaut hinaus nicht nur die Zuständigkeit der für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständigen Gerichte geregelt wird, sondern erweiternd auch die internationale Zuständigkeit für Anfechtungsklagen und andere unmittelbar mit dem Insolvenzverfahren zusammenhängende Streitverfahren, kann die vorhandene Zuständigkeits-Auffangregelung bezüglich des Gerichtsstandes in diesem Umfang analog angewandt werden. Da Anfechtungsklagen ein bereits eröffnetes Insolvenzverfahren voraussetzen, ist es demgemäß geboten, dass die sachlich zuständigen Gerichte für den Ort, an dem das zuständige Insolvenzgericht seinen Sitz hat, für Anfechtungsklagen hilfsweise ausschließlich örtlich zuständig sind (im Ergebnis ebenso Keller/Stempfle EWiR 2009, 53, 54; Dahl NZI 2009 Heft 3 S. VII; a.A. Mock, ZInsO 2009, 470, 474, der eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für erforderlich hält).

III.

Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Der für die Anfechtungsklage maßgebliche Sachverhalt ist bisher von den Tatsacheninstanzen nicht festgestellt. Diese haben bislang nur über die Zuständigkeit entschieden. Die Sache ist daher gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1, § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO an das zuständige Landgericht zurückzuverweisen. Dieses wird nunmehr über die Begründetheit der Klage zu entscheiden haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BB 2009 S. 1425 Nr. 27
NJW 2009 S. 2215 Nr. 30
RIW 2009 S. 565 Nr. 8
WM 2009 S. 1294 Nr. 27
CAAAD-24034

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja