BGH Beschluss v. - AnwZ (B) 119/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BRAO § 7; BRAO § 14 Abs. 2; BRAO § 42 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1

Instanzenzug: AGH Nordrhein-Westfalen, 1 AGH 41/08 vom

Gründe

I.

Die am geborene Antragstellerin hat am die zweite juristische Staatsprüfung abgelegt. Unter dem beantragte sie die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die Antragstellerin wohnt in der Gemeinde N. (Kreis V. ); sie beabsichtigt, ihren Wohnsitz beizubehalten und die Kanzlei an ihrem Wohnsitz einzurichten. Seit dem ist die Antragstellerin bei der Stadt K. (Kreis V. ) "als nichtvollbeschäftigte Angestellte (juristische Mitarbeiterin) mit der Hälfte der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten" (derzeit 20 Wochenstunden) beschäftigt. Sie wird nach TVöD 13 bezahlt. Ihre Aufgaben beschreibt sie wie folgt:

die verwaltungsinterne Rechtsberatung (u.a. schriftliche Stellungnahmen, Prüfung vorgelegter Entwürfe von Satzungen, Verträgen und Bescheiden);

die rechtliche Beurteilung zu schwierigen und grundsätzlichen Entscheidungen;

die Prozessvertretung der Stadt K. vor den Gerichten der Zivil-, Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit (Klageschriften und -erwiderungen fertigen, Vertretung in mündlichen Verhandlungen);

die Mitwirkung bei der Gestaltung von schwierigen Verträgen und Abgabe von Willenserklärungen;

die vorprozessuale und außergerichtliche Bearbeitung von Konflikten zwischen Fachämtern;

die Referendar- und Praktikantenausbildung.

In dem auf der Homepage der Stadt K. veröffentlichten Organisationsplan der Stadtverwaltung ist die Antragstellerin außerdem in der Organisationseinheit "Zentrale Dienste", Aufgabenbereich "Submission" aufgeführt. Die Stadt K. hat der von der Antragstellerin beabsichtigten Nebentätigkeit als selbständige Rechtsanwältin mit Schreiben vom "unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs, wenn sich eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen ergibt", unter folgenden Auflagen zugestimmt:

Die Tätigkeit wird nicht während der mit dem Vorgesetzten vereinbarten Arbeitszeit ausgeübt.

Anwaltliche Termine dürfen keinesfalls mit dienstlichen Terminen kollidieren.

Die Übernahme eines Mandats in Verfahren, die gegen die Stadt K. gerichtet sind, ist nicht gestattet.

Die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes, insbesondere die zur Regelung von Ruhepausen wie z.B. der elfstündigen Nachtruhe werden eingehalten.

Dienstliche Leistungen und auch andere dienstliche Interessen werden durch die Ausübung der Nebentätigkeit nicht beeinträchtigt.

In einem weiteren Schreiben vom hat die Stadt K. ihren Standpunkt dahingehend verdeutlicht, dass sie Wert auf vorrangige Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten der Antragstellerin lege, die von der Antragsgegnerin verlangte Freistellungserklärung daher nicht abgeben werde.

Mit Bescheid vom hat die Antragsgegnerin den Zulassungsantrag unter Hinweis auf § 7 Nr. 8 BRAO wegen Fehlens der Freistellungserklärung des Arbeitsgebers abgelehnt. Während des Verfahrens vor dem Anwaltsgerichtshof hat die Antragstellerin ein Schreiben der Stadt K. folgenden Inhalts vorgelegt: "Hiermit bestätige ich Ihnen, dass Sie mir mit Schreiben vom gem. § 3 Abs. 3 TVöD angezeigt haben, dass Sie beabsichtigen, im Wege der Nebentätigkeit eine freiberufliche selbständige Tätigkeit als Rechtsanwältin auszuüben. Ich gehe hierbei davon aus, dass die Tätigkeit außerhalb der mit Ihnen vereinbarten Arbeitszeit stattfindet und somit dienstliche Belange nicht berührt oder beeinträchtigt werden. Meine Schreiben vom und sind damit als gegenstandslos zu betrachten." Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zurückgewiesen worden. Mit ihrer sofortigen Beschwerde will die Antragstellerin weiterhin ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erreichen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 BRAO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 42 Abs. 4 BRAO). Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.

1.

Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist zu versagen, wenn der Bewerber eine Tätigkeit ausübt, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts, inbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann (§ 7 Nr. 8 BRAO). Die Regelung des § 7 Nr. 8 BRAO greift in das Grundrecht der Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) ein, welches auch das Recht umfasst, mehrere Berufe zu wählen und nebeneinander auszuüben (BVerfGE 87, 287, 316 = NJW 1993, 317, 318) . Wird die Freiheit der Berufswahl mit dem Ziel beschränkt, die Verbindung bestimmter beruflicher Tätigkeiten auszuschließen, so ist das nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes und nur zum Schutze eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zulässig. Gegen die Zulassungsschranke des § 7 Nr. 8 BRAO als solche bestehen - ebenso wie gegen die Widerrufsregelung des § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO - von Verfassungs wegen keine Bedenken (BVerfG NJW 1993, 317 ). Beide genannten Vorschriften sollen die Freiheit und Unabhängigkeit des Anwaltsberufs schützen (BT-Drucks. 12/4993, S. 24). Sie dienen dazu, die fachliche Kompetenz und Integrität sowie einen ausreichenden Handlungsspielraum der Rechtsanwälte zu sichern sowie die notwendigen Vertrauensgrundlagen zu schützen, welche die Rechtsanwaltschaft im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege benötigt. Dabei kommt es für die Frage der Vereinbarkeit des Anwaltsberufs mit anderen Tätigkeiten nicht nur auf die Integrität des einzelnen Bewerbers und die Besonderheiten seiner beruflichen Situation an. Zu prüfen ist auch, ob die Ausübung des zweiten Berufs beim rechtsuchenden Publikum begründete Zweifel an der Unabhängigkeit und Kompetenz des Rechtsanwalts erwecken müsste und dadurch das Ansehen der Rechtsanwaltschaft insgesamt in Mitleidenschaft gezogen würde (BVerfG NJW 1993, 317, 319) .

2.

Die Tätigkeit der Antragstellerin als juristische Mitarbeiterin im Rechtsamt der Stadt K. ist mit dem Beruf des Rechtsanwalts unvereinbar und steht daher ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entgegen.

a)

Die anwaltliche Berufsausübung, die durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnet ist, unterliegt unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Rechtsanwalts. Der Schutz der anwaltlichen Berufsausübung vor staatlicher Kontrolle und Bevormundung liegt dabei nicht allein im individuellen Interesse des einzelnen Rechtsanwalts oder des einzelnen Rechtsuchenden, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege. Die Herauslösung des Anwaltsberufs aus beamtenähnlichen Bindungen und seine Anerkennung als ein vom Staat unabhängiger freier Beruf kann als ein wesentliches Element des Bemühens um rechtsstaatliche Begrenzung der staatlichen Macht gesehen werden (BVerfG NJW 2007, 2317, 2318).

b)

Eine Anstellung im öffentlichen Dienst kann folglich wegen der damit verbundenen "Staatsnähe" mit dem Berufsbild der freien Advokatur unvereinbar sein (BVerfG NJW 1993, 317, 320 ; BVerfG NJW 2007, 2317). Ob der Gesichtspunkt der "Staatsnähe" auch im konkreten Fall die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft rechtfertigt oder aber eine unzumutbare Beschränkung der Berufswahlfreiheit des Betroffenen darstellt, hängt von einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ab. Der öffentliche Dienst ist vielgestaltig. Es muss deshalb im Einzelfall geprüft werden, ob die gleichzeitige Ausübung des Anwaltsberufs und eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst die Belange der Rechtspflege gefährden kann (Senat , Beschl. v. - AnwZ (B) 99/06, NJW-RR 2008, 793; v. - AnwZ (B) 23/07, NJW-RR 2008, 1504). Der Senat hat etwa die Tätigkeit als angestellter Leiter des Personal-, des Haupt-, des Ordnungs-, des Standes- und des Bauamts einer Gemeinde (Beschl. v. , aaO), als Geschäftsführer einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (Beschl. v. - AnwZ (B) 50/02, BGH-Report 2003, 1379); als vollzeitbeschäftigter Verwaltungsangestellter im Rechtsreferat eines Ministeriums (Beschl. v. - AnwZ (B) 44/98, NJW-RR 1999, 570) und als mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden im Leitungsbereich einer Universität angestellte Sachbearbeiterin (BGHZ 100, 87 ; vgl. dazu BVerfG NJW 1993, 317, 320) für unvereinbar mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gehalten. Hoheitliches Handeln des Bewerbers im Zweitberuf kann beim rechtsuchenden Publikum Zweifel an der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts wecken. Die Belange der Rechtspflege sind aber auch dann gefährdet, wenn bei den Rechtsuchenden die Vorstellung entstehen kann, ein Rechtsanwalt könne wegen seiner "Staatsnähe" mehr als andere Rechtsanwälte für sie bewirken, oder - umgekehrt - der Gegner eines solchen Rechtsanwalts den Eindruck der Benachteiligung gewinnen kann (BGHZ 100, 87, 92) . Ob derartige Gefahren gegeben sind, muss anhand der konkreten Ausgestaltung des Angestelltenverhältnisses und der ausgeübten Tätigkeit geprüft werden. Dabei ist sowohl der Aufgabenbereich der Anstellungskörperschaft als auch deren Bedeutung im Bereich der beabsichtigten Niederlassung des Bewerbers zu berücksichtigen (Senat, Beschl. v. , aaO).

c)

Die Stadt K. ist eine mittlere kreisangehörige Stadt im Landkreis V. und im Landesentwicklungsplan des Landes N. als Mittelzentrum ausgewiesen. Die Antragstellerin hat keine herausgehobene Stellung in der Stadtverwaltung inne. Als Mitarbeiterin des Rechtsamts kann sie jedoch mit allen rechtlich bedeutsamen Angelegenheiten und Konfliktfällen befasst werden. Sie ist überdies nicht nur behördenintern beratend tätig. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Prozessführung. Sie vertritt also die Stadt K. vor den Gerichten der Zivil-, Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit und wird dabei als Repräsentantin der Stadt K. wahrgenommen. Ob über sie in der örtlichen Presse berichtet wird, wie der Anwaltsgerichtshof angenommen hat, die Antragstellerin jedoch bestreitet, ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang. Jedenfalls die Prozessbeteiligten haben die Antragstellerin als die für Rechtsangelegenheiten zuständige Mitarbeiterin der Stadt K. kennen gelernt. Die Antragstellerin ist immerhin schon seit neun Jahren im Rechtsamt der Stadt K. tätig. Ihre durch ihre langjährige Tätigkeit erworbene Stellung könnte dann, wenn sie zur Anwaltschaft zugelassen würde, den Anschein erwecken, sie hätte größere und weiter gehende Möglichkeiten bei der Wahrnehmung der Interessen ihrer Mandanten als ein Rechtsanwalt, der nicht zugleich im Rechtsamt der Stadt K. tätig ist. Schon der äußere Anschein des Bestehens der Möglichkeit, dass die dienstliche Stellung zur Förderung privater Interessen genutzt werden könnte, reicht aus, um eine Gefährdung der Interessen der Rechtspflege anzunehmen (BGHZ 100, 87, 92 ; vgl. auch Senat, Beschl. v. , aaO; v. , aaO). Das hat der Anwaltsgerichtshof richtig gesehen.

3.

Eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft kommt aber auch deshalb nicht in Betracht, weil die Tätigkeit der Antragstellerin im Rechtsamt der Stadt K. ihr keinen ausreichenden Handlungsspielraum für die anwaltliche Tätigkeit lässt.

a)

Der für eine Anwaltstätigkeit unbedingt erforderliche rechtliche und tatsächliche Handlungsspielraum ist danach zu bestimmen, ob der Rechtsanwalt in der Lage ist, den Anwaltsberuf in einem wenn auch beschränkten, so doch nennenswerten Umfang und jedenfalls mehr als nur gelegentlich auszuüben (Senat, Beschl. v. , aaO; v. - AnwZ (B) 3/02, NJW 2003, 1527). Dieser Grundsatz, der ein Mindestmaß an Unabhängigkeit und Professionalität des Rechtsanwalts sichern soll, ist vom Bundesverfassungsgericht gebilligt und auch für erforderlich gehalten worden, um den reinen "Feierabend-Anwalt" auszuschließen und die Berufsbezeichnung des Rechtsanwalts nicht zu einem bloßen Titel werden zu lassen (BVerfG NJW 1993, 317, 319) .

b)

Die Antragstellerin ist nur mit der Hälfte der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten bei der Stadt K. beschäftigt. Wenn es sich dabei um etwa 20 Wochenstunden handelt, bleibt ihr daneben grundsätzlich ausreichend Zeit für den Anwaltsberuf. Ihr fehlen jedoch die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten, die Erfordernisse beider Berufe eigenverantwortlich zu organisieren und aufeinander abzustimmen. Nähere Angaben dazu, wie sich ihre Arbeitszeit bei der Stadt K. gestaltet, hat die Antragstellerin zwar nicht gemacht. Ihr Arbeitgeber hat jedoch in den eingangs zitierten Schreiben über die Modalitäten einer Nebentätigkeit ausdrücklich auf die mit den Vorgesetzten vereinbarten Arbeitszeiten Bezug genommen und noch im letzten Schreiben erklärt, er gehe davon aus, dass die anwaltliche Tätigkeit außerhalb dieser Zeiten stattfinden werde. Danach kann die Antragstellerin ihre Arbeitszeit nicht frei gestalten; ebenso wenig kann sie ihre Tätigkeit im Rechtsamt eigenmächtig unterbrechen, um Anwaltstätigkeiten nachzugehen. Gegenteiliges hat sie auch in ihrer Beschwerdeschrift nicht behauptet. Im Interesse einer geordneten Rechtspflege und im Interesse des rechtsuchenden Publikums an einer wirksamen Vertretung und Beratung durch einen unabhängigen Rechtsanwalt muss auch der in einem anderen Beruf tätige Anwalt jederzeit - auch während der Dienststunden bei seinem Arbeitgeber - in der Lage sein, Gerichtstermine, eilige Schriftsätze, Telefongespräche und alle sonstigen nicht aufschiebbare Tätigkeiten zu erledigen (Senat, Beschl. v. , aaO). Kollisionen zwischen der anwaltlichen Tätigkeit und der Tätigkeit im Zweitberuf werden sich zwar nie mit letzter Sicherheit ausschließen lassen. Auch der nicht in einem Zweitberuf tätige Rechtsanwalt kann sich überdies anwaltlichen Aufgaben gegenüber sehen, die er nicht zeitgleich erledigen kann; er muss dann der einen Aufgabe Vorrang einräumen und hinsichtlich der anderen um Verschiebung bitten oder für Vertretung sorgen. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht nur um Ausnahmesituationen, in der sich jeder Rechtsanwalt einmal befinden kann. Die Antragstellerin darf vielmehr während ihrer Arbeitszeit keiner anderen Tätigkeit nachgehen. Ihr Hinweis, dass sie gleichwohl "über Handy" erreichbar sei, kann bedeuten, dass sie die Vorgaben ihres Arbeitgebers nicht einzuhalten gedenkt; ihren rechtlichen Handlungsspielraum kann sie damit jedoch nicht erweitern.

Fundstelle(n):
NJW-RR 2009 S. 1359 Nr. 19
FAAAD-23998

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