BGH Beschluss v. - BLw 10/07

Leitsatz

[1] Die Verpachtung landwirtschaftlicher Flächen an schweizerische Landwirte, deren Betriebsstätte in der Schweiz liegt, führt trotz des Vorhandenseins von deutschen Landwirten mit dringendem Aufstockungsbedürfnis zu keiner ungesunden Verteilung der Bodennutzung allein aus dem Grund, dass die Pächter schweizerische Landwirte sind (Aufgabe von Senat, BGHZ 101, 95, 99) .

Gesetze: LPachtVG § 4 Abs. 2

Instanzenzug: OLG Karlsruhe, 13 W 119/06 Lw vom AG Waldshut-Tiengen, 4 Lw 7/05 vom

Gründe

I.

Der Antragsteller ist schweizerischer Landwirt und hat seinen Betriebssitz in der Schweiz. Mit Vertrag vom pachtete er von der Verpächterin in Deutschland gelegenes Ackerland zur Größe von 2,75 ha für einen jährlichen Pachtzins von 686 EUR für fünf Jahre.

Das Landwirtschaftsamt beanstandete den Pachtvertrag und forderte die Beteiligten auf, ihn unverzüglich aufzuheben. Der dagegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem der Antragsteller hilfsweise die Feststellung, dass die Beanstandung des Pachtvertrages eine unzumutbare Härte für die Verpächterin bedeute, und weiter hilfsweise die Herabsetzung des Pachtzinses auf eine angemessene Höhe verlangt hat, ist erfolglos geblieben; das Amtsgericht - Landwirtschaftsgericht - hat den Pachtvertrag aufgehoben. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Oberlandesgericht - Senat für Landwirtschaftssachen - zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will der Antragsteller die Feststellung erreichen, dass der Pachtvertrag nicht zu beanstanden ist.

Der Senat hat mit Beschluss vom das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob nach Art. 15 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (ABl. 2002, L 114, S. 6) nur Selbständigen im Sinne von Art. 12 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens in dem Aufnahmestaat hinsichtlich des Zugangs zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit und deren Ausübung eine Behandlung zu gewähren ist, die nicht weniger günstiger ist als die den eigenen Staatsangehörigen gewährte Behandlung, oder ob dies auch für selbständige Grenzgänger im Sinne von Art. 13 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens gilt.

II.

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts hat das Landwirtschaftsgericht den Pachtvertrag zu Recht mit der Begründung aufgehoben, die Verpachtung bedeute eine ungesunde Verteilung der Bodennutzung. Ein schweizerischer Landwirt mit Betriebssitz in der Schweiz sei bei der Anpachtung von Flächen im deutschen Grenzgebiet nicht wie ein inländischer Landwirt, sondern wie ein Nichtlandwirt zu behandeln. Der in Art. 15 des Anhangs I zu dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits gelte nur für Selbständige, nicht aber für selbständige Grenzgänger. Die von dem Landwirtschaftsgericht durchgeführte Beweisaufnahme habe ein dringendes Bedürfnis mehrerer deutscher Landwirte an der Anpachtung der Fläche ergeben. Die Pachtinteressenten seien zudem bereit, einen angemessenen Pachtzins zu zahlen.

Die Hilfsanträge hat das Beschwerdegericht mit der Begründung zurückgewiesen, dass eine Differenz von 10 EUR/Monat zwischen dem vereinbarten Pachtzins und dem ortsüblichen Pachtzins auch im Hinblick auf die niedrige Rente der Verpächterin von 100 EUR/Monat für sie keine unzumutbare Härte bedeute, und dass die Herabsetzung der vereinbarten Pacht den Versagungsgrund der ungesunden Verteilung der Bodennutzung nicht beseitigen könne.

Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

III.

Die nach § 24 Abs. 1 LwVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht hat zu Unrecht die Aufhebung des Pachtvertrags durch das Landwirtschaftsgericht ( § 8 Abs. 1 Satz 1 LPachtVG) bestätigt. Die Verpachtung bedeutet keine ungesunde Verteilung der Bodennutzung.

1.

Nach § 4 Abs. 2 LPachtVG liegt eine ungesunde Verteilung der Bodennutzung in der Regel vor, wenn die Verpachtung Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur widerspricht. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats (BGHZ 101, 95, 99) der Fall, wenn landwirtschaftliche Grundstücke auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland durch Verpachtung an schweizerische Landwirte, deren Betriebsstätte in der Schweiz liegt, der Nutzung deutscher Vollerwerbslandwirte entzogen werden, die dieses Land dringend zur Schaffung und Erhaltung leistungs- und wettbewerbsfähiger Betriebe benötigen. Das in die schweizerische Agrarstruktur eingebettete Nutzungsinteresse schweizerischer Landwirte muss demgegenüber zurücktreten, so dass im Ergebnis bei der Anwendung von § 4 LPachtVG schweizerische Landwirte mit Betriebssitz in der Schweiz als außerhalb der deutschen Agrarstruktur stehend, mithin wie Nichtlandwirte zu behandeln sind.

2.

Der Senat hält diese Rechtsprechung nicht aufrecht. Ihr steht nämlich die Regelung in Art. 15 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (ABl. 2002, L 114, S. 6), welches am in Kraft getreten ist (BGBl. II S. 1692), entgegen. Danach muss, wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in dem Vorabentscheidungsverfahren entschieden hat, eine Vertragspartei den selbständigen Grenzgängern einer anderen Vertragspartei im Sinne des Art. 13 dieses Anhangs hinsichtlich des Zugangs zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit und deren Ausübung im Aufnahmestaat eine Behandlung gewähren, die nicht weniger günstig ist als die den eigenen Staatsangehörigen gewährte Behandlung ( , DÖV 2009, 210).

3.

Demnach muss der Antragsteller bei der Beurteilung des Pachtvertrags wie ein deutscher Landwirt mit Betriebssitz in Deutschland behandelt werden, denn er ist selbstständiger Grenzgänger.

Nach Art. 13 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens ist selbständiger Grenzgänger ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei, der eine selbständige Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei ausübt und in der Regel täglich oder mindestens einmal in der Woche an seinen Wohnort zurückkehrt. Der Grenzgängereigenschaft steht es nicht entgegen, dass ein schweizerischer Landwirt, der in Deutschland gelegene Pachtflächen von seinem Betriebssitz in der Schweiz aus bewirtschaftetet, diese Flächen gegebenenfalls über mehrere Wochen hinweg nicht aufsucht. Denn das Merkmal der täglichen oder mindestens wöchentlichen Rückkehr an den Wohnort muss schon nach dem Wortlaut der Bestimmung nur "in der Regel" vorliegen; Ausnahmen sind demnach möglich, ohne dass der rechtliche Status des Grenzgängers entfällt. Im Übrigen verlangen auch die tatsächlichen Gegebenheiten ein Absehen von dem Erfordernis des täglichen oder wenigstens wöchentlichen Aufsuchens der Flächen. Denn es gibt Erwerbstätige, bei denen das nicht notwendig ist, weil die Ausübung der selbständigen Tätigkeit in dem fremden Hoheitsgebiet nicht ständig den täglichen oder wöchentlichen Aufenthalt erfordert. Ein Beispiel dafür ist die Bewirtschaftung grenznaher landwirtschaftlicher Flächen vom Nachbarstaat aus.

4.

Somit führt die Verpachtung der landwirtschaftlichen Flächen an den Antragsteller trotz des Vorhandenseins von zwei deutschen Landwirten mit dringendem Aufstockungsbedürfnis zu keiner ungesunden Verteilung der Bodennutzung allein aus dem Grund, dass er schweizerischer Landwirt ist.

IV.

Nach alledem ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Senat kann keine eigene Sachentscheidung treffen, weil bisher noch nicht geprüft worden ist, ob der Pachtvertrag aus anderen Gründen zu beanstanden ist. Damit diese Prüfung nachgeholt werden kann, ist die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
DAAAD-22645

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja