BGH Urteil v. - 3 StR 100/09

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 20; StGB § 21; StGB § 49 Abs. 1; StGB § 212

Instanzenzug: LG Wuppertal, vom

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen der Tötung ihres neugeborenen Kindes des Totschlags für schuldig befunden und gegen sie eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, ist - wie die Revisionsbegründung deutlich macht - ungeachtet des umfassend gestellten Aufhebungsantrags wirksam auf den Strafausspruch beschränkt (BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3).

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

1.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Die zur Tatzeit 22jährige Angeklagte ist kongolesischer Herkunft und, obwohl sie sich in Deutschland gut integriert hat, stark von den traditionellen Vorstellungen Zentralafrikas geprägt. Dies kommt insbesondere im Verhältnis zu ihren Eltern zum Ausdruck, in deren Haushalt sie lebt und deren Entscheidungen sie sich bis heute unterordnet. Als sie im Jahr 2003 nach einer kurzen Beziehung mit einem aus Angola stammenden Mann schwanger geworden war, sah sie sich heftigen Vorwürfen ihrer Eltern ausgesetzt, die sie zunächst des Hauses verwiesen, worunter die Angeklagte sehr litt. Nachdem ihre Rückkehr ins Elternhaus geduldet worden war, versprach sie, dass "so etwas nie wieder vorkommen werde", und empfand tiefe Scham, ihre Eltern derart enttäuscht zu haben. Ende Dezember 2003 wurde ihr Sohn Michael geboren. Auf Grund anhaltender Schuldgefühle zog sich die Angeklagte, obwohl sie ihre Ausbildung fortsetzte und das Fachabitur erlangte, immer mehr zurück, hielt sich zumeist zu Hause auf und kümmerte sich um ihren Sohn, hatte jedoch außerhalb der Familie kaum Kontakte. Im November 2005 bemerkte sie, dass sie auf Grund eines einmaligen sexuellen Kontakts erneut schwanger geworden war. Aus Angst vor ihren Eltern ließ sie, ohne sich jemandem zu offenbaren, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen.

Im Sommer 2006 lernte die Angeklagte den Zeugen M. kennen, von dem sie ein weiteres Mal ungewollt schwanger wurde. Bereits Ende des Jahres 2006 beendete sie von sich aus die Beziehung, weil sie sich von dem Zeugen ausgenutzt fühlte. Als sie im Februar 2007 die Schwangerschaft feststellte, war diese, was ihr klar war, bereits zu weit fortgeschritten, um noch einen Abbruch vornehmen zu können. Auf Grund ihrer introvertierten, von hoher Selbstunsicherheit geprägten Persönlichkeit und aus Angst vor ihren Eltern empfand sie ihre Situation als subjektiv ausweglos, verdrängte die Schwangerschaft sowie die bevorstehende Geburt vollständig und ging, wie gewohnt, ihrer Arbeit nach. Ihre Familie und ihr soziales Umfeld bemerkten ihre sichtbar fortschreitende Schwangerschaft, die sie nicht zu verbergen versuchte, entweder nicht, oder wollten sie nicht bemerken.

An einem Sonntag zwischen Mitte und Ende Mai 2007 setzte während einer vorübergehenden Abwesenheit der übrigen Familienmitglieder für die Angeklagte überraschend der Geburtsvorgang ein. Die Angeklagte legte sich in die Badewanne und brachte ein lebendes Mädchen zur Welt. Aus Angst und Verzweiflung, ihre Eltern könnten sie mit dem Kind vorfinden und sie dann aus der Familie verstoßen, geriet sie in einen starken Erregungszustand, in welchem sie einem spontanen Entschluss folgend, das neugeborene Kind tötete, indem sie diesem zwei bis dreimal Mund und Nase zuhielt bis es sich nicht mehr bewegte. Anschließend verbarg sie die Leiche des Neugeborenen und die Nachgeburt, verpackt in einer Plastiktüte, im Keller des Hauses und beseitigte sodann im Bad die Spuren der Geburt. Zwar wurde sie von heftigen Schuldgefühlen gequält, ging aber bereits am nächsten Tag wieder wie gewohnt ihrer Arbeit nach. Die Leiche des Kindes wurde erst ca. ein halbes Jahr später in stark verwestem Zustand aufgefunden.

2.

Das Landgericht hat eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit im Sinne des § 21 StGB bejaht und die Strafe dem zusätzlich nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des minder schweren Falles des Totschlags (§ 213 2. Alt. StGB) entnommen.

II.

Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Da bereits die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit durchgreifenden Bedenken unterliegt, kommt es auf die Einwendungen, die die Beschwerdeführerin gegen die doppelte Milderung des Strafrahmens des § 212 StGB und die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung erhebt, nicht an.

1.

In Übereinstimmung mit der psychiatrischen Sachverständigen ist die Strafkammer davon ausgegangen, die Angeklagte habe sich bei Begehung der Tat vor dem Hintergrund ihrer selbstunsicheren, leicht beeinflussbaren und mit einem mangelhaften Problemlösungskonzept ausgestatteten Persönlichkeit, ferner mit Blick auf ihre spezielle familiäre Situation, insbesondere ihre tief verwurzelte Angst, von ihren Eltern mit dem Kind entdeckt und sodann verstoßen zu werden, sowie unter Berücksichtigung der stark belastenden Situation der überraschenden und heimlichen Geburt in einem "psychischen Ausnahmezustand" befunden, der "in seiner Schwere dem Eingangsmerkmal einer 'schweren anderen seelischen Abartigkeit' " entsprochen habe. Infolge übermächtig gewordener Gefühle der Angst, Verzweiflung und Ausweglosigkeit sei die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten im Tatzeitpunkt sicher erheblich eingeschränkt gewesen.

2.

Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der "psychische Ausnahmezustand" der Angeklagten einem Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen ist. Die Voraussetzungen erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit sind daher nicht festgestellt, so dass sich die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB als rechtsfehlerhaft erweist.

Das Landgericht hat, der Sachverständigen folgend, zunächst eine psychische Erkrankung der Angeklagten ausgeschlossen. Es ist ferner - ohne dies freilich im Einzelnen zu begründen, jedoch mit Blick auf die hierdurch nicht schwerwiegend beeinträchtigte Lebensführung der Angeklagten im Ergebnis rechtsfehlerfrei (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 274 m. w. N.) - davon ausgegangen, dass die Persönlichkeitsdefizite der Angeklagten lediglich Merkmale einer akzentuierten Persönlichkeit seien, jedoch "keinerlei Krankheitswert" aufwiesen. Auch war der festgestellte Erregungszustand nicht von Dauer, sondern trat nur akut in der konkreten Belastungssituation auf. Damit schieden eine krankhafte seelische Störung und eine schwere andere seelische Abartigkeit infolge einer Persönlichkeitsstörung als Eingangsmerkmale im Sinne des § 20 StGB für die Annahme einer verminderten Steuerungsfähigkeit aus (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 20 Rdn. 39).

Der aus Sicht der Strafkammer für die verminderte Steuerungsfähigkeit ausschlaggebende, auf mehreren Ursachen beruhende psychische Ausnahmezustand, in dem sich die Angeklagte bei Begehung der Tat befunden haben soll, wird im Urteil auch einer anderen Eingangsvoraussetzung des § 20 StGB nicht zugeordnet. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass bei einem in äußerster Erregung handelnden Täter eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung vorliegen kann, wenn der hochgradige affektive Ausnahmezustand eine Intensität erreicht, die in ihrer Auswirkung auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit den krankhaften seelischen Störungen im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichwertig ist, wobei dies vor dem Hintergrund des Verhaltens des Täters vor, während und nach der Tat zu untersuchen und zu beurteilen ist (vgl. BGHR StGB § 21 Bewusstseinsstörung 4). Vom Vorliegen dieses nach den getroffenen Feststellungen einzig in Betracht kommenden Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20, 21 StGB ist das Landgericht nach den insoweit eindeutigen Ausführungen im Urteil indes ausdrücklich nicht ausgegangen. Vielmehr hat es in Übereinstimmung mit der Sachverständigen dargelegt, im Tatzeitraum hätten bei der Angeklagten keine Hinweise auf eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung, etwa im Sinne eines Affekts, bestanden, da die Angeklagte die Geschehnisse wahrgenommen und detailliert erinnert habe.

Zwar kann im Einzelfall offen bleiben, welchem der sich teilweise überschneidenden Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB ein die Schuldfähigkeit beeinträchtigender psychischer Zustand zuzurechnen ist, wenn jedenfalls feststeht, dass er einem der Merkmale unterfällt und deswegen die Schuldfähigkeit aufgehoben oder erheblich vermindert ist. Dies kann den Urteilsfeststellungen indes nicht entnommen werden. Das Landgericht hat vielmehr gerade offen gelassen, ob überhaupt ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB vorliegt.

3.

Bei der erneuten Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB wird zu beachten sein, dass bei Kindstötungen im Sinne des § 217 StGB aF eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht kommen wird, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine schon unabhängig hiervon bestehenden geistigseelischen Beeinträchtigungen festzustellen sind (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Kindstötung 1; BGH NStZ-RR 2008, 308). Die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, kann in einem solchen Fall jedoch bei der Anwendung des § 213 StGB Berücksichtigung finden (BGH NStZ-RR 2004, 80).

Es wird sich empfehlen, für die neue Hauptverhandlung einen anderen Sachverständigen hinzuzuziehen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
YAAAD-22275

1Nachschlagewerk: nein