Leitsatz
[1] Für Streitigkeiten über die Vereinbarkeit einer nach § 140c SGB V zwischen den Krankenkassen und ihren Vertragspartnern im Rahmen der integrierten Versorgung vereinbarten Vergütung mit berufsrechtlichen Vorschriften der Ärzte ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
Gesetze: GVG § 17 Abs. 4; SGG § 51 Abs. 1; SGG § 51 Abs. 2; SGB V § 140c
Instanzenzug: OLG München, 29 W 1081/08 vom LG München I, 11 HKO 3048/08 vom
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die für Zahnärzte Zahlungen mit den Krankenkassen abrechnet.
Die Antragsgegnerin, eine GmbH, bietet in Zusammenarbeit mit gesetzlichen Krankenkassen, ärztlichen Berufsverbänden, Krankenhäusern und Ärzten eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende und eine interdisziplinärfachübergreifende Versorgung der Versicherten an. Sie koordiniert die beteiligten Leistungserbringer und erstellt Abrechnungen.
Die Antragsgegnerin hat mit der AOK B. und dem Landesverband B. im Bundesverband der Frauenärzte eine Rahmenvereinbarung geschlossen. Nach dieser Vereinbarung gehört es zu den Aufgaben des Partnerarztes, ein ärztliches Gespräch über die erhöhten Risiken im Zusammenhang mit Parodontalerkrankungen während der Schwangerschaft durchzuführen und die Schwangere an einen Partnerzahnarzt zu überweisen. Für seine Leistungen erhält der Partnerarzt von der AOK vereinbarungsgemäß eine zusätzliche Vergütung von 10 EUR, wenn die Schwangere im Rahmen der integrierten Versorgung von einem Partnerzahnarzt behandelt wird.
Die Antragstellerin hat die Vereinbarung wegen Verstoßes gegen § 31 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns vom (im Weiteren: BOÄ) als wettbewerbswidrig beanstandet. Sie hat die Antragstellerin im Verfügungsverfahren auf Unterlassung in Anspruch genommen, einen Vertrag anzubieten, abzuschließen oder zu bewerben, der vorsieht, dass ein Arzt einen Geldbetrag als Gegenleistung dafür erhält, dass er einen Patienten an einen Zahnarzt überweist.
Das Landgericht hat den beschrittenen Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Sozialgericht München verwiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen (OLG München MD 2008, 715).
Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin. Die Antragsgegnerin beantragt,
die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG auch im Verfügungsverfahren zulässig ( , GRUR 2003, 549 - Arzneimittelversandhandel; Beschl. v. - I ZB 28/06, GRUR 2007, 535 Tz. 5 = WRP 2007, 641 - Gesamtzufriedenheit).
In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg.
1.
Das Beschwerdegericht hat angenommen, nach § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG sei der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet, und hat hierzu ausgeführt:
Für die Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten komme es darauf an, ob die besonderen Vorschriften des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung streitentscheidend sein könnten, weil in diesem Bereich die besondere Sachkompetenz der Sozialgerichte zum Tragen komme. Dagegen sei es nicht entscheidend, ob die Anspruchsgrundlagen für den Verbotsausspruch selbst im Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs angesiedelt seien. Angegriffen werde eine Regelung in einem Rahmenvertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140a ff. SGB V. Derartige Verträge sollten eine bevölkerungsbezogene Flächendeckung der Versorgung ermöglichen. Sie dienten unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen obliegenden Aufgaben. Die vereinbarte Vergütungspauschale ziele auf eine Verbesserung der Versorgung der Versicherten ab und stehe in engem Zusammenhang mit dem Versorgungsauftrag der Krankenkassen.
2.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Für das Begehren der Antragstellerin ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
a)
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Für die Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten ist deshalb entscheidend, ob es sich um eine Streitigkeit in einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung handelt. Nicht von Bedeutung ist nach der Bestimmung des § 51 SGG, ob die Streitigkeit öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist ( , GRUR 2004, 444, 445 = WRP 2004, 619 - Arzneimittelsubstitution; Beschl. v. - I ZB 8/07, GRUR 2008, 447 Tz. 13 = WRP 2008, 675 - Treuebonus).
Von einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung ist auszugehen, wenn der Gegenstand des Streits Maßnahmen betrifft, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlichrechtlichen Aufgaben dienen. Wird der wettbewerbsrechtliche Anspruch dagegen nicht auf einen Verstoß gegen Vorschriften des SGB V, sondern ausschließlich auf wettbewerbsrechtliche Normen gestützt, deren Beachtung auch jedem privaten Mitbewerber obliegt, handelt es sich nicht um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung i.S. von § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG (BGH GRUR 2007, 535 Tz. 13 - Gesamtzufriedenheit; GRUR 2008, 447 Tz. 14 - Treuebonus; Münch-Komm.UWG/Schaffert, § 4 Nr. 11 Rdn. 26).
b)
Zu Recht ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass durch den Gegenstand des Streits Maßnahmen betroffen sind, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlichrechtlichen Aufgaben dienen.
Die Krankenkassen stellen den Versicherten die in den §§ 11 bis 68 SGB V genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung ( § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Nach näherer Maßgabe des § 140a SGB V können die Krankenkassen Verträge über eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten oder eine interdisziplinärfachübergreifende Versorgung mit den in § 140b Abs. 1 SGB V genannten Vertragspartnern abschließen. Die Vertragspartner der Krankenkassen müssen die Erfüllung der Leistungsansprüche der Versicherten nach der Regelung des § 140b Abs. 3 Satz 2 SGB V gewährleisten. Die Verträge zur integrierten Versorgung legen gemäß § 140c Abs. 1 Satz 1 SGB V die Vergütung fest. Aus der Vergütung für die integrierten Versorgungsformen sind sämtliche Leistungen zu vergüten, die von teilnehmenden Versicherten im Rahmen des vertraglichen Leistungsauftrags in Anspruch genommen werden ( § 140c Abs. 1 Satz 2 SGB V).
Der Vertrag zwischen der Antragsgegnerin, der AOK B. und dem Landesverband B. im Bundesverband der Frauenärzte ist ein Vertrag über die integrierte Versorgung i.S. der §§ 140a bis 140d SGB V. Die in Rede stehende Vergütungspauschale unterfällt der Bestimmung über die Vergütung nach § 140c SGB V. Sie steht, wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat, in engem Zusammenhang mit der integrierten Versorgung nach §§ 140a bis 140d SGB V, die die Krankenkasse durch Gewährung von Anreizen an Ärzte ersichtlich fördern will. Die Frage, welche Vergütung für welche Leistungen einem Arzt insoweit gewährt wird, ist typischerweise Gegenstand der Regelung der integrierten Versorgung. Der Abschluss des Vertrags und die Vergütungsregelung dienen mithin unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlichrechtlichen Aufgaben. Die Streitigkeit betrifft daher eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung i.S. von § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG.
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kommt es für die Beurteilung der Rechtswegfrage nicht darauf an, ob die fragliche Vergütungspauschale gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 31 BOÄ verstößt. Nach dieser Bestimmung der BOÄ ist es Ärzten nicht gestattet, für die Zuweisung von Patienten ein Entgelt oder andere Vorteile sich versprechen oder gewähren zu lassen. Der von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Verstoß gegen § 31 BOÄ - sein Vorliegen unterstellt - ändert nichts daran, dass die fragliche Vergütungsregelung in direktem Zusammenhang mit der integrierten Versorgung nach §§ 140a bis 140d SGB V steht und die Streitigkeit sich deshalb nicht ausschließlich nach wettbewerbsrechtlichen Normen beurteilt (hier §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 31 BOÄ), deren Beachtung jedem privaten Mitbewerber obliegt. Auch soweit es um einen möglichen Konflikt zwischen Bestimmungen des SGB V oder zu ihrer Umsetzung getroffener Vereinbarungen mit berufsrechtlichen Regelungen der Ärzte geht, sind die Sozialgerichte zur Entscheidung berufen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstelle(n):
OAAAD-22034
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja