BGH Beschluss v. - IV ZB 22/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 85 Abs. 2

Instanzenzug: LG Berlin, 7 S 4/08 vom AG Berlin-Charlottenburg, 221 C 39/06 vom

Gründe

I.

Die Klägerin erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Sie hat gegen das ihr am zugestellte klageabweisende Urteil des Amtsgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt, diese aber nicht innerhalb der am Montag, dem , abgelaufenen Frist begründet. Die Berufungsbegründung ist bei dem Landgericht erst am eingegangen. Mit einem weiteren an diesem Tag eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin beantragt, ihr wegen der Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Klägerin vorgetragen und glaubhaft gemacht: Nach Eingang des angefochtenen Urteils habe ihr Prozessbevollmächtigter ein Schreiben an sie diktiert, wonach sie aufgefordert worden sei, ihm bis zum mitzuteilen, ob Berufung eingelegt werden solle. In dem Banddiktat habe ihr Prozessbevollmächtigter als einzutragende Vorfrist den und vorsorglich eine Frist zur Vorlage wegen der Berufungsbegründung zum angegeben. Beide Fristen habe ihr Prozessbevollmächtigter außerdem handschriftlich auf dem Aktenvorblatt vermerkt. Die auf diese Weise festgelegten Fristen hätten entsprechend der allgemeinen schriftlichen Büroanweisung in den gesondert geführten Fristenkalender eingetragen werden sollen. Die langjährig in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten tätige und stets zuverlässig arbeitende Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellte C. habe die Eintragung der Fristen der am Ende des ersten Lehrjahres befindlichen Rechtsanwalts- und Notariatsauszubildenden H. übertragen. Diese habe an ihrem Schreibtisch direkt gegenüber von Frau C. unter deren Aufsicht die Eintragungen in den Fristenkalender vorgenommen. Die Auszubildende habe die auf den verfügte Vorfrist ordnungsgemäß in den Kalender eingetragen, die auf den bestimmte Frist jedoch versehentlich nicht.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin treffe ein Organisationsverschulden, weil die Notierung und Überwachung der Fristen auf eine Auszubildende übertragen worden sei, die unzureichend kontrolliert worden sei. Selbst wenn wegen eines Personalmangels die Eintragung der Fristen ausnahmsweise auf die Auszubildende habe übertragen werden dürfen, hätte durch eine wirksame Kontrolle sichergestellt werden müssen, dass alle von der Auszubildenden einzutragenden Fristen sorgfältig und vollständig in den Kalender übertragen wurden. Eine solche Kontrolle sei nicht dadurch gewährleistet gewesen, dass eine voll ausgebildete, langjährig tätige Angestellte ihren Arbeitsplatz gegenüber dem der Auszubildenden gehabt habe.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V. mit §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht wegen Verletzung von Verfahrensgrundrechten zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO erforderlich.

1.

Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 ; - NJW-RR 2008, 1160 Tz. 7; BVerfG NJW-RR 2002, 1004; NJW 2004, 2583, 2584 , jeweils m.w.N.). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste ( - FamRZ 2007, 1879, 1880 Tz. 11; BVerfG aaO, jeweils m.w.N.).

2.

Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die anwaltliche Organisationspflicht in Bezug auf fristgebundene Schriftsätze nicht überspannt und zutreffend ein der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten angenommen.

a)

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Rechtsanwalt regelmäßig sein voll ausgebildetes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal mit der Notierung und Überwachung von Fristen betrauen (BGH, Beschlüsse vom aaO Tz. 12; vom - XII ZB 109/04 - NJW 2007, 3497 Tz. 15; vom - VIII ZB 115/02 - NJW 2003, 1815 unter II 3 a; vom - VI ZB 7/01 - NJW-RR 2001, 1072 unter II; vom - XII ZB 55/92 - NJW 1992, 3176 unter II 2, jeweils m.w.N.). Er hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden; unverzichtbar sind insoweit eindeutige Anweisungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die mindestens stichprobenartige Kontrolle des Personals ( aaO m.w.N.). Die Fristeintragung und -überwachung darf grundsätzlich nicht auf noch auszubildende Kräfte, denen die notwendige Erfahrung fehlt, übertragen werden (BGH, Beschlüsse vom aaO; vom - XII ZB 53/00 - FuR 2001, 273 unter 2 b m.w.N.; vom aaO m.w.N.). Ob im Einzelfall bei Personalmangel eine Ausnahme von diesem Grundsatz zugelassen werden kann, braucht hier nicht entschieden zu werden. In einem solchen Fall muss jedenfalls eine umso wirksamere Kontrolle durch den Rechtsanwalt selbst oder durch ausgebildete und erfahrene Angestellte gewährleistet sein, durch die sichergestellt wird, dass alle von dem Auszubildenden eingetragenen Fristen anhand der Akten auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Sowohl Stichproben als auch bloße Kontrolleinsichtnahmen in den Fristenkalender reichen nicht aus, um die notwendige Überprüfung der von einem Auszubildenden vorgenommenen Fristeintragungen zu gewährleisten. Vielmehr ist ein Vergleich der Eintragungen im Fristenkalender mit den jeweiligen Akten erforderlich (BGH, Beschlüsse vom aaO Tz. 16; vom aaO m.w.N.).

b)

Diesem Erfordernis genügt der glaubhaft gemachte Organisationsablauf in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass die Fachangestellte C. wegen Personalmangels oder aus einem vergleichbar triftigen Grund die Eintragung der Fristen der Auszubildenden H. überließ. Des Weiteren hat die Klägerin weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass jede von der Auszubildenden vorgenommene Fristeintragung unmittelbar im Anschluss anhand der Akten auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit kontrolliert wurde. Dies ergibt sich nicht aus der Darstellung der räumlichen Büroorganisation, wonach die Auszubildende direkt gegenüber von Frau C. "unter deren Aufsicht" die Eintragungen in den Fristenkalender vorgenommen haben soll. Wie diese Aufsicht beschaffen gewesen sein soll, hat die Klägerin nicht dargetan. Auch die weitere Angabe, die Auszubildende habe "quasi unter den Augen" der Fachangestellten Frau C. die Fristen notiert, lässt nicht darauf schließen, dass die Fachangestellte C. tatsächlich jede einzelne von der Auszubildenden H. vorgenommene Eintragung im Fristenkalender überprüfte.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
GAAAD-21043

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein