BGH Urteil v. - 2 StR 571/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 24 Abs. 1; StGB § 52; StGB § 53

Instanzenzug: LG Hanau, vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der beiden Nebenkläger und des Angeklagten. Die Nebenklägerin E. verfolgt mit ihrer Sachrüge die Verurteilung des Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts (auch) zu ihrem Nachteil. Der Nebenkläger S. erstrebt die Verurteilung wegen versuchten Mordes zu seinem Nachteil. Der Angeklagte greift seine Verurteilung mit der Sachrüge an und erhebt eine nicht ausgeführte Verfahrensrüge. Sämtliche Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Die Nebenklägerin E. trennte sich im November 2007 von dem Angeklagten, ihrem bisherigen Lebensgefährten. Dieser reagierte hierauf zunächst mit einer Vielzahl von unerbetenen Kontaktversuchen, bei denen er E. einerseits seiner Liebe versicherte, sie andererseits aber auch beschimpfte. Er entwickelte ihr gegenüber ein starkes Rachebedürfnis, weil er - unzutreffend - unterstellte, sie habe ihn vor der Trennung mit dem Nebenkläger S. betrogen. Nachdem er sich im Internet über Möglichkeiten informiert hatte, Personen zu belästigen oder zu schädigen, nahm er in den ersten Monaten des Jahres 2008 mehrmals Beschädigungen und Farbschmierereien am Grundbesitz und am Auto der Frau E. sowie an dem PKW des Herrn S. vor. E. lebte in Angst vor dem Angeklagten, der sie einmal an ihrer Haustür attackiert hatte, so dass ihr Sohn ihr hatte zu Hilfe kommen müssen, und der ihr angekündigt hatte, wenn er sie nicht haben könne, werde auch kein anderer Mann sie haben. Sie wagte sich schließlich kaum noch allein aus dem Haus. Vom 26. bis zum übernachtete deshalb S. bei ihr, weil ihr Sohn in dieser Zeit nicht zu Hause war.

In der Nacht vom 27. auf den 28. März fuhr der Angeklagte nach seiner Arbeit in einer Spielothek zum Wohnhaus der Frau E. . In seiner Jackentasche führte er eine mit sieben Schuss Munition geladene Pistole mit sich. Der Angeklagte, dem bekannt war, dass S. bei Frau E. übernachtete und wegen seines Frühdienstes das Haus gegen 3.30 Uhr verlassen würde, traf kurz zuvor dort ein. Er beschmierte den Griff des Garagentors mit schwarzer Farbe und versteckte sich in unmittelbarer Nähe der Garage. S. und E. verließen wenig später das Haus. Sie bemerkten die Farbanhaftung am Garagentor und holten einen Lappen, um die Farbe zu entfernen. Als sie mit einem Stoffbeutel zurückkehrten, trat der Angeklagte unvermittelt mit der Pistole in der Hand aus seinem Versteck. Mit den Worten "Jetzt ist Schluss mit lustig" gab er mit bedingtem Tötungsvorsatz drei Schüsse in Richtung der beiden Geschädigten ab. Eines der Geschosse durchschlug E. linken Oberarm. S. , der den Treffer nicht bemerkt hatte und glaubte, es handele sich um eine Schreckschusspistole, trat dem Angeklagten entgegen, der ihm sofort mit der Faust in das Gesicht schlug. In dem folgenden Handgemenge schlug der Angeklagte S. mehrmals mit der Waffe auf den Kopf, wodurch dieser auf die Knie fiel. Der Angeklagte trat von hinten an S. heran, legte ihm eine Hand auf die Schulter, brachte mit der anderen die Waffe unmittelbar vor der linken Wange des Geschädigten in Anschlag und gab in Tötungsabsicht einen gezielten Schuss auf dessen Kopf ab, der den Kiefer und die Zunge durchschlug und auf der anderen Kopfseite wieder austrat. Dann wandte er sich ab und entfernte sich etwa drei Meter weit, während S. trotz seiner Verletzung mit Hilfe von Frau E. wieder aufstehen konnte. Nach einem kurzen Wortwechsel schoss der Angeklagte S. wiederum in Tötungsabsicht gezielt in den Bauch. Die Pistole war nun leer geschossen, weil zuvor zwei der sieben Patronen aus dem Magazin auf die Straße gefallen waren, als der Schlitten - entweder aus waffentechnischer Unkenntnis des Angeklagten oder im Kampfgetümmel - zum wiederholten Male nach hinten gezogen worden war. Als der Angeklagte nach unten schaute und an der Waffe hantierte, setzte S. , der durch Zufall nicht an inneren Organen verletzt worden war, zu dem Versuch an, sie diesem abzunehmen. Der Angeklagte floh daraufhin zu seinem Pkw und fuhr davon.

S. erlitt neben der Verletzung im Bauchbereich u.a. eine Fraktur zweier Zähne, deren provisorische operative Versorgung zum Verlust sechs weiterer Zähne führte, und einen Jochbeinbruch. Die stationäre Behandlung seiner Verletzungen nahm 13 Tage in Anspruch. Die Versorgung des Oberarmdurchschusses bei E. erforderte einen eintägigen stationären Aufenthalt. Beide Geschädigte sind durch die Tat traumatisiert und befinden sich in psychotherapeutischer bzw. psychologischer Behandlung.

II.

1.

Die Revisionen der Nebenkläger

a)

Das Landgericht hat einen Rücktritt des Angeklagten vom Tötungsversuch zum Nachteil der Nebenklägerin E. angenommen. Der Angeklagte habe nämlich im Verlauf der Auseinandersetzung ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, noch einmal auf Frau E. zu schießen, seine Aggression habe sich aber ausschließlich gegen S. gerichtet. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand und führt zur Aufhebung des Schuldspruchs auf die Revision der Nebenklägerin.

Ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch liegt vor, wenn der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB). Das Aufgeben der Tat setzt den Entschluss voraus, auf deren Durchführung im Ganzen und endgültig zu verzichten (BGHSt 7, 296, 297 ; 35, 184, 187) . Nicht aufgegeben ist die Tat dagegen, so lange der Täter mit dem Versuch ihrer Begehung lediglich vorübergehend innehält (Eser in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 24 Rn. 38).

Das Landgericht hat allein auf die theoretische Möglichkeit abgestellt, im Laufe des Geschehens bis zum Verschießen der letzten Patrone noch einen weiteren Schuss auf E. abzugeben, ohne genau darzulegen, ob und wann der Angeklagte den Entschluss zum endgültigen Verzicht auf die Durchführung der Tat getroffen hat. So fehlen vor allem Feststellungen zur inneren Tatseite bzw. zum sogenannten Rücktrittshorizont im Zeitpunkt nach der Abgabe der ersten drei Schüsse, nach der Abgabe des Kopfschusses und nach der Abgabe des Bauchschusses auf S. . Zudem hat das Landgericht eine Auseinandersetzung mit der nahe liegenden Möglichkeit versäumt, dass der Angeklagte zunächst nach Abgabe der ersten drei Schüsse angesichts der körperlichen Gegenwehr des S. mit der Tötung E. gezwungenermaßen lediglich vorübergehend innehielt, um zunächst S. zu töten. Auch blieb unberücksichtigt, dass er nach dem Bauchschuss auf S. vergeblich an der Waffe hantierte, um diese wieder schussbereit zu machen, was gegen die Aufgabe seines ursprünglichen Tatplans spricht, beide Opfer zu töten. Schließlich werden die im Vorfeld der Tat getätigten Äußerungen des Angeklagten, wenn er die Nebenklägerin nicht haben könne, werde auch kein anderer Mann sie haben, vom neuen Tatrichter in Betracht zu ziehen sein.

b)

Das Landgericht hat ein heimtückisches Handeln zum Nachteil des S. verneint, weil es im Hinblick auf das vorausgegangene Verhalten des Angeklagten und den erkennbar mit schwarzer Farbe beschmierten Garagengriff in der unmittelbaren Tatsituation an der Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers gefehlt habe. Auch dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand und führt zur Aufhebung des Schuldspruchs auch auf die Revision des Nebenklägers.

aa)

Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Argund Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 32, 382, 383 ff. ; 39, 353, 368 ; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2; NStZ-RR 2005, 309). Maßgebend für die Beurteilung ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (BGHSt 32, 382, 384 ; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13; NStZ-RR 2001, 14). Zwar kann die Arglosigkeit beseitigt sein, wenn der Tat eine offene Auseinandersetzung mit von vorneherein feindseligem Verhalten des Täters vorausgeht, das Opfer also akuten Anlass hat, mit einem tätlichen Angriff zu rechnen. Eine auf längere Zeit zurückliegenden Aggressionen und einer feindseligen Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers vermag dessen Arglosigkeit dagegen nicht zu beseitigen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21; BGH NStZ-RR 2001, 14; 2004, 14, 15 f. ). Es kommt vielmehr allein darauf an, ob das Opfer im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet (BGHSt 39, 353, 368 ; NStZ-RR 2004, 14, 15 f.) .

Nach den Feststellungen waren E. und S. zum maßgeblichen Zeitpunkt in der konkreten Situation arglos. Zwar lebte E. in latenter Angst vor dem Angeklagten, weil sie in der Vergangenheit seinen Aggressionen, darunter auch einem tätlichen Angriff an ihrer Türe, ausgesetzt gewesen war. Dies war auch der Grund, weshalb S. in der Tatnacht bei ihr übernachtet hatte. Dass beide Nebenkläger, nachdem sie die schwarze Farbe an dem Garagentor bemerkt hatten, keinen Anlass zur Flucht oder anderen Sicherungsmaßnahmen sahen, sondern Reinigungsmaterial holten und ohne weitere Vorsichtsmaßregeln zur Garage zurückkehrten, belegt aber, dass sie mit einer fortwährenden Anwesenheit des Angeklagten in der Nähe und damit mit der Möglichkeit eines tätlichen Angriffs zu diesem Zeitpunkt nicht rechneten.

bb)

Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers genügt es, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 25, 26; NStZ 2005, 688, 689) . Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte die Arglosigkeit der beiden Geschädigten in ihrer Bedeutung für die Tatausführung nicht erkannt und genutzt haben sollte, zeigen die landgerichtlichen Feststellungen nicht auf. Im Gegenteil spricht das Vorgehen des Angeklagten, nach dem Anbringen der Farbe an dem Torgriff seinen Opfern aufzulauern, gerade für ein bewusstes Ausnutzen deren Arg- und daraus resultierend deren Wehrlosigkeit.

cc)

Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe hat die Strafkammer mit der an sich tragfähigen Begründung verneint, zu Gunsten des Angeklagten könne angenommen werden, dass seine Eifersuchts- und Rachegefühle gegenüber seiner Trauer über die Trennung von seiner Lebensgefährtin nicht vorherrschend gewesen seien. Diese Abwägung begegnet - auch unter Berücksichtigung des dem Tatrichter bei seiner Würdigung zustehenden Beurteilungsspielraums (vgl. BGH NStZ 2007, 330, 331) - angesichts der übersteigerten Rachegedanken des Angeklagten in den Monaten vor der Tat und insbesondere der hinrichtungsähnlichen Tatbegehungsweise (UA S. 18, 21) durchaus Bedenken, bedarf aber angesichts der Aufhebung des Schuldspruchs bereits aufgrund der sonstigen Rechtsfehler keiner abschließenden Beurteilung durch den Senat.

c)

Sollte der neue Tatrichter zur Annahme eines versuchten Tötungsdelikts zum Nachteil E. gelangen, wird er auch insoweit die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe zu erwägen haben.

2.

Die Revision des Angeklagten

Auch die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Schuldspruchs. Die konkurrenzrechtliche Beurteilung durch das Landgericht erweist sich als zum Nachteil des Angeklagten rechtsfehlerhaft.

a)

Das Landgericht ist ohne nähere Begründung von Tatmehrheit im Sinne des § 53 StGB zwischen der "durch den Schuss auf die Geschädigte E. " und der "durch die Schüsse auf den Geschädigten S. " begangenen Tat ausgegangen. Zwar besteht grundsätzlich kein Anlass, in Fällen, in denen der Täter einzelne Menschen angreift, um sie zu verletzen, diese Vorgänge zu einer Tat zusammenzufassen (vgl. BGHSt 2, 246, 247 ; 16, 397 ; BGHR StGB vor § 1/natürliche Handlungseinheit Entschluss, einheitlicher 9, 10; NStZ 2006, 284, 285 f. ; Rissingvan Saan in LK 12. Aufl. vor § 52 Rn. 14). Von diesem Grundsatz sind aber Ausnahmen in Fällen enger tatsächlicher Verflechtung der nacheinander vorgenommenen Angriffe auf verschiedene Geschädigte anerkannt (vgl. etwa ). Hier indes gab es nach den Feststellungen einen abgrenzbaren, nur auf die Geschädigte E. gezielten Schuss ohnehin nicht. Vielmehr schoss der Angeklagte mit dem bedingten Vorsatz, beide Geschädigte zu töten, zunächst dreimal in deren Richtung, wobei eine Kugel die Nebenklägerin E. traf. Damit überschnitten sich die tatbestandlichen Ausführungshandlungen der gegen E. gerichteten Tat mit denjenigen der gegen S. gerichteten Tat, was beide gemäß § 52 StGB zur Tateinheit verbindet (vgl. Rissingvan Saan aaO § 52 Rn. 19 f.).

Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafzumessung des angefochtenen Urteils auf der unzutreffenden Würdigung des Konkurrenzverhältnisses beruht.

b)

Auch die Erörterungen zur Frage eines möglichen Rücktritts vom Versuch der Tötung des Nebenklägers S. erweisen sich als lückenhaft hinsichtlich des Vorstellungsbildes des Angeklagten nach den einzelnen Ausführungshandlungen, auch wenn insoweit eineunfreiwillige Tataufgabe bzw. ein Fehlschlag des Versuchs nahe liegt.

Fundstelle(n):
IAAAD-20990

1Nachschlagewerk: nein