BFH Urteil v. - VII R 25/08 BStBl 2009 II S. 582

Sammelauskunftsersuchen über Einkünfte aus Depot mit Bonusaktien der Deutschen Telekom AG

Leitsatz

1. Die allgemeine, nach der Lebenserfahrung gerechtfertigte Vermutung, dass Steuern nicht selten verkürzt und steuerpflichtige Einnahmen nicht erklärt werden, genügt nicht, um Sammelauskunftsersuchen der Steuerfahndung als „hinreichend veranlasst” und nicht als Ausforschung „ins Blaue hinein” erscheinen zu lassen. Hierfür bedarf es vielmehr der Darlegung einer über die bloße allgemeine Lebenserfahrung hinausgehenden, erhöhten Wahrscheinlichkeit, unbekannte Steuerfälle zu entdecken.

2. Sind die durch den Bezug von Bonusaktien der Deutschen Telekom AG erzielten Einkünfte in der von der Bank ihren Kunden übersandten Erträgnisaufstellung nicht erfasst worden, die Kunden aber durch ein Anschreiben klar und unmissverständlich dahin informiert worden, dass diese Einkünfte nach Auffassung der Finanzverwaltung einkommensteuerpflichtig sind, stellt dies keine für eine Steuerhinterziehung besonders anfällige Art der Geschäftsabwicklung dar, die etwa mehr als bei Kapitaleinkünften aus bei Banken gehaltenen Wertpapierdepots sonst dazu herausfordert, solche Einkünfte dem Finanzamt zu verschweigen.

Gesetze: AO § 93 Abs. 1 Satz 1AO § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3

Instanzenzug: (EFG 2008, 758) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Bank, hat Kunden Bonusaktien aus dem sog. zweiten und dritten Börsengang der Deutschen Telekom AG (Telekom) zugeteilt und in deren Depots aufgenommen. Bereits bei der ersten Zuteilung hat sie die betroffenen Kunden darauf hingewiesen, dass die Zuteilungen nach Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen der Einkommensteuerpflicht unterlägen. In die Erträgnisaufstellung für 2000 nahm die Klägerin die Erträge —43,40 € pro Treueaktie— jedoch nicht auf, fügte dieser aber eine Erläuterung bei, in der erneut darauf hingewiesen wurde, dass der vorgenannte Betrag in der Anlage KAP der Einkommensteuererklärung anzugeben sei. Ähnlich waren die Erträgnisaufstellungen für 2002 gestaltet; der steuerlich maßgebliche Wert wurde dort mit 17,60 € angegeben.

Die Steuerfahndungsstelle des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt —FA—) hat bei einem Kunden der Klägerin festgestellt, dass dieser Einkünfte aus der Zuteilung von fünf Treueaktien nicht in seiner Steuererklärung für 2000 angegeben hat. Ferner hat die Steuerfahndungsstelle eines baden-württembergischen Finanzamts bei zwei dortigen Banken Prüfungen durchgeführt und der dem Finanzamt übergeordneten Oberfinanzdirektion (OFD) 1 500 bis 2 000 Kontrollmitteilungen betreffend den Bezug von Treueaktien im Veranlagungszeitraum 2000 übermittelt. Deren Auswertung wurde von der OFD den Veranlagungs-Finanzämtern überlassen. Bei dem beklagten FA führte die —offenbar noch nicht abgeschlossene— Auswertung zu dem Ergebnis, dass zehn Kunden dieser anderen Banken Selbstanzeige erstattet haben und dass gegen sechs von deren Kunden Ermittlungen eingeleitet wurden. Das durchschnittliche steuerliche Mehrergebnis beläuft sich insoweit auf rd. 190 €.

Mit Schreiben vom hat das FA die Klägerin aufgefordert, Name, Anschrift und Geburtsdatum der Depotinhaber mit Wohn- und/oder Geschäftssitz im Freistaat Sachsen, denen Treueaktien der Telekom aus den Tranchen II und III zugeteilt worden waren, sowie die Anzahl der jeweils gutgeschriebenen Treueaktien und den Einbuchungstag mitzuteilen.

Die dagegen von der Klägerin erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Steuerfahndungsstelle des FA habe keinen hinreichenden Anlass zur Einholung der strittigen Auskünfte. Ihr Vorgehen ziele darauf, alle Kunden der Klägerin und in Zukunft auch die anderer Kreditinstitute aufzuspüren, welche Bonusaktien erhalten haben, und zwar mit dem Ziel, die steuerlich korrekte Erfassung der Aktien unabhängig von ihrer Zahl oder sonstigen Besonderheiten zu überprüfen. Dies stelle eine unzulässige Rasterfahndung dar. Das Anlage- und Erklärungsverhalten der Kunden der beiden in Baden-Württemberg geprüften Bankhäuser lasse keine Rückschlüsse auf das Anlage- und Erklärungsverhalten der Kunden der Klägerin zu, weil die Kundenstruktur nicht vergleichbar sein dürfte. Hinsichtlich der Kunden der Klägerin lägen keine Anhaltspunkte für ein Nichtbefolgen der steuerlichen Erklärungspflichten vor. Denn die Klägerin habe ihre Kunden auf ihre Steuerpflicht hingewiesen. Das Verhalten eines einzigen Kunden lasse keine Rückschlüsse auf das Erklärungsverhalten von Tausenden anderer Kunden zu.

Überdies sei die wirtschaftliche Bedeutung der Fälle, in denen Steuern nacherhoben werden könnten, verschwindend gering. Nachdem für jeweils zehn Stück Altaktien eine Treueaktie zugeteilt worden sei, hätten die Kunden der Klägerin im Durchschnitt nur wenige Aktien erhalten, zumal die Kapitalkraft der Anleger in Sachsen nicht mit denen der Steuerpflichtigen in Baden-Württemberg vergleichbar sei. Dementsprechend sei davon auszugehen, dass bei der Mehrzahl der Kunden steuerstrafrechtliche Ermittlungen nicht in Frage kämen. Beim dritten Börsengang betrage der steuerpflichtige Wert für private Anleger sogar nur 8,80 €, sodass sich die maßgeblichen Beträge noch erheblich gegenüber dem zweiten Börsengang verminderten.

Schließlich sei, was den zweiten Börsengang angehe, davon auszugehen, dass bei einem Großteil der betroffenen Steuerpflichtigen Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Denn der Nachweis des Vorsatzes dürfte kaum zu führen sein, nachdem erst der (BFHE 208, 546, BStBl II 2005, 468) geklärt habe, dass überhaupt steuerpflichtige Einkünfte vorliegen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA, die im Wesentlichen folgendermaßen begründet wird:

Weder durch empirische Studien noch durch die allgemeine Lebenserfahrung sei die Annahme des FG belegt, dass sich das Erklärungsverhalten von Steuerpflichtigen aus Sachsen signifikant von dem Steuerpflichtiger aus Baden-Württemberg unterscheide. Die aufgrund der Kontrollmitteilungen aus Baden-Württemberg getroffenen Feststellungen des FA zeigten darüber hinaus, dass auch Steuerpflichtige aus Sachsen ihren Erklärungspflichten nicht nachgekommen seien. Die Annahmen des FG in diesem Zusammenhang seien insgesamt spekulativer Natur; die Ansässigkeit eines Bankinstituts und des Wohn- oder Geschäftssitzes des Kunden sowie die Kundenstruktur seien keine Differenzierungskriterien.

Ferner habe das FG übersehen, dass auch die beiden in Baden-Württemberg geprüften Bankinstitute ihre Kunden ausdrücklich auf ihre Steuerpflicht hingewiesen hätten. Das FA habe dies ausdrücklich vorgetragen und die betreffenden Schreiben der Banken dem FG vorgelegt. Da zudem hinsichtlich eines Kunden der Klägerin Erkenntnisse über ein steuerunehrliches Erklärungsverhalten vorlägen, bestünden hinreichende Anhaltspunkte für das strittige Auskunftsersuchen. Das Nichtbefolgen der Erklärungspflicht durch den vorgenannten Kunden stelle zudem deshalb einen ausreichenden Anhaltspunkt dar, weil es sich um einen typischen Geschehensablauf handle; die allgemeine Lebenserfahrung spreche dafür, dass der Steuerpflichtige auf die Vollständigkeit der Erträgnisaufstellung vertraue und deren Werte in die Steuererklärung übertrage, auch wenn er deutlich auf die Steuerpflicht von nicht in der Erträgnisaufstellung enthaltenen Kapitalerträgen hingewiesen werde.

Die Erwägungen des Urteils des FG zu der wirtschaftlichen Bedeutung der Fälle, in denen Steuer nacherhoben werden könne, seien spekulativ. Die Klägerin habe 800 000 Bonusaktien erhalten. Wie viel davon auf Kunden in Sachsen entfallen seien, sei nicht bekannt. Die angeblich geringe Kapitalkraft der Sachsen sage über deren konkretes Anlageverhalten nichts aus. Wegen der dem Grunde nach zu bejahenden Steuerpflicht der Erträge sei unbeachtlich, ob die Sparerfreibeträge überschritten würden.

Eine Eingrenzung des Auskunftsersuchens auf eine bestimmte Zahl von Bonusaktien sei nicht vertretbar, weil ungewiss sei, in welchem Umfang der Sparerfreibetrag der betroffenen Steuerpflichtigen bereits anderweit ausgeschöpft worden ist. Es sei jedenfalls vertretbar gewesen anzunehmen, dass eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Kunden über einen erheblichen Bestand an Aktien der Telekom verfüge und entsprechend viele Bonusaktien bezogen habe, zumal ein solcher Bezug eine Zusatzrendite von 10 % bei ein bis eineinhalb Jahre Haltefrist versprochen habe.

Auch das Überschreiten des Freistellungsauftrags sei kein geeignetes Abgrenzungskriterium gewesen, weil der Klägerin die finanziellen Verhältnisse ihrer Kunden lediglich insoweit bekannt seien, als sie selbst deren Vermögen verwalte. Die übergroße Mehrzahl der Steuerpflichtigen führe jedoch Konten bei verschiedenen Kreditinstituten. Im Übrigen könne sich die Klägerin als auskunftsverpflichtetes Kreditinstitut nicht pauschal auf eine angeblich nicht bestehende Steuerpflicht ihrer Kunden berufen. Das strafrechtliche Legalitätsprinzip kenne einen „Schwellenwert” ohnehin nicht.

Weiter sei die Annahme des FG spekulativ, dass bei einer Vielzahl von Kunden Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Eines konkreten Tatverdachts bedürfe es für ein Auskunftsersuchen im Rahmen von Vorfeldermittlungen auch nicht; es genüge die Möglichkeit einer Steuerverkürzung. Insofern sei von Bedeutung, dass die Anleger auf ihre steuerliche Erklärungspflicht ausdrücklich hingewiesen worden seien.

Die Klägerin beruft sich auf den Beschluss des Senats vom VII B 152/01 (BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495) und rügt, dass das FA anders als in dem dort entschiedenen Fall keinerlei Ermittlungen angestellt habe, um zu prüfen, ob ein Anlass für das Auskunftsersuchen bestehe. Das FA habe weder Steuererklärungen danach ausgewertet, ob Bonusaktien angegeben worden seien, noch Ermittlungen darüber, wie viele Bonusaktien an Personen mit Wohn- oder Geschäftssitz in Sachsen ausgegeben worden seien, durchgeführt. Informationen, die eine bestimmte Bank beträfen, dürften nicht auf eine andere übertragen werden. Es fehle an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass sächsische Kunden überhaupt Bonusaktien erhalten hätten, ebenso, dass sie ggf. deren Erträge nicht in der Steuererklärung erfasst hätten. Die Ermittlungsergebnisse des (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2005, 1822) seien im Hinblick auf die Klägerin nicht maßgebend.

Das vom FA festgestellte Verhalten eines einzigen Kunden vermöge ein Sammelauskunftsersuchen nicht zu begründen. Das FA könne sich insofern auch nicht auf das Urteil des Senats vom VII R 63/05 (BFHE 215, 40, BStBl II 2007, 155) berufen, weil dort zu den sechs bekannten Fällen von Steuerverkürzungen Besonderheiten hinzugetreten seien, die hier fehlten. Überdies fehle es an jeglichen Erkenntnissen für den von dem Auskunftsersuchen ebenfalls betroffenen zweiten Börsengang der Telekom (also das Jahr 2002).

Die Klägerin weist ferner darauf hin, dass das FA in seinem Auskunftsersuchen keine Erheblichkeitsschwelle festgelegt habe. Eine sinnvolle Erheblichkeitsschwelle hätte nach Auffassung der Klägerin etwa sein können, nur die Aktionäre zu erfassen, deren Kapitaleinkünfte über den Freibeträgen liegen oder bei denen allein durch die Bonusaktien der Sparerfreibetrag bereits ausgeschöpft worden ist oder die einen Freistellungsauftrag in Höhe des gesamten Sparerfreibetrags erteilt haben. Obwohl das FA dies bestreite, diene sein Auskunftsersuchen einer Totalerfassung der finanziellen Verhältnisse der Kunden der Klägerin. Das sei eine unzulässige Rasterfahndung.

Im Übrigen, so trägt die Klägerin vor, sei in dem Urteil des BFH in BFHE 208, 546, BStBl II 2005, 468 nur entschieden worden, dass im Rahmen des zweiten Börsengangs der Erhalt der Bonusaktien versteuert werden müsse. Eine höchstrichterliche Entscheidung über die Steuerpflicht im dritten Börsengang gebe es nicht. Der Erlös aus diesem Börsengang sei dem Bund zugeflossen; daher sei die Bonusaktie nicht zusätzliches Einkommen, sondern entweder öffentlich-rechtliche Subvention, die nicht steuerpflichtig sei, oder Minderung des Erwerbspreises (Nachlass). Folglich fehle es insoweit von vornherein an einem steuerrechtlich erheblichen Fall i.S. von § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO). Das Auskunftsersuchen sei schon deshalb rechtswidrig.

Es genüge ferner nicht allgemeinen rechtsstaatlichen Erfordernissen. Die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit sei gering; weshalb das FA anders als für Baden-Württemberg mit seinen einkommensstärkeren Bürgern zu einem höheren durchschnittlichen Steuermehrergebnis als 190 € komme, sei nicht nachvollziehbar. Überdies sei die besondere Belastung des Vertrauensverhältnisses der Klägerin zu ihren Kunden bei einer derart geringen wirtschaftlichen Auswirkung zu beachten. Dieses Gebot sei in § 30 Abs. 1 AO manifestiert.

Schließlich seien die Ermittlungen des FA auch aufgrund eingetretener Festsetzungsverjährung unverhältnismäßig. Für den zweiten Börsengang habe die regelmäßige Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2004 geendet, für den dritten Börsengang 2006. Eine Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO komme nicht in Betracht, weil den Kunden der Klägerin Leichtfertigkeit nicht nachgewiesen werden könne: Angesichts der Tatsache, dass bis heute nicht entschieden sei, ob überhaupt eine Steuerpflicht für die Aktien aus dem dritten Börsengang bestehe und eine Steuerpflicht für den zweiten Börsengang erst mit Urteil vom festgestellt worden sei, könne der Nachweis der Leichtfertigkeit nicht gelingen. Erst recht nicht dürfte der Nachweis eines Vorsatzes und einer damit verbundenen Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre gelingen.

II.

Die zulässige Revision ist nicht begründet (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).

1. Der durch die AO für die Prüfung, welcher das angefochtene Auskunftsersuchen standhalten muss, bezeichnete rechtliche Rahmen ist in dem Urteil des FG zutreffend wiedergegeben.

Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AO haben auch andere Personen als die Beteiligten eines Steuerverwaltungsverfahrens der Finanzbehörde die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Solche Auskunftsersuchen, auch Sammelauskunftsersuchen der hier vorliegenden Art (vgl. dazu schon Senatsurteil vom VII R 30/86, BFHE 149, 404, BStBl II 1987, 484), darf auch die Steuerfahndungsstelle zur Ermittlung eines Sachverhalts im Rahmen ihres Aufgabenbereichs, zu dem nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle gehört, um die es hier geht, ausbringen (§ 208 Abs. 1 Satz 2 AO).

Dass das strittige Auskunftsersuchen i.S. des § 93 Abs. 1 Satz 1 AO auf einen „für die Besteuerung erheblichen Sachverhalt” zielt, ist entgegen der Ansicht der Klägerin zweifelsfrei. Die Zuteilung von Bonusaktien der Telekom im Jahr 2000 hat zu steuerpflichtigen Einkünften aus Kapitalvermögen geführt, wie der BFH in dem Urteil in BFHE 208, 546, BStBl II 2005, 468 entschieden hat. Diese Feststellung genügt für die Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 1 AO, ohne dass sich der erkennende Senat mit den gegen die vorgenannte Entscheidung von der Klägerin vorgebrachten Einwendungen auseinandersetzen müsste. Ob für die Zuteilung von Bonusaktien im Jahr 2002 das Gleiche gilt, wie es nach den Entscheidungsgründen jenes Urteils allemal nahe liegt, muss der erkennende Senat ebenfalls nicht näher prüfen und entscheiden. Die Finanzverwaltung ist —ungeachtet von Differenzierungen in der Begründung— jedenfalls mit vertretbaren Erwägungen dieser Auffassung; dann kann es ihr nicht verwehrt sein, der Frage nachzugehen, ob die ihrer Ansicht nach steuerpflichtigen Einnahmen aus dem Bezug solcher Bonusaktien von den betroffenen Steuerpflichtigen erklärt worden sind, und ggf. in dem gegen entsprechende Veranlagungsbescheide eröffneten Rechtsbehelfsverfahren über diese Frage eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Ein „für die Besteuerung erheblicher Sachverhalt” ist mit anderen Worten, anders als die Klägerin offenbar meint, nicht nur ein Sachverhalt, der zweifelsfrei besteuert werden kann oder über dessen Besteuerung bereits eine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt, sondern jeder Sachverhalt, dessen steuerliche Bedeutung nach dem Gesetz und der dazu vorliegenden Rechtsprechung ernstlich in Betracht kommt. Jedenfalls dies ist auch bei den 2002 zugeteilten Bonusaktien der Fall.

Die Rechtmäßigkeit des von dem FA gestellten Auskunftsersuchens setzt, wie das FG bereits zutreffend näher ausgeführt hat, weiter voraus, dass ein solches Auskunftsersuchen auszubringen im Rahmen der Aufgaben der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO lag und dass dem FA die Befugnis zustand, ein solches Auskunftsersuchen an die Klägerin zu richten (vgl. statt aller Senatsbeschluss in BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495). Ersteres hängt insbesondere davon ab, ob für Ermittlungen des FA mit dem Ziel, zu prüfen, ob durch den Bezug von Bonusaktien angefallene steuerpflichtige Einkünfte von den betroffenen Steuerpflichtigen vollständig erklärt worden sind, ein hinreichender Anlass bestand; Letzteres, ob zur Erreichung dieses Zieles sich des, wie erwähnt, der Steuerfahndung grundsätzlich zur Verfügung stehenden Instruments des Auskunftsersuchens zu bedienen, dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, an dem sich jedwede Maßnahme der Finanzbehörden grundsätzlich messen lassen muss (vgl. Senatsurteil vom VII R 28/01, BFHE 204, 15, BStBl II 2004, 1032).

Ein hinreichender Anlass für ein (Sammel-)Auskunftsersuchen fehlt nach der Rechtsprechung des BFH, wenn sich solche Ermittlungen als bloße „Ausforschung”, als Rasterfahndung oder Ermittlung „ins Blaue hinein” darstellen (vgl. statt aller Senatsbeschluss in BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495); ein hinreichender Ermittlungsanlass liegt hingegen vor, so hat der Senat u.a. in der eben angeführten Entscheidung ausgeführt, wenn aufgrund entweder konkreter Anhaltspunkte oder aufgrund allgemeiner Erfahrung die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommt, wobei dies die Prognoseentscheidung, also eine vorweggenommene Beweiswürdigung erfordert, dass Ermittlungsmaßnahmen zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen führen können.

Angesichts dieses „prognostischen” Charakters der hier anzustellenden Überlegungen ist der vielfach von der Revision vorgebrachte Einwand, die Überlegungen des angefochtenen Urteils seien „spekulativ”, allenfalls insofern berechtigt, als damit geltend gemacht werden soll, auch die prognostische Einschätzung der Erfolgsaussichten von Fahndungsmaßnahmen dürfe nicht von schlechterdings ungesicherten Annahmen ausgehen, wie sie dann vorlägen, wenn das FG dahin zu verstehen sein sollte, bei sächsischen Steuerpflichtigen sei im Allgemeinen mit über den Freibetrag hinausgehenden Einkünften aus Kapitalvermögen von vornherein nicht zu rechnen.

2. Das FG hat im Ergebnis zu Recht erkannt, dass es bei der gegebenen Sachlage an einem hinreichenden Anlass dafür fehlt, zu überprüfen, ob die Kunden der Klägerin ihre (nach Auffassung des FA) in Form des Bezuges von Bonusaktien erzielten steuerpflichtigen Einnahmen vollständig erklärt haben.

Nicht überzeugend ist allerdings die vom FG in diesem Zusammenhang sinngemäß angestellte Erwägung, infolge der vom FA eingeleiteten Ermittlungen festgestellte, von den Steuerpflichtigen nicht erklärte Einkünfte aus dem Bezug von Bonusaktien könnten wegen Festsetzungsverjährung ohnehin nicht mehr der Besteuerung unterworfen werden, weil die reguläre Festsetzungsfrist abgelaufen ist und eine verlängerte Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 AO möglicherweise nicht in Betracht komme, weil der Nachweis des Vorsatzes einer Steuerhinterziehung „kaum” zu führen sein dürfte. Wer wie die Kunden der Klägerin in einer zusammen mit der Erträgnisaufstellung übersandten Erläuterung klar und deutlich darauf hingewiesen worden ist, dass die Finanzverwaltung bestimmte Einkünfte für steuerpflichtig hält, und gleichwohl solche Einkünfte in seiner Steuererklärung verschweigt, handelt im Allgemeinen mit dem Vorsatz einer Steuerhinterziehung; er kann sich jedenfalls nicht darauf berufen, die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung nicht geteilt zu haben, und er kann sich insbesondere, wenn deren Rechtsauffassung später von der Rechtsprechung gebilligt wird, nicht auf einen schuldausschließenden unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen. Ob es in einzelnen Fällen Kunden der Klägerin, sollten diese ihre Einkünfte in Form der Bonusaktien nicht erklärt haben, gleichwohl gelingen würde, den Vorwurf der Steuerhinterziehung dadurch auszuräumen, dass sie mit Erfolg geltend machen, die Erläuterungen zu der Erträgnisaufstellung nicht gelesen oder nicht verstanden zu haben, kann dahinstehen; denn eine solche Möglichkeit kann das FA jedenfalls nicht daran hindern, den Sachverhalt aufzuklären und zu prüfen und es ggf. dem Rechtsbehelfsverfahren zu überlassen, zu klären, ob gegen die Betroffenen mit Recht der Vorwurf einer Steuerhinterziehung erhoben werden kann. Diese ohnehin nur im Einzelfall mögliche Entscheidung kann in diesem Verfahren nicht vorweggenommen werden.

Zutreffend hat das FG hingegen darauf aufmerksam gemacht, dass der Streitfall —anders als der dem (EFG 2007, 1483) zugrunde liegende— dadurch gekennzeichnet ist, dass die Kunden der Klägerin bei der Übersendung der Erträgnisaufstellung, also in einem engen zeitlichen oder doch jedenfalls sachlichen Zusammenhang mit der Abgabe ihrer Steuererklärung und in nicht zu übersehender Weise darauf hingewiesen worden sind, dass der Bezug der Bonusaktien (zumindest möglicherweise) zu steuerpflichtigen Einnahmen geführt hat, die sie über die in der Erträgnisaufstellung enthaltenen Beträge hinaus bei ihrer Steuererklärung angeben müssten. Nicht nur weil die reguläre Festsetzungsfrist für die beiden Streitjahre 2000 und 2002 für alle Kunden der Klägerin bereits bei Ergehen des Auskunftsersuchens abgelaufen war und erst recht heute abgelaufen ist, sondern vor allem wegen dieses ausdrücklichen und unmissverständlichen Hinweises der Klägerin bei der Übersendung der Erträgnisaufstellung kann das strittige Auskunftsersuchen also nur darauf zielen, diejenigen Steuerpflichtigen zu ermitteln, die hinsichtlich der Bonusaktien Steuern hinterzogen haben. Es bedürfte deshalb eines hinreichenden Anlasses in dem vorgenannten Sinne zu vermuten und eine Prognoseentscheidung dahin zu treffen, dass Kunden gerade der Klägerin in dieser Weise vorsätzlich ihre Einkommensteuer verkürzt haben.

Die allgemeine, in jedwedem Zusammenhang nach der Lebenserfahrung gerechtfertigte Vermutung, dass Steuern nicht selten verkürzt und steuerpflichtige Einnahmen nicht erklärt werden —insbesondere wenn die Entdeckungswahrscheinlichkeit gering ist, wie bei Einkünften der hier vom Streit betroffenen Art—, genügt in diesem Zusammenhang nicht, um die Ermittlungsmaßnahmen des FA als „hinreichend veranlasst” und nicht als Ausforschung „ins Blaue hinein” erscheinen zu lassen, wenn anders die in der ständigen Rechtsprechung des BFH vorgenommene Unterscheidung zwischen solchen Ermittlungen und sog. „Rasterfahndungen” einerseits und andererseits durch hinreichende, konkrete Anhaltspunkte, welche die Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen in besonderem Maße wahrscheinlich erscheinen lassen, veranlassten Ermittlungen jede Bedeutung verlieren soll. Denn mit der Begründung, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Kunden eines Bankinstituts Einkünfte aus Kapitalvermögen dem FA mit Hinterziehungsvorsatz verschwiegen haben, ließe sich jedwedes Auskunftsersuchen über Einkünfte aus bankseitig verwahrtem Kapitalvermögen rechtfertigen.

Eine solche, über die bloße allgemeine Lebenserfahrung hinausgehende, erhöhte Entdeckungswahrscheinlichkeit ist vielmehr Voraussetzung eines Sammelauskunftsersuchens der hier streitigen Art. Ob das Gleiche auch für Kontrollmitteilungen über Zufallserkenntnisse im Rahmen einer Außenprüfung bei einer Bank gelten würde oder insoweit auch anlasslose, gleichsam stichprobenweise Ermittlungen zulässig sind, bedarf hier keiner Erörterung.

Anhaltspunkte dafür, dass bei prognostischer Beurteilung gerade bei der Behandlung der Einkünfte in Form des Bezuges von Bonusaktien durch die Kunden der Klägerin eine in diesem Sinne erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Einkünfte vorsätzlich verschwiegen worden sind, vermag der Senat auf der Grundlage der vom FG getroffenen bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht zu erkennen. Der Streitfall unterscheidet sich nämlich insofern maßgeblich von dem dem Urteil in EFG 2007, 1483 zugrunde liegenden. Der hinreichende Anlass für Ermittlungen des FA ergab sich nämlich dort nicht etwa aus dem Verdacht, die Kunden der betroffenen Banken könnten in Bezug auf die Bonusaktien der Telekom eine vorsätzliche Steuerhinterziehung begangen haben, sondern aus der Fehleranfälligkeit des Vorgehens der dort betroffenen Banken, die steuerpflichtigen Beträge weder in die Erträgnisaufstellungen aufzunehmen noch im Zusammenhang mit der Übersendung der Erträgnisaufstellungen auf deren Ergänzungsbedürftigkeit unmissverständlich hinzuweisen. Der hinreichende Ermittlungsanlass ergab sich dort aus der Überlegung, dass der bei Zuteilung der Bonusaktien —also in der Regel einige Zeit vor Abgabe der Steuererklärung— gegebene Hinweis auf die Steuerpflicht solcher Bezüge bei einer Vielzahl von Steuerpflichtigen bis zur Abgabe der Steuererklärung in Vergessenheit geraten sein könnte und diese hätten verleitet sein können, ohne sich dieses Hinweises zu erinnern, nur die Beträge aus der von der Bank übersandten Erträgnisaufstellung in die Anlage KAP zu übernehmen. Darum handelt es sich vorliegend aber nicht; die Notwendigkeit, Einkünfte durch den Bezug der Bonusaktien über die in der bankseits erstellten Erträgnisaufstellung enthaltenen Beträge hinaus zu erklären, konnte den Kunden der Klägerin aufgrund der solche Erinnerungslücken ausschließenden Handhabung der Klägerin bei der Übersendung der Erträgnisaufstellung schwerlich verborgen bleiben, welche deshalb auch nicht als „fehleranfällig” angesehen werden kann. Sie konnte von ihnen allenfalls in der Absicht der Steuerhinterziehung ignoriert werden.

Dass ein einziger von dem FA entdeckter Fall einer Steuerhinterziehung eines Kunden der Klägerin im Zusammenhang mit den Bonusaktien keinen hinreichenden Anlass für ein Sammelauskunftsersuchen der hier streitigen Art bietet, bedarf keiner eingehenderen Erörterung. Denn bereits die Klägerin hat mit Recht darauf hingewiesen, dass der Hinweis des FA auf das Urteil des Senats in BFHE 215, 40, BStBl II 2007, 155 in diesem Zusammenhang unbehelflich ist, weil der Senat dort das Auskunftsersuchen nicht maßgeblich wegen der zuvor entdeckten sechs Fälle von Steuerhinterziehung für zulässig erachtet hat, sondern in der Annahme einer für eine Steuerhinterziehung besonders anfälligen Art der Geschäftsabwicklung. Darum geht es hier aber nicht; die Einkünfte durch den Bezug von Bonusaktien zu verschweigen, fordert die Geschäftsabwicklung der Klägerin nicht mehr heraus, als dies bei Kapitaleinkünften aus bei Banken gehaltenen Wertpapierdepots gemeinhin der Fall ist. Die dadurch allerdings bedingten steuerlichen Vollzugsdefizite durch anlasslose Ausforschungen zu kompensieren, bietet § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO keine Handhabe, ganz abgesehen davon, dass ein solcher Kompensationsversuch, der allenfalls punktuell die zutreffende Besteuerung herstellen könnte, zwar nicht wegen des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes beanstandet werden könnte, der von Verfassungs wegen geforderten sog. Herstellung der Gleichheit im steuerlichen Belastungserfolg jedoch faktisch kaum förderlich wäre.

Da sich die vom FG getroffene Entscheidung schon aus diesen Erwägungen als im Ergebnis zutreffend erweist, bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob zusätzlich zulasten des FA ins Gewicht fällt, dass —wie das FG offenbar meint— die für die einzelnen Steuerpflichtigen ggf. zu erwartende Mehrbelastung in aller Regel gering sein dürfte, was freilich über die fiskalische Bedeutung einer etwaigen bisher unterbliebenen Besteuerung der Bonusaktien nichts besagte und möglicherweise auf einem dann allerdings unzutreffenden Rechtsgedanken beruht, die Steuerfahndung dürfe Steuerhinterziehung bei geringem steuerlichen Mehrergebnis nicht durch Auskunftsersuchen gegenüber Banken aufzuklären versuchen, was mit der Steuergleichheit und Steuergerechtigkeit unvereinbar wäre, auf welche Gesichtspunkte der Senat bereits in seinem Beschluss in BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495 hingewiesen hat. Allerdings wird unter dem eingangs erwähnten Gesichtspunkt der rechtlichen Begrenzung der Ermittlungsbefugnisse des FA gerade bei sog. Vorfeldermittlungen nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO von Rechts wegen zu berücksichtigen sein, ob der durch ein Sammelauskunftsersuchen der hier streitigen Art ausgelöste Ermittlungsaufwand in einem angemessenen Verhältnis zu der Bedeutung der Angelegenheit steht, insbesondere zu dem von den Ermittlungen zu erwartenden fiskalischen Ertrag; anderenfalls wäre der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, der nicht nur verlangt, dass Auskunftsersuchen geeignet sind, das von der Finanzbehörde (rechtmäßig) festgelegte Ziel zu erreichen, und das die Belange des Auskunftspflichtigen am besten schonende Mittel zur Erreichung dieses Ziels zu wählen, sondern dass solche Ersuchen auch verhältnismäßig im engeren Sinne sind, also dem Auskunftspflichtigen auch unter Berücksichtigung der betroffenen Belange der Allgemeinheit nichts Unzumutbares abverlangen (vgl. u.a. , BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499). Es kann indes mangels Entscheidungserheblichkeit unerörtert bleiben, ob die angefochtene Verfügung des FA unter diesem Gesichtspunkt beanstandet werden könnte und ob die Anforderungen des Verhältnismäßikeitsgrundsatzes bei Auskunftsersuchen über Bankkunden aufgrund des § 30a AO strengere sind als die gegenüber jedermann geltenden.

Fundstelle(n):
BStBl 2009 II Seite 582
AO-StB 2009 S. 160 Nr. 6
BB 2009 S. 1284 Nr. 24
BFH/NV 2009 S. 988 Nr. 6
BFH/PR 2009 S. 274 Nr. 7
BStBl II 2009 S. 582 Nr. 15
DB 2009 S. 1052 Nr. 20
DStRE 2009 S. 625 Nr. 10
DStZ 2009 S. 420 Nr. 12
GStB 2009 S. 25 Nr. 7
HFR 2009 S. 643 Nr. 7
KÖSDI 2009 S. 16506 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2009 S. 1470
SJ 2009 S. 11 Nr. 12
StB 2009 S. 180 Nr. 6
StuB-Bilanzreport Nr. 11/2009 S. 444
WM 2009 S. 1276 Nr. 27
WPg 2009 S. 627 Nr. 12
WPg 2009 S. 650 Nr. 12
wistra 2009 S. 284 Nr. 7
SAAAD-20495