Leitsatz
[1] Ein im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses zulässiger und begründeter Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist auch dann für die Berechnung der Anfechtungsfristen maßgeblich, wenn er nach der Eröffnung wegen prozessualer Überholung für erledigt erklärt worden ist.
Gesetze: InsO § 3 Abs. 1; InsO § 3 Abs. 2; InsO § 139 Abs. 2
Instanzenzug: LG Darmstadt, 21 S 39/08 vom AG Langen (Hessen), 57 C 334/07 07 vom
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des B. , eines ehemaligen Rechtsanwalts (fortan: Schuldner). Er verlangt unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung Rückgewähr eines Betrages vom 1.140,40 EUR, den die Beklagte, Inhaberin eines Titels über einen weit höheren Betrag, am im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben hat. Das Insolvenzverfahren ist aufgrund eines Gläubigerantrags vom am von dem für den Wohnort des Schuldners zuständigen Insolvenzgericht Darmstadt eröffnet worden.
Bereits zuvor, am , hatte ein anderer Gläubiger bei dem Insolvenzgericht Offenbach am Main, in dessen Bezirk der Schuldner zu diesem Zeitpunkt noch seine Anwaltskanzlei betrieb, Insolvenzantrag gestellt. Im November 2006 wies dieses Gericht den Antragsteller auf das bei dem Insolvenzgericht Darmstadt laufende Eröffnungsverfahren hin und stellte einen Verweisungsantrag anheim. Auf Antrag des Gläubigers vom wurde das Verfahren mit Beschluss vom an das Insolvenzgericht Darmstadt verwiesen. Nachdem er auf die zwischenzeitlich erfolgte Eröffnung des Insolvenzverfahrens hingewiesen worden war, erklärte der Gläubiger seinen Antrag am für erledigt. Die Kosten des Eröffnungsverfahrens wurden dem Schuldner auferlegt.
Die Parteien streiten um die Frage, ob der Eröffnungsantrag vom oder aber derjenige vom für die Berechnung der Anfechtungsfristen maßgeblich ist. Das Amtsgericht hat die Klage des Verwalters abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.
Gründe
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Beitreibung der 1.140,40 EUR sei nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar. Die Anfechtungsfrist sei gemäß § 139 Abs. 2 Satz 1 InsO ab dem Antrag vom zu berechnen. Dieser Antrag sei im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses zulässig und begründet gewesen. Insbesondere sei das Insolvenzgericht Offenbach örtlich zuständig gewesen, weil der Schuldner im Bezirk dieses Gerichts seine Kanzlei betrieben habe (§ 3 Abs. 1 Satz 2 InsO) und mit dem ersten Eröffnungsantrag die Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts (§ 3 Abs. 1 Satz 1 InsO) ausgeschlossen gewesen sei. Dass der Gläubiger seinen Antrag schließlich für erledigt erklärt habe, ändere im Ergebnis nichts, weil die Erledigungserklärung erst nach der Eröffnung abgegeben worden und der Antrag bis zur Eröffnung zulässig und begründet gewesen sei.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
1.
Die Fristen für die Anfechtung nach §§ 130 ff InsO werden auf den Tag bezogen, an dem der Eröffnungsantrag beim Insolvenzgericht eingegangen ist (§ 139 Abs. 1 Satz 1 InsO). Sind mehrere Eröffnungsanträge gestellt worden, so ist der erste zulässige und begründete Antrag maßgeblich, auch wenn das Verfahren auf Grund eines späteren Antrags eröffnet worden ist (§ 139 Abs. 2 Satz 1 InsO). Im vorliegenden Fall war der Antrag vom zulässig und begründet. Die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts Offenbach folgte bis zum Eröffnungsbeschluss vom aus § 3 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO. Der Senat hat die Vorschrift des § 139 Abs. 2 Satz 1 InsO allerdings einschränkend dahin ausgelegt, dass der frühere Antrag nur dann für die Berechnung des Anfechtungszeitraums von Bedeutung sein kann, wenn entweder eine "einheitliche Insolvenz" oder ein - näher zu bestimmender - zeitlicher Zusammenhang zwischen dem ersten Antrag und demjenigen Antrag bestand, der schließlich zur Eröffnung führte. Ist der Insolvenzgrund zunächst behoben worden, nachdem der Antrag mangels Masse abgewiesen worden war, und später erneut eingetreten, kann der erste Antrag nicht mehr ausschlaggebend sein (, ZIP 2008, 235, 236; Rn. 11 ebenso zur GesO bereits , NZI 2000, 19). So liegt der vorliegende Fall jedoch nicht. Anhaltspunkte dafür, dass der Schuldner seine Zahlungsfähigkeit zwischen dem und dem wieder gewonnen hatte, gibt es nicht. Der Eröffnungsantrag vom ist erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Rücksicht auf diese für erledigt erklärt worden.
2.
Ein Fall des § 139 Abs. 2 Satz 2 InsO liegt nicht vor.
a)
Nach dieser Vorschrift wird ein rechtskräftig abgewiesener Antrag bei der Berechnung der Anfechtungsfristen nur dann berücksichtigt, wenn er mangels Masse abgewiesen worden ist. Vorliegend ist der Antrag nicht abgewiesen, sondern für erledigt erklärt worden.
b)
Der Senat hat die Vorschrift des § 139 Abs. 2 Satz 2 InsO allerdings auch dann (entsprechend) angewandt, wenn der fragliche Eröffnungsantrag für erledigt erklärt oder zurückgenommen worden ist (BGHZ 149, 178, 180 ff. ; , ZIP 2006, 290 Rn. 6; ebenso Jaeger/Henckel, InsO § 139 Rn. 14; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 139 Rn. 9a; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 139 Rn. 12; a.A. HmbKomm-InsO/Rogge, 2. Aufl. § 139 Rn. 13; vgl. auch OLG Celle InVo 2002, 54, 55, das bei einheitlicher Insolvenz sogar einen zurückgenommenen Antrag für ausreichend hält). Auf einen für erledigt erklärten Antrag kann das Verfahren ebenso wenig eröffnet werden wie auf einen rechtskräftig abgewiesenen Antrag hin.
c)
Diese Rechtsprechung darf jedoch nicht dahin missverstanden werden, dass bei jeglicher Erledigungserklärung § 139 Abs. 2 Satz 2 InsO entsprechend anzuwenden sei. Den genannten Senatsentscheidungen haben jeweils Fälle zugrundegelegen, in denen der Antragsteller hernach vom Schuldner befriedigt worden war und auf Grund dessen seinen Antrag für erledigt erklärt oder zurückgenommen hatte. Im vorliegenden Fall geht es demgegenüber um einen Antrag, der durchaus eine Grundlage für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätte bilden können. Er war noch im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses zulässig und begründet. Er erledigte sich wegen prozessualer Überholung, nicht wegen Wegfalls der Antragsvoraussetzungen. Nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs zur Insolvenzordnung sollen solche Anträge für die Berechnung der Anfechtungsfristen maßgeblich sein, die zur Verfahrenseröffnung geführt hätten, wenn sie nicht mangels Masse rechtskräftig abgewiesen worden wären "oder das Verfahren nicht aufgrund eines späteren Antrags eröffnet worden wäre" (BT-Drucks. 12/2443 S. 163). Danach ist somit auch ein prozessual überholter Antrag zu berücksichtigen. Es wäre nach Sinn und Zweck der Anfechtungsnormen auch nicht zu rechtfertigen, wenn die prozessuale Überholung eines Insolvenzantrags dem Anfechtungsgegner zugute käme. Auf welchen von mehreren gleichermaßen zulässigen und begründeten Anträgen hin ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, hängt oft von dem Geschäftsgang bei dem/den damit befassten Gericht/Gerichten, wenn nicht gar vom Zufall ab.
Deswegen ist der prozessual überholte Antrag vom - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - für die Berechnung der Anfechtungsfristen maßgeblich.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2009 S. 926 Nr. 13
SJ 2009 S. 42 Nr. 15
WM 2009 S. 959 Nr. 20
ZIP 2009 S. 921 Nr. 19
ZAAAD-20406
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja