BAG Beschluss v. - 2 ABR 59/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BetrVG § 103; BGB § 626 Abs. 1

Instanzenzug: LAG Baden-Württemberg, 6 TaBV 8/06 vom ArbG Stuttgart, 27 BV 1/06 vom

Gründe

A. Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) begehrt die Ersetzung der vom Betriebsrat (Beteiligter zu 2) verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3).

Die Arbeitgeberin, ein Unternehmen der C Gruppe, ist Zulieferer der Halbleiter- und Nanotechnologie und produziert innovative Optik- und Elektronenstrahltechnologie. Sie ist eine 100 %-ige Tochter der C AG und ihrerseits Muttergesellschaft der N GmbH sowie der S GmbH. Die Arbeitgeberin beschäftigt ca. 1.400 Mitarbeiter. Sie hat einen mitbestimmten Aufsichtsrat nach Maßgabe des Drittelbeteiligungsgesetzes.

Der 1950 geborene Beteiligte zu 3) ist promovierter Physiker und seit dem bei der Arbeitgeberin, zuletzt als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt. Seit mehreren Jahren ist er Mitglied des bei der Arbeitgeberin am Standort O bestehenden Betriebsrats sowie des Konzernbetriebsrats. Außerdem war er bis Januar 2006 Vorsitzender des bei der Arbeitgeberin gebildeten Wirtschaftsausschusses und im Jahr 2005 als Arbeitnehmervertreter Mitglied des Aufsichtsrats der Arbeitgeberin. Am wurde er zum Vorsitzenden des Betriebsrats gewählt.

Der Anstellungsvertrag des Beteiligten zu 3) enthält die folgende Geheimhaltungsregelung:

"§ 6 Verschwiegenheit

6.1 Der Angestellte verpflichtet sich, über alle firmenspezifischen Arbeitsergebnisse, Beobachtungen und Erfahrungen sowie alle sonstigen ihm während seiner Tätigkeit bei C bekannt werdenden geschäftlichen Angelegenheiten, die C oder mit C verbundene Unternehmen betreffen, Stillschweigen gegenüber allen an dem jeweiligen Vorgang Unbeteiligten zu bewahren, es sei denn, die Angelegenheit ist allgemein bekannt oder zur Bekanntgabe freigegeben. Das gilt auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist."

Die Arbeitgeberin plante im Jahr 2005 die Übernahme einer an der Börse Nasdaq gelisteten, US-amerikanischen Gesellschaft durch ein öffentliches Übernahmeangebot ("tender offer"). Das Transaktionsvolumen belief sich auf ca. 800 Millionen Euro. Zur Finanzierung des Zukaufs wurde - im Rahmen einer Kapitalerhöhung der Arbeitgeberin - die Beteiligung eines externen Investors erwogen. Das intern als Projekt "F" bezeichnete Vorhaben sollte der Stärkung eines Geschäftsbereichs dienen, den die Arbeitgeberin in ihrer Tochtergesellschaft N GmbH gebündelt hat. Ab dem Frühjahr 2005 wurde das Projekt in mehreren Aufsichtsratssitzungen und Präsidialausschusssitzungen beraten. Nach den Protokollen der Aufsichtsratssitzung vom und der Sitzung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats vom wurden die Teilnehmer, hierunter der Beteiligte zu 3), über die Geheimhaltungsbedürftigkeit des Projekts "F" und speziell darüber belehrt, dass aufgrund der Börsennotierung des potentiell zu erwerbenden Unternehmens die damit im Zusammenhang stehenden Informationen bis zur offiziellen Veröffentlichung als Insiderinformationen anzusehen seien. In der Aufsichtsratssitzung vom wurde das Akquisitionsvorhaben ausführlich behandelt und detailliert besprochen.

In der Betriebsratssitzung am informierte der Beteiligte zu 3) die Betriebsratsmitglieder über Einzelheiten des von der Arbeitgeberin geplanten Zukaufs eines von drei Mitkonkurrenten der N GmbH zur Stärkung des Geschäfts, ohne jedoch das in Aussicht genommene Unternehmen konkret zu benennen. Weiter bat er die Mitglieder des Betriebsrats die Angelegenheit vertraulich zu behandeln und die Informationen nicht in das Protokoll aufzunehmen. Er führte zudem aus, dass zur Finanzierung des Projekts eine Minderheitsbeteiligung eines externen Investors vorgesehen sei, den er als "Heuschrecke" bezeichnete. Ferner äußerte er sich zu einem wahrscheinlichen Börsengang der Arbeitgeberin und zu möglichen Auswirkungen des Vorhabens auf einen Gewinnabführungsvertrag zwischen der Arbeitgeberin und deren Muttergesellschaft. Über die Einzelheiten der Erklärungen des Beteiligten zu 3) besteht Streit.

Die Arbeitgeberin erfuhr hiervon am . Mit Schreiben vom beantragte sie beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3). Der Betriebsrat verweigerte mit Schreiben vom seine Zustimmung.

Durch rechtskräftigen - 8 W 388/06 -) wurde der Beteiligte zu 3) wegen der Vorgänge vom nach § 103 Abs. 3 AktG als Aufsichtsratsmitglied abberufen.

Zur Begründung ihres fristgerecht beim Arbeitsgericht eingegangenen Zustimmungsersetzungsantrags hat die Arbeitgeberin geltend gemacht: Mit der Weitergabe ausschließlich aus dem Aufsichtsrat erlangter, geheimhaltungsbedürftiger Informationen habe der Beteiligte zu 3) gegen die ihm als Aufsichtsratsmitglied obliegende Verschwiegenheitspflicht und zugleich auch gegen seine arbeitsvertragliche Geheimhaltungspflicht verstoßen. Aufgrund seiner Angaben in der Betriebsratssitzung habe das zu übernehmende Unternehmen hinreichend individualisiert werden können. Mit der Weitergabe sog. Insiderinformationen im Sinne des Wertpapierhandelsgesetzes habe der Beteiligte zu 3) nicht nur billigend die Gefährdung des für die Arbeitgeberin äußerst wichtigen - inzwischen unstreitig aus anderen Gründen gescheiterten - Projekts und eine Diskreditierung der Arbeitgeberin in der Öffentlichkeit in Kauf genommen, sondern sie auch einem erheblichen Haftungsrisiko ausgesetzt. Mit der Bezeichnung des potentiellen Investors als "Heuschrecke" habe er zusätzlich die Akzeptanz des Projekts in der Belegschaft erheblich gefährdet. Abgesehen von der Strafbarkeit des Verhaltens des Beteiligten zu 3) liege in der vorsätzlichen Verletzung der Verschwiegenheitspflicht eine besonders schwerwiegende Verletzung des Arbeitsvertrags. Ein Rechtfertigungsgrund liege nicht vor.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen.

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3) haben die Zurückweisung des Antrags beantragt und hierzu ua. ausgeführt: Der Beteiligte zu 3) habe keine "Aufsichtsratsgeschäftsgeheimnisse" weitergegeben. Die Pläne der Arbeitgeberin seien in der Betriebsöffentlichkeit bereits weitgehend bekannt gewesen. Der Betriebsrat der N GmbH sei durch die dortige Geschäftsführung von den Plänen unterrichtet worden. Der Beteiligte zu 3) habe hiervon bei einer Sitzung des Konzernbetriebsrats erfahren. Er habe seine Kenntnisse an den Betriebsrat der Arbeitgeberin, bei dem ein Informationsdefizit bestanden habe, weitergeben dürfen. Seine wertenden Äußerungen zum beabsichtigten Vorhaben seien von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Etwaige Verstöße des Beteiligten zu 3) gegen seine Pflichten aus dem Aufsichtsratsmandat seien bereits durch dessen erfolgte Abberufung sanktioniert. Eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung liege nicht vor. Die im Dienstvertrag vereinbarte, ohnehin zu weit gehende und damit unwirksame Geheimhaltungsverpflichtung beziehe sich lediglich auf Kenntnisse aus seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit, nicht aber auf solche, die der Beteiligte zu 3) aus seiner Aufsichtsratstätigkeit oder als Mitglied des Betriebsrats gewonnen habe. Zudem fehle es an einer Wiederholungsgefahr.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde der Arbeitgeberin blieb erfolglos. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Begehren weiter.

B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die begehrte Ersetzung der Zustimmung nach § 103 Abs. 2 BetrVG zu Recht abgelehnt.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Die behauptete Weitergabe geheimhaltungsbedürftiger Informationen, die der Beteiligte zu 3) in einer Aufsichtsratssitzung erlangt habe, könne als wahr unterstellt werden. Der vermeintliche Geheimnisverrat beinhalte keine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten. Die hierfür vorgesehene und auch erfolgte Sanktion sei die Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds gemäß § 103 Abs. 3 AktG. Der Beteiligte zu 3) habe in einem Spannungsverhältnis zwischen Aufsichtsratsmandat und Betriebsratsamt gestanden, dem ein Arbeitnehmer, der diese Ämter nicht inne habe, so nicht ausgesetzt sei. An eine außerordentliche Kündigung sei daher ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Diesem Maßstab werde die Kündigung mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des Falls, nämlich dass die beanstandete Weitergabe von Informationen in einer Betriebsratssitzung erfolgt sei, dass diese Informationen nicht in das Betriebsratsprotokoll aufgenommen worden seien und der Beteiligte zu 3) die übrigen Betriebsratsmitglieder auf ihre Verschwiegenheitspflicht hingewiesen habe, nicht gerecht. Da der Beteiligte zu 3) inzwischen aufgrund gerichtlicher Entscheidung aus dem Aufsichtsrat abberufen sei, bestehe auch keine Wiederholungsgefahr im Sinne einer konkreten Gefährdung der Interessen der Arbeitgeberin mehr. Eine außerordentliche Kündigung des seit beinahe zwanzig Jahren bestehenden Arbeitsverhältnisses sei damit nicht gerechtfertigt.

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und in Teilen der Begründung.

1. Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG iVm. § 15 Abs. 1 KSchG hat die Arbeitgeberin einen Anspruch auf Ersetzung der Zustimmung, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls aus wichtigem Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt ist.

2. Die Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB im Rahmen von § 103 BetrVG durch das Beschwerdegericht kann in der Rechtsbeschwerde nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob der Sachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur Kündigung abzugeben und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei berücksichtigt worden sind (Senat - 2 ABR 71/85 - AP BGB § 626 Nr. 95 = EzA BGB § 626 nF Nr. 105; - 2 AZR 377/75 - AP BGB § 626 Nr. 68).

Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stand.

3. Der wichtige Grund, der dem Arbeitgeber iSv. § 626 Abs. 1 BGB die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht, muss sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben. Deshalb ist bei der Kündigung eines Betriebsratsmitglieds stets danach zu unterscheiden, ob eine Verpflichtung aus dem Amtsoder aus dem Arbeitsverhältnis verletzt wurde oder ob beide Bereiche betroffen sind. Liegt eine reine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vor, kann gegenüber dem Betriebsratsmitglied eine außerordentliche Kündigung unter den gleichen Voraussetzungen ausgesprochen werden, unter denen gegenüber anderen Arbeitnehmern eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB möglich ist. Wird einem Betriebsratsmitglied dagegen lediglich die Verletzung einer Amtspflicht vorgeworfen, so ist die Kündigung unzulässig und nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 BetrVG möglich (Senat - 2 AZR 127/69 - BAGE 22, 178; - 2 AZR 426/74 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 1; - 2 ABR 71/85 - AP BGB § 626 Nr. 95 = EzA BGB § 626 nF Nr. 105). Sofern eine Handlung gleichzeitig Amtspflichten als auch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder aber die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB zwar vorliegen. Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied befindet, ist die außerordentliche Kündigung aber nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist (vgl. -; Senat - 2 ABR 71/85 - aaO.). Darüber hinaus bedarf es stets einer genauen Prüfung, ob auch nach dem Ausschluss des Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsratsamt weitere vergleichbare Pflichtverletzungen drohen und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber aufgrund einer eingetretenen Pflichtverletzung, die mit der Ausübung des Mandats im Zusammenhang steht, nachhaltig gestört ist (vgl. ErfK/Kania 9. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 12).

4. Zutreffend haben die Vorinstanzen darauf abgestellt, dass eine vergleichbare Unterscheidung grundsätzlich angezeigt ist, wenn das Betriebsratsmitglied zugleich Mitglied des Aufsichtsrats des Arbeitgebers ist und ihm ein Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus dem Aufsichtsratsmandat vorgeworfen wird. Auch hier bestehen die jeweiligen Rechtsverhältnisse des Aufsichtsratsmitglieds inhaltlich voneinander getrennt zur Gesellschaft, nämlich zum einen als Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis und zum anderen als Mitglied des Organs "Aufsichtsrat" in einem körperschaftlichen Verhältnis (vgl. bereits Senat - 2 AZR 452/73 - BAGE 26, 116; Martens ZfA 1980, 672). Die organschaftliche Rechtsstellung der Mitglieder eines mitbestimmten Aufsichtsrats richtet sich nach allgemeinen aktienrechtlichen Vorschriften. Die dort geregelten Mandatspflichten werden nicht zugleich Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Verstößt der Arbeitnehmer gegen seine Pflichten aus dem Aufsichtsratsmandat, kommen zunächst die Sanktionen des Gesellschaftsrechts, vor allem die Abberufung aus dem Aufsichtsrat gemäß § 103 Abs. 3 AktG, in Betracht (vgl. nur APS/Preis 3. Aufl. § 26 MitbestG Rn. 14; ErfK/Oetker 9. Aufl. § 26 MitbestG Rn. 7; MünchKommAktG/Gach 3. Aufl. § 26 MitbestG Rn. 13; WWKK/Wißmann 3. Aufl. § 26 MitbestG Rn. 20). Eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist nur zulässig, wenn zugleich eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vorliegt und die Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis so schwer sind, dass jede weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber unzumutbar erscheint (vgl. Senat - 2 AZR 452/73 - aaO.; WWKK/Wißmann § 26 MitbestG Rn. 22).

5. Den Vorinstanzen ist deshalb im Ergebnis darin zuzustimmen, dass es - selbst unter Zugrundelegung des eigenen Vorbringens der Arbeitgeberin - an einem wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB fehlt.

a) Ausgehend von den Darlegungen der Arbeitgeberin scheidet allerdings ein objektiver Verstoß des Klägers gegen eine arbeitsvertragliche Verschwiegenheitspflicht nicht von vorneherein aus, weil es sich bei dem Empfänger der umstrittenen Informationen um den Betriebsrat der Arbeitgeberin gehandelt hat. Die nach § 116 iVm. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG (bis Inkrafttreten des UMAG - BGBl. I S. 2802 - am : § 116 iVm. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) bestehende Verpflichtung der Mitglieder des Aufsichtsrats, über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, Stillschweigen zu bewahren, gilt uneingeschränkt für alle Aufsichtsratsmitglieder. Nach inzwischen überwiegender Auffassung auch in der Literatur sind die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat an diese Verpflichtung selbst gegenüber den ihrerseits gemäß § 79 Abs. 1 BetrVG einer Geheimhaltungspflicht unterliegenden Betriebsratsmitgliedern gebunden (vgl. MünchKommAktG/Habersack 3. Aufl. § 116 Rn. 56, 60 f.; Richardi/Thüsing BetrVG 11. Aufl. § 79 Rn. 29; UHH/Ulmer/Habersack Mitbestimmungsrecht 2. Aufl. § 25 Rn. 109; MünchArbR/Wißmann 2. Aufl. § 380 Rn. 22; Reuter RdA 1988, 280, 285; Hueck RdA 1975, 35, 40 ff.; Veil ZHR 172 (2008), 239, 242; Jürgens Mitbestimmung und Verantwortlichkeit Diss. Münster 2001, 72; aA Köstler/Zachert/Müller Aufsichtsratspraxis 8. Aufl. S. 547 ff.; Kittner ZHR 136 (1972), 208, 231). Dafür spricht schon § 79 Abs. 1 Satz 4 BetrVG. Die Norm hebt die Schweigepflicht ausdrücklich nur in der Richtung vom Betriebsrat zu den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat auf, nicht aber umgekehrt. Dem AktG lassen sich keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung der Verschwiegenheitspflicht entnehmen (MünchKommAktG/Habersack § 116 Rn. 60). Deshalb besteht eine Verschwiegenheitspflicht der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat grundsätzlich auch gegenüber dem Betriebsrat, selbst wenn ein Arbeitnehmervertreter zugleich Mitglied des Betriebsrats ist. Ob Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht anzuerkennen sind, wenn der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat seine Informationspflichten eindeutig rechtswidrig und nachhaltig verletzt (vgl. dazu nur MünchKommAktG/Habersack aaO. Rn. 61; MünchArbR/Wißmann 2. Aufl. § 380 Rn. 22), bedarf hier keiner weiteren Erörterung. Ein derartiger Fall lag auch nach den Ausführungen des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3) nicht vor.

b) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beteiligte zu 3) einer arbeitsvertraglichen Geheimhaltungspflicht unterliegt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die im Dienstvertrag unter § 6.1 getroffene Geheimhaltungsvereinbarung wirksam ist. Ebenso wenig kommt es auf eine in der Betriebsordnung der Arbeitgeberin getroffene Regelung an. Auch ohne besondere Vereinbarung sind dem Arbeitsvertrag, wie § 241 Abs. 2 BGB und die dort normierte Rücksichtnahmepflicht zeigen, zahlreiche vertragliche Nebenpflichten immanent. Hierzu zählt insbesondere die Verpflichtung des Arbeitnehmers, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Arbeitgebers zu wahren (vgl. etwa Senat - 2 AZR 235/02 - BAGE 107, 36, 42 mwN; ErfK/Preis 9. Aufl. § 611 BGB Rn. 710; MünchKommBGB/Müller-Glöge 5. Aufl. § 611 Rn. 1088 ff.). Geschäftsgeheimnis in diesem Sinne sind grundsätzlich auch geheim zu haltende Vertragsverhandlungen und damit im Zusammenhang stehende Tatsachen (vgl. Fitting BetrVG 24. Aufl. § 79 Rn. 4). Dies muss insbesondere dann gelten, wenn die Verhandlungen nebst den damit verbundenen Umständen - wie im Entscheidungsfall das Projekt "F" - von Seiten des Arbeitgebers ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sind.

c) Unter welchen Voraussetzungen eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch einen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat das konkrete Arbeitsverhältnis unmittelbar berührt und deshalb als gleichzeitiger Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis auch als Kündigungsgrund erheblich sein kann, hat der Senat bisher offengelassen (vgl. Senat - 2 AZR 452/73 - BAGE 26, 116, 127).

aa) Im Schrifttum wird inzwischen weit überwiegend die Auffassung vertreten, die unberechtigte Weitergabe von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen, die der Arbeitnehmer als Mitglied des Aufsichtsrats oder Betriebsrats erlangt hat, beinhalte gleichzeitig auch eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Geheimhaltungspflicht. Schwere Verstöße in diesem Sinne könnten sogar eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen (vgl. ErfK/Kania 9. Aufl. § 79 BetrVG Rn. 21; Fitting BetrVG 24. Aufl. § 79 Rn. 41; GL/Löwisch BetrVG 6. Aufl. § 79 Rn. 22; GK-BetrVG/Oetker 8. Aufl. § 79 Rn. 46; Richardi/Thüsing BetrVG 11. Aufl. § 79 Rn. 37; WWKK/Wißmann § 26 MitbestG Rn. 21; Weber/Lohr BB 1999, 2350, 2354; Wochner BB 1975, 1541, 1542; Bruder Die Weitergabe von Insiderinformationen durch Arbeitnehmervertreter Diss. München 2007, 20; Weber Die Schweigepflicht des Betriebsrats Diss. Münster 1999, 158; im Ergebnis ebenso: KR/Etzel 8. Aufl. § 15 KSchG Rn. 26b; aA Köstler/Zachert/Müller Aufsichtsratspraxis 8. Aufl. Rn. 742; GKMitbestG/Naendrup 1991 § 26 Rn. 36; vermittelnd: Jacklofsky Arbeitnehmerstellung und Aufsichtsratsamt Diss. Berlin 2001, 251).

bb) Für diese Ansicht spricht schon, dass es für den Wirkungsbereich der arbeitsvertraglichen Geheimhaltungspflicht grundsätzlich unbeachtlich ist, auf welche Art und Weise der Arbeitnehmer Kenntnis von einem Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis erlangt hat und - solange es sich nicht um einen eingeweihten Dritten handelt - wer Adressat des Geheimnisverrats ist.

d) Die Frage bedarf letztlich aber auch im Entscheidungsfall keiner abschließenden Beantwortung. Selbst wenn eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung auch in den Fällen in Betracht kommen mag, in denen ein Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis an den Betriebsrat verrät und aufgrund der Qualität der weitergegebenen Informationen eine schwere Vertragspflichtverletzung vorliegen würde, wären gleichwohl die Voraussetzungen für eine Kündigung aus wichtigem Grund nicht erfüllt. Angesichts der zwischenzeitlich erfolgten Abberufung des Beteiligten zu 3) aus dem Aufsichtsrat nach § 103 Abs. 3 AktG fehlt es jedenfalls an einer fortbestehenden und in die Zukunft wirkenden Belastung des Arbeitsverhältnisses und der Gefahr von zukünftigen weiteren vergleichbaren Pflichtverletzungen. Die beabsichtigte außerordentliche Kündigung erweist sich daher als unverhältnismäßig.

aa) Für eine auf verhaltensbedingte Gründe gestützte außerordentliche Kündigung gilt das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für die erfolgte Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen in der Zukunft. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken (vgl. etwa Senat - 2 AZR 180/06 - AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; - 2 AZR 179/05 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch zukünftig in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen (Senat - 2 AZR 180/06 - aaO.). Der Gesichtspunkt der Prognose gewinnt bei verhaltensbedingten Kündigungsgründen auch insoweit Bedeutung, als sich die Kündigung jedenfalls dann als unverhältnismäßig erweist, wenn es andere geeignete - mildere - Mittel gibt, um eine Vertragsstörung zukünftig zu vermeiden (vgl. Senat - 2 AZR 180/06 - aaO.; KR/Fischermeier 8. Aufl. § 626 KSchG Rn. 111; SPV/Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 921).

bb) Insofern ist im Hinblick auf eine mit einer behaupteten Amtspflichtverletzung einhergehenden arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung des Arbeitnehmers stets zu berücksichtigen, inwieweit bei einem Ausschluss bzw. einer Abberufung des Arbeitnehmervertreters aus dem betreffenden Organ, als dessen Vertreter er seine Amtspflichten verletzt haben mag, überhaupt künftige, gleichgelagerte Vertragspflichtverletzungen zu erwarten sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein entsprechender Ausschlussantrag gestellt worden ist und vor allem der Arbeitnehmer bereits aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung aus dem Organ ausgeschlossen oder abberufen worden ist. Hat der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat infolge gerichtlicher Abberufung aus dem Aufsichtsrat nach § 103 Abs. 3 AktG keinen Zugang mehr zu solchen Informationen, durch deren Weitergabe die behauptete Vertragsverletzung eingetreten sein soll, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass mit einer Wiederholung vergleichbarer Vertragspflichtverletzungen nicht zu rechnen ist.

cc) Das gilt auch im Entscheidungsfall. Selbst wenn die vom Beteiligten zu 3) in der Betriebsratssitzung vom weitergegebenen Informationen ihm ausschließlich aufgrund seiner Tätigkeit als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bekannt geworden waren, würde dies eine außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen. Den Darlegungen der Beteiligten lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Beteiligte zu 3) außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat Zugang zu vergleichbar sensiblen Informationen mit der Folge hätte, dass entsprechende Verstöße gegen die arbeitsvertragliche Geheimhaltungspflicht auch zukünftig zu befürchten wären. Eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung durch Weitergabe geheimhaltungsbedürftiger, im Aufsichtsrat erlangter Informationen, insbesondere an den Betriebsrat, kommt wegen der zwischenzeitlichen Abberufung des Beteiligten zu 3) aus dem Aufsichtsrat nicht mehr in Betracht.

dd) Dieser vom Landesarbeitsgericht zutreffend angestellten Überlegung kann, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht entgegen gehalten werden, die Abberufung aus dem betreffenden Gremium biete keinen endgültigen Schutz vor einem erneuten, vergleichbaren Geheimnisverrat, da sich der aus dem Aufsichtsrat ausgeschlossene Arbeitnehmer einer Wiederwahl stellen könne. Es erscheint bereits fraglich, ob eine Wiederwahl im Fall der von der Arbeitgeberin unterstellten Fortwirkung des die Abberufung rechtfertigenden wichtigen Grundes überhaupt erfolgreich betrieben werden könnte (vgl. dazu nur MünchKommAktG/Habersack 3. Aufl. § 103 Rn. 40 mwN). Letztlich kommt es auch hierauf nicht entscheidend an. Schließt der Gesetzgeber selbst im Fall grober Amtspflichtverletzungen und bei bestehender Gefahr einer Wiederholung gleichgelagerter Amtspflichtverletzungen eine erneute Berufung des Arbeitnehmers in den Aufsichtsrat nicht von vorneherein aus, kann eine sich allein aus der Wiederwahlmöglichkeit ergebende Gefährdung der arbeitsvertraglichen Interessen keinen Grund dafür bieten, eine fristlose Kündigung in Betracht zu ziehen. Dies wäre mit dem Benachteiligungsverbot für Betriebsratsmitglieder und Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer (§ 78 Satz 2 BetrVG bzw. § 9 DrittelbG, § 26 MitbestG) nicht zu vereinbaren. Der sich auf die Kündigungen beziehende Schutzzweck würde sonst in sein Gegenteil verkehrt.

ee) Die vermeintliche Pflichtverletzung des Beteiligten zu 3) rechtfertigt deshalb ohne eine entsprechende Wiederholungsgefahr nicht die Annahme, das Arbeitsverhältnis sei künftig so stark belastet, dass eine weitere Zusammenarbeit ausgeschlossen wäre. Etwas anderes käme allenfalls dann in Betracht, wenn die in Rede stehende Vertragspflichtverletzung gegenüber der Amtspflichtverletzung deutlich im Vordergrund stünde. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Die umstrittene Weitergabe geheimhaltungsbedürftiger Informationen erfolgte nicht an einen Wettbewerber oder Vertragspartner der Arbeitgeberin, wovor die arbeitsvertragliche Geheimhaltungspflicht in erster Linie schützen soll. Der Beteiligte zu 3) hat vielmehr, wenn auch ggf. aus einem falschen Loyalitätsverständnis heraus, ein Gremium, dem er parallel zu seiner Mitgliedschaft im Aufsichtsrat als Arbeitnehmervertreter angehörte, informiert. Mit dem möglichen Geheimnisverrat hätte sich aber auch die Gefahr einer Vertragsverletzung verwirklicht, der andere Aufsichtsratsmitglieder, die nicht zugleich Betriebsratsmitglieder sind, nicht in vergleichbarer Weise ausgesetzt sind. Der Arbeitnehmervertreter, der zugleich dem Aufsichtsrat und dem Betriebsrat angehört, bewegt sich in einem Spannungsfeld von zum Teil gegenläufigen Interessen. Dass dieses Spannungsfeld zumindest mitursächlich für die vermeintliche Pflichtverletzung war, zeigt die Einlassung des Beteiligten zu 3). Er hat es (subjektiv) als seine Pflicht angesehen, den Betriebsrat wenigstens - ansatzweise - zu informieren, da seiner Auffassung nach das Unternehmen und die Belegschaft von der beabsichtigten Transaktion stark betroffen sein würden. Darauf, ob sich der Betriebsrat rechtmäßig mit der Angelegenheit befasst hat, kommt es insoweit nicht maßgeblich an. Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann deshalb auch nicht von einer nachhaltigen Störung des Vertrauens der Arbeitgeberin in die künftige Vertragstreue des Beteiligten zu 3), insbesondere bzgl. der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ausgegangen werden, die dem Beteiligten zu 3) unabhängig von seiner Mitgliedschaft im Aufsichtsrat bekannt werden.

ff) Dies gilt auch bei unterstellter Verwirklichung des Straftatbestands des § 404 AktG. Diesem Gesichtspunkt kommt, nachdem die Arbeitgeberin den zur Strafverfolgung nach § 404 Abs. 3 Satz 1 AktG erforderlichen Strafantrag nicht gestellt hat und die Strafbarkeit nach diesem Sonderdelikt ua. an die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat anknüpft, im Hinblick auf die künftige Belastung des Arbeitsverhältnisses in kündigungsrechtlicher Hinsicht keine eigenständige Bedeutung zu.

gg) Der Umstand, dass der Beteiligte zu 3) den möglichen Investor in der Betriebsratssitzung vom als "Heuschrecke" bezeichnet hat, rechtfertigt kein anderes Ergebnis.

Es ist aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht erkennbar, dass die von der Arbeitgeberin als "verzerrende Darstellung des Projekts F" bewertete Äußerung des Beteiligten zu 3) die Akzeptanz ihres Vorhabens auf Seiten des Betriebsrats und der Belegschaft tatsächlich beeinträchtigt oder zu einer konkreten Störung des Betriebsfriedens geführt hat. Deshalb kann letztlich offen bleiben, ob einer solchen Äußerung wegen der erkennbar gewollten Assoziation zu den geschäftlichen Absichten des potentiellen Investors - ungeachtet ihres Charakters als Meinungsäußerung - durch die den Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat treffende allgemeine Rücksichtnahmepflicht (vgl. dazu nur MünchKommAktG/Habersack 3. Aufl. § 116 Rn. 43 ff.) Grenzen gesetzt sind. Es liegt jedenfalls keine so erhebliche Pflichtverletzung vor, dass diese - auch unter Berücksichtigung des Ausschlusses des Beteiligten zu 3) aus dem Aufsichtsrat - an sich geeignet wäre, eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfristen zu begründen.

Fundstelle(n):
AG 2009 S. 832 Nr. 22
BB 2009 S. 2208 Nr. 41
DB 2009 S. 1131 Nr. 21
ZIP 2009 S. 2018 Nr. 42
DAAAD-20367

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein